Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen
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20 B. Systematische und strukturelle Einordnung der Vetorechte diese Schutzlosigkeit die Volkstribune nur noch anfälliger für die Instrumentalisierung seitens der neuen Machthaber, welche in der Endphase der Republik die politische Bühne zu bestimmen begannen. Es lässt sich im Ergebnis also konstatieren: Als die römische Republik in ihre schwerste Krise geriet und der Senat als das zentrale Verfassungsorgan der res publica durch das Aufstreben führender Einzelpersönlichkeiten an politischer Macht verlor, hatten die Volkstribune nicht mehr die ursprüngliche Kraft, dem Senat zur Seite zu springen, sondern gingen in übersteigerter, vom eigenen Überlebenskampf geprägter Obstruktion und Dauerblockade mit ihm unter. So richtig es sein mag, wenn Mommsen feststellt, dass die Interzession als Waffe in der Hand des erst vom Senat und dann von den Ceasaren missbrauchten neuen Amtsadels „eher der Geschichte als dem Staatsrecht“ 75 angehört, so lässt sich dennoch nicht negieren, was von dessen VETO – Ausläufern bis in die heutigen Verfassungen überdauerte. Neben der Aufnahme dieses ersten eruierbaren geschichtlichen Fadens, stellt sich nunmehr die Beleuchtung des vom „ius intercessionis“ für das heutige Wort „Veto“ ausgehenden technischen Wertes als interessant dar. cc. Vetorechtsnatur des „ius intercessionis“ Am Ende der „Grabungen“ zu den Ursprüngen der Vetorechte im geschichtlichen und verfassungsrechtlichen Kontext des längst vergangenen Römischen Reiches stellt sich berechtigterweise die Frage, inwieweit zwischen dem Fundstück „ius intercessionis“ und dem heute gebräuchlichen Wort VETO eine semantische Verbindungslinie besteht. Diese Beziehung ist offensichtlich nicht vom Wortstamm her möglich, da „Interzession“ sich vom lateinischen „intercedere“ (dazwischentreten) und „Veto“ vom ebenfalls lateinischen „vetare“ (verbieten – veto = 1. Pers. Sing. = ich verbiete) ableitet. Theodor Mommsen 76 stellt hierzu fest: „…Der technische Wert des Wortes steht nicht außer Zweifel, da nicht auszuschließen ist, dass das „Veto“ im hier ausgewählten Text 77 möglicherweise nur eine Interpolation darstellen könnte und mithin „intercedere“ technisch die richtigerweise anzuwendende lateinische Vokabel darstellt. …“ 75 Mommsen, in: Römisches Staatsrecht II.1., Rn 297. 76 Mommsen, Römisches Staatsrecht“ II.1., Rn 280 Fußnote 1. 77 Siehe Rn 1.
I. Ursprünge und Entwicklungslinien 21 Es wird von anderer Seite heute auch das Argument 78 vorgebracht, dass der Sinn und Zweck des verbietenden oder kassierenden magistratischen Dazwischentretens zwar eigentlich eindeutiger durch das lateinische „vetare“ oder „interdicere“ zum Ausdruck gebracht werde, diesen beiden Wörter allerdings nach derselben Auffassung im Gegensatz zu „intercedere“ und dem sich daraus ergebenen „ius intercessionis“ eine gegenständliche und zeitliche Präzisierung fehlt. Das Dazwischentreten soll nur im speziellen und gegenwärtigen Fall und in persönlicher Natur möglich sein. Dies alles seien eher Merkmale von „intercedere“. Daher zieht sich diese Meinung, mit den entsprechenden „vetare“-Textstellen konfrontiert, auf das o.g. Interpolationsargument zurück, dabei jedoch anerkennend, dass „vetare“ zumindest die überwiegend gebräuchliche Variante für das vorbeugende Verbot künftiger Handlungen darstellte. Interessanterweise wird dann bei der Behandlung der Einspruchsrechte der Volkstribune, in eben dieser Literatur 79 , fast ausschließlich von der Bezeichnung „Veto“ Gebrauch gemacht, obwohl der semantische Zusammenhang noch zuvor in Frage gestellt wurde. Diese Auffassung scheint mir daher eher eine linguistische Interpretationsvariante darzustellen, die lediglich für die allgemeine römische Magistratur ihre Richtigkeit haben könnte. Für die Rechte des Volkstribunats untermauern vielmehr weitere Textstellen 80 den Gebrauch von „vetare“ i.S. von „intercedere“. Des Weiteren lässt sich in der Literatur 81 zum römischen Staatsrecht (sofern man den Literaten nicht unbedachte Wortwahl unterstellen möchte), eine wissenschaftliche Tendenz erkennen, die die historische Herleitung des modernen Wortes „VETO“ aus dem lateinischen „ius intercessionis (– intercedere) zumindest für die Einspruchsrechte des Volkstribunats gebietet. d. Konsequenzen Es lässt sich an dieser Stelle also deutlich erkennen, dass die in dieser Dissertation näher zu untersuchenden Einspruchsrechte der Neuzeit nicht unerlaubter Maßen ihre Bezeichnung als VETOs erfahren. Diese lassen sich sowohl strukturell als auch wortexegetisch zumindest auf die Einspruchsmöglichkeiten der Volktribune im römischen Staatsrecht zurückführen. Damit kann zunächst schon einmal das 78 Kunkel/Wittmann, Staatsordnung und Staatspraxis der Römischen Republik – Die Magistratur, S. 208. 79 A.a.O., S. 213 Rn 395, S. 214, insb. beispielhaft S. 215 „…dem Veto des Interzedierenden…“ und S. 216 „…Der Interzedierende pflegte sein Veto…“, S. 217, S. 219, S. 592. 80 Sueton Tib. 2 (S. 324) „…ne vetare aut intercedere fas cuiquam tribunorum esset…“; Liv. 3, 13, 6; Gell 13, 12, 9. 81 Heuß, in: Propyläen Weltgeschichte Bd. 4, Das Zeitalter der Revolution, S. 229; ders. (sogar schon von einem absoluten tribunizischen Veto sprechend) in: Römische Geschichte, S. 36; Rainer, Einführung in das Römische Staatsrecht, S. 95 und 96; Waldstein/Rainer, Römische Rechtsgeschichte, §8 II 2, Rn 6; Mommsen, in: Römisches Staatsrecht I Rn 275; Mommsen, in: Römisches Staatsrecht II.1., Rn 140, Rn 280; Adomeit, NJW 1995, 1004 ff; Bringmann, in: Krise und Ende der römischen Republik (133-42 v. Chr.) S. 229/230; Dahlheim, in: Die Antike: Griechenland und Rom von den Anfängen bis zur Expansion des Islams, S. 346; VETO in beispielhafter Art und Weise verwendend - Thommen, in: Das Volkstribunat der späten Römischen Republik, S. 207ff.
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I. Ursprünge und Entwicklungslinien 21<br />
Es wird von anderer Seite heute auch das Argument 78 vorgebracht, dass der Sinn<br />
und Zweck des verbietenden oder kassierenden magistratischen Dazwischentretens<br />
zwar eigentlich eindeutiger durch das lateinische „vetare“ oder „interdicere“<br />
zum Ausdruck gebracht werde, diesen beiden Wörter allerdings nach derselben<br />
Auffassung <strong>im</strong> Gegensatz zu „intercedere“ und dem sich daraus ergebenen „ius<br />
intercessionis“ eine gegenständliche und zeitliche Präzisierung fehlt. Das Dazwischentreten<br />
soll nur <strong>im</strong> speziellen und gegenwärtigen Fall und in persönlicher<br />
Natur möglich sein. Dies alles seien eher Merkmale von „intercedere“. Daher<br />
zieht sich diese Meinung, mit den entsprechenden „vetare“-Textstellen konfrontiert,<br />
auf das o.g. Interpolationsargument zurück, dabei jedoch anerkennend, dass<br />
„vetare“ zumindest die überwiegend gebräuchliche Variante für das vorbeugende<br />
Verbot künftiger Handlungen darstellte. Interessanterweise wird dann bei der<br />
Behandlung der Einspruchsrechte der Volkstribune, in eben dieser Literatur 79 , fast<br />
ausschließlich von der Bezeichnung „Veto“ Gebrauch gemacht, obwohl der semantische<br />
Zusammenhang noch zuvor in Frage gestellt wurde. Diese Auffassung<br />
scheint mir daher eher eine linguistische Interpretationsvariante darzustellen, die<br />
lediglich für die allgemeine römische Magistratur ihre Richtigkeit haben könnte.<br />
Für die Rechte des Volkstribunats untermauern vielmehr weitere Textstellen 80 den<br />
Gebrauch von „vetare“ i.S. von „intercedere“. Des Weiteren lässt sich in der Literatur<br />
81 zum römischen Staatsrecht (sofern man den Literaten nicht unbedachte<br />
Wortwahl unterstellen möchte), eine wissenschaftliche Tendenz erkennen, die die<br />
historische Herleitung des modernen Wortes „VETO“ aus dem lateinischen „ius<br />
intercessionis (– intercedere) zumindest für die Einspruchsrechte des Volkstribunats<br />
gebietet.<br />
d. Konsequenzen<br />
Es lässt sich an dieser Stelle also deutlich erkennen, dass die in dieser Dissertation<br />
näher zu untersuchenden Einspruchsrechte der Neuzeit nicht unerlaubter Maßen<br />
ihre Bezeichnung als VETOs erfahren. Diese lassen sich sowohl strukturell als<br />
auch wortexegetisch zumindest auf die Einspruchsmöglichkeiten der Volktribune<br />
<strong>im</strong> römischen Staatsrecht zurückführen. Damit kann zunächst schon einmal das<br />
78 Kunkel/Wittmann, Staatsordnung und Staatspraxis der Römischen Republik – Die Magistratur, S. 208.<br />
79 A.a.O., S. 213 Rn 395, S. 214, insb. beispielhaft S. 215 „…dem Veto des Interzedierenden…“ und S. 216 „…Der<br />
Interzedierende pflegte sein Veto…“, S. 217, S. 219, S. 592.<br />
80 Sueton Tib. 2 (S. 324) „…ne vetare aut intercedere fas cuiquam tribunorum esset…“; Liv. 3, 13, 6; Gell 13, 12, 9.<br />
81 Heuß, in: Propyläen Weltgeschichte Bd. 4, Das Zeitalter der Revolution, S. 229; ders. (sogar schon von einem<br />
absoluten tribunizischen Veto sprechend) in: Römische Geschichte, S. 36; Rainer, Einführung in das Römische<br />
Staatsrecht, S. 95 und 96; Waldstein/Rainer, Römische Rechtsgeschichte, §8 II 2, Rn 6; Mommsen, in: Römisches<br />
Staatsrecht I Rn 275; Mommsen, in: Römisches Staatsrecht II.1., Rn 140, Rn 280; Adomeit, NJW 1995, 1004 ff;<br />
Bringmann, in: Krise und Ende der römischen Republik (133-42 v. Chr.) S. 229/230; Dahlhe<strong>im</strong>, in: Die Antike:<br />
Griechenland und Rom von den Anfängen bis zur Expansion des Islams, S. 346; VETO in beispielhafter Art und<br />
Weise verwendend - Thommen, in: Das Volkstribunat der späten Römischen Republik, S. 207ff.