Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen
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18 B. Systematische und strukturelle Einordnung der Vetorechte gegen den Senatswillen war in der mittleren Phase der Republik undenkbar, ein vorgebrachter Einspruch wurde stetig wieder zurückgezogen. In keinem der Fälle, in denen die Volkstribune von ihrem Interzessionsrecht Gebrauch machten, wurde das Funktionieren des Senatsregimes auch nur entfernt in Frage gestellt. Aus Sicht des Senats handelte es sich durchweg um Routineangelegenheiten. Der Gebrauch des Interzessionsrechts gegen Senatsbeschlüsse war daher nicht wie vor den Ständeausgleichen auf Konfrontation ausgerichtet, sondern vielmehr kooperativ. 71 Das Volkstribunat wurde zum Werkzeug der römischen Senatsgeschlechter. Dem Handeln der Tribunen ging sein revolutionärer Grundcharakter verloren und mit ihm die historische Legitimation des eigentlich scharfen Interzessionsschwertes. Obwohl das Volkstribunat als Organ der Plebs eine vom Senat rechtlich unabhängige, für das Gesamtvolk fungierende Magistratur bilden sollte, kam es in den seltensten Fällen zum Einbringen plebejischer Interessen zulasten der Adelsgeschlechter. Die Tribunen schöpften nämlich die mit der „sacrosanctitas“ verbundene Obstruktionsenergie niemals wirklich zugunsten der Plebs aus, sondern verstanden ihr Amt als eine Art Sprungbrett zum Aufstieg in die Nobilität. Und so verwundert es auch nicht, dass die Kraftquelle, aus der sich die Macht der tribunizischen Interzession speiste, letztlich gänzlich versiegte. Als die Tribunen nämlich, über das Anbiedern beim Senat hinaus anfingen, aufgewiegelt durch diesen auch noch gegen die Ergebnisse der Volksentscheide zu intercedieren 72 , führten sie sich und ihren politischen Einfluss selber zum Schafott. Hierdurch brach zwar das zu diesem Zeitpunkt schon gefestigte Tribunat nicht sofort zusammen, es hatte sich jedoch seiner historischen Legitimation selbst beraubt und war damit nur noch mehr oder weniger nützlicher Baustein der republikanischen Verfassung Roms, mit deren Ende es dann ohne nennenswerten Widerstand ausgelöscht werden konnte. Mit der Auflösung der Republik in ihrer Spätphase ging auch der Exitus der tribunizischen Interzession einher. Dieser Prozess ist mit dem Übergang zum Kaiserreich gleichzusetzen und spiegelte noch einmal in beispielhafter Weise das Versagen der Volkstribune beim Gebrauch ihres manifesten Interzessionsrechtes wider. Jener Entwicklungsprozess war zunächst von einem letzten, erfolglosen Aufbäumen des Volkstribunats geprägt. Die Volkstribunen Ti. und C. Gracchus versuchten in der Endphase der Römischen Republik aus dem Schatten des Senats hervorzutreten. Dabei wurde die Macht des Tribunats, basierend auf einer Idee der absoluten Volkssouveränität, zu Lasten der anderen römischen Institutionen ausgebaut und zielstrebig sogar nochmals eine populare Politik betrieben. Um eine solche erneute Revolutionsstrategie jedoch dauerhaft aufrechterhalten zu können, 71 Kunkel/Wittmann, Staatsordnung und Staatspraxis der Römischen Republik – Die Magistratur, S. 605. 72 Zur tribunicischen Intercession gegen die Rogationen – ausführlich: Kunkel/Wittmann, Staatsordnung und Staatspraxis der Römischen Republik – Die Magistratur, S. 594 ff (insb. S. 598).
I. Ursprünge und Entwicklungslinien 19 war die Position der Volkstribunen und ihre Verankerung bei den Plebs mittlerweile indes viel zu gering geworden. Die eigene Macht maßlos überschätzend, musste das Tribunat im Rahmen der sog. Sullanischen Reformen für diese Bestrebungen mit wesentlichem Machtverlust bezahlen. 73 Obwohl es die Stoßrichtung jener Sullanischen Gesetze war, das Volkstribunat als Instrument popularer Politik unbrauchbar zu machen, nahmen diese ihm nur das autonome Gesetzesinitiativrecht, beließen ihm jedoch das Interzessionsrecht gegen Senatsbeschlüsse. 74 Über die Motive hierfür ließe sich trefflich streiten. Relevant ist jedoch nur eines: Das Tribunat war ohne das Initiativrecht in entscheidender Weise geschwächt. Es ist dabei egal, ob die Beweggründe eher in der für notwendig erkannten Fortführung der Vertretung plebejischer Interessen zu finden sind oder ob die, ihrer revolutionären Fassade entkleidete und sich nur noch selbst blockierende, tribunizische Interzessionsmacht als nicht mehr gefährlich empfunden wurde. Hervorhebenswert ist insbesondere die historische Ironie, welche jener Entwicklung zugrunde lag: Es lässt sich nämlich konstatieren, dass das Tribunat in dem Moment, wo es unter der Anführung der Gracchen seine revolutionäre Aufgabe zu Ende führen wollte, mitursächlich wurde für eine Staatskrise, die sich letztlich zur Krise des Senats, des zentralen Verfassungsorgans der res publica auswuchs und mithin für den Untergang der republikanischen Ordnung Kausalität erlangte. Die Sullanischen Reformen bereiteten nämlich den Weg für die Verlagerung der politischen Macht auf führende Einzelpersönlichkeiten. Dieser Tendenz hatten die sich schon in der mittleren Phase der Republik selbst marginalisierenden Volkstribune nach ihrer politischen Enthauptung nichts mehr entgegenzusetzen. Es rächte sich nun doppelt, dass sie die einzige ihnen noch gebliebene Waffe, die Interzession, durch übermäßigen Opportunismus gegenüber dem Senat ihrer Treffsicherheit und Schärfe beraubten. Eine starke tribunizische Interzession wäre womöglich in Lage gewesen den Aufstieg der römischen Dictatoren zu verhindern. Am Ende taugte die Interzession schließlich nur noch zur permanenten Senatsblockade und versetzte den tribunizischen Inhabern sogar auch noch den Todesstoß. Die Volkstribune waren in ihrem Überlebenskampf in der ausgehenden Republik zwar nicht mehr Marionetten des Senats. Dennoch kamen sie nie mehr über die Position von willigen, um ihre Pfründe kämpfenden Werkzeugen ohne politischen Spielraum und politische Selbständigkeit hinaus. Derer wussten sich die aufstrebenden Einzelpersönlichkeiten zu bedienen und sei es durch Bestechung. Es ist mithin nicht erstaunlich, dass die Plebs den Volkstribunen zum Schluss die Sakrosanktität verweigerten und gegen die Gewaltanwendung durch Dritte keinen ausreichenden Schutz mehr boten. Wie in einer Kaskade machte 73 Zu den dabei relevanten Geschehnissen während der revolutionären Phase der „Gracchen“ und deren Beantwortung durch die „Sullanischen Reformen“ eingehend: Kunkel/Wittmann, Staatsordnung und Staatspraxis der Römischen Republik – Die Magistratur, S. 637-664. 74 A.a.O., S. 656-662.
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I. Ursprünge und Entwicklungslinien 19<br />
war die Position der Volkstribunen und ihre Verankerung bei den Plebs mittlerweile<br />
indes viel zu gering geworden. Die eigene Macht maßlos überschätzend,<br />
musste das Tribunat <strong>im</strong> Rahmen der sog. Sullanischen Reformen für diese Bestrebungen<br />
mit wesentlichem Machtverlust bezahlen. 73<br />
Obwohl es die Stoßrichtung jener Sullanischen Gesetze war, das Volkstribunat<br />
als Instrument popularer Politik unbrauchbar zu machen, nahmen diese ihm nur<br />
das autonome Gesetzesinitiativrecht, beließen ihm jedoch das Interzessionsrecht<br />
gegen Senatsbeschlüsse. 74 Über die Motive hierfür ließe sich trefflich streiten.<br />
Relevant ist jedoch nur eines: Das Tribunat war ohne das Initiativrecht in entscheidender<br />
Weise geschwächt. Es ist dabei egal, ob die Beweggründe eher in der<br />
für notwendig erkannten Fortführung der Vertretung plebejischer Interessen zu<br />
finden sind oder ob die, ihrer revolutionären Fassade entkleidete und sich nur<br />
noch selbst blockierende, tribunizische Interzessionsmacht als nicht mehr gefährlich<br />
empfunden wurde.<br />
Hervorhebenswert ist insbesondere die historische Ironie, welche jener Entwicklung<br />
zugrunde lag: Es lässt sich nämlich konstatieren, dass das Tribunat in<br />
dem Moment, wo es unter der Anführung der Gracchen seine revolutionäre Aufgabe<br />
zu Ende führen wollte, mitursächlich wurde für eine Staatskrise, die sich<br />
letztlich zur Krise des Senats, des zentralen Verfassungsorgans der res publica<br />
auswuchs und mithin für den Untergang der republikanischen Ordnung Kausalität<br />
erlangte. Die Sullanischen Reformen bereiteten nämlich den Weg für die Verlagerung<br />
der politischen Macht auf führende Einzelpersönlichkeiten. Dieser Tendenz<br />
hatten die sich schon in der mittleren Phase der Republik selbst marginalisierenden<br />
Volkstribune nach ihrer politischen Enthauptung nichts mehr entgegenzusetzen.<br />
Es rächte sich nun doppelt, dass sie die einzige ihnen noch gebliebene Waffe,<br />
die Interzession, durch übermäßigen Opportunismus gegenüber dem Senat ihrer<br />
Treffsicherheit und Schärfe beraubten. Eine starke tribunizische Interzession wäre<br />
womöglich in Lage gewesen den Aufstieg der römischen Dictatoren zu verhindern.<br />
Am Ende taugte die Interzession schließlich nur noch zur permanenten<br />
Senatsblockade und versetzte den tribunizischen Inhabern sogar auch noch den<br />
Todesstoß.<br />
Die Volkstribune waren in ihrem Überlebenskampf in der ausgehenden Republik<br />
zwar nicht mehr Marionetten des Senats. Dennoch kamen sie nie mehr<br />
über die Position von willigen, um ihre Pfründe kämpfenden Werkzeugen ohne<br />
politischen Spielraum und politische Selbständigkeit hinaus. Derer wussten sich<br />
die aufstrebenden Einzelpersönlichkeiten zu bedienen und sei es durch Bestechung.<br />
Es ist mithin nicht erstaunlich, dass die Plebs den Volkstribunen zum<br />
Schluss die Sakrosanktität verweigerten und gegen die Gewaltanwendung durch<br />
Dritte keinen ausreichenden Schutz mehr boten. Wie in einer Kaskade machte<br />
73 Zu den dabei relevanten Geschehnissen während der revolutionären Phase der „Gracchen“ und deren Beantwortung<br />
durch die „Sullanischen Reformen“ eingehend: Kunkel/Wittmann, Staatsordnung und Staatspraxis der<br />
Römischen Republik – Die Magistratur, S. 637-664.<br />
74 A.a.O., S. 656-662.