Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen
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266 D. Vetos im aktuellen deutschen Verfassungssystem te. Es ist daher fragwürdig, den der konstitutionellen Systematik entspringenden Art. 113 GG einfach für den Fall der Minderheitsregierung vorgehalten zu wähnen. Die verfassungsrechtlichen Parameter des Grundgesetzes sind darauf ausgerichtet, dass die demokratische Regierung im Zusammenspiel mit der parlamentarischen Mehrheit als demokratische Majorität alle Entscheidungen dominieren können soll. Der Ansatz von Art. 113 GG ist ein anderer. Nach seiner Konzeption soll eine über den Weisheitsvorsprung verfügende Instanz auch die Mehrheit ausbremsen können. So funktioniert aber Demokratie i.S.d. des Grundgesetzes nicht. Auch inhaltlich falsche Entscheidungen können von der parlamentarischen Mehrheit durchgesetzt werden. Friedrich Giese stellt im Zusammenhang mit Art. 113 GG für das Verhältnis von Parlament und Regierung daher vollkommen zu Recht fest: „…(Dass) die Grenze nicht überschritten werden (dürfe), die durch die Superiorität des parlamentarischen Volkswillens gezogen ist (und daher nicht geduldet werden kann), daß auch nur im Einzelfalle der Regierungswille sich als stärker erweist denn der Parlamentswille. …“ 758 Folglich ist es sinnlogisch, dass das Einsatzfeld von Art. 113 GG erst da beginnen kann, wo der parlamentarische Normalfall endet. Wenn dies so ist, fragt sich jedoch, warum eine Norm, die allein für den Fall der Minderheitsregierung eine realistische Einsatzchance hätte, in der Finanzverfassung und nicht im Bereich der Notstandsverfassung angesiedelt ist, dort wo sie eigentlich als demokratieverkennende Regelung hingehört. Als verfassungsrechtlich normierte Ermächtigung der Exekutive zum Eingriff in die originären Befugnisse des Deutschen Bundestags erweist sie sich jedenfalls als dermaßen systeminkohärent, dass die Annahme, sie stünde allein für den Fall der Minderheitsregierung im Grundgesetz, nicht haltbar scheint. Es widerspricht der Grundfunktionsweise unserer Verfassung, eine Norm vorzuhalten, die im Normalfall aus vorhersehbaren Gründen nicht greifen kann und die daher nur in einer durch das Grundgesetz nicht näher definierten Konstellation der Minderheitsregierung realisierbar wäre. 758 Giese, Parlament und Regierung, in: DÖV 1957, 638 (639).
I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz 3. Einspruchs- und Zustimmungsrechte des Bundesrates– Art. 77 GG Ganz bewusst wurde bei den vorangestellten Vetobetrachtungen zur Bismarckschen Reichsverfassung und der Verfassung der Weimarer Republik, nicht auf die Einflussrechte deren Bundesrates oder Reichsrates auf das Gesetzgebungsverfahren eingegangen. Zudem wurde die föderale Dimension der Bundesgesetzgebung, wie sie über den Bundesrat Eingang in das Normsetzungsverfahren findet bei den diesbezüglichen Darstellungen zum Grundgesetz absichtlich ausgeklammert. Als Begründung hierfür wurde schon im obigen Zusammenhang angeführt, dass die Rechtsetzungsprärogative unter dem Regime des Grundgesetzes allein beim Deutschen Bundestag angesiedelt ist und sich die Rechte des Bundesrates letztlich nur als Beteiligungsrechte am Gesetzgebungsverfahren erweisen. Dennoch muss sich eine vollständige Vetoanalyse auch der Frage nach einem föderalen Vetoeinfallstor in das Legislativverfahren stellen. Dies gilt allemal schon allein wegen der häufigen begrifflichen Verwendung des Wortes „Veto“ 759 im Zusammenhang mit den Rechten des Bundesrates. Zu diesem tendenziell untechnischen Wortgebrauch kommt jedoch noch ein Ansatz aus der politologischen Wissenschaft hinzu, die auch und gerade für die Position des Bundesrates im Verfassungsgefüge des Grundgesetzes die sog. „Vetospielertheorie“ 760 herausgebildet hat. 759 Als Nachweis für die Präsenz des Wortes „Veto“ im Zusammenhang mit den Rechten des Bundesrates, sowohl im medialen Gebrauch als auch im rechtswissenschaftlichen Schrifttum, soll hier verwiesen sein auf einige ausgewählte Beispiele, die stellvertretend für die unzählbare Masse jener Wortverwendung stehen: Süddeutsche Zeitung, v. 12. Juni 2006, S. 5 – „Stoiber droht der SPD mit Veto im Bundesrat“; Süddeutsche Zeitung, v. 18./19. Februar 2006, S. 4; Süddeutsche Zeitung, v. 24. März 2006, S. 4; Frankfurter Allgemeine Zeitung, v. 22. März 2006, S. 4; FAZ, v. 30. Juni 2006, S. 3. Kühne, Föderalismusreform – Laufen oder Stolpern, in: APuZ 2005, 3 (3); Schmidt-Jortzig, Reformbedürftigkeit des deutschen Föderalismus, in: APuZ 2005, 6 (6); Johne, Bundesrat und parlamentarische Demokratie, in: APuZ 2004, 10 (12, 13, 14, 15); Stüwe, Konflikt und Konsens im Bundesrat, in: APuZ 2004, 25 (25, 27, 28); Leunig, Länder- versus Parteiinteressen im Bundesrat Realer Dualismus oder fiktive Differenzierung, in: APuZ 2004, 33 (33); Schultze, Die Föderalismusreform zwischen Anspruch und Wirklichkeit, in: APuZ 2005, 13 (14); Pestalozza, Das Vetorecht des Bundesrates BVerfGE 37, 363, in: JuS 1975, 366 ff; Wassermann, Droht Gesetzgebungsstillstand? – Zur Vetomacht des Bundesrats, in: NJW 2003, 331 ff; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 222/Rn 518; Kröger, NJW 1989, 1318 (1323); H.H. Klein, Der Bundesrat im Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland, in: ZG 2002, 297 (305); Lang, ZRP 2006, 15 ff. 760 Der Gedanke der sog. „Vetospielertheorie“ geht auf den amerikanischen Politologen George Tsebelis zurück. Vetospieler sind nach Tsebelis all jene Akteure, die politische Reformen, dabei insb. Gesetze verhindern können: „Veto players are individual or collectiv actors whose agreement is necessary for a change of the status quo“ Vgl. George Tsebelis, Veto Players: How Political Institutions work, S. 19. G. Tsebelis unterscheidet in: ‚institutional veto players (besitzen konstitutionell gesicherte Vetorechte)/partisan veto players (parteipolitische Vetospieler sind Akteure innerhalb der institutionellen Vetospieler)/veto player (Akteure, die in bestimmten Politikfeldern Vetomacht besitzen, welche sie aus formal oder informal institutionalisierten Konsultationsmustern beziehen). Den Kern der „Vetospielertheorie“ bilden die institutionellen und parteilichen Vetospieler. Basierend hierauf hat G. Tsebelis den Bundesrat in seinen vergleichenden Analysen zum deutschen Regierungssystem ausdrücklich als definitiven Vetoplayer herausgestellt – Vgl. G. Tsebelis, Decision Making in Political Systems: Veto Players in Presidentialism, Parliamentarism, Multicameralism and Multipartyism, in: British Journal of Political Science 25 (1995), 289 (310). 267
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I. Vetoansatzpunkte <strong>im</strong> Grundgesetz<br />
3. Einspruchs- und Zust<strong>im</strong>mungsrechte des Bundesrates–<br />
Art. 77 GG<br />
Ganz bewusst wurde bei den vorangestellten Vetobetrachtungen zur Bismarckschen<br />
Reichsverfassung und der Verfassung der We<strong>im</strong>arer Republik, nicht<br />
auf die Einflussrechte deren Bundesrates oder Reichsrates auf das Gesetzgebungsverfahren<br />
eingegangen. Zudem wurde die föderale D<strong>im</strong>ension der Bundesgesetzgebung,<br />
wie sie über den Bundesrat Eingang in das Normsetzungsverfahren<br />
findet bei den diesbezüglichen Darstellungen zum Grundgesetz absichtlich ausgeklammert.<br />
Als Begründung hierfür wurde schon <strong>im</strong> obigen Zusammenhang angeführt,<br />
dass die Rechtsetzungsprärogative unter dem Reg<strong>im</strong>e des Grundgesetzes<br />
allein be<strong>im</strong> Deutschen Bundestag angesiedelt ist und sich die Rechte des Bundesrates<br />
letztlich nur als Beteiligungsrechte am Gesetzgebungsverfahren erweisen.<br />
Dennoch muss sich eine vollständige Vetoanalyse auch der Frage nach einem<br />
föderalen Vetoeinfallstor in das Legislativverfahren stellen. Dies gilt allemal schon<br />
allein wegen der häufigen begrifflichen Verwendung des Wortes „Veto“ 759 <strong>im</strong><br />
Zusammenhang mit den Rechten des Bundesrates. Zu diesem tendenziell untechnischen<br />
Wortgebrauch kommt jedoch noch ein Ansatz aus der politologischen<br />
Wissenschaft hinzu, die auch und gerade für die Position des Bundesrates <strong>im</strong> Verfassungsgefüge<br />
des Grundgesetzes die sog. „Vetospielertheorie“ 760 herausgebildet<br />
hat.<br />
759 Als Nachweis für die Präsenz des Wortes „Veto“ <strong>im</strong> Zusammenhang mit den Rechten des Bundesrates,<br />
sowohl <strong>im</strong> medialen Gebrauch als auch <strong>im</strong> rechtswissenschaftlichen Schrifttum, soll hier verwiesen sein auf<br />
einige ausgewählte Beispiele, die stellvertretend für die unzählbare Masse jener Wortverwendung stehen: Süddeutsche<br />
Zeitung, v. 12. Juni 2006, S. 5 – „Stoiber droht der SPD mit Veto <strong>im</strong> Bundesrat“; Süddeutsche Zeitung,<br />
v. 18./19. Februar 2006, S. 4; Süddeutsche Zeitung, v. 24. März 2006, S. 4; Frankfurter Allgemeine Zeitung, v. 22.<br />
März 2006, S. 4; FAZ, v. 30. Juni 2006, S. 3.<br />
Kühne, Föderalismusreform – Laufen oder Stolpern, in: APuZ 2005, 3 (3); Schmidt-Jortzig, Reformbedürftigkeit<br />
des <strong>deutschen</strong> Föderalismus, in: APuZ 2005, 6 (6); Johne, Bundesrat und parlamentarische Demokratie, in: APuZ<br />
2004, 10 (12, 13, 14, 15); Stüwe, Konflikt und Konsens <strong>im</strong> Bundesrat, in: APuZ 2004, 25 (25, 27, 28); Leunig,<br />
Länder- versus Parteiinteressen <strong>im</strong> Bundesrat Realer Dualismus oder fiktive Differenzierung, in: APuZ 2004, 33<br />
(33); Schultze, Die Föderalismusreform zwischen Anspruch und Wirklichkeit, in: APuZ 2005, 13 (14); Pestalozza,<br />
Das Vetorecht des Bundesrates BVerfGE 37, 363, in: JuS 1975, 366 ff; Wassermann, Droht Gesetzgebungsstillstand?<br />
– Zur Vetomacht des Bundesrats, in: NJW 2003, 331 ff; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S.<br />
222/Rn 518; Kröger, NJW 1989, 1318 (1323); H.H. Klein, Der Bundesrat <strong>im</strong> Regierungssystem der Bundesrepublik<br />
Deutschland, in: ZG 2002, 297 (305); Lang, ZRP 2006, 15 ff.<br />
760 Der Gedanke der sog. „Vetospielertheorie“ geht auf den amerikanischen Politologen George Tsebelis zurück.<br />
Vetospieler sind nach Tsebelis all jene Akteure, die politische Reformen, dabei insb. Gesetze verhindern können:<br />
„Veto players are individual or collectiv actors whose agreement is necessary for a change of the status quo“ Vgl. George Tsebelis,<br />
Veto Players: How Political Institutions work, S. 19. G. Tsebelis unterscheidet in: ‚institutional veto players<br />
(besitzen konstitutionell gesicherte <strong>Vetorechte</strong>)/partisan veto players (parteipolitische Vetospieler sind Akteure<br />
innerhalb der institutionellen Vetospieler)/veto player (Akteure, die in best<strong>im</strong>mten Politikfeldern Vetomacht<br />
besitzen, welche sie aus formal oder informal institutionalisierten Konsultationsmustern beziehen). Den Kern der<br />
„Vetospielertheorie“ bilden die institutionellen und parteilichen Vetospieler. Basierend hierauf hat G. Tsebelis<br />
den Bundesrat in seinen vergleichenden Analysen zum <strong>deutschen</strong> Regierungssystem ausdrücklich als definitiven<br />
Vetoplayer herausgestellt – Vgl. G. Tsebelis, Decision Making in Political Systems: Veto Players in<br />
Presidentialism, Parliamentarism, Multicameralism and Multipartyism, in: British Journal of Political Science 25<br />
(1995), 289 (310).<br />
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