Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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224 D. Vetos im aktuellen deutschen Verfassungssystem oder der in seinen Rechten verletzte Bundesrat bzw. die Länder vorhalten werden. Oder der Bundespräsident fertigt nicht aus und suspendiert damit den demokratischen Mehrheitswillen. In beiden Fällen wird man ihm vorwerfen müssen, bei der Enthebung des Gesetzes aus dem pluralistischen Meinungsstreit versagt zu haben. Dies ist gerade deshalb anzuprangern, da es sich dabei um die am ehesten mit dem demokratischen Rechtsetzungsprozess vereinbare Funktionszuweisung zum Bundespräsidenten handelt. Diese Friktion erscheint insbesondere deshalb als vermeidlich, da es ja ein originäres Prüfungsorgan für verfassungsrechtliche Fragen bereits gibt: Das Bundesverfassungsgericht. 642 Bei diesem ist nicht nur die juristische Sachkunde beheimatet, um die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes abschließend beurteilen zu können, hier siedelt das Grundgesetz die diesbezügliche Kompetenz auch ausdrücklich an. Insbesondere hat die Zuweisung der Entscheidungsmacht, ob ein Gesetz in formeller und materieller Hinsicht der Verfassung entspricht, zum Verfassungsgericht, den nicht zu unterschätzenden Charme, dass dieser Entschluss nicht die dem Amt des Bundespräsidenten inne wohnende moralische Hoheit beschädigt. Wenn dieser hingegen in einem Organstreit unterliegen würde, welcher gegen ihn angestrengt wurde, da er ein Gesetz nicht ausgefertigt hat, dann wird er in seiner Amtszeit nicht nur keinen erneuten Versuch der Ausfertigungsverweigerung unternehmen, sondern der Amtsinhaber wird um ein Vielfaches mehr desavouiert. – Gerade weil das Amt des Bundespräsidenten, wie man allenthalben lesen kann 643 , so sehr von der Persönlichkeit des Inhabers lebt, hätte das „Unterliegen“ im Organstreit fundamentale Auswirkungen auf die moralische Hoheit des Amtsinhabers. Jener Makel würde ihm bis zum Ende seiner Amtszeit anhängen. Der Glanz des Staatsoberhauptes, den dieses Amt für seine moralische Autorität benötigt, wäre verblasst. Diese Autorität braucht ein Bundespräsident jedoch, wenn es darum geht, die Staatsmoral aufrecht zu erhalten. Nur ein „unbeschädigter“ Bundespräsident ist beispielsweise in der Lage, Leitbotschaften in den politischen Raum zu senden oder im Stande zu verhindern, dass in einem ‚haushaltspolitischen Amoklauf‛ der Nationalfeiertag zur „Deutschen Einheit“ zugunsten marginal erhöhter Einnahmen von Steuern und Sozialabgaben abgeschafft werden soll… 644 642 A.A. Schlaich, Die Funktion des Bundespräsidenten im Verfassungsgefüge (§49), in: HStR II, Rn. 40 ff. 643 Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 54, Rn 88; Leisner, Der Staatspräsident als „demokratischer Führer“, S. 451. 644 Im Herbst 2004 bereitete der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder die Abschaffung des Nationalfeiertags 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit, vor. Hierdurch sollte für die Wirtschaft ein arbeitspflichtiger Tag generiert werden, um somit die Einnahmen aus Steuern und Sozialabgaben, die auf bis zu 2 Mrd. Euro beziffert wurden, zu erhöhen. Hintergrund der Debatte war der Umstand, dass die Haushalte von Bund und Ländern wiederholt die Kriterien des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes nicht einhielten. (Vgl. FAZ NET, v. 05. Nov. 2004 & v. 06. Nov. 2004) Mit seinem schriftlichen Appell an den Bundeskanzler erreichte Bundespräsident Köhler ein Abrücken vom ursprünglichen Plan der Bundesregierung. Aus dem kurzen diesbezüglichen Schreiben v. 04. November 2004 lässt sich die moralische Macht des Bundespräsidentenamtes erahnen: „Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, Sie haben mich gestern über die Absicht der Bundesregierung informiert, den Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober als gesetzlichen Feiertag abzuschaffen. Der Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober trifft das Selbstverständnis unserer Nation. Dieser National-

I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz Es sind jedoch gerade diese Aufgaben, für welche das Grundgesetz den Bundespräsidenten konzipiert und mit moralischer Macht ausgestattet hat. Ganz bewusst verfügt er, anders als der Weimarer Reichspräsident, nicht über die ‚Waffen‛ um einen politischen ‚Kleinkrieg‛ für sich zu entscheiden. Die Fiktion juristischer Kompetenz, die für das Bundesverfassungsgericht durch seine Benennung in Art. 92 GG angenommen wird, erhebt dieses wiederum über die Parteilichkeit im Fall des verfassungsrechtlichen Zweifels. Wenn das Bundesverfassungsgericht aufgrund einer Abstrakten Normenkontrolle nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG angerufen wird, dann unterzieht es ein Gesetz nicht nur einer Evidenzkontrolle, sondern kann dessen Verfassungsmäßigkeit vollständig und letztverbindlich klären. 645 Kein Bürger müsste somit ohne die Prüfinstanz Bundespräsident fürchten, einem solchen Gesetz nur noch mit der Verfassungsbeschwerde entgegentreten zu können oder darauf verwiesen zu sein, zu hoffen, dass ein Gericht die Konkrete Normenkontrolle anstrengen würde. Die politische Aggressionskultur zwischen Regierungsmehrheit und Opposition wird in jedem Fall genügend Energie aufbringen, um die zweifelhafte Verfassungsmäßigkeit schon im Abstrakten Normenkontrollverfahren klären zu lassen. Egal ob nun durch die Parlamentsminderheit, oder durch eine Landesregierung oder sogar die Bundesregierung selber initiiert, der Verfassungszweifel würde mit größter Wahrscheinlichkeit seinen Weg vor das Bundesverfassungsgericht finden. Die demokratische Rückkopplung für diesen Kontrollantrag wäre allerdings um ein Vielfaches höher, als beim nichtausfertigenden Bundespräsidenten. Nur ein Fall ist denkbar, in welchem dieser Mechanismus versagen könnte und es eines weiteren Schutzwalls bedürfte. Nämlich im Falle übergroßer parlamentarischer Mehrheiten, wie sie insbesondere ‚Große Koalitionen‛ aufweisen. ‚Große Koalitionen‛ neigen zur Unsauberkeit bei ihrer Gesetzgebungsarbeit, da ihre parlamentarische Allmacht, insbesondere durch das Dominieren der Geschäftsordnung, den Gedanken an Verfassungsfriktionen nicht so häufig aufkommen lässt wie im Falle von knappen Mehrheiten im klassischen System der politischen Lager. Die Gefahr von einer starken Opposition vor dem Bundesverfassungsgericht als ‚Verfassungsbrecher‛ vorgeführt zu werden, macht ‚kleinere‛ politische Mehrheiten empfänglicher für die genauere Prüfung von vermeintlichen Verfassungsproblemen. In der Situation der ‚Großen Koalition‛ fehlt es jedoch oftmals an der erforderlichen Drittelmehrheit für den Antrag nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG. In einer solchen politischen Konstellation fiele die Kontrollmöglichkeit durch das auf den Antrag angewiesene Bundesverfassungsgericht tendenziell aus. feiertag ist wertvoll für unser Land. Wir ehren damit die demokratische Revolution von 1989 und drücken unsere Freude über die wiedergewonnene deutsche Einheit aus. Der 3. Oktober als Symbol für die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit ist wichtig für die Zukunft unseres Landes und sollte erhalten bleiben. Ich sehe Ihre Entscheidung mit Sorge. Es können überzeugendere Wege gefunden werden, um auch durch einen zusätzlichen Arbeitstag zur Konsolidierung der Staatsfinanzen beizutragen. In dieser Frage sollte ein breiter gesellschaftlicher Konsens hergestellt werden. …“. 645 Insbesondere müsste das Gesetz für eine solche Abstrakte Normenkontrolle nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG erst einmal durch den Bundespräsidenten ausgefertigt und verkündet werden, denn nur dann erlangt es seinen rechtsverbindlichen Charakter. 225

I. Vetoansatzpunkte <strong>im</strong> Grundgesetz<br />

Es sind jedoch gerade diese Aufgaben, für welche das Grundgesetz den Bundespräsidenten<br />

konzipiert und mit moralischer Macht ausgestattet hat. Ganz bewusst<br />

verfügt er, anders als der We<strong>im</strong>arer Reichspräsident, nicht über die ‚Waffen‛ um<br />

einen politischen ‚Kleinkrieg‛ für sich zu entscheiden. Die Fiktion juristischer<br />

Kompetenz, die für das Bundesverfassungsgericht durch seine Benennung in Art.<br />

92 GG angenommen wird, erhebt dieses wiederum über die Parteilichkeit <strong>im</strong> Fall<br />

des verfassungsrechtlichen Zweifels. Wenn das Bundesverfassungsgericht aufgrund<br />

einer Abstrakten Normenkontrolle nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG angerufen<br />

wird, dann unterzieht es ein Gesetz nicht nur einer Evidenzkontrolle, sondern<br />

kann dessen Verfassungsmäßigkeit vollständig und letztverbindlich klären. 645 Kein<br />

Bürger müsste somit ohne die Prüfinstanz Bundespräsident fürchten, einem solchen<br />

Gesetz nur noch mit der Verfassungsbeschwerde entgegentreten zu können<br />

oder darauf verwiesen zu sein, zu hoffen, dass ein Gericht die Konkrete Normenkontrolle<br />

anstrengen würde. Die politische Aggressionskultur zwischen Regierungsmehrheit<br />

und Opposition wird in jedem Fall genügend Energie aufbringen,<br />

um die zweifelhafte Verfassungsmäßigkeit schon <strong>im</strong> Abstrakten Normenkontrollverfahren<br />

klären zu lassen. Egal ob nun durch die Parlamentsminderheit, oder<br />

durch eine Landesregierung oder sogar die Bundesregierung selber initiiert, der<br />

Verfassungszweifel würde mit größter Wahrscheinlichkeit seinen Weg vor das<br />

Bundesverfassungsgericht finden. Die demokratische Rückkopplung für diesen<br />

Kontrollantrag wäre allerdings um ein Vielfaches höher, als be<strong>im</strong> nichtausfertigenden<br />

Bundespräsidenten.<br />

Nur ein Fall ist denkbar, in welchem dieser Mechanismus versagen könnte und<br />

es eines weiteren Schutzwalls bedürfte. Nämlich <strong>im</strong> Falle übergroßer parlamentarischer<br />

Mehrheiten, wie sie insbesondere ‚Große Koalitionen‛ aufweisen. ‚Große<br />

Koalitionen‛ neigen zur Unsauberkeit bei ihrer Gesetzgebungsarbeit, da ihre parlamentarische<br />

Allmacht, insbesondere durch das Dominieren der Geschäftsordnung,<br />

den Gedanken an Verfassungsfriktionen nicht so häufig aufkommen lässt<br />

wie <strong>im</strong> Falle von knappen Mehrheiten <strong>im</strong> klassischen System der politischen Lager.<br />

Die Gefahr von einer starken Opposition vor dem Bundesverfassungsgericht<br />

als ‚Verfassungsbrecher‛ vorgeführt zu werden, macht ‚kleinere‛ politische Mehrheiten<br />

empfänglicher für die genauere Prüfung von vermeintlichen Verfassungsproblemen.<br />

In der Situation der ‚Großen Koalition‛ fehlt es jedoch oftmals an der<br />

erforderlichen Drittelmehrheit für den Antrag nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG. In<br />

einer solchen politischen Konstellation fiele die Kontrollmöglichkeit durch das auf<br />

den Antrag angewiesene Bundesverfassungsgericht tendenziell aus.<br />

feiertag ist wertvoll für unser Land. Wir ehren damit die demokratische Revolution von 1989 und drücken unsere Freude über die<br />

wiedergewonnene deutsche Einheit aus. Der 3. Oktober als Symbol für die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit<br />

ist wichtig für die Zukunft unseres Landes und sollte erhalten bleiben. Ich sehe Ihre Entscheidung mit Sorge. Es können überzeugendere<br />

Wege gefunden werden, um auch durch einen zusätzlichen Arbeitstag zur Konsolidierung der Staatsfinanzen beizutragen. In<br />

dieser Frage sollte ein breiter gesellschaftlicher Konsens hergestellt werden. …“.<br />

645 Insbesondere müsste das Gesetz für eine solche Abstrakte Normenkontrolle nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG<br />

erst einmal durch den Bundespräsidenten ausgefertigt und verkündet werden, denn nur dann erlangt es seinen<br />

rechtsverbindlichen Charakter.<br />

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