Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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260 D. Vetos im aktuellen deutschen Verfassungssystem eine Bündelung der Interessen, die Regierung und Parlamentsmehrheit gleichermaßen erfassen. …“ Die sich hieraus ergebende Frage verengt die Debatte zunächst auf die systematische Einpassung von Art. 113 in das Grundgesetz. Dabei geht es vorderhand weniger darum, ob eine Bundesregierung überhaupt eine derartige Hüterfunktion mit Durchgriffsrecht gegenüber der Legislative haben DARF, vielmehr beschränkt sich die Debatte auf das KANN. Ersteres zielt vor allem auf die Frage, inwieweit das Gewaltenteilungssystem unseres Grundgesetzes mit exekutiven Vetorechten im Allgemeinen und mit denen aus Art. 113 GG im Besonderen konform gehen kann. Es bietet sich an, diese Frage des DÜRFENS im großen Zusammenhang der Gewaltenteilung näher zu analysieren. Letzteres hingegen ist die Frage nach dem staatspolitischen Realisierungsszenario. Dieses soll nunmehr schon im unmittelbaren Zusammenhang mit der konkreten Befassung mit Art. 113 GG eruiert werden. Vorangestellt soll zunächst folgender Grundansatz sein: Man sollte sich m.E. davor hüten, die Normrelevanz des Art. 113 GG allein aus der Quantifizierung der bisherigen Einsatzfälle zu interpretieren. Sicherlich handelt es sich bei Art. 113 GG um eine Exotennorm, welche aus ihrem „Dornröschenschlaf“ 742 bis auf einen einzigen kurzen ‚Augenaufschlag‛ wohl bisher niemals wirklich erwachte. Hauptproblem eines effektiven Einsatzes ist wohl vor allem, dass eine Bundesregierung, welche von der Mehrheit des Deutschen Bundestages getragen wird, das Vetorecht aus Art. 113 GG nur gegen die eigene Regierungsmehrheit anwenden kann. 743 Das damit aufgezeigte Problem des Art. 113 GG liegt in der Verfassungspraxis offensichtlich weniger darin, dass sich das Parlament als abstraktes Ganzes durch den Vetoeinsatz öffentlich desavouiert sehen würde, sondern vielmehr, dass die Homogenität des Regierungslagers zerstört würde. Der Vetoeinsatz würde unweigerlich zu dem öffentlichen Bild einer zerstrittenen Regierungsmehrheit führen, was katalysiert durch den darum aufbrausenden Medienhype den singulär-thematischen Keil immer nur noch tiefer zwischen Mehrheitsfraktionen und Bundesregierung triebe. Es würde hieraus in kürzester Zeit ein Machtkampf zwischen Personen auf Regierungsseite mit denen an der Fraktionsspitze stilisiert. In diesem Sinne ist auch die im Namen der Bundesregierung erteilte offizielle Reaktion des Bundesministeriums der Finanzen zu werten, die dem Verfasser dieser Arbeit als Reaktion auf dessen Forschungsanfrage zum fraglichen Themenkreis des Art. 113 GG übersandt wurde. In diesem Schreiben 744 heißt es u.a.: 742 Vgl. Paudtke, Das mehrheitsunfähige Parlament im Verfassungssystem des Grundgesetzes, S. 150. 743 Hierzu auch: Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 591: „…Vor dem Hintergrund der in der Verfassung angelegten Gewaltenverschränkung zwischen Parlament und Regierung läuft das Vetorecht der Regierung gem. Art. 113 GG in der Praxis leer: Infolge der politischen Abhängigkeit der Regierung von der sie stützenden Parlamentsmehrheit pflegen ausgabenerhöhende und einnahmemindernde Gesetze lange vor ihrer Einbringung und Verabschiedung zwischen Regierung und Mehrheitsfraktion(en) abgesprochen zu werden. …“. 744 Antwortschreiben des Bundesministeriums der Finanzen v. 16.02.2006 (Dok. Nr. 2006/0007463).

I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz „…Im Übrigen ist die Zustimmungsverweigerung nach Art. 113 GG eine sehr starke Form des Widerstands der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag und damit auch gegenüber der sie tragenden Mehrheit. In Kenntnis der Wirkungen des Art. 113 GG werden sich insoweit abzeichnende Konflikte durchweg auf politischer Ebene vorab geklärt, ohne dass es einer diesbezüglichen Beschlussfassung des Kabinetts bedarf. Dem Verhältnis von Bundesregierung und parlamentarischer Regierungsmehrheit wird so auf angemessene Weise Rechnung getragen. …“. Dies kann man im Sinne einer pluralistisch-demokratischen Diskussionskultur anprangern, man sollte aber auch erkennen, dass die Grundstruktur des parlamentarischen Systems eben gerade nicht darauf ausgelegt ist, dass Regierung und Parlamentsmehrheit Antipoden darstellen. Im Grundsatz ist der Gedanke der haushaltswirtschaftlichen Gewaltenbalance ein nobles Ziel. Zudem ist es auch durchaus sinnvoll, einem ausgabenwütigen Parlament, insofern es ein solches gäbe, eine Bremse entgegen zu setzen. Von allen denkbaren Regierungsformen eignet sich aber eben gerade eine parlamentarische Regierung am aller wenigsten, um dem vermeintlich spendablen Parlament, Hemmendes gegenüber zu stellen. Wenn in einem parlamentarischen Regierungssystem die Regierung in ihrem Bestand vom Vertrauen der Parlamentsmehrheit abhängt, erscheint es nahezu undenkbar, dass die Regierung in der Lage wäre, einem finanzwirksamen Begehren der sie tragenden Bundestagsmehrheit nennenswerten Widerstand zu leisten. 745 Diese Einschätzung macht schon allein deshalb Sinn, da ein Veto aus Art. 113 GG im parlamentarischen Normalfall der Mehrheitsregierung 746 nur gegen die Regierungsmehrheit angewendet werden kann, welche dann in der Lage wäre, als diesbezügliche Reaktion das konstruktive Misstrauensvotum nach Art. 67 GG auszusprechen. 747 Es ist daher wohl weniger der Fragwürdigkeit derartiger Vetorechte im Gewaltenteilungssinne geschuldet, dass bis auf einen finanzpolitisch eher bedeutungslosen Fall von den Vetomöglichkeiten aus Art. 113 GG bisher kein Gebrauch wurde, sondern vielmehr dem Umstand, dass die Bundesrepublik von Beginn an durch Mehrheitsexekutiven regiert wurde. 748 Nach allgemeiner Lesart ist daher als einziger Anwendungsfall von Art. 113 GG die Konstellation der Minderheitsregierung 749 denkbar. Neben der dem parlamentarischen Regierungssystem immanenten Abhängigkeitskonstellation der Bundesregierung von der parlamentarischen Mehrheit liegt der Grund für eine 745 Vgl. Schwarz, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz Bd. 3, Art. 113, Rn 3. 746 Alle Normen des Grundgesetzes, welche sich mit der Regierung und dessen Verhältnis zum Parlament beschäftigen, haben vorrangig ein Ziel: Die Stabilität und Handlungsfähigkeit der Bundesregierung. Daher ist der Umkehrschluss durchaus berechtigt, dem Grundgesetz die Zielstellung einer Mehrheitsregierung zu unterstellen. 747 Hansmeyer, Der Weg zum Wohlfahrtsstaat, S. 106; ebenso: Huppertz, Gewaltenteilung und antizyklische Finanzpolitik, S. 66. 748 Zu den drei vakanten Fällen in denen Bundesregierungen zwischenzeitlich wohl über keine Mehrheit im Deutschen Bundestag verfügten: Paudtke, Das mehrheitsunfähige Parlament im Verfassungssystem des Grundgesetzes, S. 26/27. 749 Zum Themenkreis der Minderheitsregierung allumfänglich: Puhl, Die Minderheitsregierung nach dem Grundgesetz, 1986. 261

I. Vetoansatzpunkte <strong>im</strong> Grundgesetz<br />

„…Im Übrigen ist die Zust<strong>im</strong>mungsverweigerung nach Art. 113 GG eine sehr starke Form des<br />

Widerstands der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag und damit auch gegenüber der sie<br />

tragenden Mehrheit. In Kenntnis der Wirkungen des Art. 113 GG werden sich insoweit abzeichnende<br />

Konflikte durchweg auf politischer Ebene vorab geklärt, ohne dass es einer diesbezüglichen<br />

Beschlussfassung des Kabinetts bedarf. Dem Verhältnis von Bundesregierung und parlamentarischer<br />

Regierungsmehrheit wird so auf angemessene Weise Rechnung getragen. …“.<br />

Dies kann man <strong>im</strong> Sinne einer pluralistisch-demokratischen Diskussionskultur<br />

anprangern, man sollte aber auch erkennen, dass die Grundstruktur des parlamentarischen<br />

Systems eben gerade nicht darauf ausgelegt ist, dass Regierung und Parlamentsmehrheit<br />

Antipoden darstellen. Im Grundsatz ist der Gedanke der haushaltswirtschaftlichen<br />

Gewaltenbalance ein nobles Ziel. Zudem ist es auch durchaus<br />

sinnvoll, einem ausgabenwütigen Parlament, insofern es ein solches gäbe, eine<br />

Bremse entgegen zu setzen. Von allen denkbaren Regierungsformen eignet sich<br />

aber eben gerade eine parlamentarische Regierung am aller wenigsten, um dem<br />

vermeintlich spendablen Parlament, Hemmendes gegenüber zu stellen. Wenn in<br />

einem parlamentarischen Regierungssystem die Regierung in ihrem Bestand vom<br />

Vertrauen der Parlamentsmehrheit abhängt, erscheint es nahezu undenkbar, dass<br />

die Regierung in der Lage wäre, einem finanzwirksamen Begehren der sie tragenden<br />

Bundestagsmehrheit nennenswerten Widerstand zu leisten. 745 Diese Einschätzung<br />

macht schon allein deshalb Sinn, da ein Veto aus Art. 113 GG <strong>im</strong> parlamentarischen<br />

Normalfall der Mehrheitsregierung 746 nur gegen die Regierungsmehrheit<br />

angewendet werden kann, welche dann in der Lage wäre, als diesbezügliche Reaktion<br />

das konstruktive Misstrauensvotum nach Art. 67 GG auszusprechen. 747 Es ist<br />

daher wohl weniger der Fragwürdigkeit derartiger <strong>Vetorechte</strong> <strong>im</strong> Gewaltenteilungssinne<br />

geschuldet, dass bis auf einen finanzpolitisch eher bedeutungslosen Fall<br />

von den Vetomöglichkeiten aus Art. 113 GG bisher kein Gebrauch wurde, sondern<br />

vielmehr dem Umstand, dass die Bundesrepublik von Beginn an durch<br />

Mehrheitsexekutiven regiert wurde. 748<br />

Nach allgemeiner Lesart ist daher als einziger Anwendungsfall von Art. 113<br />

GG die Konstellation der Minderheitsregierung 749 denkbar. Neben der dem parlamentarischen<br />

Regierungssystem <strong>im</strong>manenten Abhängigkeitskonstellation der<br />

Bundesregierung von der parlamentarischen Mehrheit liegt der Grund für eine<br />

745 Vgl. Schwarz, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz Bd. 3, Art. 113, Rn 3.<br />

746 Alle Normen des Grundgesetzes, welche sich mit der Regierung und dessen Verhältnis zum Parlament beschäftigen,<br />

haben vorrangig ein Ziel: Die Stabilität und Handlungsfähigkeit der Bundesregierung. Daher ist der<br />

Umkehrschluss durchaus berechtigt, dem Grundgesetz die Zielstellung einer Mehrheitsregierung zu unterstellen.<br />

747 Hansmeyer, Der Weg zum Wohlfahrtsstaat, S. 106; ebenso: Huppertz, Gewaltenteilung und antizyklische<br />

Finanzpolitik, S. 66.<br />

748 Zu den drei vakanten Fällen in denen Bundesregierungen zwischenzeitlich wohl über keine Mehrheit <strong>im</strong><br />

Deutschen Bundestag verfügten: Paudtke, Das mehrheitsunfähige Parlament <strong>im</strong> <strong>Verfassungssystem</strong> des Grundgesetzes,<br />

S. 26/27.<br />

749 Zum Themenkreis der Minderheitsregierung allumfänglich: Puhl, Die Minderheitsregierung nach dem Grundgesetz,<br />

1986.<br />

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