Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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256 D. Vetos im aktuellen deutschen Verfassungssystem Es verbleibt zu prüfen, welcher Art dieses Vetorecht ist. Man muss zwar davon ausgehen, dass die Bundesregierung ihre Versagung aufgrund der Pflicht zur Organtreue 719 wird begründen müssen. Auch kann sie nach dem eindeutigen Wortlaut von Abs. 3 nur innerhalb von sechs Wochen ihre Zustimmung verweigern und auch nur dann, wenn sie mindestens eines der beiden Vorverfahren durchgeführt hat, sie also mit ‚offenen Karten spielte‛. Insofern sie aber diese Voraussetzungen erfüllt hat, ist ihre Versagungsentscheidung unüberwindbar. Sie kann weder vom Bundestag selbst noch von einem anderen Organ bezwungen werden. Insbesondere ist es nicht möglich, die Zustimmung der Bundesregierung durch das Bundesverfassungsgericht ersetzen zu lassen. 720 Die Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht erstreckt sich allein auf das Kriterium der Finanzwirksamkeit. Eine Überprüfung des exekutiven Beurteilungsspielraums in Hinblick auf die finanzpolitischen Erwägungen bei der Zustimmungsversagung ist dabei nur in engen Grenzen möglich, welche wohl bei der absoluten Missbrauchskontrolle beginnen werden. 721 Da also der Versagungsentscheidung der Bundesregierung nichts entgegen gesetzt werden kann, was in der Lage wäre, deren allumfassende Verhinderungswirkung gegenüber dem finanzwirksamen Gesetz zu egalisieren, handelt es sich mithin um ein absolutes 722 Vetorecht. d. Bedeutung und staatspolitische Realisierungsszenarien Neben der vorangestellten funktionalen Analyse von Art. 113 GG, welche diesen als zweifaches Vetorecht offenbart, kommt eine differenzierte Betrachtung nicht um die Bedeutungseinordnung herum. Diese ist sogar zwingend erforderlich, da die Vetorechte aus Art. 113 GG offenkundig einen Eingriff in die Souveränitätsrechte des Bundestages oder zumindest in dessen unmittelbar demokratisch legitimierte Legislativfunktion darstellen. 723 Besonders deutlich wird jene Systemdiskrepanz jedoch, wenn man die Motivlage für diese Grundgesetznorm näher betrachtet. Es fällt auf, dass es ganz unverhohlen darum geht, den Bundestag an seinen vorausgegangenen finanzpolitischen Rahmenentscheidungen im Haushaltsgesetz festzuhalten. Die Bundesregierung soll also eine Art ‚Wächterfunktion‛ im Eigeninteresse des Parlaments ausüben. 719 Vgl. Schwarz, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz Bd. 3, Art. 113, Rn 33. 720 Heintzen, in: v.Münch/Kunig Bd. III, Art. 113, Rn 8. 721 Vgl. Weis, Artikel 113 Grundgesetz, S. 125 ff. 722 A.A. Mahrenholz, AK II, Art. 113, Rn 2, 14; Schwarz, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz Bd. 3, Art. 113, Rn 32 – welche das Versagungsrecht als sog. „dezisives Veto“ bezeichnen, im Ergebnis wohl aber dasselbe meinen. 723 Ebenso: Gröpl, in: Bonner Kommentar Art. 113, Rn 13.

I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz Es gilt näher zu begutachten, inwieweit diese Kontrolle tatsächlich demokratiekonsequent und folgerichtig 724 ist, da alles darauf abzielt die Legislative zwangsweise an ihre einmal getroffene Entscheidung im Haushaltsplan des Bundes zu ketten und zu verhindern, dass dieser Haushaltsansatz unbemerkt verzerrt werde könnte. Ein derartiger Motivationshintergrund mag für einen in irgendeiner Weise Hilfebedürftigen sachgerecht sein. Beim Deutschen Bundestag handelt es sich jedoch um das einzige unmittelbar demokratisch legitimierte Organ auf Bundesebene. Dieses unter finanzpolitische Betreuung der Bundesregierung zu stellen, welche selbst nur mittelbar und dann auch noch durch eben diesen Bundestag legitimiert ist, erscheint mehr als nur problematisch und überdies unnötig. Zweifelsohne verfügt die exekutive Ministerialbürokratie über einen substantiellen Wissensvorsprung gegenüber den Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Dennoch würde allein das Mittel des ersten Vorverfahrens genügen, um von exekutiver Seite aus den Bundestag auf die mögliche Diskrepanz des finanzwirksamen Fachgesetzes zu seinem eigenen Haushaltsgesetz hinzuweisen. Damit wäre dem einzigen wirklich tragfähigen Argument des unmotivierten Verstoßes gegen den Haushaltsrahmen Rechnung getragen. Warum die Bundesregierung das deutsche Parlament darüber hinaus ‚an die Hand nehmen können‛ soll, um es vor sich selbst und seiner eigenen Inkompetenz zu schützen, erschließt sich nicht. Warum muss die Instanz, welche selbst das Haushaltsgesetz beschließen und mittels eines Nachtragshaushaltes 725 (Art. 110 Abs. 3 GG) sowohl die Einnahme- als auch die Ausgabenseite wieder verändern kann, sich von der Regierung in der Öffentlichkeit als finanzpolitischer Hasardeur vorführen lassen? Es verwundert daher nicht, wenn angeprangert wird, dass das Parlament durch die Versagung der Zustimmung „öffentlich brüskiert“ 726 würde. Werner Heun bezeichnet Art. 113 GG sogar als eine „einzigartige Fehlkonzeption“ 727 . Faber 728 geht noch weiter und qualifiziert Art. 113 GG als „Monstrum einer verfassungstheoretischen und analytischen Fehlkonstruktion“ sowie als „ärgerliches Residuum des technokratisch verbrämten Obrigkeitsstaates“ ab. Schon vor der Verfassungsänderung 1969 wurde in der politischen Öffentlichkeit gemutmaßt, dass Art. 113 GG in der Lage wäre, „eine Desavouierung der Regierungsmehrheit durch die Regierung in aller Öffentlichkeit“ 729 herbeizuführen. Auf der anderen Seite wird jedoch auch gefordert, diesen Art. 113 724 So jedenfalls Gröpl, in: Bonner Kommentar Art. 113, Rn 13. 725 Dieser Nachtragshaushalt ist insbesondere deshalb notwendig, da die allgemeine lex posterior derogat legi priori-Regel, wonach das spätere Gesetz dem früheren vorgeht, aufgrund der Haushaltsgebundenheit für ein später erlassenes Fachgesetz gegenüber dem Haushaltsplan nicht greifen kann. Da auch die Legislative an den Vorbehalt der Einstellung von staatlichen Ausgaben in den Haushaltsplan nach Art. 110 Abs. 1 GG gebunden ist, muss die neue finanzpolitische Entscheidung auch im Hausgesetz ausdrücklich legitimiert sein. 726 Hettlage, Die Rechtsnatur des Haushaltsplanes, in: FS Werner Weber, S. 391 (396); Mußgnug, Haushaltsplan, S. 204 ff. 727 Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 183. 728 Faber, AK II, Art. 113, Rn 1. 729 Huppertz, Gewaltenteilung und antizyklische Finanzpolitik, S. 67, mit Verweis auf FAZ, v. 26.07.1965 „Der falsche Artikel 113“. 257

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D. Vetos <strong>im</strong> aktuellen <strong>deutschen</strong> <strong>Verfassungssystem</strong><br />

Es verbleibt zu prüfen, welcher Art dieses Vetorecht ist. Man muss zwar davon<br />

ausgehen, dass die Bundesregierung ihre Versagung aufgrund der Pflicht zur Organtreue<br />

719 wird begründen müssen. Auch kann sie nach dem eindeutigen Wortlaut<br />

von Abs. 3 nur innerhalb von sechs Wochen ihre Zust<strong>im</strong>mung verweigern<br />

und auch nur dann, wenn sie mindestens eines der beiden Vorverfahren durchgeführt<br />

hat, sie also mit ‚offenen Karten spielte‛. Insofern sie aber diese Voraussetzungen<br />

erfüllt hat, ist ihre Versagungsentscheidung unüberwindbar. Sie kann weder<br />

vom Bundestag selbst noch von einem anderen Organ bezwungen werden.<br />

Insbesondere ist es nicht möglich, die Zust<strong>im</strong>mung der Bundesregierung durch<br />

das Bundesverfassungsgericht ersetzen zu lassen. 720 Die Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht<br />

erstreckt sich allein auf das Kriterium der Finanzwirksamkeit.<br />

Eine Überprüfung des exekutiven Beurteilungsspielraums in Hinblick auf die<br />

finanzpolitischen Erwägungen bei der Zust<strong>im</strong>mungsversagung ist dabei nur in<br />

engen Grenzen möglich, welche wohl bei der absoluten Missbrauchskontrolle<br />

beginnen werden. 721<br />

Da also der Versagungsentscheidung der Bundesregierung nichts entgegen gesetzt<br />

werden kann, was in der Lage wäre, deren allumfassende Verhinderungswirkung<br />

gegenüber dem finanzwirksamen Gesetz zu egalisieren, handelt es sich mithin<br />

um ein absolutes 722 Vetorecht.<br />

d. Bedeutung und staatspolitische Realisierungsszenarien<br />

Neben der vorangestellten funktionalen Analyse von Art. 113 GG, welche diesen<br />

als zweifaches Vetorecht offenbart, kommt eine differenzierte Betrachtung nicht<br />

um die Bedeutungseinordnung herum. Diese ist sogar zwingend erforderlich, da<br />

die <strong>Vetorechte</strong> aus Art. 113 GG offenkundig einen Eingriff in die Souveränitätsrechte<br />

des Bundestages oder zumindest in dessen unmittelbar demokratisch legit<strong>im</strong>ierte<br />

Legislativfunktion darstellen. 723 Besonders deutlich wird jene Systemdiskrepanz<br />

jedoch, wenn man die Motivlage für diese Grundgesetznorm näher betrachtet.<br />

Es fällt auf, dass es ganz unverhohlen darum geht, den Bundestag an<br />

seinen vorausgegangenen finanzpolitischen Rahmenentscheidungen <strong>im</strong> Haushaltsgesetz<br />

festzuhalten. Die Bundesregierung soll also eine Art ‚Wächterfunktion‛<br />

<strong>im</strong> Eigeninteresse des Parlaments ausüben.<br />

719 Vgl. Schwarz, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz Bd. 3, Art. 113, Rn 33.<br />

720 Heintzen, in: v.Münch/Kunig Bd. III, Art. 113, Rn 8.<br />

721 Vgl. Weis, Artikel 113 Grundgesetz, S. 125 ff.<br />

722 A.A. Mahrenholz, AK II, Art. 113, Rn 2, 14; Schwarz, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz<br />

Bd. 3, Art. 113, Rn 32 – welche das Versagungsrecht als sog. „dezisives Veto“ bezeichnen, <strong>im</strong> Ergebnis wohl<br />

aber dasselbe meinen.<br />

723 Ebenso: Gröpl, in: Bonner Kommentar Art. 113, Rn 13.

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