Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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220 D. Vetos im aktuellen deutschen Verfassungssystem Beim regulären Erlassvorgang für formelle Gesetze handelt es sich aber eben gerade nicht um den verfassungsrechtlichen Ausnahmezustand. Vielmehr stellt die Gesetzesprüfung nach Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG den Normalfall dar, der auch nicht dadurch dramatisiert wird, wenn das Prüfungsergebnis des Bundespräsidenten negativ ausfällt, weil jener die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes substantiell anzweifelt und daher nicht ausfertigt. Der Vetoprüfkompetenz kann also auch nicht im Angesicht der sonstigen Ausnahmerechte des Bundespräsidenten eine systematische Einpassung in Form der sog. Legalitätsreserve zuerkannt werden. Vielmehr steht das Vetorecht aus Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG als konsequente Fortentwicklung des konstitutionell-monarchischen Ausfertigungsrechts am Ende der Gesetzgebung, allein gegen die sonstige Verfassungssystematik des Grundgesetzes. Das vetoerzeugende Ausfertigungsverweigerungsrecht des Bundespräsidenten erscheint mithin als eine staatsstrukturelle Anomalie, welche einer ‚Inkonsequenz in der parlamentarischen Demokratie‛ 636 entspringt. Wie in dieser Arbeit aufgezeigt, machte es durchaus Sinn dem konstitutionellen Länderfürsten, nach der Beistimmung der Stände, als letztem Ausdruck seiner Gesetzgebungsmacht die Ausfertigung zuzugestehen. Dieser Partizipationsaspekt stimmte zwar schon nicht mehr für den Kaiser des Deutschen Reiches, dennoch sollte ihm als dem Sinnbild der Reichseinheit durch das Recht zur Gesetzesausfertigung ein symbolhaft-manifestes Recht zugestanden werden. Zudem muss den Reichsverfassungsgebern durchaus daran gelegen gewesen sein, dass dem Kaiser das monarchische Ausfertigungsrecht zugewiesen wurde. Hierdurch konnte der Kaiser deutlich als das monarchische Element der Verfassung hervortreten, womit verhindert wurde, dass der massive Einfluss der Ländermonarchen gegenüber der demokratischen Nationalrepräsentation allzu offensichtlich zu Tage trat. In Fortsetzung dieser Gegenspielerposition zum Parlament wurde der Reichspräsident in der Weimarer Republik bewusst als politischer Faktor konstruiert und mit unmittelbar legitimierter Macht ausgestattet. Die Systematik des Grundgesetzes sieht den Bundespräsidenten jedoch weder als politischen Mitspieler an, noch soll er aktiver Teilnehmer des Gesetzgebungsverfahrens sein. Wenn er ein solcher wäre, würde es durchaus Sinn machen, ihm ein Prüfungsrecht zuzugestehen. Als am Normsetzungsverfahren mittelbar beteiligtes Organ träfe ihn ebenso wie den Bundestag selbst das Verfassungsgebot legislatorischer Sorgfalt, für welches er dann, wie auch der Bundestag, originär verantwortlich zeichnen würde. 637 Ein anderes ist jedoch der Fall. Es gilt immer noch die Grundkonstante, dass der Bundespräsident vollständig aus dem Gesetzgebungsverfahren herausgehalten wurde. Ohne die juristische Auslegung des Verfassungswortlauts von Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG zugunsten der Prüfungsrechte wäre aus der Verfassung selbst die Prüfungsaufgabe und mithin ein Vetorecht nicht destillierbar. Das Grundgesetz böte keinerlei systematischen Ansatz, um eine der- 636 Vgl. Friesenhahn, FS für Leibholz, S. 682. 637 Vgl. Stern, Staatsrecht II, S. 616 & 623/624.

I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz artig fundamental in die Rechte des Bundestages eingreifende Kompetenz des Bundespräsidenten auszulesen und zu begründen. Die Wortlautbegründung für das formelle Prüfungsrecht und die Standardargumentation für die materielle Kontrollkomponente über Art. 20 GG, wonach sich auch der Bundespräsident als Organ der Exekutive an Gesetz und Recht halten müsse und daher nichts Verfassungswidriges ausfertigen darf, sind m.E. nicht mehr als eine Aktion von ‚goodwill‛, die man mit dem Wortlaut von Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG begründen kann, aber nicht zwingend muss. Dieses Kontrollfunktionsargument ähnelt nämlich problematischer Weise fatal der Idee eines „Hüters der Verfassung“. Jenem „Hütermodell“ also, das auf den Gedanken von Carl Schmitt 638 fußte und welches davon ausgeht, dass das Staatsoberhaupt ein starker „Führer“ sein soll, der nicht nur verfassungsmäßig machtvoll, sondern auch von Natur aus weitsichtig und allumfassend kompetent wäre. Dieser „Führer“ sollte dem unsauber arbeitenden und von Gruppeninteressen zerfressenden Parlament die Stirn bieten oder einem ausufernden Parlamentsabsolutismus Einhalt gebieten können. Im Blick hatte Carl Schmitt dabei wohl zuallererst das menschen- und rechtsstaatsfeindliche Modell der Nationalsozialisten im Dritten Reich, von dem, wenn man seine Werke zugrunde legt, er entweder überzeugt war oder welchem er zumindest damit das Wort schrieb. Für das Grundgesetz ist das „Verfassungshütermodell“ jedenfalls eine gänzlich untaugliche Konstruktion, da nichts darauf hindeutet, dass dieser Bundespräsident die Rolle eines politischen Führers einnehmen soll. Vielmehr soll der Präsident unter dem Regime des Grundgesetzes sich jeder eigenen politischen Agenda enthalten. Eine „Hüterschaft“ für die Verfassung setzte aber gerade Stärke voraus, welche dem Bundespräsidenten so nicht gegeben ist. Allein die politische Wirkung seiner Worte und Taten, die eher eine moralische „Hüterschaft“ sind als eine verfassungsrechtliche, verleihen der Ausfertigungsverweigerung ihre Schärfe und Dimension. Dieser faktischen Folge seiner herausgehobenen Rolle als Staatsoberhaupt fehlt es im Grunde jedoch sowohl an demokratischer Legitimation als auch an substantieller Aufgabenzuweisung im Grundgesetz. Ein Weiteres kommt hinzu: Wenn das Grundgesetz in Kenntnis der verfassungsrechtlichen Diskussionen um Art. 17 RV 1871 und Art. 70 WRV dem Bundespräsidenten eine „Hüterrolle“ zuschreiben wollte, dann hätte es ihn mit hierfür weitaus stärkeren Verteidigungsrechten ausstatten müssen. Anders die Argumentation Schlaichs, der bezüglich der Position des Bundespräsidenten von einem letzten Schutzwall ausgeht, welcher als eine Art Legalitätsreservekarte zum Schluss gespielt werden könnte, wenn alle anderen staatlichen Instanzen zu versagen drohen oder bewusst kollusiv versagen: „…Ihre eigentliche Bedeutung erlangt sie [die Legalitätsreserve] erst, wenn die normalen Mittel, verfassungswidriges Handeln anderer Staatsorgane zu verhindern oder zu beseitigen, versagen. 638 Carl Schmitt, Hüter der Verfassung . 221

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D. Vetos <strong>im</strong> aktuellen <strong>deutschen</strong> <strong>Verfassungssystem</strong><br />

Be<strong>im</strong> regulären Erlassvorgang für formelle Gesetze handelt es sich aber eben gerade<br />

nicht um den verfassungsrechtlichen Ausnahmezustand. Vielmehr stellt die<br />

Gesetzesprüfung nach Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG den Normalfall dar, der auch nicht<br />

dadurch dramatisiert wird, wenn das Prüfungsergebnis des Bundespräsidenten<br />

negativ ausfällt, weil jener die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes substantiell<br />

anzweifelt und daher nicht ausfertigt. Der Vetoprüfkompetenz kann also auch<br />

nicht <strong>im</strong> Angesicht der sonstigen Ausnahmerechte des Bundespräsidenten eine<br />

systematische Einpassung in Form der sog. Legalitätsreserve zuerkannt werden.<br />

Vielmehr steht das Vetorecht aus Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG als konsequente Fortentwicklung<br />

des konstitutionell-monarchischen Ausfertigungsrechts am Ende der<br />

Gesetzgebung, allein gegen die sonstige <strong>Verfassungssystem</strong>atik des Grundgesetzes.<br />

Das vetoerzeugende Ausfertigungsverweigerungsrecht des Bundespräsidenten<br />

erscheint mithin als eine staatsstrukturelle Anomalie, welche einer ‚Inkonsequenz<br />

in der parlamentarischen Demokratie‛ 636 entspringt.<br />

Wie in dieser Arbeit aufgezeigt, machte es durchaus Sinn dem konstitutionellen<br />

Länderfürsten, nach der Beist<strong>im</strong>mung der Stände, als letztem Ausdruck seiner<br />

Gesetzgebungsmacht die Ausfertigung zuzugestehen. Dieser Partizipationsaspekt<br />

st<strong>im</strong>mte zwar schon nicht mehr für den Kaiser des Deutschen Reiches, dennoch<br />

sollte ihm als dem Sinnbild der Reichseinheit durch das Recht zur Gesetzesausfertigung<br />

ein symbolhaft-manifestes Recht zugestanden werden. Zudem muss den<br />

Reichsverfassungsgebern durchaus daran gelegen gewesen sein, dass dem Kaiser<br />

das monarchische Ausfertigungsrecht zugewiesen wurde. Hierdurch konnte der<br />

Kaiser deutlich als das monarchische Element der Verfassung hervortreten, womit<br />

verhindert wurde, dass der massive Einfluss der Ländermonarchen gegenüber der<br />

demokratischen Nationalrepräsentation allzu offensichtlich zu Tage trat. In Fortsetzung<br />

dieser Gegenspielerposition zum Parlament wurde der Reichspräsident in<br />

der We<strong>im</strong>arer Republik bewusst als politischer Faktor konstruiert und mit unmittelbar<br />

legit<strong>im</strong>ierter Macht ausgestattet.<br />

Die Systematik des Grundgesetzes sieht den Bundespräsidenten jedoch weder<br />

als politischen Mitspieler an, noch soll er aktiver Teilnehmer des Gesetzgebungsverfahrens<br />

sein. Wenn er ein solcher wäre, würde es durchaus Sinn machen, ihm<br />

ein Prüfungsrecht zuzugestehen. Als am Normsetzungsverfahren mittelbar beteiligtes<br />

Organ träfe ihn ebenso wie den Bundestag selbst das Verfassungsgebot<br />

legislatorischer Sorgfalt, für welches er dann, wie auch der Bundestag, originär<br />

verantwortlich zeichnen würde. 637 Ein anderes ist jedoch der Fall. Es gilt <strong>im</strong>mer<br />

noch die Grundkonstante, dass der Bundespräsident vollständig aus dem Gesetzgebungsverfahren<br />

herausgehalten wurde. Ohne die juristische Auslegung des Verfassungswortlauts<br />

von Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG zugunsten der Prüfungsrechte wäre<br />

aus der Verfassung selbst die Prüfungsaufgabe und mithin ein Vetorecht nicht<br />

destillierbar. Das Grundgesetz böte keinerlei systematischen Ansatz, um eine der-<br />

636 Vgl. Friesenhahn, FS für Leibholz, S. 682.<br />

637 Vgl. Stern, Staatsrecht II, S. 616 & 623/624.

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