Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen
Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen
308 D. Vetos im aktuellen deutschen Verfassungssystem die 30 Tage der Aussetzung hätten das Gesetz „verhungern“ lassen. Wesentliche Rechtsfolgen von Art. 42 Abs. 2 NV ähneln also denen der Vetorechte. Dennoch erscheinen unter der Ausleuchtung der hier vertretenen Vetorechtsdefinition einige Elemente des Aussetzungsverlangens als fraglich. Diesen Friktionen gilt es im Rahmen der Beurteilung der Vetoqualität von Art. 42 Abs. 2 NV nunmehr nachzugehen. Nach den Veto-Vergleichsvorgaben müsste es sich bei dem Aussetzungsverlangen der Landesregierung um ein externes, exekutives Recht handeln, welches ein entstandenes Gesetz unterminiert und somit in der Lage ist, dessen Entstehung zu verhindern. Inwieweit Art. 42 Abs. 2 NV diese Grundanforderungsparameter erfüllt, erscheint tendenziell als problematisch. Problemlos kann zunächst hervor gestrichen werden, dass ein wesentliches Kriterium der Vetoqualität in jedem Fall erfüllt ist: Die Vetoinstanz, welche in der Lage ist, ein niedersächsisches Landesgesetz zu unterminieren, bzw. dieses gänzlich zu verhindern, müsste definitionsgemäß exekutiver Natur sein. Es handelt sich bei der hierzu berechtigten niedersächsischen Landesregierung um eine Regierungsinstanz, die zweifelsohne exekutiven Charakter aufweist. Insofern ist das klassische „Exekutiv“-Merkmal der Vetorechte für das Aussetzungsverlangen als erfüllt anzusehen. Mit der Landesregierung macht von dem Einspruchsrecht eine exekutive Staatsleitungseinheit Gebrauch, welche zudem grundsätzlich gänzlich einflusslos auf Inhalt und Beschluss des Landesgesetzes ist. Somit lässt sich auch ein weiterer Vetoaspekt bejahen: Nämlich der externe Einsatz einer außerhalb des Gesetzgebungsverfahrens angesiedelten Exekutivinstanz. Die beiden klassischen Vetogrundkriterien treffen also zweifelsohne auf das Aussetzungsverlangen aus Art. 42 Abs. 2 NV zu. Einer dezidierteren Analyse bedarf es jedoch insbesondere für eines der weiteren Definitionsmerkmale: Als fraglich erscheint nämlich, ebenso wie beim Zustimmungsvorbehalt der Bundesregierung bei finanzwirksamen Gesetzen und dem dortigen ersten Vorverfahren nach Art. 113 Abs. 1 S. 3, 4 GG, das Vetokriterium des ‚entstandenen Gesetzes‛. Die Vergleichbarkeit zwischen der ersten Verfahrensstufe von Art. 113 GG und dem Aussetzungsverlangen nach Art. 42 Abs. 2 NV ergibt sich daraus, dass zum Zeitpunkt des Einsatzes des ersten Vorverfahrens der Bundestag über das finanzwirksame Gesetz noch keinen Beschluss gefasst hätte. Dieses Stadium ist dasselbe wie beim Verlangen der 30-tägigen Aussetzung. Auch hier befindet sich das Gesetzvorhaben noch in der dritten parlamentarischen Lesung. Somit fehlt es noch an einem grundsätzlichen parlamentarischen Beschluss. Das Objekt der Unterminierung ist noch nicht entstanden. Ebenso wie für das erste Vorverfahren nach Art. 113 Abs. 1 GG bedeutet dies, dass die Landesregierung nicht ein beschlossenes Gesetz suspendiert, sondern lediglich dessen Beschluss verhindern möchte. Ein Zweites kommt hinzu: Ebenso wie das erste Vorverfahren des Art. 113 GG entspricht das Ansinnen von Art. 42 Abs. 2 NV in seinen wesentlichen
II. Vetoansatzpunkte in den Landesverfassungen Merkmalen weniger dem Aspekt der Zerstörung eines durch Gesetzesbeschluss manifestierten Parlamentswillens, sondern vielmehr einem anderen Institut, nämlich dem der Geschäftsordnungsrechte. Vergleichbar mit den parlamentarischen „Geschäftsordnungstricks“ soll auch hier die Möglichkeit eines Fallstricks für ein politisch nicht gewolltes Gesetz offeriert werden. Mit dem Einsatz dieses Rechtes, ergeben sich wiederum die Konsequenzen von Transparenz, Debatier- und Begründungsverpflichtung. Betrachtet man den einzigen Anwendungsfall von 1975, wird deutlich, dass die damalige SPD/FDP-Landesregierung versuchte mit einem ‚Geschäftsordnungstrick‛, über ihren temporären Mehrheitsverlust hinwegzukommen. Dies ist genau das Unterfangen, welches die Regierungsmehrheit ansonsten bei nicht ausreichender Abgeordnetenzahl im Plenum mit der Verweisung in die Ausschüsse oder der Einberufung des Ältestenrates zu erreichen versucht. Gleichsam zielt die mit dem Aussetzungsverlangen einhergehende erneute Ausschussberatung darauf ab, neue Argumente bezüglich eines Gesetzes auf fachlicher Ebene gewichten und würdigen zu können. Dies entspricht dem hehren Ausgangsziel des Art. 33 Abs. 2 VNV, sog. „Dummheitsbeschlüsse“ verhindern zu können. Alles in allem handelt es sich also beim Aussetzungsverlangen der Landesregierung um einen Verfahrensaspekt der laufenden Gesetzgebung. Infolgedessen gilt die gleiche conclusio wie beim ersten Vorverfahren von Art. 113 GG: Der Grundcharakter des Aussetzungsverlangens sollte zu der Auffassung führen, dass das erste Vorverfahren kein suspensives Vetorecht darstellt, sondern lediglich eine dilatorische Verfahrensregelung, wie sie typischer Weise parlamentarischen Geschäftsordnungen zu eigen ist. Ein Vetorecht kann nur vorliegen, wenn das Parlament sich selbst durch seinen Beschluss gebunden hat und die Exekutive diesen Beschluss zu unterminieren oder zu sabotieren versucht. Wenn die niedersächsische Landesregierung den Landtag zwingt, 30 Tage keinen Gesetzesbeschluss zu fassen, und sich mit den exekutiven Argumenten bezüglich des gehemmten Gesetzes beschäftigen muss, dann handelt es sich lediglich um ein Verfahrensrecht wie es Geschäftsordnungen kennen und nicht um ein suspensives Vetorecht. An dieser Feststellung ändert sich auch nichts, wenn man zugrunde legt, dass der Einbau jenes Aussetzungsverlangens auf einer fragwürdigen Parlamentarismusskepsis fußte, wie man sie nur in Weimarer Verfassungszeiten oder im Kaiserreich vermuten würde. Mit einem demokratischen Parlamentarismus hat Art. 42 Abs. 2 NV nichts zu tun. Selbst wenn das Argument des Abgeordneten Möllring greift, dass der Landtag einen in der Regel exekutiv initiierten Gesetzentwurf „entstellen“ könnte. So bedarf es keines momento mori mittels welchem die Landesregierung die empfundene Sabotage wieder „ausbügeln“ können sollte. Vielmehr hätte der Niedersächsische Verfassungsgeber 1993 erkennen müssen, dass die legislative ‚Verunstaltung‛, wie sie der Abgeordnete Möllring befürchtete, eines der originären parlamentarischen Rechte ist. Als des Weiteren fraglich erscheint die Vetoqualität bezüglich der negativen Unterminierung des Gesetzesbeschlusses. Grundsätzlich verfehlt wäre es, das 309
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D. Vetos <strong>im</strong> aktuellen <strong>deutschen</strong> <strong>Verfassungssystem</strong><br />
die 30 Tage der Aussetzung hätten das Gesetz „verhungern“ lassen. Wesentliche<br />
Rechtsfolgen von Art. 42 Abs. 2 NV ähneln also denen der <strong>Vetorechte</strong>.<br />
Dennoch erscheinen unter der Ausleuchtung der hier vertretenen Vetorechtsdefinition<br />
einige Elemente des Aussetzungsverlangens als fraglich. Diesen Friktionen<br />
gilt es <strong>im</strong> Rahmen der Beurteilung der Vetoqualität von Art. 42 Abs. 2 NV<br />
nunmehr nachzugehen.<br />
Nach den Veto-Vergleichsvorgaben müsste es sich bei dem Aussetzungsverlangen<br />
der Landesregierung um ein externes, exekutives Recht handeln, welches<br />
ein entstandenes Gesetz unterminiert und somit in der Lage ist, dessen Entstehung<br />
zu verhindern. Inwieweit Art. 42 Abs. 2 NV diese Grundanforderungsparameter<br />
erfüllt, erscheint tendenziell als problematisch.<br />
Problemlos kann zunächst hervor gestrichen werden, dass ein wesentliches<br />
Kriterium der Vetoqualität in jedem Fall erfüllt ist: Die Vetoinstanz, welche in der<br />
Lage ist, ein niedersächsisches Landesgesetz zu unterminieren, bzw. dieses gänzlich<br />
zu verhindern, müsste definitionsgemäß exekutiver Natur sein. Es handelt<br />
sich bei der hierzu berechtigten niedersächsischen Landesregierung um eine Regierungsinstanz,<br />
die zweifelsohne exekutiven Charakter aufweist. Insofern ist das<br />
klassische „Exekutiv“-Merkmal der <strong>Vetorechte</strong> für das Aussetzungsverlangen als<br />
erfüllt anzusehen.<br />
Mit der Landesregierung macht von dem Einspruchsrecht eine exekutive<br />
Staatsleitungseinheit Gebrauch, welche zudem grundsätzlich gänzlich einflusslos<br />
auf Inhalt und Beschluss des Landesgesetzes ist. Somit lässt sich auch ein weiterer<br />
Vetoaspekt bejahen: Nämlich der externe Einsatz einer außerhalb des Gesetzgebungsverfahrens<br />
angesiedelten Exekutivinstanz. Die beiden klassischen Vetogrundkriterien<br />
treffen also zweifelsohne auf das Aussetzungsverlangen aus Art. 42<br />
Abs. 2 NV zu.<br />
Einer dezidierteren Analyse bedarf es jedoch insbesondere für eines der weiteren<br />
Definitionsmerkmale: Als fraglich erscheint nämlich, ebenso wie be<strong>im</strong> Zust<strong>im</strong>mungsvorbehalt<br />
der Bundesregierung bei finanzwirksamen Gesetzen und<br />
dem dortigen ersten Vorverfahren nach Art. 113 Abs. 1 S. 3, 4 GG, das Vetokriterium<br />
des ‚entstandenen Gesetzes‛. Die Vergleichbarkeit zwischen der ersten Verfahrensstufe<br />
von Art. 113 GG und dem Aussetzungsverlangen nach Art. 42 Abs. 2<br />
NV ergibt sich daraus, dass zum Zeitpunkt des Einsatzes des ersten Vorverfahrens<br />
der Bundestag über das finanzwirksame Gesetz noch keinen Beschluss gefasst<br />
hätte. Dieses Stadium ist dasselbe wie be<strong>im</strong> Verlangen der 30-tägigen Aussetzung.<br />
Auch hier befindet sich das Gesetzvorhaben noch in der dritten parlamentarischen<br />
Lesung. Somit fehlt es noch an einem grundsätzlichen parlamentarischen<br />
Beschluss. Das Objekt der Unterminierung ist noch nicht entstanden. Ebenso wie<br />
für das erste Vorverfahren nach Art. 113 Abs. 1 GG bedeutet dies, dass die Landesregierung<br />
nicht ein beschlossenes Gesetz suspendiert, sondern lediglich dessen<br />
Beschluss verhindern möchte.<br />
Ein Zweites kommt hinzu: Ebenso wie das erste Vorverfahren des Art. 113<br />
GG entspricht das Ansinnen von Art. 42 Abs. 2 NV in seinen wesentlichen