Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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228 D. Vetos im aktuellen deutschen Verfassungssystem durch den Bundespräsidenten sind zwar zweifelsohne notwendige Durchgangsstadien des Gesetzgebungsverfahrens 649 , aber eben nur im Sinne der Feststellung der Verbindlichkeit. Es handelt sich lediglich um eine integrierende, aber gerade nicht um eine integrale Funktion im Rahmen der Normsetzung. Nur bei derartiger Betrachtung passt sich die Ausfertigungskompetenz in die Gesamtsystematik des Grundgesetzes ein. Es ist womöglich nicht vielmehr als eine Unachtsamkeit des Parlamentarischen Rates gewesen, im Angesicht der seit der Kaiserverfassung bestehenden Diskussion um die Prüfungsrechte, keine eindeutigere Formulierung für das Grundgesetz zu finden. Dennoch gilt es zu erkennen, dass die Gesamteinpassung des Bundespräsidentenamtes eindeutig dafür spricht, ihn weitestmöglich aus dem Gesetzgebungsverfahren herauszuhalten. Dies gilt sowohl während des Gesetzgebungsverfahrens als auch wenn die zuständigen Organe ihre Arbeit bereits abgeschlossen haben und ein Gesetzesbeschluss vorliegt. Dass der Bundespräsident seiner Funktion nur nachkommen kann, wenn er sich als Staatsnotar begreift, lässt sich aus der Gesamtsystematik des Grundgesetzes nicht zwingend schließen. Der Kaiser oder der Weimarer Reichspräsident mussten kraft ihrer monarchischen bzw. demokratischen Legitimierung sicherlich mehr sein, als ‚Unterschriftenautomaten‛. Das Amt des Bundespräsidenten macht eine staatsnotarielle Kontrolle nicht absolut erforderlich. Diese Auffassung gilt auch angesichts des Amtseides in Art. 56 GG, der mit „das Grundgesetz […] wahren und verteidigen“ eine gewisse Kontrollaufgabe nahelegt. Der Amtseid ist jedoch nicht kompetenzbegründender, sondern allenfalls kompetenzausfüllender Natur. 650 Es ist somit im Wesentlichen die rechtsgeschichtliche Überlieferung des Prüfungsaspektes, die jenes Problem in den Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG hineinbringt. Wenn man diese Erkenntnis mitträgt, muss man den Widerspruch wahrnehmen, der dem Prüfungsveto aus Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG innewohnt. Dieser Widerspruch ergibt sich vor allem aus der monarchischen Tradition der Ausfertigung. Beim konstitutionellen Monarchen war sie richtig angesiedelt, da dieser auch über die Gesetzgebungsgewalt verfügte. Beim Bundespräsidenten, der weder hierüber noch über eine demokratische Legitimation verfügt, die der des Bundestages vergleichbar wäre, ist sie falsch verortet. Es kann ja sein, dass der Bundestag einer Beaufsichtigung bedarf, um nicht der Organallmacht obheim zu fallen. Um dies sicherzustellen, genügen jedoch die Kompetenzen des Bundesverfassungsgerichts. Es ist nicht ersichtlich, warum die generelle und sich nicht nur auf die Gesetzesintegration beziehende ‚Integratorenrolle‛ des Bundespräsidenten durch ein letztlich untaugliches Prü- 649 Vgl. Schlaich, Die Funktion des Bundespräsidenten im Verfassungsgefüge (§49), in: HStR II, Rn. 24. 650 So die weit überwiegende Meinung zur Wirkung des Amtseides. – Vgl. statt vieler Nierhaus, Entscheidung, Präsidialakt und Gegenzeichnung, S. 73; Schlaich, Der Status des Bundespräsidenten (§48), in: HStR II, Rn. 8; Stern, Staatsrecht Bd. II, S. 208; Brockmeyer, in Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 56, Rn 5; Herzog, in Maunz/Dürig, Art. 56, Rn 2, 20; Friauf, FS Carstens Bd. II, S. 550 ff; Fink in v.Mangoldt/Klein/Starck Bd. II, Art. 56, Rn 5.

I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz fungsveto aufs Spiel gesetzt werden sollte. Das vordemokratische Prüfungsveto aus Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG schadet dem Bundespräsidenten mehr, als es dem Institutionengefüge aufgrund seiner Kontrollkomponente nützt. Eine verfassungsändernde Mehrheit könnte der eigentlichen Funktion des Bundespräsidenten, wie diese durch das Grundgesetz konzipiert wurde, einen wichtigen Dienst erweisen, indem sie ihn von dem Ballast des Prüfungsvetos dispensieren würde. Es wäre ein Akt der Befreiung, der nicht nur die Gesetzgebungsorgane aufatmen ließe, sondern allen voran den Bundespräsidenten selbst, denn er ist letztlich Gefangener jenes überkommenden monarchischen Vetorechts. Konsequenterweise sollte der Bundespräsident, wenn er aufgrund seiner verfassungsrechtlichen Beschränkungen auf Protokollaufgaben systemlogisch mit keinem politischen Veto ausgestattet werden kann, in seinem „Integratorenamt“ dann auch nicht mit einem verfassungsrechtlichen Veto belastet werden. Insbesondere die fehlende fakultative Handhabung dieses Prüfungsvetos behindert einen Bundespräsidenten bei der Erfüllung seiner verfassungsmäßigen Integrationsaufgaben. Aus dieser Erkenntnis sollte der verfassungsändernde Gesetzgeber mittels der hierfür gemäß Art. 79 GG erforderlichen Mehrheiten und Verfahrensparameter den einzig richtigen Schluss ziehen: Die Herauslösung der monarchischen Altlast aus Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG, um den Bundespräsidenten somit vom Ballast des vetorechtserzeugenden Prüfungsrechts zu befreien. Folgende Änderungsmöglichkeiten würden hierfür beispielhaft in Frage kommen: (1) Zum einen könnte eine entsprechende Neuformulierung von Art. 82 Abs. 1 GG Klarheit schaffen; in dem der sich nunmehr über drei deutsche Verfassungen erstreckenden Streit um das Ausfertigungsprüfungsrecht mittels klarstellender Formulierung letztgültig beigelegt würde: In seiner Neufassung könnte Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG daher lauten: (Abs. 1) 1Die nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes zustande gekommenen Gesetze sind vom Bundespräsidenten nach Gegenzeichnung auszufertigen und im Bundesgesetzblatte zu verkünden. 2Im Falle evidenter Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der ausgefertigten Gesetze können die Gesetze vom Bundespräsidenten zum Zwecke der Prüfung dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt werden. 3Das Nähere regelt ein Bundesgesetz. […] 651 Mittels dieser Neuformulierung würde eine verbindliche Ausfertigungspflicht des Bundespräsidenten im Grundgesetz manifestiert. Es stünde dann nicht mehr in 651 Die Neuformulierung des S. 2 von Art. 82 Abs. 1 GG würde, wie bei den anderen Verfahrensarten vor dem Bundesverfassungsgericht, sowohl in Art. 93 Abs. 1 GG als auch im Bundesverfassungsgerichtsgesetz eine entsprechende verfahrenstechnische Flankierung erforderlich machen. 229

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D. Vetos <strong>im</strong> aktuellen <strong>deutschen</strong> <strong>Verfassungssystem</strong><br />

durch den Bundespräsidenten sind zwar zweifelsohne notwendige Durchgangsstadien<br />

des Gesetzgebungsverfahrens 649 , aber eben nur <strong>im</strong> Sinne der Feststellung<br />

der Verbindlichkeit. Es handelt sich lediglich um eine integrierende, aber gerade<br />

nicht um eine integrale Funktion <strong>im</strong> Rahmen der Normsetzung. Nur bei derartiger<br />

Betrachtung passt sich die Ausfertigungskompetenz in die Gesamtsystematik des<br />

Grundgesetzes ein.<br />

Es ist womöglich nicht vielmehr als eine Unachtsamkeit des Parlamentarischen<br />

Rates gewesen, <strong>im</strong> Angesicht der seit der Kaiserverfassung bestehenden Diskussion<br />

um die Prüfungsrechte, keine eindeutigere Formulierung für das Grundgesetz<br />

zu finden. Dennoch gilt es zu erkennen, dass die Gesamteinpassung des Bundespräsidentenamtes<br />

eindeutig dafür spricht, ihn weitestmöglich aus dem Gesetzgebungsverfahren<br />

herauszuhalten. Dies gilt sowohl während des Gesetzgebungsverfahrens<br />

als auch wenn die zuständigen Organe ihre Arbeit bereits abgeschlossen<br />

haben und ein Gesetzesbeschluss vorliegt. Dass der Bundespräsident seiner Funktion<br />

nur nachkommen kann, wenn er sich als Staatsnotar begreift, lässt sich aus<br />

der Gesamtsystematik des Grundgesetzes nicht zwingend schließen. Der Kaiser<br />

oder der We<strong>im</strong>arer Reichspräsident mussten kraft ihrer monarchischen bzw. demokratischen<br />

Legit<strong>im</strong>ierung sicherlich mehr sein, als ‚Unterschriftenautomaten‛.<br />

Das Amt des Bundespräsidenten macht eine staatsnotarielle Kontrolle nicht absolut<br />

erforderlich. Diese Auffassung gilt auch angesichts des Amtseides in Art. 56<br />

GG, der mit „das Grundgesetz […] wahren und verteidigen“ eine gewisse Kontrollaufgabe<br />

nahelegt. Der Amtseid ist jedoch nicht kompetenzbegründender, sondern<br />

allenfalls kompetenzausfüllender Natur. 650 Es ist somit <strong>im</strong> Wesentlichen die<br />

rechtsgeschichtliche Überlieferung des Prüfungsaspektes, die jenes Problem in den<br />

Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG hineinbringt.<br />

Wenn man diese Erkenntnis mitträgt, muss man den Widerspruch wahrnehmen,<br />

der dem Prüfungsveto aus Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG innewohnt. Dieser Widerspruch<br />

ergibt sich vor allem aus der monarchischen Tradition der Ausfertigung.<br />

Be<strong>im</strong> konstitutionellen Monarchen war sie richtig angesiedelt, da dieser auch über<br />

die Gesetzgebungsgewalt verfügte. Be<strong>im</strong> Bundespräsidenten, der weder hierüber<br />

noch über eine demokratische Legit<strong>im</strong>ation verfügt, die der des Bundestages vergleichbar<br />

wäre, ist sie falsch verortet.<br />

Es kann ja sein, dass der Bundestag einer Beaufsichtigung bedarf, um nicht der<br />

Organallmacht obhe<strong>im</strong> zu fallen. Um dies sicherzustellen, genügen jedoch die<br />

Kompetenzen des Bundesverfassungsgerichts. Es ist nicht ersichtlich, warum die<br />

generelle und sich nicht nur auf die Gesetzesintegration beziehende<br />

‚Integratorenrolle‛ des Bundespräsidenten durch ein letztlich untaugliches Prü-<br />

649 Vgl. Schlaich, Die Funktion des Bundespräsidenten <strong>im</strong> Verfassungsgefüge (§49), in: HStR II, Rn. 24.<br />

650 So die weit überwiegende Meinung zur Wirkung des Amtseides. – Vgl. statt vieler Nierhaus, Entscheidung,<br />

Präsidialakt und Gegenzeichnung, S. 73; Schlaich, Der Status des Bundespräsidenten (§48), in: HStR II, Rn. 8;<br />

Stern, Staatsrecht Bd. II, S. 208; Brockmeyer, in Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 56, Rn 5; Herzog, in<br />

Maunz/Dürig, Art. 56, Rn 2, 20; Friauf, FS Carstens Bd. II, S. 550 ff; Fink in v.Mangoldt/Klein/Starck Bd. II,<br />

Art. 56, Rn 5.

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