Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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280 D. Vetos im aktuellen deutschen Verfassungssystem gierung (Art. 113 Abs. 2 GG), stellt der Gesetzesbeschluss des Bundestages auch hier ein taugliches Zielobjekt der Unterminierung i.S. eines ‚entstandenen Gesetzes‛ dar. 802 Problematischer wird die Erfüllung der weitergehenden Vetokriterien. Sowohl die exekutive Organnatur als auch die Kriterien der externen und negativen Unterminierung stehen in Frage. (1) Exekutive Natur des Vetoorgans Mit Hilfe der in dieser Arbeit angestellten historischen Analyse der Vetorechte wurde herausgearbeitet, dass eine Organzuordnung der Vetorechte zur Exekutive den geschichtlichen Vorbildern als eine verbindende Gemeinsamkeit zu entnehmen ist. Wollte man die Einspruchsrechte, aber auch die Möglichkeit der Zustimmungsverweigerung des Bundesrates in dieser Tradition stehen sehen, müssten sie folglich das Kriterium der exekutivischen Natur dieses Rechts erfüllen. Die Erfüllung dieses Charakteristikums erscheint jedoch mehr als zweifelhaft. Tendenziell ist im rechtswissenschaftlichen Schrifttum 803 davon zu lesen, dass sich der Verfassungsgeber mit seinem Entschluss zugunsten der Bundesratslösung und gegen die Senatslösung, dafür entschieden hätte, dass der Bundesrat „von Regierungsmitgliedern beherrscht“ werden würde. Dem ist erst einmal vollständig beizupflichten. Der Bundesrat wird sogar nicht nur von Regierungsmitgliedern beherrscht, er konstituiert sich allein aus diesen. Fragwürdig ist es m.E. dennoch ihm allein deswegen eine exekutivische Struktur – wenn auch bei weitem nicht nur exekutivische Funktionen – zuzuschreiben. Allen voran Roman Herzog sieht im Bundesrat vor allem ein Exekutivorgan und begründet dies damit: „…Er (der Bundesrat) ist […] in Wirklichkeit eine Kammer der Landesregierungen, und diese Tatsache hat ihm und seiner Arbeit auch von Anfang an ihren Stempel aufgedrückt. …“ 804 Es ist allerdings schon zu fragen, inwieweit es der Konzeption des Grundgesetzes entspricht, hinter der Teilnahme des Bundesrates am Zustandekommen des Gesetzes einen dezidiert exekutiven Aspekt erkennen zu wollen. Legt man die Formulierungen des Grundgesetzes in Art. 50 GG und Art. 77, 78 GG zugrunde, dann wird deutlich, dass jeweils von dem Organ Bundesrat als solchem die Rede ist. Über dieses partizipieren die Länder u.a. an der Bundesgesetzgebung. Ordentliche Mitglieder des Bundesrates sind, wie es Art. 51 Abs. 1 S. 1 GG ausdrückt, Mitglieder der Regierungen der Länder, die sie bestellen und abberufen. Allein aus dieser exekutivischen Determination der konkreten Vertreter im Bundesrat zu schlussfolgern, dieser sei gleichsam ein exekutivisches Organ, ist nicht stichhaltig. Eine solche Sichtweise basiert m.E. auf einer zu starken Klassifikation anhand der teilnehmenden Organsubjekte. Unterzieht man das föderative Verfassungsor- 802 Vgl. Kapitel D.I.2.c. 803 Vgl. Herzog, Stellung des Bundesrates im demokratischen Bundesstaat (§44), in: Isensee/Kirchhof HStR Bd. II, Rn 15. 804 A.a.O., Rn 15.

I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz gan Bundesrat jedoch einer Gesamtbetrachtung und wägt alle relevanten Grundgesetzregelungen ab, dann muss man erkennen, dass die eigentlichen Mitglieder des Bundesrates nicht die einzelnen exekutiven Ländervertreter sind, sondern die Länder selbst. 805 Der Bundesrat soll als abstrakte föderale Größe die Interessen der Länder bündeln und kanalisieren. Dennoch handelt es sich bei ihm nach der Struktur des Grundgesetzes gerade nicht um eine Ländereinrichtung oder gar „Länderkammer“ 806 . Vielmehr stellt der Bundesrat ein reguläres Bundesorgan dar, welches Vehikel für die Mitwirkung der Länder an der Willensbildung des Bundes ist. 807 Anhand der Organmitglieder auf die Rechtsnatur des Organs zu schlussfolgern, stellt somit einen unzulässigen Zirkelschluss dar. Strukturell ist der Bundesrat nicht als Kammer der sog. „Landesfürsten“ 808 angelegt, sondern als föderales Partizipationsorgan auf unitarischer Ebene. Als folglich unitarisches Bundesorgan kann sich die Zuordnung zur Exekutive oder Legislative nur nach den konkreten Aufgaben, wie sie das Grundgesetz zuweist, bestimmen. Im Zusammenhang mit den Vetorechten müssen für eine substantiierte Klassifikation somit die in Frage stehenden Aufgabenfelder zum maßgeblichen Entscheidungskriterium erhoben werden. Der vetorelevante Bereich betrifft dabei allein das Gesetzgebungsverfahren. Sowohl bei den Einsprüchen als auch bei den Zustimmungsverweigerungen handelt es sich um Partizipationsaspekte bezüglich des Legislativverfahrens. In gar keiner Weise finden hier exekutive Entscheidungskomponenten ihren Niederschlag. Für diesen Ansatz muss man sich gar nicht darauf zurückziehen, dass die Arbeit des Bundesrates strukturell der eines 805 Ebenso: Maurer, Staatsrecht I, §16, Rn 10; A.A. Herzog, Zusammensetzung und Verfahren des Bundesrates (§46), in: Isensee/Kirchhof HStR Bd. II, Rn 3. 806 A.A. Herzog, Zusammensetzung und Verfahren des Bundesrates (§46), in: Isensee/Kirchhof HStR Bd. II, Rn 1; Johne, Bundesrat und parlamentarische Demokratie, in: APuZ 2004, 10 (12). 807 Diese Auffassung bestätigend und mit durchschlagender Argumentation: v. Mutius/Pöße, Offener Verfassungsbruch im Bundesrat?, in: LKV 2002, 345 (346): „…Nach Ansicht des BVerfG umschreibt jedoch Art. 50 GG lediglich die Funktion des Verfassungsorgans Bundesrat, während Art. 51 I GG eindeutig ausspreche, dass als Mitglieder allein die Vertreter der Landesregierungen anzusehen seien. Dabei wird übersehen, dass Art. 51 I 1 GG lediglich einen formellen Mitgliedschaftsbegriff verwendet, ohne zugleich eine Aussage darüber zu treffen, wer Inhaber der materiellen Mitgliedschaft ist, d.h., wer die Fähigkeit besitzt, Träger von Rechten und Pflichten zu sein. Diese Aussage lässt sich ausschließlich Art. 50 I GG entnehmen. Allein die Mitwirkung bei der Gesetzgebung und der Verwaltung des Bundes ist Aufgabe des Bundesrats, und nur diese kann von seinen Mitgliedern, den Ländern, ausgeübt werden. Auch aus Art. 51 III 2 GG ergibt sich unmissverständlich, dass das Recht der Abstimmung im Bundesrat, anders als das Anwesenheitsrecht u.a., nicht den Bundesratsmitgliedern, sondern den einzelnen Ländern als solchen zusteht. Die Bundesratsmitglieder und ihre Vertreter üben es nur für ihre Länder aus. Daher geht auch Art. 53a I 3 GG von einer Mitgliedschaft der Länder im Gemeinsamen Ausschuss aus. Formulierungen in der Geschäftsordnung des Bundesrates ändern an diesem Befund nichts: Wenn in § 1 GeschOBR als Mitglieder die Vertreter der Landesregierungen angesprochen sind, so ist damit ebenfalls nur ein formeller Mitgliedschaftsbegriff gemeint. Das Geschäftsordnungsrecht verfolgt darüber hinaus mit der Regelung von Rechten und Pflichten der Regierungsvertreter eine andere Zielrichtung als das Grundgesetz und kann – abgesehen vom Rangverhältnis zwischen Grundgesetz und Geschäftsordnung und ihrer ausschließlichen Innenrechtsverbindlichkeit – insoweit als „authentische“ Auslegung des Art. 50 I, 51 I GG nicht herangezogen werden. Die Akteure des Art. 51 I GG sind demnach in Personalunion sowohl Organwalter der Länder wie auch des Bundesrates und nehmen insofern eine doppelte Organstellung ein. Die Vermittlung der Mitgliedschaft im Bundesrat über die Landesregierungen führt zwar dazu, dass diese Mitglieder im formellen Sinne zugleich ihre eigenen und damit Länderinteressen verfolgen, letztlich nehmen sie aber allein Aufgaben eines Bundesorgans wahr. …“. 808 Der viel zitierte und verwendete Begriff der „Landesfürsten“ wird insbesondere vertreten von: Steffani, Die Republik der Landesfürsten, in: Regierung, Bürokratie und Parlament in Preußen und Deutschland von 1848 bis zur Gegenwart, S. 181 ff. 281

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D. Vetos <strong>im</strong> aktuellen <strong>deutschen</strong> <strong>Verfassungssystem</strong><br />

gierung (Art. 113 Abs. 2 GG), stellt der Gesetzesbeschluss des Bundestages auch<br />

hier ein taugliches Zielobjekt der Unterminierung i.S. eines ‚entstandenen Gesetzes‛<br />

dar. 802 Problematischer wird die Erfüllung der weitergehenden Vetokriterien.<br />

Sowohl die exekutive Organnatur als auch die Kriterien der externen und negativen<br />

Unterminierung stehen in Frage.<br />

(1) <strong>Exekutive</strong> Natur des Vetoorgans<br />

Mit Hilfe der in dieser Arbeit angestellten historischen Analyse der <strong>Vetorechte</strong><br />

wurde herausgearbeitet, dass eine Organzuordnung der <strong>Vetorechte</strong> zur <strong>Exekutive</strong><br />

den geschichtlichen Vorbildern als eine verbindende Gemeinsamkeit zu entnehmen<br />

ist. Wollte man die Einspruchsrechte, aber auch die Möglichkeit der Zust<strong>im</strong>mungsverweigerung<br />

des Bundesrates in dieser Tradition stehen sehen, müssten<br />

sie folglich das Kriterium der exekutivischen Natur dieses Rechts erfüllen.<br />

Die Erfüllung dieses Charakteristikums erscheint jedoch mehr als zweifelhaft.<br />

Tendenziell ist <strong>im</strong> rechtswissenschaftlichen Schrifttum 803 davon zu lesen, dass sich<br />

der Verfassungsgeber mit seinem Entschluss zugunsten der Bundesratslösung und<br />

gegen die Senatslösung, dafür entschieden hätte, dass der Bundesrat „von Regierungsmitgliedern<br />

beherrscht“ werden würde. Dem ist erst einmal vollständig beizupflichten.<br />

Der Bundesrat wird sogar nicht nur von Regierungsmitgliedern beherrscht,<br />

er konstituiert sich allein aus diesen. Fragwürdig ist es m.E. dennoch ihm<br />

allein deswegen eine exekutivische Struktur – wenn auch bei weitem nicht nur<br />

exekutivische Funktionen – zuzuschreiben. Allen voran Roman Herzog sieht <strong>im</strong><br />

Bundesrat vor allem ein Exekutivorgan und begründet dies damit: „…Er (der<br />

Bundesrat) ist […] in Wirklichkeit eine Kammer der Landesregierungen, und diese Tatsache<br />

hat ihm und seiner Arbeit auch von Anfang an ihren Stempel aufgedrückt. …“ 804<br />

Es ist allerdings schon zu fragen, inwieweit es der Konzeption des Grundgesetzes<br />

entspricht, hinter der Teilnahme des Bundesrates am Zustandekommen des<br />

Gesetzes einen dezidiert exekutiven Aspekt erkennen zu wollen. Legt man die<br />

Formulierungen des Grundgesetzes in Art. 50 GG und Art. 77, 78 GG zugrunde,<br />

dann wird deutlich, dass jeweils von dem Organ Bundesrat als solchem die Rede<br />

ist. Über dieses partizipieren die Länder u.a. an der Bundesgesetzgebung. Ordentliche<br />

Mitglieder des Bundesrates sind, wie es Art. 51 Abs. 1 S. 1 GG ausdrückt,<br />

Mitglieder der Regierungen der Länder, die sie bestellen und abberufen. Allein aus<br />

dieser exekutivischen Determination der konkreten Vertreter <strong>im</strong> Bundesrat zu<br />

schlussfolgern, dieser sei gleichsam ein exekutivisches Organ, ist nicht stichhaltig.<br />

Eine solche Sichtweise basiert m.E. auf einer zu starken Klassifikation anhand<br />

der teilnehmenden Organsubjekte. Unterzieht man das föderative Verfassungsor-<br />

802 Vgl. Kapitel D.I.2.c.<br />

803 Vgl. Herzog, Stellung des Bundesrates <strong>im</strong> demokratischen Bundesstaat (§44), in: Isensee/Kirchhof HStR Bd.<br />

II, Rn 15.<br />

804 A.a.O., Rn 15.

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