Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen
Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen
320 D. Vetos im aktuellen deutschen Verfassungssystem Gesetzentwurf nunmehr Bedenken entgegenhalten. 904 Das beschlossene Gesetz war mit der Rechtslage nach der Nichtigkeitserklärung des (Bundes)Zuwanderungsgesetzes nicht mehr vereinbar. Es bedurfte eines gänzlich neuen Gesetzes. 905 Als Ergebnis kann festgehalten werden, dass über die im Schrifttum immer wieder angeführten ein bis zwei Anwendungsfälle noch weitere vier Einsätze des Art. 67 LV NRW verifizierbar sind. Der letzte zu eruierende Fall zeigt, dass diese Art des Einspruchs offensichtlich bis in die Gegenwart als exekutives Recht durch die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen wahrgenommen wird. Diese Erkenntnis relativiert die oft zu lesende These einer in der ‚Staatspraxis geringen Bedeutung‛ 906 von Art. 67 LV NRW. bb. Verfassungsrechtliche Einordnung Neben der Feststellung von praktischer Relevanz und Einsatzfrequenz der exekutiven Einspruchsrechte aus Art. 67 LV NRW, erscheint die verfassungsrechtliche Bewertung des potentiellen Vetorechts als ein wichtiges Kriterium für dessen qualitative Einordnung. Das Schrifttum und die Kommentierungen zu Art. 67 LV NRW beschränken sich bisher maßgeblich auf eine mehr oder weniger technische Bestandsaufnahme der Gegenvorstellungskompetenz und belassen es regelmäßig bei der Feststellung der geringen staatspolitischen Bedeutung. Nicht nur das damit, wie aufgezeigt, einige wesentliche Anwendungsfälle außer Acht gelassen werden, zudem wird die Darstellung oftmals auf prozedurale Details und deren Korrelationen zu anderen Verfassungsnormen beschränkt. Ein Verfassungsänderungsantrag der nordrhein-westfälischen FDP- Landtagsfraktion aus dem Jahr 2002 kann an dieser Stelle Unterstützung leisten, diesen Blickwinkel auszudehnen. Im Rahmen der Beratungen zur diesbezüglichen teilweisen Verfassungsänderung, die sich zum Ziel gesetzt hatte, eine Kompensation für die sukzessiven Kompetenzverluste des Landtages zu Wege zu bringen, wurde auch der Art. 67 LV NRW in Frage gestellt und einer dezidierten Analyse unterzogen. 907 Anders als beim niedersächsischen Art. 42 Abs. 2 NV wurde, wie 904 Schreiben des Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen im Namen der Landesregierung v. 18. Dez. 2002. 905 Die Veränderungsabläufe lassen sich nachvollziehen in den NW LT-Drs. 13/1864; 13/3533; 1335/76. 906 Dästner, in: Die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen-Kommentar, Art. 67. 907 NW LT-Drs. 13/2393 v. 19.03.2002 – Gesetzentwurf der FDP-Fraktion – „Gesetz zur Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen: „…Als Gesetzgebungsorgan hat das Landesparlament lange nicht mehr den hohen Stellenwert, der ihm in der Vergangenheit noch zukam. Die großen, die Gesellschaft prägenden Gesetzesvorhaben sind beschlossen. Die Phase des Aufbaus eines demokratischen Staates geht damit über in die Phase der demokratischen Kontrolle eines wohlgeordneten Systems. Darüber hinaus ist eine wachsende Verlagerung von Kompetenzen zu verzeichnen. Demgegenüber hat aber die Exekutive – die Landesregierung – an Macht dazu gewonnen: Für jeden Kompetenzverlust der Landtage erhielten die Landesregierungen mehr Mitspracherechte bei der Bundesgesetzgebung. […]
II. Vetoansatzpunkte in den Landesverfassungen den Parlamentsmaterialien zur Verfassungsänderung zu entnehmen ist, das nordrhein-westfälische Einspruchsrecht nicht einfach fast bedenkenlos fortbestehen gelassen, sondern es war einer der vakantesten Änderungsgegenstände im Rahmen des Verfassungsänderungsantrags.. Die Erkenntnisse der Ausschussberatungen und Expertenanhörungen können an dieser Stelle als Basis für die verfassungsrechtliche Analyse herangezogen werden. Voranzustellen ist die Erläuterung, dass der Entwurf der FDP-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag maßgeblich unter dem Motto stand: ‚Verbesserung der Informationen des Parlaments durch die Regierung‛ 908 . In diesem Sinne strebte er im Wesentlichen Änderungen und Erweiterungen rund um den Art. 45 LV NRW an. Zum einen sollten die Rechte der Landesregierung beschnitten, zum anderen die Rechte des Parlaments gestärkt werden. Insbesondere wurde auch die Manifestation der Oppositionsrechte in einem eigenen Artikel angestrebt. Ohne große Erläuterung zielt der Entwurf darüber hinaus auf die vollständige Abschaffung von Art. 67 LV NRW ab. 909 Daher erweisen sich insbesondere die Expertenstellungnahmen für den mit dem Verfassungsänderungsantrag befassten Landtagshauptausschuss als lohnend. Diese sollen infolgedessen exakt nachgezeichnet und erörtert werden. Jene schriftlich und mündlich geäußerten Expertenmeinungen sind deshalb besonders wichtig, da der Antrag der FDP-Fraktion aufgrund des Auslaufens der 13. Legislaturperiode keine Chance auf Verwirklichung erfuhr. 910 Wie vom Hauptausschuss empfohlen, fand der Verfassungsänderungsantrag in der 14. Wahlperiode zwar eine Wiedervorlage, bezeichnender Weise allerdings nicht durch die nunmehr mitregierende FDP, sondern durch die seither oppositionellen Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. 911 Dieser erneute Antrag zur Verfassungsänderung in der 14. Legislaturperiode, der wiederum die Informationsrechte des Parlaments stärken soll, enthält jedoch nicht mehr den Antrag zur Aufhebung von Art. 67 LV NRW. Infolgedessen gilt es insbesondere den verfassungsrechtlichen Würdigungen aus dem ‚untergegangenen‛ FDP-Entwurf der vorangegangenen Wahlperiode an das Licht der verfassungsrechtlichen Öffentlichkeit zu verhelfen. Der Hauptaus- Ebenso wie sich der Einzelne veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen anpasst, muss die politische Arbeit auf die skizzierten Entwicklungen reagieren. […] Ablauf und Struktur der Arbeit des Landtages müssen sich den veränderten Bedingungen und diesen Aufgaben anpassen. […] Neben dem Verlust an Entscheidungskompetenzen und dem gestörten Machtgefüge zwischen Legislative und Exekutive leidet die parlamentarische Arbeit unter einer starren Debattenstruktur, die zudem der Landesregierung durch das uneingeschränkte Rederecht eine nicht angemessene Bedeutung im Plenum zukommen lässt. […] Die aufgezeigten Fehlentwicklungen müssen korrigiert werden. […] Die Rechte des Parlaments müssen gestärkt werden; insbesondere muss der Landtag im Verhältnis zur Landesregierung wieder an Gewicht gewinnen. […] …“. (S. 1/2). 908 Vgl. NW LT-Drs. 13/2393 v. 19.03.2002 – Gesetzentwurf der FDP-Fraktion – „Gesetz zur Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen, S. 5/7. 909 Vgl. NW LT-Drs. 13/2393 v. 19.03.2002 – Gesetzentwurf der FDP-Fraktion – „Gesetz zur Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen, S. 8. 910 Ausschussprotokoll Hauptausschuss 13/1438 v. 20.01.2005, S. III & S. 19/20. 911 NW LT-Drs. 14/1541 v. 28.03.2006. 321
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D. Vetos <strong>im</strong> aktuellen <strong>deutschen</strong> <strong>Verfassungssystem</strong><br />
Gesetzentwurf nunmehr Bedenken entgegenhalten. 904 Das beschlossene<br />
Gesetz war mit der Rechtslage nach der Nichtigkeitserklärung des (Bundes)Zuwanderungsgesetzes<br />
nicht mehr vereinbar. Es bedurfte eines gänzlich<br />
neuen Gesetzes. 905<br />
Als Ergebnis kann festgehalten werden, dass über die <strong>im</strong> Schrifttum <strong>im</strong>mer wieder<br />
angeführten ein bis zwei Anwendungsfälle noch weitere vier Einsätze des Art. 67<br />
LV NRW verifizierbar sind. Der letzte zu eruierende Fall zeigt, dass diese Art des<br />
Einspruchs offensichtlich bis in die Gegenwart als exekutives Recht durch die<br />
Landesregierung von Nordrhein-Westfalen wahrgenommen wird. Diese Erkenntnis<br />
relativiert die oft zu lesende These einer in der ‚Staatspraxis geringen Bedeutung‛<br />
906 von Art. 67 LV NRW.<br />
bb. Verfassungsrechtliche Einordnung<br />
Neben der Feststellung von praktischer Relevanz und Einsatzfrequenz der exekutiven<br />
Einspruchsrechte aus Art. 67 LV NRW, erscheint die verfassungsrechtliche<br />
Bewertung des potentiellen Vetorechts als ein wichtiges Kriterium für dessen<br />
qualitative Einordnung. Das Schrifttum und die Kommentierungen zu Art. 67 LV<br />
NRW beschränken sich bisher maßgeblich auf eine mehr oder weniger technische<br />
Bestandsaufnahme der Gegenvorstellungskompetenz und belassen es regelmäßig<br />
bei der Feststellung der geringen staatspolitischen Bedeutung. Nicht nur das damit,<br />
wie aufgezeigt, einige wesentliche Anwendungsfälle außer Acht gelassen werden,<br />
zudem wird die Darstellung oftmals auf prozedurale Details und deren Korrelationen<br />
zu anderen Verfassungsnormen beschränkt.<br />
Ein Verfassungsänderungsantrag der nordrhein-westfälischen FDP-<br />
Landtagsfraktion aus dem Jahr 2002 kann an dieser Stelle Unterstützung leisten,<br />
diesen Blickwinkel auszudehnen. Im Rahmen der Beratungen zur diesbezüglichen<br />
teilweisen Verfassungsänderung, die sich zum Ziel gesetzt hatte, eine Kompensation<br />
für die sukzessiven Kompetenzverluste des Landtages zu Wege zu bringen,<br />
wurde auch der Art. 67 LV NRW in Frage gestellt und einer dezidierten Analyse<br />
unterzogen. 907 Anders als be<strong>im</strong> niedersächsischen Art. 42 Abs. 2 NV wurde, wie<br />
904 Schreiben des Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen <strong>im</strong> Namen der Landesregierung v. 18.<br />
Dez. 2002.<br />
905 Die Veränderungsabläufe lassen sich nachvollziehen in den NW LT-Drs. 13/1864; 13/3533; 1335/76.<br />
906 Dästner, in: Die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen-Kommentar, Art. 67.<br />
907 NW LT-Drs. 13/2393 v. 19.03.2002 – Gesetzentwurf der FDP-Fraktion – „Gesetz zur Änderung der Verfassung<br />
für das Land Nordrhein-Westfalen: „…Als Gesetzgebungsorgan hat das Landesparlament lange nicht mehr den hohen<br />
Stellenwert, der ihm in der Vergangenheit noch zukam. Die großen, die Gesellschaft prägenden Gesetzesvorhaben sind beschlossen.<br />
Die Phase des Aufbaus eines demokratischen Staates geht damit über in die Phase der demokratischen Kontrolle eines wohlgeordneten<br />
Systems. Darüber hinaus ist eine wachsende Verlagerung von Kompetenzen zu verzeichnen.<br />
Demgegenüber hat aber die <strong>Exekutive</strong> – die Landesregierung – an Macht dazu gewonnen: Für jeden Kompetenzverlust der Landtage<br />
erhielten die Landesregierungen mehr Mitspracherechte bei der Bundesgesetzgebung. […]