Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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246 D. Vetos im aktuellen deutschen Verfassungssystem gern, ohne dass es eine Instanz gäbe, welche das Kabinett zur Zustimmung zwingen könnte. Denn die Ermessensentscheidung ist, wie oben ausgeführt, durch keine andere Instanz, auch nicht durch das Bundesverfassungsgericht, substituierbar. Allein der Bundestag selbst wäre in der Lage durch die Neubestellung einer anderen (zustimmungswilligen) Bundesregierung die Zustimmung mittelbar zu kreieren oder durch die entsprechende Drohung zu ernötigen. Diese Zustimmung wäre dann aber nur zum Preis des Kanzlersturzes nach Art. 67 GG zu bekommen oder würde mindestens zur Demontage der Regierung führen. Ob hierfür der politische Wille bzw. die politische Kraft in den pluralistischen Volksparteien vorhanden wäre, kann getrost als fraglich deklariert werden. Es muss daher als besonders weitsichtige und Problem antizipierende Entscheidung des Grundgesetzgebers erachtet werden, der Bundesregierung einen gewissen Druck ob Ihrer Versagungsentscheidung aufzuerlegen. Die Zustimmungsfiktion macht deutlich, dass das Grundgesetz die Ausnahmekonstellation des Zustimmungsvorbehaltes in seiner Dimension so klein wie möglich halten möchte. Lediglich aus pragmatisch-funktionalen Gründen wurde ein Kontrollansatz gewählt, der dem parlamentarischen Regierungssystem ansonsten fremd ist. Nach einer Einordnung der Tatbestandsvarianten in die hier vertretene Vetosystematik soll gerade dieser Diskrepanz zwischen dem parlamentarischen Grundsystem unserer Verfassung und den mit der Norm des Art. 113 GG einhergehenden exekutiven Möglichkeiten nachgegangen werden. c. Analyse der Vetoqualität des finanzverfassungsrechtlichen Zustimmungsvorbehalts Betrachtet man die verschiedenen Komponenten und Konstellationen von Art. 113, dann offenbaren sich scheinbar mehrere mögliche Vetovariationen. Bei der näheren Untersuchung dieser unterschiedlichen Vetoarten muss jedoch zunächst jeweils untersucht werden, inwieweit jedes einzelne vermeintliche Vetorecht schon die Grundanforderungsparameter, wie sie hier vertreten werden, erfüllt. Problemlos kann für alle darstellbaren Einspruchskonstellationen hervorgestrichen werden, dass ein wesentliches Grundkriterium für die Vetoqualität in allen Konstellationen erfüllt wird: Die Vetoinstanz, welche ein finanzwirksames Gesetz unterminieren bzw. dieses gänzlich verhindern kann, müsste nämlich exekutiver Natur sein. Es handelt sich bei der Bundesregierung zweifelsohne um eine vom Legislativprozess funktional getrennte Instanz, die zudem exekutiven Charakter aufweist. Insofern ist das klassische Merkmal der Vetorechte, entwickelt aus dem „ius intercessionis“, bei Art. 113 GG offensichtlich erfüllt. Von dem Verhinderungsrecht macht mit der Bundesregierung eine exekutive Staatsleitungseinheit Gebrauch, welche zudem auch noch gänzlich einflusslos auf

I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz Inhalt und Beschluss des Gesetzes ist. Somit lässt sich für alle drei Einspruchsvariationen auch ein weiterer Vetoaspekt bejahen. Nämlich der externe Einsatz einer außerhalb des Gesetzgebungsverfahrens angesiedelten Instanz. Der Umstand, dass die Gesetzesinitiative von der Regierung ausgehen kann (Art. 76 Abs. 1 2. Alt. GG), ändert hieran nichts, da der Bundestag als Legislative an diese Initiative in keiner Weise gebunden ist und somit über den Inhalt des Gesetzes vollkommen autark entscheidet. Es lässt sich also zunächst zusammenfassen, dass zumindest die klassischen Grundkriterien, wie sie hier entwickelt wurden, zweifelsohne auf die Einspruchsrechte aus Art.113 GG zutreffen. Bezüglich der weiteren Vetokennzeichen erscheint jedoch eine dezidiertere Auseinandersetzung mit dem konkreten exekutiven Einspruchsrecht angebracht. (1) Vetorecht aus dem ersten Vorverfahren gemäß Art. 113 Abs. 1 S. 3, 4 GG? Eine Gleichsetzung der drei Vetorechtsaspiranten ist insbesondere in Bezug auf die erste Einspruchsvariation problematisch. Als fraglich erscheint nämlich das Vetokriterium des ‚entstandenen Gesetzes‛, wie es aus dem historischen Kontext entwickelt wurde. Zum Zeitpunkt des Einsatzes des ersten Vorverfahrens hat der Bundestag über das finanzwirksame Gesetz nämlich noch nicht Beschluss gefasst, somit ist es als Objekt der Unterminierung auch noch nicht entstanden. Für das erste Vorverfahren nach Art. 113 Abs. 1 S. 3, 4 GG bedeutet dies, dass die Bundesregierung nicht ein beschlossenes Gesetz suspendiert, sondern gerade dessen Beschluss unterminieren möchte. Da das Vorverfahren eben nicht nur als ein formelles Rechtmäßigkeitskriterium im Gesetzgebungsverfahren gedacht ist, sondern sich seine materielle Dimension dahingehend auswirken soll, dass der Bundestag noch einmal überlegt, ob er dieses Gesetz in dieser Form tatsächlich beschließen will (o.g. ‚Schuss vor den Bug‛!), stellt sich die Frage, inwieweit ein exekutiver Eingriff schon im Vorfeld des Gesetzesbeschlusses als Veto anerkannt werden sollte. Fraglich ist daher, ob an dieser Stelle die bisher aus rechtshistorischer Perspektive entwickelten Vetokriterien um die Konstellation der quasi ‚Vorsuspendierung‛ erweitert werden sollten, oder ob es nicht entgegen bisheriger Sichtweise im Schrifttum sinnstiftender ist, beim ersten Vorverfahren nicht mehr von einem Vetorecht zu sprechen. Bei näherer Betrachtung des ersten Vorverfahrens nach Art. 113 Abs. 1 S. 3, 4 GG wird offenbar, welche eigentliche Intention hinter diesem Einspruchsrecht steckt: Es wird die Intensivierung der Kommunikation zwischen Bundestag und Bundesregierung angestrebt. Die informellen Gespräche zwischen der Ministerialbürokratie und dem Haushaltsausschuss bzw. dem zuständigen Fachausschuss werden auf eine prozedurale Ebene gehoben. Nicht mehr das politische Taktieren im Hintergrund steht auf dem Plan, sondern die Bundesregierung soll ‚ihre Karten auf den Tisch legen‛. Das widersprüchliche Verhalten des Parlaments seinem eigenen Haushaltsgesetz gegenüber soll vor den Augen der Öffentlichkeit debattiert werden. Sowohl die inhaltliche Frage der finanzpolitischen Rechtfertigung als auch 247

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D. Vetos <strong>im</strong> aktuellen <strong>deutschen</strong> <strong>Verfassungssystem</strong><br />

gern, ohne dass es eine Instanz gäbe, welche das Kabinett zur Zust<strong>im</strong>mung zwingen<br />

könnte. Denn die Ermessensentscheidung ist, wie oben ausgeführt, durch<br />

keine andere Instanz, auch nicht durch das Bundesverfassungsgericht, substituierbar.<br />

Allein der Bundestag selbst wäre in der Lage durch die Neubestellung einer<br />

anderen (zust<strong>im</strong>mungswilligen) Bundesregierung die Zust<strong>im</strong>mung mittelbar zu<br />

kreieren oder durch die entsprechende Drohung zu ernötigen. Diese Zust<strong>im</strong>mung<br />

wäre dann aber nur zum Preis des Kanzlersturzes nach Art. 67 GG zu bekommen<br />

oder würde mindestens zur Demontage der Regierung führen. Ob hierfür der<br />

politische Wille bzw. die politische Kraft in den pluralistischen Volksparteien<br />

vorhanden wäre, kann getrost als fraglich deklariert werden. Es muss daher als<br />

besonders weitsichtige und Problem antizipierende Entscheidung des Grundgesetzgebers<br />

erachtet werden, der Bundesregierung einen gewissen Druck ob Ihrer<br />

Versagungsentscheidung aufzuerlegen.<br />

Die Zust<strong>im</strong>mungsfiktion macht deutlich, dass das Grundgesetz die Ausnahmekonstellation<br />

des Zust<strong>im</strong>mungsvorbehaltes in seiner D<strong>im</strong>ension so klein wie<br />

möglich halten möchte. Lediglich aus pragmatisch-funktionalen Gründen wurde<br />

ein Kontrollansatz gewählt, der dem parlamentarischen Regierungssystem ansonsten<br />

fremd ist.<br />

Nach einer Einordnung der Tatbestandsvarianten in die hier vertretene Vetosystematik<br />

soll gerade dieser Diskrepanz zwischen dem parlamentarischen Grundsystem<br />

unserer Verfassung und den mit der Norm des Art. 113 GG einhergehenden<br />

exekutiven Möglichkeiten nachgegangen werden.<br />

c. Analyse der Vetoqualität des finanzverfassungsrechtlichen<br />

Zust<strong>im</strong>mungsvorbehalts<br />

Betrachtet man die verschiedenen Komponenten und Konstellationen von Art.<br />

113, dann offenbaren sich scheinbar mehrere mögliche Vetovariationen. Bei der<br />

näheren Untersuchung dieser unterschiedlichen Vetoarten muss jedoch zunächst<br />

jeweils untersucht werden, inwieweit jedes einzelne vermeintliche Vetorecht schon<br />

die Grundanforderungsparameter, wie sie hier vertreten werden, erfüllt. Problemlos<br />

kann für alle darstellbaren Einspruchskonstellationen hervorgestrichen werden,<br />

dass ein wesentliches Grundkriterium für die Vetoqualität in allen Konstellationen<br />

erfüllt wird: Die Vetoinstanz, welche ein finanzwirksames Gesetz unterminieren<br />

bzw. dieses gänzlich verhindern kann, müsste nämlich exekutiver Natur<br />

sein. Es handelt sich bei der Bundesregierung zweifelsohne um eine vom Legislativprozess<br />

funktional getrennte Instanz, die zudem exekutiven Charakter aufweist.<br />

Insofern ist das klassische Merkmal der <strong>Vetorechte</strong>, entwickelt aus dem „ius intercessionis“,<br />

bei Art. 113 GG offensichtlich erfüllt.<br />

Von dem Verhinderungsrecht macht mit der Bundesregierung eine exekutive<br />

Staatsleitungseinheit Gebrauch, welche zudem auch noch gänzlich einflusslos auf

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