Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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258 D. Vetos im aktuellen deutschen Verfassungssystem GG schon allein deshalb zu streichen, weil er nur noch „l‛art pour l‛art“ 730 existiere und somit nur noch „praktische Übung am Phantom“ 731 sei. An dieser Stelle treffen also offensichtlich zwei Problemkreise aufeinander. Zum einen wird angeführt, dass aus dem Umstand, dass Art. 113 GG in der Praxis lediglich ein einziges Mal 732 zur Anwendung kam und dies auch noch in seiner ursprünglichen Fassung, diese Norm gänzlich aus dem Grundgesetz gestrichen werden könnte. Gleiches Ansinnen verfolgen jedoch auch diejenigen, welche die faktischen Folgen einer derartigen Grundgesetznorm schon wegen deren Bedrohungspotentials gegenüber dem unmittelbar demokratisch legitimierten Parlament als gravierend ansehen. Der Begutachtung beider Kritikansätze kommt man am nächsten, wenn man sich noch einmal den historischen Boden jenes exekutiven Einspruchsrechtes in Haushaltsfragen vor Augen führt. Ursprünglich handelte es sich bei diesem Zustimmungsverweigerungsrecht nämlich gar nicht um ein solches der Exekutive, sondern es war bei den legislativen Ständeversammlungen angesiedelt. 733 Die Honoratiorenparlamente des 19. Jahrhunderts hatten das Recht zu verhindern, dass der Landesfürst über sein sog. Patrimonialvermögen hinaus schrankenlos auf das Vermögen seiner Untertanen zugreifen konnte. Im Falle einer fürstlichen Finanzierungslücke (Insuffizienz) hing eine Erweiterung der monarchischen Einnahmen und die Genehmigung der diesbezüglichen Ausgaben von der Zustimmung der Ständeversammlungen ab. Unter Zugrundelegung der parlamentarischen Systematik des Grundgesetzes wird in Anbetracht dieses historischen Hintergrundes allenthalben von einem dem Grundgesetz mittlerweile „fremden Gegensatz“ 734 gesprochen, welcher dem Art. 113 GG zugrunde liegt. Es habe mittlerweile ein „Rollentausch“ 735 stattgefunden. Werner Heun ordnet diese veränderte Rollensystematik wie folgt ein: „…Während im Konstitutionalismus das Parlament als Vertreter der Gesellschaft gegenüber dem Staat auf Sparsamkeit und Begrenzung des Staatshaushaltes gedrungen habe, neige es nunmehr infolge von Verbandseinflüssen und Wählerinteressen zur Ausgabenfreudigkeit, der die Exekutive als Sachwalter finanzwirtschaftlicher Sachkompetenz entgegentrete. Daran ist die Beobachtung richtig, daß das Parlament in einem Rollenwandel sich von einer Institution der 730 Heun, in: Dreier GG, Art. 113, Rn 4. 731 Mahrenholz, AK II, Art. 113, Rn 2a. 732 Einziger Anwendungsfall von Art. 113 GG a.F. war die Verweigerung der Zustimmung durch die Bundesregierung zu dem Zweiten Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über Viehzählungen aus dem Jahr 1953 wegen der im Gesetz enthaltenen Kostenregelung. (Vgl. BT-Drucks. I/3971; I/4175; II/857). 733 Zum geschichtlichen Hintergrund: Gröpl, in: Bonner Kommentar Art. 113, Rn 22. 734 Zunker, Finanzplanung und Bundeshaushalt, S. 50. Grundlage der Vorschrift des Art. 113 GG ist ein: „…dem parlamentarischen Regierungssystem fremder Gegensatz zwischen der Regierung und der sie tragenden Parlamentsmehrheit…“ 735 Vgl. Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 185/186 – m.w.N. Fn 192/193; ebenso: ; Siekmann, in: Sachs, GG Art. 113, Rn 7.

I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz Gesellschaft, die dem Staat in der Gestalt der monarchischen Exekutive gegenübertritt, zur höchsten Entscheidungsinstanz des Staates selbst entwickelt hat. …“ 736 Ausgangspunkt jenes in der Vergangenheit legislativ konzipierten Zustimmungsvorbehaltes ist eine klassische Rollenverteilung zwischen Gut und Böse; zwischen verantwortlichem finanzpolitischen Handeln und unverantwortlichem Geld ‚aus dem Fenster‛ werfen. Die in dieser Grundtradition entwickelte Norm des Art. 113 GG wird daher ganz offen damit gerechtfertigt, dass sie eine „Bremsfunktion“ 737 gegenüber dem finanzpolitischen Populismus der Legislative ausfüllen kann. Letztlich wurde nur das Zielobjekt der Ausbremsung vertauscht. Nicht mehr der Landesmonarch soll davon abgehalten werden können zu seinen Zwecken den Untertanen das Geld aus der Tasche zu ziehen, sondern das an finanzieller Umverteilung interessierte Parlament soll nunmehr ausgebremst werden können. Zum Allgemeingut der politischen Interpretation gehört es mittlerweile, dass politische Fortüne nur noch zu haben glaubt, wer ausgewählten nahestehenden Lobbygruppen möglichst großzügige finanzielle Leistungen verspricht und gewährt. 738 Losgelöst von der Einnahmedeckung sollen die ausgabewütigen, um ihre nächste Wiederwahl bangenden Abgeordneten ohne Gnade bewilligungs- und subventionsfreudig Partikularinteressen befriedigen, ohne auch nur im Ansatz zu überdenken, wer ‚diese Zeche‛ dann bezahlen soll. 739 Trotz der großen gesellschaftlichen Relevanz verbietet es sich an dieser Stelle, für das hier diskutierte Themenfeld der Vetorechte eine eingehendere politologische Analyse ob der Richtigkeit dieser Annahmen. Fingiert man die Richtigkeit dieser allgemein hoffähigen fatalistischen Thesen 740 , muss man dennoch überlegen, ob Art. 113 GG hierfür den probaten Lösungsansatz darstellen kann. Werner Heun 741 kommt vollkommen zu Recht zu folgendem diesbezüglichen Ergebnis: „…Dies [gemeint ist der oben beschriebene Rollentausch zwischen Legislative und Exekutive] zieht jedoch nicht die Konsequenz nach sich, daß die Regierung die Funktion des konstitutionellen Parlaments übernommen hat und zum Hüter staatswirtschaftlicher Sparsamkeit avanciert. Durch die unmittelbare Abhängigkeit vom Vertrauen des Parlaments ist die Regierung nicht weniger als die Abgeordneten auf Wiederwahl und die Befriedigung von Wähler- und Sonderinteressen angewiesen. […] In der Bundesrepublik bewirken […] die parteienstaatlichen Elemente 736 Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 186. 737 Hansmeyer, Der Weg zum Wohlfahrtsstaat, S. 106. 738 So jedenfalls Fischer-Menshausen, in: v.Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Vorb. Zu Art. 110-115 (3. Aufl.), Rn 3. 739 Vgl. v. Arnim, Die Verfassung hinter der Verfassung, ZRP 1999, 326 (327 ff); ders., Demokratie vor neuen Herausforderungen, ZRP 1995, 340 (343). 740 In der medialen Interpretation der Staatsleitung sind es jedenfalls gerade derartige Erwägungen, welche dazu dienen, die ‚politische Kaste‛ ins Abseits zu stellen. 741 Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 186. 259

I. Vetoansatzpunkte <strong>im</strong> Grundgesetz<br />

Gesellschaft, die dem Staat in der Gestalt der monarchischen <strong>Exekutive</strong> gegenübertritt, zur<br />

höchsten Entscheidungsinstanz des Staates selbst entwickelt hat. …“ 736<br />

Ausgangspunkt jenes in der Vergangenheit legislativ konzipierten Zust<strong>im</strong>mungsvorbehaltes<br />

ist eine klassische Rollenverteilung zwischen Gut und Böse; zwischen<br />

verantwortlichem finanzpolitischen Handeln und unverantwortlichem Geld ‚aus<br />

dem Fenster‛ werfen. Die in dieser Grundtradition entwickelte Norm des Art. 113<br />

GG wird daher ganz offen damit gerechtfertigt, dass sie eine „Bremsfunktion“ 737<br />

gegenüber dem finanzpolitischen Populismus der Legislative ausfüllen kann.<br />

Letztlich wurde nur das Zielobjekt der Ausbremsung vertauscht. Nicht mehr der<br />

Landesmonarch soll davon abgehalten werden können zu seinen Zwecken den<br />

Untertanen das Geld aus der Tasche zu ziehen, sondern das an finanzieller Umverteilung<br />

interessierte Parlament soll nunmehr ausgebremst werden können.<br />

Zum Allgemeingut der politischen Interpretation gehört es mittlerweile, dass<br />

politische Fortüne nur noch zu haben glaubt, wer ausgewählten nahestehenden<br />

Lobbygruppen möglichst großzügige finanzielle Leistungen verspricht und gewährt.<br />

738 Losgelöst von der Einnahmedeckung sollen die ausgabewütigen, um ihre<br />

nächste Wiederwahl bangenden Abgeordneten ohne Gnade bewilligungs- und<br />

subventionsfreudig Partikularinteressen befriedigen, ohne auch nur <strong>im</strong> Ansatz zu<br />

überdenken, wer ‚diese Zeche‛ dann bezahlen soll. 739<br />

Trotz der großen gesellschaftlichen Relevanz verbietet es sich an dieser Stelle,<br />

für das hier diskutierte Themenfeld der <strong>Vetorechte</strong> eine eingehendere politologische<br />

Analyse ob der Richtigkeit dieser Annahmen. Fingiert man die Richtigkeit<br />

dieser allgemein hoffähigen fatalistischen Thesen 740 , muss man dennoch überlegen,<br />

ob Art. 113 GG hierfür den probaten Lösungsansatz darstellen kann.<br />

Werner Heun 741 kommt vollkommen zu Recht zu folgendem diesbezüglichen<br />

Ergebnis:<br />

„…Dies [gemeint ist der oben beschriebene Rollentausch zwischen Legislative und <strong>Exekutive</strong>]<br />

zieht jedoch nicht die Konsequenz nach sich, daß die Regierung die Funktion des konstitutionellen<br />

Parlaments übernommen hat und zum Hüter staatswirtschaftlicher Sparsamkeit avanciert.<br />

Durch die unmittelbare Abhängigkeit vom Vertrauen des Parlaments ist die Regierung nicht<br />

weniger als die Abgeordneten auf Wiederwahl und die Befriedigung von Wähler- und Sonderinteressen<br />

angewiesen. […] In der Bundesrepublik bewirken […] die parteienstaatlichen Elemente<br />

736 Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 186.<br />

737 Hansmeyer, Der Weg zum Wohlfahrtsstaat, S. 106.<br />

738 So jedenfalls Fischer-Menshausen, in: v.Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Vorb. Zu Art. 110-115 (3.<br />

Aufl.), Rn 3.<br />

739 Vgl. v. Arn<strong>im</strong>, Die Verfassung hinter der Verfassung, ZRP 1999, 326 (327 ff); ders., Demokratie vor neuen<br />

Herausforderungen, ZRP 1995, 340 (343).<br />

740 In der medialen Interpretation der Staatsleitung sind es jedenfalls gerade derartige Erwägungen, welche dazu<br />

dienen, die ‚politische Kaste‛ ins Abseits zu stellen.<br />

741 Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 186.<br />

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