Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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254 D. Vetos im aktuellen deutschen Verfassungssystem in einem der beiden Vorverfahren überhaupt das Hauptverfahren nach Art. 113 Abs. 3 GG einleiten wird. In diesen Fällen hat also ganz offensichtlich keine inhaltliche Partizipation am Legislativakt stattgefunden. Aus dem Umstand, dass Art. 113 Abs. 3 GG davon spricht, es müsse sich um ein nach Art. 78 GG zustande gekommenes Gesetz handeln, kann geschlossen werden, dass das fragliche finanzwirksame Gesetz ‚entstanden‛ sein muss. Dies steht außer Zweifel, da dem Bundestagsbeschluss schon die Beteiligung des Bundesrates nach Art. 77 GG gefolgt ist und diese ohne Normentstehung im Bundestag gesetzgebungssystematisch unmöglich wäre. Von den zu erfüllenden Vetokriterien lägen somit für das Hauptverfahren sowohl die externe Einflussnahme eines exekutiven Organs als auch das vetotaugliche Objekt eines entstandenen Gesetzes vor. Bei den bisherigen Betrachtungen, insbesondere des suspensiven Vetorechts aus Art. 113 Abs. 2 GG, konnte problemlos von einem weiteren Kriterium ausgegangen werden, nämlich des negativen Einwirkens auf das entstandene Gesetz. Jene negative Einflussnahme auf den Gesetzesbeschluss erweist sich jedoch beim Versagungsrecht aus Art. 113 Abs. 3 als problematisch. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass Abs. 3 in einem unmittelbaren inhaltlichen Zusammenhang zu Abs. 1 S. 1, 2 steht und Letzterer nicht wie Abs. 3 von einem Versagungsrecht spricht, sondern einen Zustimmungsvorbehalt der Bundesregierung gegenüber finanzwirksamen Gesetzen postuliert. Zum anderen erweist es sich als fraglich, inwieweit die Zustimmungsfiktion, welche sich aus Satz 2 von Art. 113 Abs. 3 GG ergibt, mit einem Vetorecht überhaupt vereinbar ist. Das Problem liegt vor allem darin, dass ein Vetorecht im Sinne der hier vertretenen Definition letztlich immer ein aktiv-negatives Tun voraussetzt, um den Eintritt eines bestimmten rechtlichen Erfolges zu hemmen oder zu verhindern. So jedenfalls funktionieren Vetorechte seit dem ius intercessionis der römischen Volkstribune. Handelte es sich beim Hauptverfahren des Art. 113 GG jedoch nur um einen Zustimmungsvorbehalt, wäre zwar auf den ersten Blick das aktive Tun noch zu bejahen, aber insbesondere die negative Hemmung oder Verhinderung fraglich. Es würde nämlich nicht die Wirksamkeit des Gesetzesbeschlusses eines anderen Organs unterminiert, sondern die Zustimmung der Bundesregierung wäre überhaupt erst konstitutiv für den Eintritt der Gesetzesentstehung. Eine solche Systematik liefe jedoch darauf hinaus, dass der exekutive Vorbehalt eine funktionale Wirksamkeitsvoraussetzung für das finanzwirksame Gesetz darstellen würde und mithin die Funktion eines positiven Tuns erfüllte, was mit einem Vetorecht nichts mehr gemein hätte. Diese Analyse verschärft sich noch dadurch, dass Abs. 3 S. 2 GG zudem auch noch eine Zustimmungsfiktion kreiert. Insofern die Bundesregierung nicht innerhalb von sechs Wochen ausdrücklich die Zustimmung versagt, gilt ihre Zustimmung als erteilt. Als fraglich erweist sich also, inwieweit die Versagung einer positiven Zustimmungskomponente, welche zudem bei Nichthandeln fingiert würde, noch ein Vetorecht im Sinne externer negativer Einwirkung darstellen kann.

I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz Das hier aufgeworfene Problem basiert auf einer Verfassungsänderung im Jahr 1969. In der Ausgangsfassung von Art. 113 717 , wie sie ursprünglich 1949 in das Grundgesetz geschrieben wurde, handelte es sich bei Art. 113 GG eindeutig um einen Zustimmungsvorbehalt und nicht um ein Vetorecht. Insbesondere die Diskrepanz zwischen Art. 113 Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 in seiner aktuellen Fassung, machen es schwer zu erkennen, ob der Grundgesetzgeber nach der Neufassung von Art. 113 durch das Haushaltsreformgesetz von 1969 weiterhin einen exekutiven Zustimmungsvorbehalt für finanzwirksame Gesetze wollte oder doch ein Vetorecht, das mittels aktiven und negativ wirkenden Einspruchs durch die Bundesregierung ein solches Gesetz zu Fall bringen kann. Gröpl meint in Anbetracht der Zustimmungsfiktion aus Art. 113 Abs. 3 S. 2 GG n.F. folgendes zu erkennen: „…Dies deutet darauf hin, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber eher von einem Vetorecht ausging, das ein aktives Tun der Bundesregierung, nämlich die Zustimmungsversagung, impliziere. Wenn dies so ist, dann würde bei der Änderung von Art. 113 die ursprüngliche Struktur dieser Vorschrift verkannt; sonst wäre auch Absatz 1 Satz 1 an den Vetocharakter angepasst worden. Der seither bestehende Widerspruch in Art. 113 wird zugunsten eines Vetorechts aufzulösen sein. …“ 718 Dieser Auffassung kann man sich mit guten Gründen anschließen, zwingend erscheint dies indes nicht, da mit dem Wortlautargument und dem Effekt der Zustimmungsfiktion genauso gut das Gegenteil angenommen werden könnte. Allerdings kann m.E. ein weiteres Argument für die Auflösung des Widerspruchs zugunsten eines Vetorechts angeführt werden: Insbesondere die beiden Vorverfahren (von welchen zumindest das Wiederholungsverlangen nach Art. 113 Abs. 2 GG ein Vetorecht darstellt) sind nicht als Zustimmungskomponenten konzipiert, sondern als negative Rechte mittels derer das Gesetz schon im Frühstadium vor und nach seinem Beschluss unterminiert werden kann. Insoweit könnte argumentiert werden, dass aus dem Gesamtzusammenhang und der Grundstruktur der Norm eher der negative Unterminierungscharakter gelesen werden kann und weniger ein positiver Zustimmungsaspekt. Mittels dieses substantiellen Ansatzes kann die Intention des Verfassungsgesetzgebers durchaus zugunsten eines Vetorechts ausgelegt werden. Mithin handelt es sich beim Versagungsrecht im Hauptverfahren nach Art. 113 Abs. 3 GG um ein Vetorecht. 717 Ursprüngliche Fassung von Art. 113 GG: „Beschlüsse des Bundestages und des Bundesrates, welche die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Ausgaben des Haushaltsplanes erhöhen oder neue Ausgaben in sich schließen oder für die Zukunft mit sich bringen, bedürfen der Zustimmung der Bundesregierung.“ 718 Gröpl, in: Bonner Kommentar Art. 113, Rn 76. Der zudem anführt, dass es sich diesbezüglich wohl um zu Gewohnheitsrecht verfestigter Staatspraxis handelt, was insbesondere in § 54 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) seinen Ausdruck fände, da hier von einem aktiven Versagen ausgegangen wird. Im Ergebnis ähnlich: Heintzen, in: v.Münch/Kunig Bd. III, Art. 113, Rn 9/10. 255

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D. Vetos <strong>im</strong> aktuellen <strong>deutschen</strong> <strong>Verfassungssystem</strong><br />

in einem der beiden Vorverfahren überhaupt das Hauptverfahren nach Art. 113<br />

Abs. 3 GG einleiten wird. In diesen Fällen hat also ganz offensichtlich keine inhaltliche<br />

Partizipation am Legislativakt stattgefunden.<br />

Aus dem Umstand, dass Art. 113 Abs. 3 GG davon spricht, es müsse sich um<br />

ein nach Art. 78 GG zustande gekommenes Gesetz handeln, kann geschlossen<br />

werden, dass das fragliche finanzwirksame Gesetz ‚entstanden‛ sein muss. Dies<br />

steht außer Zweifel, da dem Bundestagsbeschluss schon die Beteiligung des Bundesrates<br />

nach Art. 77 GG gefolgt ist und diese ohne Normentstehung <strong>im</strong> Bundestag<br />

gesetzgebungssystematisch unmöglich wäre. Von den zu erfüllenden Vetokriterien<br />

lägen somit für das Hauptverfahren sowohl die externe Einflussnahme<br />

eines exekutiven Organs als auch das vetotaugliche Objekt eines entstandenen<br />

Gesetzes vor.<br />

Bei den bisherigen Betrachtungen, insbesondere des suspensiven Vetorechts<br />

aus Art. 113 Abs. 2 GG, konnte problemlos von einem weiteren Kriterium ausgegangen<br />

werden, nämlich des negativen Einwirkens auf das entstandene Gesetz.<br />

Jene negative Einflussnahme auf den Gesetzesbeschluss erweist sich jedoch be<strong>im</strong><br />

Versagungsrecht aus Art. 113 Abs. 3 als problematisch. Dies ergibt sich zum einen<br />

daraus, dass Abs. 3 in einem unmittelbaren inhaltlichen Zusammenhang zu Abs. 1<br />

S. 1, 2 steht und Letzterer nicht wie Abs. 3 von einem Versagungsrecht spricht,<br />

sondern einen Zust<strong>im</strong>mungsvorbehalt der Bundesregierung gegenüber finanzwirksamen<br />

Gesetzen postuliert. Zum anderen erweist es sich als fraglich, inwieweit<br />

die Zust<strong>im</strong>mungsfiktion, welche sich aus Satz 2 von Art. 113 Abs. 3 GG<br />

ergibt, mit einem Vetorecht überhaupt vereinbar ist.<br />

Das Problem liegt vor allem darin, dass ein Vetorecht <strong>im</strong> Sinne der hier vertretenen<br />

Definition letztlich <strong>im</strong>mer ein aktiv-negatives Tun voraussetzt, um den Eintritt<br />

eines best<strong>im</strong>mten rechtlichen Erfolges zu hemmen oder zu verhindern. So<br />

jedenfalls funktionieren <strong>Vetorechte</strong> seit dem ius intercessionis der römischen<br />

Volkstribune. Handelte es sich be<strong>im</strong> Hauptverfahren des Art. 113 GG jedoch nur<br />

um einen Zust<strong>im</strong>mungsvorbehalt, wäre zwar auf den ersten Blick das aktive Tun<br />

noch zu bejahen, aber insbesondere die negative Hemmung oder Verhinderung<br />

fraglich. Es würde nämlich nicht die Wirksamkeit des Gesetzesbeschlusses eines<br />

anderen Organs unterminiert, sondern die Zust<strong>im</strong>mung der Bundesregierung wäre<br />

überhaupt erst konstitutiv für den Eintritt der Gesetzesentstehung.<br />

Eine solche Systematik liefe jedoch darauf hinaus, dass der exekutive Vorbehalt<br />

eine funktionale Wirksamkeitsvoraussetzung für das finanzwirksame Gesetz<br />

darstellen würde und mithin die Funktion eines positiven Tuns erfüllte, was mit<br />

einem Vetorecht nichts mehr gemein hätte. Diese Analyse verschärft sich noch<br />

dadurch, dass Abs. 3 S. 2 GG zudem auch noch eine Zust<strong>im</strong>mungsfiktion kreiert.<br />

Insofern die Bundesregierung nicht innerhalb von sechs Wochen ausdrücklich die<br />

Zust<strong>im</strong>mung versagt, gilt ihre Zust<strong>im</strong>mung als erteilt. Als fraglich erweist sich<br />

also, inwieweit die Versagung einer positiven Zust<strong>im</strong>mungskomponente, welche<br />

zudem bei Nichthandeln fingiert würde, noch ein Vetorecht <strong>im</strong> Sinne externer<br />

negativer Einwirkung darstellen kann.

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