Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen
Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen
306 D. Vetos im aktuellen deutschen Verfassungssystem Es wird wohl eher wahrscheinlich sein, dass der CDU, angesichts einer stetig mit der 5%-Hürde kämpfenden FDP, als potentiellem Koalitionspartner der 90er Jahre und einem starken Gegenlager aus SPD und Grünen, die Regierungsübernahme einzig durch eine CDU-Minderheitsregierung erreichbar schien. Auch wenn im Verfassungssonderausschuss derartige Argumente nicht zu hören waren, so wird es wohl diese politische Konstellation gewesen sein, welche der Abgeordnete Möllring mit seinem praxisfernen Beispiel meinte. Ob die Koalitionsseite sich von dem Oppositionsargument tatsächlich überzeugen ließ, bzw. doch noch die Vorzüge jener die Regierung bevorzugenden Regelung erkannte, lässt sich nicht feststellen. Fakt ist jedenfalls, dass in Folge der Beschlussempfehlung 863 des Sonderausschusses „Niedersächsische Verfassung“ die exekutive Möglichkeit des Aussetzungsverlangens in Art. 42 Abs. 2 NV fortgeführt wurde und dergestalt auch in die am 01. Juni 1993 in Kraft getretene Niedersächsische Verfassung Eingang fand. Diese scheinbar unreflektierte Fortführung eines exekutiven Einwirkungsrechtes in das Gesetzgebungsverfahren, erstaunt umso mehr, da es sich doch eigentlich um eine von den politischen Parteien geprägte Verfassunggebung gehandelt haben soll. Die Arbeit im Verfassungsausschuss war absolut determiniert durch die Landtagsparteien und wurde daher auch als Verfassunggebung durch politische Parteien“ charakterisiert. 864 Von Seiten der niedersächsischen Landesregierung kam kein substantieller Beitrag. 865 Folglich hat die politische Exekutive auch nicht auf die Beibehaltung von Art. 33 Abs. 2 NV a.F. bestanden. Allein die Landtagsparteien haben sich auf dessen Fortführung geeinigt. Des Weiteren erstaunt noch mehr, dass in beispielhafter Weise eine große konsensuale Einigkeit über die Stärkung der Oppositionsrechte bestanden haben soll. 866 Wenn also auf beiden Seiten des politischen Lagers eine so ‚lebendige Oppositionserfahrung‛ bestand, die diese Motivation speiste, erscheint es fraglich, warum das Recht aus Art. 42 Abs. 2 NV, welches zweifelsohne gerade nicht zu 863 Beschlussempfehlung des Sonderausschusses „Niedersächsische Verfassung“: Landtags-Drucksache 12/4650 v. 26.02.1993, S. 16. 864 Vgl. Janssen/Winkelmann, Die Entwicklung des niedersächsischen Verfassungs- und Verwaltungsrechts in den Jahren 1990-2002, in: JöR 51 (2003), S. 308. 865 Vgl. Janssen, Die Infragestellung des Verfassungsstaates, in: Die Verwaltung 35 (2002), S. 117 (124, 128). 866 „…so gingen die Beratungen im Verfassungsausschuss wie im Landtag ganz offensichtlich davon aus, dass die parlamentarische Kontrolle der Regierung primär der Opposition zukommt und deren Status besonders aus diesem Grund auch verfassungsrechtlich abgesichert werden müsse. […] … dafür ist besonders auch der Umstand wesentlich, dass die Mitglieder der SPD-Fraktion erst 1990 ihren über mehr als drei Wahlperioden währenden Oppositionsstatus beendet hatten und […] soeben Regierungsfraktion geworden waren. Es verband also alle Abgeordneten des Niedersächsischen Landtags eine lebendige gemeinsame ‚Oppositionserfahrung‛, die umso nachhaltiger ihr Bewusstsein bestimmte, als basierend auf den Erfahrungen des Barschel-Untersuchungsausschusses – im Nachbarland Schleswig-Holstein 1990 eine umfassende Verfassungsreform in Kraft getreten war, die sich eben auch dem Status der Opposition und dem Ausbau der parlamentarischen Kontrollrechte mit besonderer Sorgfalt widmete. …“ – Vgl. Janssen/Winkelmann, Die Entwicklung des niedersächsischen Verfassungs- und Verwaltungsrechts in den Jahren 1990-2002, in: JöR 51 (2003), S. 309.
II. Vetoansatzpunkte in den Landesverfassungen einer Stärkung der parlamentarischen Minderheit geeignet ist 867 , nicht gestrichen wurde. Zumal die 1992/93 ‚amtierende‛ CDU-Opposition als Protagonistin der Fortführung am Streichen der Norm das originärste Interesse hätte haben müssen. Rational verständlich wird die Beibehaltung des Aussetzungsverlangens nur, wenn man insbesondere die Argumente der CDU im Verfassungsausschuss dahingehend deutet, dass es weiterhin eine Instanz geben sollte, die „Dummheitsbeschlüsse“ verhindern kann. Diese kuriose Aufgabe allerdings gerade der Landesregierung zu übertragen, welche im vorherrschenden Modell der Mehrheitsregierung auf das Intensivste personell und organisatorisch mit den Mehrheitsfraktionen im Parlament verwoben ist, deutet weder auf politischen Instinkt hin noch auf parlamentarisches Urvertrauen. cc. Vetorechtsqualität Die Einordnung des verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Bedeutungsgehaltes von Art. 42 Abs. 2 NV erlaubt nunmehr eine abschließende Einschätzung seiner Vetorechtsqualität. Auf den ersten Blick erscheint das Aussetzungsverlangen wie ein klassisches suspensives Vetorecht daher zu kommen. Grobrastrig betrachtet, macht Art. 42 Abs. 2 NV den Eindruck, als könnte die Exekutive mittels ihres Einspruchs die Wirksamkeit eines Gesetzes sabotieren. Die Legislative wiederum verfügte über die Möglichkeit, dieses Unterminierungsansinnen zu retournieren, indem sie nach 30 Tagen das Gesetz in dem ursprünglichen Entwurfszustand beschließt und damit das Verfahren nach Art. 42 Abs. 2 NV beendet. 868 In der Folge fände das Gesetzgebungsverfahren seinen normalen und geregelten Abschluss. Sogar der dem suspensiven Vetorecht innewohnende absolute Vernichtungsaspekt wäre eröffnet. Aufgrund der ‚sachlichen Diskontinuität‛ könnte das fragliche Gesetz nämlich nach dem Einspruch der Landesregierung sogar seine endgültige Erledigung finden. Dieses Szenario würde sich wie folgt abspielen: Am Ende einer Wahlperiode könnte infolge der Einspruchseinlegung der Zeitumfang der letzten Sitzung des Landtags überschritten werden. Infolge des Ablaufs der Wahlperiode wäre dem alten Landtag ein erneuter Zusammentritt zum Zwecke der Überwindung des Aussetzungsverlangens nicht mehr möglich. Infolgedessen würde der Grundsatz der Diskontinuität dazu führen, dass sich das suspensive Veto zu einem absoluten Vetorecht wandelt. 869 Das Zusammenspiel von Verzögerung und Ende der Legislaturperiode würde dazu führen, dass das Gesetz aufgrund der faktischen Realitäten scheitert. Plastisch dargestellt müsste man sagen, 867 Dies hat auch und gerade der einzige Anwendungsfall in Niedersachsen gezeigt: Die Vorläufernorm in Art. 33 Abs. 2 NV a.F. wurde durch die Landesregierung nur genutzt, um über eine Unpässlichkeit in Mehrheitsfragen hinwegzukommen und der Opposition einen ‚Sieg‛ im Haushaltsverfahren zu verwehren. 868 Vgl. Neumann, Die Niedersächsische Verfassung – Handkommentar, Art. 42, Rn 18. 869 Ebenso: Neumann, Die Niedersächsische Verfassung – Handkommentar, Art. 42, Rn 19. 307
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wurde. Zumal die 1992/93 ‚amtierende‛ CDU-Opposition als Protagonistin der<br />
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Rational verständlich wird die Beibehaltung des Aussetzungsverlangens nur, wenn<br />
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deutet, dass es weiterhin eine Instanz geben sollte, die „Dummheitsbeschlüsse“<br />
verhindern kann. Diese kuriose Aufgabe allerdings gerade der Landesregierung<br />
zu übertragen, welche <strong>im</strong> vorherrschenden Modell der Mehrheitsregierung auf das<br />
Intensivste personell und organisatorisch mit den Mehrheitsfraktionen <strong>im</strong> Parlament<br />
verwoben ist, deutet weder auf politischen Instinkt hin noch auf parlamentarisches<br />
Urvertrauen.<br />
cc. Vetorechtsqualität<br />
Die Einordnung des verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Bedeutungsgehaltes<br />
von Art. 42 Abs. 2 NV erlaubt nunmehr eine abschließende Einschätzung<br />
seiner Vetorechtsqualität.<br />
Auf den ersten Blick erscheint das Aussetzungsverlangen wie ein klassisches<br />
suspensives Vetorecht daher zu kommen. Grobrastrig betrachtet, macht Art. 42<br />
Abs. 2 NV den Eindruck, als könnte die <strong>Exekutive</strong> mittels ihres Einspruchs die<br />
Wirksamkeit eines Gesetzes sabotieren. Die Legislative wiederum verfügte über<br />
die Möglichkeit, dieses Unterminierungsansinnen zu retournieren, indem sie nach<br />
30 Tagen das Gesetz in dem ursprünglichen Entwurfszustand beschließt und damit<br />
das Verfahren nach Art. 42 Abs. 2 NV beendet. 868 In der Folge fände das<br />
Gesetzgebungsverfahren seinen normalen und geregelten Abschluss.<br />
Sogar der dem suspensiven Vetorecht innewohnende absolute Vernichtungsaspekt<br />
wäre eröffnet. Aufgrund der ‚sachlichen Diskontinuität‛ könnte das fragliche<br />
Gesetz nämlich nach dem Einspruch der Landesregierung sogar seine endgültige<br />
Erledigung finden. Dieses Szenario würde sich wie folgt abspielen: Am Ende<br />
einer Wahlperiode könnte infolge der Einspruchseinlegung der Zeitumfang der<br />
letzten Sitzung des Landtags überschritten werden. Infolge des Ablaufs der Wahlperiode<br />
wäre dem alten Landtag ein erneuter Zusammentritt zum Zwecke der<br />
Überwindung des Aussetzungsverlangens nicht mehr möglich. Infolgedessen<br />
würde der Grundsatz der Diskontinuität dazu führen, dass sich das suspensive<br />
Veto zu einem absoluten Vetorecht wandelt. 869 Das Zusammenspiel von Verzögerung<br />
und Ende der Legislaturperiode würde dazu führen, dass das Gesetz aufgrund<br />
der faktischen Realitäten scheitert. Plastisch dargestellt müsste man sagen,<br />
867 Dies hat auch und gerade der einzige Anwendungsfall in Niedersachsen gezeigt: Die Vorläufernorm in Art. 33<br />
Abs. 2 NV a.F. wurde durch die Landesregierung nur genutzt, um über eine Unpässlichkeit in Mehrheitsfragen<br />
hinwegzukommen und der Opposition einen ‚Sieg‛ <strong>im</strong> Haushaltsverfahren zu verwehren.<br />
868 Vgl. Neumann, Die Niedersächsische Verfassung – Handkommentar, Art. 42, Rn 18.<br />
869 Ebenso: Neumann, Die Niedersächsische Verfassung – Handkommentar, Art. 42, Rn 19.<br />
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