Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen
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226 D. Vetos im aktuellen deutschen Verfassungssystem Es erscheint jedoch fraglich, ob diese Konstellation nur auf Kosten der Implementierung eines quasimonarchischen Rechtes behoben werden kann und ferner ob die Kollateralschäden, die es verursacht, überdacht waren und heute noch gerechtfertigt erscheinen. Die Konsequenzen des systeminkongruenten Prüfungsvetos aus Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG wurden hier hinlänglich beschrieben. Es gäbe Alternativen, die diesen Spezialfall des Unterlaufens des 1/3 Quorums kompensieren würden. Eine solche Ausweichmöglichkeit wäre die Absenkung der Antragshürde auf Fraktionsgröße, gerade die Geschäftsordnung des Bundestages bietet hier einen brauchbaren und offensichtlich funktionalen Ansatz. 646 Eine weitere Alternative wäre die Reaktivierung des Gutachtenverfahrens 647 vor dem Bundesverfassungsgericht allein für die Verfassungszweifel des Bundespräsidenten. Diese Möglichkeit hätte die gleiche Prüfungsschärfe, wie die abstrakte Normenkontrolle und den Zweifeln des Bundespräsidenten wäre in jedem Fall hinreichend Rechnung getragen. Insbesondere könnte dieses Gutachtenverfahren bei fast gleichbleibendem Verfassungswortlaut an die Evidenz- und Offensichtlichkeitshürde gekoppelt werden. Wenn das Gutachten negativ ausfiele, könnte das Gutachtenverfahren durch das Bundesverfassungsgericht automatisch in eine Abstrakte Normenkontrolle umgewandelt werden. Die Antragshürde würde somit eine verfassungsgerichtliche Prüfung nicht mehr verhindern. Offensichtlich gäbe es also Möglichkeiten, den Bundespräsidenten aus dem politischen Raum, in den er sich mit dem Einsatz des Prüfungsvetos begibt und in dem er mangels Legitimation und Kompetenzzuweisung nichts zu suchen hat, herauszuhalten. Es ist folglich keine unabänderliche Konstruktion, dem Bundespräsidenten über die honorige Aufgabe der Herstellung des rechtsverbindlichen Staatsaktes hinaus eine weitergehende Prüfungskompetenz aufzubürden. Gerade der Umstand, dass der Bundespräsident seiner eigentlichen Aufgabe der Staatsaktbestellung nicht mehr gerecht werden kann, sollte die Frage nach der Systemkongruenz des Prüfungsrechtes seiner Substanz nach aufwerfen. Handelt es sich wirklich um eine verantwortungsvolle Konstruktion, wenn dem Bundespräsidenten ein Recht zugewiesen wird, welches er mit seiner Gesamtorgankonzeption gar nicht befriedigend ausfüllen kann? Er hat überhaupt nicht die Möglichkeit, die seinem Veto zugrunde liegende Rechtsauffassung durchzusetzen und wenn er es doch versucht, läuft er Gefahr seine moralische Hoheit zu verlieren. Diese ist jedoch, die das Amt des Bundespräsidenten eigentlich charakterisierende Funktion. Nicht verfassungsrechtliche Prüfkompetenz soll jenes Amt hervorstreichen, sondern die 646 § 10 Abs. 1 GOBT: „Die Fraktionen sind Vereinigungen von mindestens fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages, die derselben Partei oder solchen Parteien angehören, die auf Grund gleichgerichteter politischer Ziele in keinem Land miteinander im Wettbewerb stehen. Schließen sich Mitglieder des Bundestages abweichend von Satz 1 zusammen, bedarf die Anerkennung als Fraktion der Zustimmung des Bundestages.“ 647 Vgl. Gutachtenverfahren gemäß § 97 BVerfGG (Fassung bis 1956 – geändert durch Gesetzesnovelle v. 21.07.1956) Diese Bestimmung enthielt sowohl für Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung und den Bundespräsidenten, die Kompetenz beim Bundesverfassungsgericht einen Antrag auf Erstattung eines Rechtsgutachtens über eine bestimmte verfassungsrechtliche Frage zu stellen. – Vgl. Stern, Staatsrecht II, S. 948 – m.w.N. für die Streitfrage inwieweit das Gutachtenverfahren als taugliches Instrument erachtet werden kann.
I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz Integrität des Amtsinhabers bei der Ausfüllung seiner Protokollaufgaben. Allein deshalb benötigt das Amt auch keine besondere und bedeutungsvolle demokratische Legitimation. Diese würde letztlich mangels Aufgabenbereich auch nur ‚verpuffen‛, was wiederum dem Grundprinzip der Demokratie zuwiderliefe. Das alles unterscheidet den Bundespräsidenten unter dem Regime des Grundgesetzes von dem Staatsoberhaupt in den Vorläuferverfassungen Weimars und des Kaiserreichs. Weder die Rechtfertigung weitergehender Funktionen über eine monarchische Traditionslinie noch über eine unmittelbare Wahl flankiert von substantiellen Kompetenzen ist für das Amt des Bundespräsidenten nachzuweisen. Er ist nicht mehr als ein moralisches Staatsoberhaupt, dessen Aufgaben und Funktionen weit über das hinausgehen, was eine Verfassung in ihrem Wortlaut fixieren kann. Es wäre deshalb auch kein Kompetenzverlust, sondern ein Gewinn für das Amt des Bundespräsidenten, wenn seine Rolle im Verfassungssystem nicht auf die Funktion eines abschließenden Teils im Gesetzgebungsverfahren ausgedehnt würde. Denn der dem Gesetzgebungsverfahren innwohnende demokratische Legitimationsakt ist de facto beendet, wenn i.S.v. Art. 77 und 78 GG der Bundestag ein Gesetz beschlossen, der Bundesrat zugestimmt bzw. keinen Einspruch eingelegt hat. Die folgende Beteiligung des Staatsorgans Bundespräsident darf unter demokratischen Gesichtspunkten nur noch formalen Charakter haben, da sie dem Legislativakt keine höheren demokratischen Weihen mehr zu kommen lassen kann. Sowohl bei verfassungspolitischer als auch bei verfassungssystematischer Analyse des Grundgesetzes erweist diese Sichtweise ihre Richtigkeit. Lediglich die recht unpräzise Formulierung von Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG und der Amtseid des Bundespräsidenten (Art. 56 GG) geben fundierten Anlass, das Staatsorgan Bundespräsident mit einer Prüfungskompetenz auszustatten. Womöglich greift es zu weit, die Prüfungskompetenz als verfassungswidriges Verfassungsrecht zu bezeichnen, zumal dieses Institut in seiner Existenz hoch umstritten ist. Dennoch kommt man m. E. nicht um die Erkenntnis herum, dass es sich zumindest um inhomogenes Verfassungsrecht handelt, welches keinerlei Mehrwert für das Grundgesetz beinhaltet, als den demokratischen Rechtssetzungsprozess zu behindern. Es wäre ein großartiger Akt staatspolitischer Konsistenz endlich anzuerkennen, dass die Mütter und Väter des Grundgesetzes hier womöglich einfach ‚unsauber‛ gearbeitet haben. Bei der Gesamtbetrachtung des Grundgesetzes wird deutlich, dass der Bundespräsident kein mit dem Bundestag oder Bundesrat vergleichbarer Bestandteil der Gesetzgebung ist. Ihn über das Prüfungsveto an diese näher heran zu führen ist unnötig. Das Bundesverfassungsgericht sieht die Funktionen des Bundespräsidenten i.R.v. Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG vollkommen zu Recht als „integrierenden Bestandteil des Gesetzgebungsverfahrens“ 648 . Die Betonung muss jedoch auf der ‚Integratorenrolle‛ für die Gesetzgebung liegen. Ausfertigung und Verkündung 648 Vgl. BVerfGE 7, 330 (337); 42, 263 (283). 227
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D. Vetos <strong>im</strong> aktuellen <strong>deutschen</strong> <strong>Verfassungssystem</strong><br />
Es erscheint jedoch fraglich, ob diese Konstellation nur auf Kosten der Implementierung<br />
eines quas<strong>im</strong>onarchischen Rechtes behoben werden kann und ferner<br />
ob die Kollateralschäden, die es verursacht, überdacht waren und heute noch gerechtfertigt<br />
erscheinen. Die Konsequenzen des systeminkongruenten Prüfungsvetos<br />
aus Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG wurden hier hinlänglich beschrieben. Es gäbe Alternativen,<br />
die diesen Spezialfall des Unterlaufens des 1/3 Quorums kompensieren<br />
würden. Eine solche Ausweichmöglichkeit wäre die Absenkung der Antragshürde<br />
auf Fraktionsgröße, gerade die Geschäftsordnung des Bundestages bietet<br />
hier einen brauchbaren und offensichtlich funktionalen Ansatz. 646 Eine weitere<br />
Alternative wäre die Reaktivierung des Gutachtenverfahrens 647 vor dem Bundesverfassungsgericht<br />
allein für die Verfassungszweifel des Bundespräsidenten. Diese<br />
Möglichkeit hätte die gleiche Prüfungsschärfe, wie die abstrakte Normenkontrolle<br />
und den Zweifeln des Bundespräsidenten wäre in jedem Fall hinreichend Rechnung<br />
getragen. Insbesondere könnte dieses Gutachtenverfahren bei fast gleichbleibendem<br />
Verfassungswortlaut an die Evidenz- und Offensichtlichkeitshürde<br />
gekoppelt werden. Wenn das Gutachten negativ ausfiele, könnte das Gutachtenverfahren<br />
durch das Bundesverfassungsgericht automatisch in eine Abstrakte<br />
Normenkontrolle umgewandelt werden. Die Antragshürde würde somit eine verfassungsgerichtliche<br />
Prüfung nicht mehr verhindern.<br />
Offensichtlich gäbe es also Möglichkeiten, den Bundespräsidenten aus dem<br />
politischen Raum, in den er sich mit dem Einsatz des Prüfungsvetos begibt und in<br />
dem er mangels Legit<strong>im</strong>ation und Kompetenzzuweisung nichts zu suchen hat,<br />
herauszuhalten. Es ist folglich keine unabänderliche Konstruktion, dem Bundespräsidenten<br />
über die honorige Aufgabe der Herstellung des rechtsverbindlichen<br />
Staatsaktes hinaus eine weitergehende Prüfungskompetenz aufzubürden. Gerade<br />
der Umstand, dass der Bundespräsident seiner eigentlichen Aufgabe der Staatsaktbestellung<br />
nicht mehr gerecht werden kann, sollte die Frage nach der Systemkongruenz<br />
des Prüfungsrechtes seiner Substanz nach aufwerfen. Handelt es sich wirklich<br />
um eine verantwortungsvolle Konstruktion, wenn dem Bundespräsidenten ein<br />
Recht zugewiesen wird, welches er mit seiner Gesamtorgankonzeption gar nicht<br />
befriedigend ausfüllen kann? Er hat überhaupt nicht die Möglichkeit, die seinem<br />
Veto zugrunde liegende Rechtsauffassung durchzusetzen und wenn er es doch<br />
versucht, läuft er Gefahr seine moralische Hoheit zu verlieren. Diese ist jedoch,<br />
die das Amt des Bundespräsidenten eigentlich charakterisierende Funktion. Nicht<br />
verfassungsrechtliche Prüfkompetenz soll jenes Amt hervorstreichen, sondern die<br />
646 § 10 Abs. 1 GOBT: „Die Fraktionen sind Vereinigungen von mindestens fünf vom Hundert der Mitglieder<br />
des Bundestages, die derselben Partei oder solchen Parteien angehören, die auf Grund gleichgerichteter politischer<br />
Ziele in keinem Land miteinander <strong>im</strong> Wettbewerb stehen. Schließen sich Mitglieder des Bundestages<br />
abweichend von Satz 1 zusammen, bedarf die Anerkennung als Fraktion der Zust<strong>im</strong>mung des Bundestages.“<br />
647 Vgl. Gutachtenverfahren gemäß § 97 BVerfGG (Fassung bis 1956 – geändert durch Gesetzesnovelle v.<br />
21.07.1956) Diese Best<strong>im</strong>mung enthielt sowohl für Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung und den Bundespräsidenten,<br />
die Kompetenz be<strong>im</strong> Bundesverfassungsgericht einen Antrag auf Erstattung eines Rechtsgutachtens<br />
über eine best<strong>im</strong>mte verfassungsrechtliche Frage zu stellen. – Vgl. Stern, Staatsrecht II, S. 948 – m.w.N. für die<br />
Streitfrage inwieweit das Gutachtenverfahren als taugliches Instrument erachtet werden kann.