Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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264 D. Vetos im aktuellen deutschen Verfassungssystem rechtsrechtsgrundsätze in einem System der personalisierten Verhältniswahl 754 eröffnet gerade den kleineren Parteien überproportionalen Einfluss auf die Regierungsbildung insofern nicht eine politische Partei bei den Wahlen die Mehrheit der Abgeordneten im Parlament erringen konnte. Sind dann Einzelne dieser Parteien aus welchem Grund auch immer untereinander koalitionsinkompatibel und ergibt sich infolgedessen keine parlamentarische Mehrheit, ist der oben aufgezeigte Weg zur Minderheitsregierung die einzige Alternative, um Neuwahlen zu verhindern. Insoweit stellt Art. 113 GG vor einer derartigen Kulisse nicht mehr die „bedeutungslose Vorschrift“ 755 dar, wie sie bis dato gerne wahrgenommen wird. Das dem Grundgesetz der Ansatz eines Minderheitenkanzlers auch nicht fremd ist, lässt sich schon allein der Norm des Art. 63 Abs. 4 GG entnehmen. Dennoch kann man wohl mit Fug und Recht behaupten, die primär avisierte Grundkonstellation stellt die Minderheitsregierung jedenfalls nicht dar. Weder die notwenige Haushaltsgesetzgebung wäre gesichert noch eine geordnete Zusammenarbeit mit dem Bundesrat. Schon dessen Einsprüchen wäre eine solche Regierung mit ihrer fehlenden parlamentarischen Majorität womöglich hilflos ausgeliefert, da sie nicht auf die erforderliche Mehrheit zur Zurückweisung des Einspruchs (Vgl. Art. 77 Abs. 4 GG) setzen könnte. Dennoch wird die Konstellation der Minderheitsregierung im Schrifttum gerne als eine Art ‚atypischer Normalfall‛ dargestellt. Unter dem Motto: Es fehlt ja „nur“ die parlamentarische Mehrheit, sonst ist ja alles in Ordnung, wird so getan, als ob die fehlende parlamentarische Gestaltungskraft nur mittels einigen Taktierens auszugleichen wäre. Insbesondere wird in diesem Zusammenhang Art. 113 GG mit seinen Vetomöglichkeiten als eine probate Waffe der Minderheitsexekutive dargestellt. 756 Mit den Vetorechten aus Art. 113 GG in der Hand hätte die Bundesregierung hinreichende Möglichkeiten, die finanzpolitischen Auswüchse des ansonsten ungefährlichen Parlaments zu beherrschen. Ausgangspunkt dieser Denkweise ist folgende Annahme: Trotz fehlender parlamentarischer Mehrheit ist die einmal im Amt befindliche Minderheitsregierung nicht wirklich in ihrer Existenz bedroht, da sie darauf wird setzen können, dass kein politischer Wille oder keine politische Kraft im Parlament existiert, die einen neuen Regierungschef wählen könnte, selbst wenn der amtierende Regierungschef nicht unterstützt wird. Des Weiteren sind die Beharrungskräfte der einmal gewählten Abgeordneten (insbesondere der kleineren Fraktionen) derartig groß, dass sie aus Angst vor Mandatsverlust alles Unterlassen würden, was eine Parlamentsauflösung forcieren könnte. In dieser komfortablen, weil faktisch fast unantastbaren 754 So jedenfalls charakterisiert das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung die Kombination der beiden Systeme Verhältniswahl- und Mehrheitswahl im Wahlrecht der Bundesrepublik Deutschland. – Vgl. BVerfGE 95, 335 (358/379). Nachweise zum Wahlsystem: Meyer, Demokratische Wahl und Wahlsystem (§37); ders. Wahlgrundsätze und Wahlverfahren (§38), in: Isensee/Kirchhof HStR Bd. II; Maurer, Staatsrecht I §13, Rn 27 ff. 755 Schwarz, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz Bd. 3, Art. 113, Rn 1. 756 Vgl. insb. Paudtke, Das mehrheitsunfähige Parlament im Verfassungssystem des Grundgesetzes, S. 148 ff.

I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz Situation gelte es nur noch das Ausgabengebaren des Bundestages unter Kontrolle zu halten. Die Vetorechte aus Art. 113 GG erscheinen hierfür wie geschaffen. 757 Es handelt sich hierbei m.E. jedoch um eine allzu sehr am faktischen Ergebnis orientierte Betrachtungsweise. Jene Anschauung vernachlässigt den systematischen Hintergrund von Art. 113 GG sowie seine Herkunft als konstitutionelles Hemmungsrecht. Die Handhabe der Legislative im konstitutionell-monarchischen Ständestaat des 19. Jahrhundert gegen das monarchische Finanzgebaren basiert auf der Annahme einer insbesondere personell abgetrennten monarchischen Exekutive. In der Ständeversammlung kumulierten die finanzpolitischen Interessen der nicht zur monarchischen Staatsexekutive gehörenden Gesellschaftsgruppen. Ziel war es, diese dem Fürsten wirksam entgegen halten zu können. In dem Moment, wo Art. 113 GG diesen Gedanken in Umkehrung der Zielrichtung eins zu eins in das Grundgesetz zu adaptieren versuchte, unterlief derselbe systematische Fehler, der schon bei den bisherigen Vetountersuchungen an anderer Stelle immer wieder offenbar wurde. Regierung und Parlament werden in zwei unterschiedliche Interessensphären auseinander dividiert. Es wird fingiert, dass die konstitutionelle Gegenspielersystematik mit umgekehrten Vorzeichen im Parlamentarischen Regierungssystem ihre Fortsetzung findet. Diese passt jedoch einfach nicht in das auf pluralistischen Interessenausgleich ausgerichtete Grundgesetz parlamentarischer Prägung. Die Konzeption des Grundgesetzes stellt eine auf funktionelle Verschränkung zwischen Parlament und Regierung ausgerichtete Systematik dar, die nichts mit dem Dualismus zwischen Krone und Nationalrepräsentation zu tun hat, wie er seine Ausprägung im deutschen Konstitutionalismus fand. Eine Weiterführung des Grunddilemmas im Konstitutionalismus, nämlich die Unentschiedenheit zwischen Monarchie und Demokratie, ist absolut unpassend für die klaren Vorgaben, die das Grundgesetz trifft (s.o.). Diese Annahme verändert sich auch nicht durch die Verkehrung der Kompetenzvorzeichen zwischen Exekutive und Legislative im Grundgesetz. Bei Art. 113 GG handelt es sich um einen Verfassungsimport aus der konstitutionellen Vergangenheit. Es nimmt daher nicht Wunder, dass der vom Grundgesetz vorgesehene Normalfall der parlamentarischen Mehrheitsregierung mit der Systematik des Art. 113 GG eigentlich nicht vereinbar scheint. Der ‚Geist‛, den diese Norm der Haushaltsverfassung atmet, ist ein Konstitutioneller und eben kein Demokratischer. Das demokratische Grundgesetz ist nicht so konzipiert, dass ein Organ der Gegenspieler des Anderen ist, sondern es ist auf absolute Entscheidungsgewalt der demokratischen Mehrheit ausgerichtet. Nicht der Umstand, dass der Ansatz dem konstitutionellen Staatsrecht entspringt ist problematisch, sondern das dieses auf keiner vergleichbaren demokratischen Grundstruktur fuß- 757 Wenn auch nicht ausdrücklich so detailliert benannt, ist es doch genau dieser ‚Geist‛, der der Annahme innewohnt, dass Art. 113 GG insbesondere für den Fall der Minderheitsregierung taugliches Vetorecht wäre. So zu finden bei: Weis, Artikel 113 Grundgesetz, S. 119 ff; Puhl, Die Minderheitsregierung nach dem Grundgesetz, S. 125; Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 191; Schwarz, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz Bd. 3, Art. 113, Rn 3; ders. in: NdsVBl. 2000, 181 (183). 265

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D. Vetos <strong>im</strong> aktuellen <strong>deutschen</strong> <strong>Verfassungssystem</strong><br />

rechtsrechtsgrundsätze in einem System der personalisierten Verhältniswahl 754<br />

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insofern nicht eine politische Partei bei den Wahlen die Mehrheit<br />

der Abgeordneten <strong>im</strong> Parlament erringen konnte. Sind dann Einzelne dieser Parteien<br />

aus welchem Grund auch <strong>im</strong>mer untereinander koalitionsinkompatibel und<br />

ergibt sich infolgedessen keine parlamentarische Mehrheit, ist der oben aufgezeigte<br />

Weg zur Minderheitsregierung die einzige Alternative, um Neuwahlen zu verhindern.<br />

Insoweit stellt Art. 113 GG vor einer derartigen Kulisse nicht mehr die<br />

„bedeutungslose Vorschrift“ 755 dar, wie sie bis dato gerne wahrgenommen wird.<br />

Das dem Grundgesetz der Ansatz eines Minderheitenkanzlers auch nicht fremd<br />

ist, lässt sich schon allein der Norm des Art. 63 Abs. 4 GG entnehmen. Dennoch<br />

kann man wohl mit Fug und Recht behaupten, die pr<strong>im</strong>är avisierte Grundkonstellation<br />

stellt die Minderheitsregierung jedenfalls nicht dar. Weder die notwenige<br />

Haushaltsgesetzgebung wäre gesichert noch eine geordnete Zusammenarbeit mit<br />

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fehlenden parlamentarischen Majorität womöglich hilflos ausgeliefert, da sie nicht<br />

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Abs. 4 GG) setzen könnte.<br />

Dennoch wird die Konstellation der Minderheitsregierung <strong>im</strong> Schrifttum gerne<br />

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die parlamentarische Mehrheit, sonst ist ja alles in Ordnung, wird so getan, als ob<br />

die fehlende parlamentarische Gestaltungskraft nur mittels einigen Taktierens<br />

auszugleichen wäre. Insbesondere wird in diesem Zusammenhang Art. 113 GG<br />

mit seinen Vetomöglichkeiten als eine probate Waffe der Minderheitsexekutive<br />

dargestellt. 756 Mit den <strong>Vetorechte</strong>n aus Art. 113 GG in der Hand hätte die Bundesregierung<br />

hinreichende Möglichkeiten, die finanzpolitischen Auswüchse des<br />

ansonsten ungefährlichen Parlaments zu beherrschen.<br />

Ausgangspunkt dieser Denkweise ist folgende Annahme: Trotz fehlender parlamentarischer<br />

Mehrheit ist die einmal <strong>im</strong> Amt befindliche Minderheitsregierung<br />

nicht wirklich in ihrer Existenz bedroht, da sie darauf wird setzen können, dass<br />

kein politischer Wille oder keine politische Kraft <strong>im</strong> Parlament existiert, die einen<br />

neuen Regierungschef wählen könnte, selbst wenn der amtierende Regierungschef<br />

nicht unterstützt wird. Des Weiteren sind die Beharrungskräfte der einmal gewählten<br />

Abgeordneten (insbesondere der kleineren Fraktionen) derartig groß, dass sie<br />

aus Angst vor Mandatsverlust alles Unterlassen würden, was eine Parlamentsauflösung<br />

forcieren könnte. In dieser komfortablen, weil faktisch fast unantastbaren<br />

754 So jedenfalls charakterisiert das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung die Kombination der<br />

beiden Systeme Verhältniswahl- und Mehrheitswahl <strong>im</strong> Wahlrecht der Bundesrepublik Deutschland. – Vgl.<br />

BVerfGE 95, 335 (358/379). Nachweise zum Wahlsystem: Meyer, Demokratische Wahl und Wahlsystem (§37);<br />

ders. Wahlgrundsätze und Wahlverfahren (§38), in: Isensee/Kirchhof HStR Bd. II; Maurer, Staatsrecht I §13, Rn<br />

27 ff.<br />

755 Schwarz, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz Bd. 3, Art. 113, Rn 1.<br />

756 Vgl. insb. Paudtke, Das mehrheitsunfähige Parlament <strong>im</strong> <strong>Verfassungssystem</strong> des Grundgesetzes, S. 148 ff.

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