Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen
Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen
290 D. Vetos im aktuellen deutschen Verfassungssystem Länderverfassungen zu tilgen. Ein vergleichender Blick in die Landesverfassungen zeigt, dass die Deutschen Länder, wie sie sich heute darstellen, eher in der Tradition der revolutionären, tendenziell volks- bzw. rätedemokratischen Länderverfassungen der Weimarer Republik stehen, als in der Tradition der Fürsten(teil)staaten, aus denen sich das Kaisereich zusammensetzte. Es verwundert mithin nicht, dass derartige Monarchieversatzstücke, wie sie die Vetorechte darstellen, nur vereinzelt Eingang in die Verfassunggebung der Deutschen Länder nach dem Zweiten Weltkrieg fanden. Trotz der diesbezüglich großen Zurückhaltung, ihren Exekutiven derartig viel Macht zuzugestehen und dem starken Drang das Parlamentarische Regierungssystem oftmals besonders intensiv zugunsten des Parlaments auszuformen, sind doch drei Landesverfassungen zu finden, welche in jeweils recht unterschiedlicher Ausprägung ihren exekutiven Regierungen Einspruchsrechte zugestehen. Diese in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Hessen eruierbaren Unterminierungsrechte sollen den letzten Aspekt aktueller Vetobestandsaufnahme darstellen. a. Art. 42 Abs. 2 Niedersächsische Verfassung aa. 30-tägiges Aussetzungsverlangen des Landtagsbeschlusses Wie in allen bisher erörterten Bereichen, ist die Fragestellung nach möglichen exekutiven Vetorechten auch in Niedersachsen im Bereich der Gesetzgebung anzusiedeln. Das niedersächsische Normsetzungsverfahren ist maßgeblich in Art. 42 Niedersächsische Verfassung (NV) geregelt. In Abs. 1 dieser landesverfassungsrechtlichen Norm wird festgelegt, dass niedersächsische Landesgesetze nur durch Beschluss des Landtags oder durch Volksentscheid entstehen können. Im „Gesetzgebungsnormalfall“, also dem parlamentarischen Gesetzgebungsweg, käme es am Ende der dritten Lesung 834 zur Schlussabstimmung, mittels welcher der Niedersächsische Landtag feststellt, was Gesetz ist, und ausspricht, dass der festgestellte Text Gesetz sein soll. 835 Hiermit wäre das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren beendet und der Gesetzesbeschluss würde der Landesregierung übersandt. Der Ministerpräsident von Niedersachsen hätte dann die Pflicht, die verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetze binnen 30 Tagen mit den zuständigen Ministern auszufertigen und sie im Gesetz- und Verordnungsblatt des Landes zu verkünden (Art. 45 Abs. 1 NV). 834 Die Niedersächsische Verfassung regelt in Art. 42 nur die Grundfragen des Gesetzgebungsverfahrens. Sie überlässt alle weitergehenden Detailregelungen des Verfahrens der Geschäftsordnungsautonomie des Landtages. Zu den nähren Details der Geschäftsordnungsfragen im Rahmen der Gesetzgebung: §§ 24 ff GO-LT–Nds. Diesbezügliche Grundzüge finden sich erläutert bei: H.-P. Schneider, Verfassungsrecht, in: Niedersächsisches Staats- und Verwaltungsrecht, S. 87/88. Zu den Geschäftsordnungsfragen im Rahmen der Gesetzgebung: Vgl. §§ 24 ff GO-LT–Nds.. 835 So jedenfalls die diesbezügliche Begründung der Regierungsvorlage zur Verfassungsentstehung für die Vorläufige Niedersächsische Verfassung von 1951 (Vgl. Reg. Vorlage Nr. 2073).
II. Vetoansatzpunkte in den Landesverfassungen Art. 42 NV hält jedoch in seinem Abs. 2 ein Einfallstor für die Exekutive bereit, diesen Beschlussprozess zu torpedieren. Es handelt sich hierbei um eine Einspruchsmöglichkeit, wie sie in der deutschen Verfassungslandschaft von Bund und Ländern einzigartig ist. So heißt es in Art. 42 Abs. 2 NV: „Vor dem Beschluss des Landtages kann die Landesregierung verlangen, dass die Abstimmung bis zu 30 Tagen ausgesetzt wird.“ Als Substrat lässt sich dieser Landesverfassungsnorm zunächst einmal entnehmen, dass der Landesregierung vor der Schlussabstimmung im Landtag die Möglichkeit offen steht, zu verlangen, dass dieser Beschluss über einen Gesetzentwurf für 30 Tage ausgesetzt wird. Historisch gesehen stellt diese Regelung für den geographischen Raum Niedersachsen mehr oder weniger eine grundsätzliche verfassungsrechtliche Neuerung dar. Die unmittelbaren geographischen Verfassungsvorläufer in der Weimarer Republik, der Freistaat Braunschweig und der Freistaat Oldenburg, waren unter dem Gesichtspunkt der parlamentarischen Verfassungsentwicklung sehr rückständig und enthielten tendenziell noch nicht einmal Regelungen über das ordinäre Gesetzgebungsverfahren. Vetorechtstaugliche Einspruchsrechte, welche Vorbilder für die Verfassunggebung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hätten sein können, enthielten diese jedenfalls nicht. Hingegen die Verfassung des Freistaates Schaumburg-Lippe, aber auch die während der Weimarer Republik starke Dominanz ausübende Verfassung des Freistaates Preußen, die geographisch sogar teilweise in das Landesgebiet des heutigen Bundeslandes Niedersachsen ausuferte, boten Ansätze für einen exekutiven Einspruch im Rahmen der Gesetzgebung. Da es sich dabei jedoch jeweils um Unterminierungsansätze für bereits vom Landtag beschlossene Gesetze handelte, sollen diese beiden Verfassungsvorläufer erst bei den Vetobetrachtungen zur Landesverfassung von Nordrhein-Westfalen näher beleuchtet werden. (Vgl. Kapitel D.II.2.b.) Für Artikel 42 Abs. 2 NV kann bis hierher festgehalten werden, dass sein Aussetzungsverlangen nicht nur im heutigen Verfassungsvergleich ohne Vorbild ist, sondern auch in der Historie sich für dieses exekutive Recht kein Vergleich finden lässt, es sich mithin um ein Novum handelt. Macht die Landesregierung von diesem Recht Gebrauch, so bestimmt § 32 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Niedersächsischen Landtages: Erst nach Ablauf von 30 Tagen kann die Landtagsberatung zu diesem Gesetzentwurf in der dritten Lesung wieder eröffnet werden. Bis dahin ist dem niedersächsischen Landtag die inhaltliche Befassung mit dem ausgesetzten Gesetz und seinem Inhalt untersagt. Vielmehr wird die Behandlung des exekutiven Aussetzungsverlangens als solchem angestrebt. Nach Ablauf der 30 Tage währenden Unterbrechung des Gesetzgebungsverfahrens für das fragliche konkrete Normsetzungsansinnen wird das Aus- 291
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II. Vetoansatzpunkte in den Landesverfassungen<br />
Art. 42 NV hält jedoch in seinem Abs. 2 ein Einfallstor für die <strong>Exekutive</strong> bereit,<br />
diesen Beschlussprozess zu torpedieren. Es handelt sich hierbei um eine Einspruchsmöglichkeit,<br />
wie sie in der <strong>deutschen</strong> Verfassungslandschaft von Bund<br />
und Ländern einzigartig ist.<br />
So heißt es in Art. 42 Abs. 2 NV:<br />
„Vor dem Beschluss des Landtages kann die Landesregierung verlangen, dass die Abst<strong>im</strong>mung<br />
bis zu 30 Tagen ausgesetzt wird.“<br />
Als Substrat lässt sich dieser Landesverfassungsnorm zunächst einmal entnehmen,<br />
dass der Landesregierung vor der Schlussabst<strong>im</strong>mung <strong>im</strong> Landtag die Möglichkeit<br />
offen steht, zu verlangen, dass dieser Beschluss über einen Gesetzentwurf für 30<br />
Tage ausgesetzt wird.<br />
Historisch gesehen stellt diese Regelung für den geographischen Raum Niedersachsen<br />
mehr oder weniger eine grundsätzliche verfassungsrechtliche Neuerung<br />
dar. Die unmittelbaren geographischen Verfassungsvorläufer in der We<strong>im</strong>arer<br />
Republik, der Freistaat Braunschweig und der Freistaat Oldenburg, waren unter<br />
dem Gesichtspunkt der parlamentarischen Verfassungsentwicklung sehr rückständig<br />
und enthielten tendenziell noch nicht einmal Regelungen über das ordinäre<br />
Gesetzgebungsverfahren. Vetorechtstaugliche Einspruchsrechte, welche Vorbilder<br />
für die Verfassunggebung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hätten sein<br />
können, enthielten diese jedenfalls nicht. Hingegen die Verfassung des Freistaates<br />
Schaumburg-Lippe, aber auch die während der We<strong>im</strong>arer Republik starke Dominanz<br />
ausübende Verfassung des Freistaates Preußen, die geographisch sogar teilweise<br />
in das Landesgebiet des heutigen Bundeslandes Niedersachsen ausuferte,<br />
boten Ansätze für einen exekutiven Einspruch <strong>im</strong> Rahmen der Gesetzgebung. Da<br />
es sich dabei jedoch jeweils um Unterminierungsansätze für bereits vom Landtag<br />
beschlossene Gesetze handelte, sollen diese beiden Verfassungsvorläufer erst bei<br />
den Vetobetrachtungen zur Landesverfassung von Nordrhein-Westfalen näher<br />
beleuchtet werden. (Vgl. Kapitel D.II.2.b.)<br />
Für Artikel 42 Abs. 2 NV kann bis hierher festgehalten werden, dass sein Aussetzungsverlangen<br />
nicht nur <strong>im</strong> heutigen Verfassungsvergleich ohne Vorbild ist,<br />
sondern auch in der Historie sich für dieses exekutive Recht kein Vergleich finden<br />
lässt, es sich mithin um ein Novum handelt.<br />
Macht die Landesregierung von diesem Recht Gebrauch, so best<strong>im</strong>mt § 32<br />
Abs. 4 der Geschäftsordnung des Niedersächsischen Landtages: Erst nach Ablauf<br />
von 30 Tagen kann die Landtagsberatung zu diesem Gesetzentwurf in der dritten<br />
Lesung wieder eröffnet werden. Bis dahin ist dem niedersächsischen Landtag die<br />
inhaltliche Befassung mit dem ausgesetzten Gesetz und seinem Inhalt untersagt.<br />
Vielmehr wird die Behandlung des exekutiven Aussetzungsverlangens als solchem<br />
angestrebt. Nach Ablauf der 30 Tage währenden Unterbrechung des Gesetzgebungsverfahrens<br />
für das fragliche konkrete Normsetzungsansinnen wird das Aus-<br />
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