Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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236 D. Vetos im aktuellen deutschen Verfassungssystem wird daher nicht selten als ein verfassungsrechtliches Novum bezeichnet. 664 Es erscheint so, als ob hier der Parlamentarische Rat bzw. der Verfassungskonvent von Herrenchiemsee eine neue finanzverfassungsrechtliche Norm kreiert hätten. Nachweislich handelt es sich bei Art. 113 GG jedoch nur für die deutsche Bundesverfassung um ein Novum. Schon vor der Einführung dieses exekutiven Zustimmungsvorbehalts in das deutsche Grundgesetz waren Vergleichsnormen in ausländischen Verfassungen, aber auch in den deutschen Ländern, zu finden. 665 Nach fast einhelliger Darstellung im Schrifttum soll es sich trotz der fehlenden Parallelnormen in den Vorläuferverfassungen bei Art. 113 GG um keine Neukreation handeln, sondern lediglich um einen verfassungshistorischen Import, dessen Hintergrund allerdings keine der deutschen Bundesverfassungen bildet, sondern die im englischen Parlamentsrecht zu findende „Standing Order Nr. 89“ aus dem Jahr 1713 darstellt. 666 Trotz des vergleichbaren finanzpolitischen Themenkreises soll die über den Hauptprotagonisten Hermann Höpker-Aschoff als Berichterstatter im Finanzausschuss maßgeblich im Parlamentarischen Rat forcierte Norm des Art. 113 GG jedoch nur bedingt mit dem historischen Vorbild vergleichbar sein. 667 Obwohl es nicht zu verkennende dogmatischen Unterschiede zwischen der „Standing Order Nr. 89“ und der hier behandelten Grundgesetznorm gibt, kann zumindest angenommen werden, dass sich die Inspiration für Art. 113 GG aus dem englischen Parlamentsrecht speist. Ohne den weithin geklärten historischen Kontext noch weiter aufrollen zu wollen, wird schon an dieser Stelle deutlich: Art. 113 GG entspringt weniger einer gewachsenen originär deutschen Verfassungstradition, sondern er wurde vielmehr 664 Vgl. Höpker-Aschoff, Das Finanz- und Steuersystem des Bonner Grundgesetzes, in: AöR 1949, 306 (309); Schwarz, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz Bd. 3, Art. 113, Rn 5; Brockmeyer, in: Schmidt- Bleibtreu/Klein Kommentar zum Grundgesetz, Art. 113, Rn 2. 665 Statt vieler: Vgl. Gröpl, in: Bonner Kommentar Art. 113, Rn 28 ff i.V.m. Rn 1-10. 666 Die „Standing Order Nr. 89“ auch unter der Nummerierung „Standing Order Nr. 78“ zu finden, soll, wie Werner Heun es ausführt, auf eine Resolution von 1706 zurückgehen. – Vgl. Heun, in Dreier Bd. III, Art.113 GG, Rn 1/Fn 1. Folgender Inhalt ist der „Standing Order Nr. 89“ zu entnehmen: „…Recommendation from crown when required on application relating to public money: This house will receive no petition for any sum relating to public service or proceed upon any motion for a grant or charge upon the public revenue, whether payable out of the consolidated fund or out of money to be provided by Parliament, unless recommended from the crown. ...“ – Als wesentlicher funktioneller Hintergrund der „Standing Order Nr. 89“ wird genannt: Das englische Parlament könne keinen zu einer Erhöhung der öffentlichen Ausgaben oder Minderung der öffentlichen Einnahmen führenden Gesetzentwurf einbringen, es sei denn die Regierung würde es empfehlen. Dies soll zum Ergebnis haben, dass dem Unterhaus in Finanzfragen kein selbständiges Initiativrecht zusteht. Seinem Wesen nach handelt es sich bei der Standing Order Nr. 78/89 um eine freiwillige Selbstbeschränkung des Parlaments. – Vgl. Schwarz, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz Bd. 3, Art. 113, Rn 6/Fn 27 – mit Verweis auf: Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 189; ders. in: Dreier Bd. III, Art.113 GG, Rn 1; Weis Artikel 113 Grundgesetz, S. 10 ff. 667 Vgl. Gröpl, in: Bonner Kommentar Art. 113, Rn 29: „…Mit Art. 113 GG ist diese Vorschrift [Standing Order Nr. 89] allerdings nur sehr bedingt vergleichbar: Durch die Standing Order zügelt sich das Parlament selbst, während Art. 113 GG diese Aufgabe der Bundesregierung überantworten will. Dementsprechend besitzen die Standing Orders nicht den Charakter förmlichen Verfassungsrechts – wovon im englischen Recht ohnehin nicht gesprochen werden kann-, sondern sind allenfalls dem Verfassungsgebrauch zuzurechnen. …“.

I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz als eine Art funktionelle Zwecknorm in das Grundgesetz eingefügt, um die Ausgabenfreudigkeit des Parlaments begrenzen zu können. 668 b. Systematik sowie Funktions- und Wirkweise von Art. 113 GG Diesen Ansatz gilt es weiter zu verfolgen, da er sich für die hier zu untersuchende Vetoanalyse als weitaus ergiebiger erweist, als die Fragestellung nach der Normherkunft. Jenen Ausgangspunkt ergänzend, soll im Folgenden der Systematik und Funktionsweise des Art. 113 GG auf den Grund gegangen werden, um anhand dieser Erkenntnisse zu beurteilen, inwieweit es sich hier tatsächlich um ein Vetorecht handelt und in welchen verfassungspolitischen Parametern dieses seinen Einsatz finden kann. aa. Grundaufbau von Art. 113 GG Ausgangspunkt aller Betrachtungen zu Art. 113 GG muss die Grundannahme sein, dass dieses Sonderrecht der Bundesregierung sich nicht auf alle Gesetze bezieht, die der Deutsche Bundestag beschließt, sondern nur sog. finanzwirksame Gesetze überhaupt Gegenstand dieses Zustimmungsvorbehaltes sind. Nach der Aufzählung, die das Grundgesetz in Art. 113 GG selber vornimmt, handelt es sich bei finanzwirksamen Gesetzen um solche, die die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Ausgaben des Haushaltsplans erhöhen 669 , neue Ausgaben in sich schließen oder neue Ausgaben für die Zukunft mit sich bringen (Art. 113 Abs. 1 S. 1 GG). Des Weiteren fallen unter den Definitionsrahmen der finanzwirksamen Gesetze auch derartige, die schon aktuell Einnahmenminderungen in sich bergen oder derartige in der Zukunft verursachen (Art. 113 Abs. 1 S. 2 GG). Letztlich lassen sich also aus Art. 113 GG fünf Fallgruppen von relevanten finanzwirksamen Gesetzen 670 entnehmen. Das Kriterium der Finanzwirksamkeit stellt somit das Eingangskriterium dar, um den exekutiven Verweigerungsvorbehalt überhaupt zu eröffnen. Übereinstimmendes Kriterium der finanzwirksamen Fachgesetze ist also, dass sie geeignet 668 So auch Schwarz, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz Bd. 3, Art. 113, Rn 5 m.w.N. Fn. 21. 669 Dazu gehören auch die Ergänzungen zum Entwurf des Haushaltsplanes und die Ausgabenansätze von Nachtragshaushalten (§§32, 33 BHO) – Vgl. Karehnke, DVBl. 1972, 811 (812). 670 Nach überwiegender Auffassung kann selbst das den Haushaltsplan ändernde „Haushaltsgesetz“ ein „finanzwirksames Gesetz“ sein und somit dem Zustimmungsvorbehalt unterliegen. – Vgl. Heintzen, Staatshaushalt (§120), in: HStR V, Rn. 64; Stern Staatsrecht II, §49 IV 5d, S. 1221 Fn. 139; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 113, Rn 3; Paudtke, Das mehrheitsunfähige Parlament im Verfassungssystem des Grundgesetzes, S. 165ff; Schwarz, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz Bd. 3, Art. 113, Rn 13; Moeser, Ekkehard, Die Beteiligung des Bundestages an der staatlichen Haushaltsgewalt, S. 118 ff; Heuer, Haushaltsrecht, Art. 113, Anm. 3; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz Kommentar, Art. 113, Rn 2; Fischer-Menshausen, in: v.Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 113, Rn 4; zum Streitstand: Weis, Art. 113 Grundgesetz, S. 69 m.w.N.. A.A. Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 306/307. 237

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D. Vetos <strong>im</strong> aktuellen <strong>deutschen</strong> <strong>Verfassungssystem</strong><br />

wird daher nicht selten als ein verfassungsrechtliches Novum bezeichnet. 664 Es<br />

erscheint so, als ob hier der Parlamentarische Rat bzw. der Verfassungskonvent<br />

von Herrenchiemsee eine neue finanzverfassungsrechtliche Norm kreiert hätten.<br />

Nachweislich handelt es sich bei Art. 113 GG jedoch nur für die deutsche Bundesverfassung<br />

um ein Novum. Schon vor der Einführung dieses exekutiven Zust<strong>im</strong>mungsvorbehalts<br />

in das deutsche Grundgesetz waren Vergleichsnormen in<br />

ausländischen Verfassungen, aber auch in den <strong>deutschen</strong> Ländern, zu finden. 665<br />

Nach fast einhelliger Darstellung <strong>im</strong> Schrifttum soll es sich trotz der fehlenden<br />

Parallelnormen in den Vorläuferverfassungen bei Art. 113 GG um keine Neukreation<br />

handeln, sondern lediglich um einen verfassungshistorischen Import, dessen<br />

Hintergrund allerdings keine der <strong>deutschen</strong> Bundesverfassungen bildet, sondern<br />

die <strong>im</strong> englischen Parlamentsrecht zu findende „Standing Order Nr. 89“ aus dem<br />

Jahr 1713 darstellt. 666 Trotz des vergleichbaren finanzpolitischen Themenkreises<br />

soll die über den Hauptprotagonisten Hermann Höpker-Aschoff als Berichterstatter<br />

<strong>im</strong> Finanzausschuss maßgeblich <strong>im</strong> Parlamentarischen Rat forcierte Norm<br />

des Art. 113 GG jedoch nur bedingt mit dem historischen Vorbild vergleichbar<br />

sein. 667 Obwohl es nicht zu verkennende dogmatischen Unterschiede zwischen<br />

der „Standing Order Nr. 89“ und der hier behandelten Grundgesetznorm gibt,<br />

kann zumindest angenommen werden, dass sich die Inspiration für Art. 113 GG<br />

aus dem englischen Parlamentsrecht speist.<br />

Ohne den weithin geklärten historischen Kontext noch weiter aufrollen zu<br />

wollen, wird schon an dieser Stelle deutlich: Art. 113 GG entspringt weniger einer<br />

gewachsenen originär <strong>deutschen</strong> Verfassungstradition, sondern er wurde vielmehr<br />

664 Vgl. Höpker-Aschoff, Das Finanz- und Steuersystem des Bonner Grundgesetzes, in: AöR 1949, 306 (309);<br />

Schwarz, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz Bd. 3, Art. 113, Rn 5; Brockmeyer, in: Schmidt-<br />

Bleibtreu/Klein Kommentar zum Grundgesetz, Art. 113, Rn 2.<br />

665 Statt vieler: Vgl. Gröpl, in: Bonner Kommentar Art. 113, Rn 28 ff i.V.m. Rn 1-10.<br />

666 Die „Standing Order Nr. 89“ auch unter der Nummerierung „Standing Order Nr. 78“ zu finden, soll, wie<br />

Werner Heun es ausführt, auf eine Resolution von 1706 zurückgehen. – Vgl. Heun, in Dreier Bd. III, Art.113<br />

GG, Rn 1/Fn 1. Folgender Inhalt ist der „Standing Order Nr. 89“ zu entnehmen: „…Recommendation from crown<br />

when required on application relating to public money: This house will receive no petition for any sum relating to public service or<br />

proceed upon any motion for a grant or charge upon the public revenue, whether payable out of the consolidated fund or out of money to<br />

be provided by Parliament, unless recommended from the crown. ...“ – Als wesentlicher funktioneller Hintergrund der<br />

„Standing Order Nr. 89“ wird genannt: Das englische Parlament könne keinen zu einer Erhöhung der öffentlichen<br />

Ausgaben oder Minderung der öffentlichen Einnahmen führenden Gesetzentwurf einbringen, es sei denn<br />

die Regierung würde es empfehlen. Dies soll zum Ergebnis haben, dass dem Unterhaus in Finanzfragen kein<br />

selbständiges Initiativrecht zusteht. Seinem Wesen nach handelt es sich bei der Standing Order Nr. 78/89 um<br />

eine freiwillige Selbstbeschränkung des Parlaments. – Vgl. Schwarz, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner<br />

Grundgesetz Bd. 3, Art. 113, Rn 6/Fn 27 – mit Verweis auf: Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 189; ders.<br />

in: Dreier Bd. III, Art.113 GG, Rn 1; Weis Artikel 113 Grundgesetz, S. 10 ff.<br />

667 Vgl. Gröpl, in: Bonner Kommentar Art. 113, Rn 29: „…Mit Art. 113 GG ist diese Vorschrift [Standing Order Nr.<br />

89] allerdings nur sehr bedingt vergleichbar: Durch die Standing Order zügelt sich das Parlament selbst, während Art. 113 GG<br />

diese Aufgabe der Bundesregierung überantworten will. Dementsprechend besitzen die Standing Orders nicht den Charakter förmlichen<br />

Verfassungsrechts – wovon <strong>im</strong> englischen Recht ohnehin nicht gesprochen werden kann-, sondern sind allenfalls dem Verfassungsgebrauch<br />

zuzurechnen. …“.

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