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Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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D. Vetos <strong>im</strong> aktuellen <strong>deutschen</strong> <strong>Verfassungssystem</strong><br />

Das kann in der Normallage der Fall sein, wenn eine andere rechtliche Kontrolle ausnahmsweise<br />

nicht möglich ist oder zumindest zu spät käme. Der Ernstfall der rechtlichen Reservefunktion ist<br />

jedoch die gravierende Verfassungskrise. Daraus – um <strong>im</strong> Fall einer dem Ermächtigungsgesetz<br />

von 1933 etwa vergleichbaren Situation eine letzte Barriere zu Schutz der Verfassung zu errichten<br />

– gewinnt diese Kompetenz ihre eigentliche Rechtfertigung. …“ 639<br />

Es erscheint fraglich, ob dem Bundespräsidenten mit einer derartigen Aufgabenzuweisung,<br />

wie sie Schlaich zu konstruieren versucht, nicht eine zu große Aufgabe<br />

übertragen würde. Warum sollte das Grundgesetz zunächst ganz bewusst den<br />

Bundespräsidenten erst aller wirklich tauglichen Werkzeuge entkleiden, um ihm<br />

dann aber die größte zu vergebende Aufgabe zuzuweisen? Nachweislich ist das<br />

vorrangige Schutzziel des Grundgesetzes – das ‚nie wieder‛. Eine deutsche Verfassung<br />

sollte nie wieder den Boden für Diktatur und Totalitarismus jedweder Art<br />

bereiten. Es erklärt sich mir nicht, warum dieses demokratische und rechtsstaatliche<br />

Kernziel der Verfassung ausgerechnet in letzter Instanz durch den Bundespräsidenten<br />

geschützt werden soll. Also durch dasjenige Organ, welches <strong>im</strong> Vergleich<br />

zur We<strong>im</strong>arer Verfassung am weitestgehenden abgewertet wurde.<br />

Zumal auch die faktischen Folgen eines solchen letztinstanzlichen Verfassungsschutzbollwerks<br />

nicht übersehen werden dürfen: Ein Bundespräsident, der<br />

bei der Verfassungsauslegung einmal irrt und <strong>im</strong> Organstreitverfahren vom Bundesverfassungsgericht<br />

zur Ausfertigung „gezwungen“ würde, wäre für die restliche<br />

Amtszeit ein „lahmer“ Hüter der Verfassung. Ein einmal gescheiterter Bundespräsident<br />

hätte nicht die politische Kraft und vermeintlich auch nicht die Legit<strong>im</strong>ation<br />

erneut seine Rechtsauffassung, der des Bundestages und der der Bundesregierung<br />

entgegen zu stellen. Das Prüfungsveto erscheint zwar auf den ersten Blick als<br />

scharfes Schwert, da bei entsprechender verfassungsrechtlicher Begründung mit<br />

ihm fast absolute Einspruchswirkung einhergeht, dennoch würde es bei mehrmaligem<br />

Gebrauch schnell stumpf werden, insbesondere wenn dem Amtsinhaber das<br />

Fehlurteil bei der verfassungsrechtlichen Begutachtung nachgewiesen würde.<br />

Überdies muss auch die Frage gestellt werden: Was geschieht, wenn ein Bundespräsident<br />

sich selbst nicht auf eine ‚Evidenzkontrolle‛ beschränken wollte?<br />

Was, wenn er entgegen der Auffassung von Roman Herzog bereit ist, seine eigenen<br />

verfassungsrechtlichen Neigungen, „zu Tode zu reiten“ 640 ? Dann würde seine<br />

moralische Hoheit schnell umschlagen in die Position eines Quertreibers, eines<br />

Querulanten. Infolgedessen käme ihm in kürzester Zeit genau jene einzigartige<br />

639 Schlaich, Die Funktion des Bundespräsidenten <strong>im</strong> Verfassungsgefüge (§49), in: HStR II, Rn. 59.<br />

640 So geäußert von Roman Herzog noch als Bundespräsidentenkandidat, in: DER SPIEGEL Nr. 13 v. 28. März<br />

1994, S. 30 "Den Finger in die Wunden":<br />

„…Frage: Halten Sie an Ihrer Auffassung fest, dass der Bundespräsident alle Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen<br />

hat und die Unterschrift verweigern kann? Herzog: Daran halte ich fest. Auch deswegen, weil der Bundespräsident Bestandteil<br />

der exekutiven Gewalt ist. Er darf nach Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz nichts tun, was er für verfassungswidrig hält. Er muss<br />

allerdings den Verfassungsverstoß für evident halten, wenn er die Unterschrift verweigert, und er darf nicht seine eigenen verfassungsrechtlichen<br />

Neigungen zu Tode reiten. …“.

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