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Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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I. Vetoansatzpunkte <strong>im</strong> Grundgesetz<br />

dent nur noch darum, den Grundanforderungen eines republikanischen Systems<br />

zu genügen. Da die scheinbar ungefährliche Prüfungskompetenz nicht zur Rolle<br />

des Kanzlers als Regierungschef zu passen schien, verblieb dieses Recht be<strong>im</strong><br />

ursprünglichen Inhaber, dem Staatsoberhaupt. Mit jenem Fortbestand des auch<br />

deutscher Verfassungstradition entsprechenden Vetoprüfrechts aus Art. 82 Abs. 1<br />

S. 1 GG <strong>im</strong>portierten die Mütter und Väter des Grundgesetzes einen Systemlogikfehler<br />

in die bundesrepublikanische Nachkriegsverfassung. Die nicht genügend<br />

antizipierte oder gewürdigte Folge lässt sich bei jedem verfassungsrechtlich strittigen<br />

Gesetzesbeschluss erneut beobachten. 624 Insofern der Bundespräsident aufgrund<br />

von Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG auch nur in Erwägung zieht, ein Gesetz nicht<br />

auszufertigen, hat dies stets und ständig den ‚Beigeschmack‛ der Systemdiskrepanz.<br />

625<br />

Den Verfassungsmaterialien zu Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG sind zwar keine fixierten<br />

Motiväußerungen zu entnehmen, weswegen eine nähere Beschäftigung mit der<br />

Systemeinpassung des präsidentiellen Prüfungsvetos nicht erfolgte. Allerdings<br />

kann den Sammlungen zum Herrenchiemseekonvent 626 entnommen werden, welche<br />

Stellung der zukünftige Bundespräsident überhaupt einnehmen sollte. Inwie-<br />

624 Als eines der jüngeren Beispiele für dieses ‚Veto-Damoklesschwertes‛ lässt sich auf das „Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung“<br />

verweisen, dessen Inkrafttreten trotz der erforderlichen Beschlüsse von Bundestag und Bundesrat<br />

bis zum Schluss fraglich war und stetig die Nichtausfertigung des Bundespräsidenten <strong>im</strong> Raum stand. Es war<br />

bis zur Ausfertigung am 26.12.2007 unklar, ob das Gesetz, welches zum 01.01.2008 in Kraft treten sollte, wirklich<br />

rechtswirksam würde. Diese Vakanz lag weniger in der späten Beschlussfassung durch den Bundestag und Bundesrat<br />

<strong>im</strong> November/Dezember 2007, sondern vielmehr daran, ob die verfassungsrechtlichen Bedenken des<br />

Bundespräsidenten gegenüber dem politischen Mehrheitswille evident wären oder nicht.<br />

Als besonders problematisch erwies sich bei diesem Gesetzesvorhaben, dass es eine sog. ‚Antiterrormaßnahme‛<br />

darstellte und mithin die bundespräsidiale Ausfertigungsverweigerung aus rein verfassungsrechtlichen Bedenken<br />

den Polizeibehörden ein als wichtig erachtetes Antiterrorwerkzeug faktisch vorenthalten hätte. Im Falle eines<br />

terroristischen Anschlags, der durch eine mittels diesen Gesetzes avisierten Maßnahme hätte verhindert werden<br />

können, würde aber nicht der Bundespräsident, sondern der Bundesinnenminister die politische Verantwortung<br />

tragen müssen. Ein aus verfassungsrechtlichen Zweifeln nicht ausgefertigtes Gesetz könnte somit <strong>im</strong> Extremfall<br />

eine gesamte politische Mehrheit <strong>im</strong> Bundestag ins Wanken bringen, ohne dass der Bundespräsident hierfür<br />

legit<strong>im</strong>iert wäre bzw. die politische Verantwortung hierfür tragen müsste. Auch <strong>im</strong> umgekehrten Fall wäre denkbar<br />

gewesen, dass der Bundesminister des Inneren eine Maßnahme zur Abwendung eines terroristischen Angriffs<br />

hätte ergreifen müssen, obwohl ihm hierfür die gesetzliche Ermächtigung (mangels deren Ausfertigung) gefehlt<br />

hätte. Wären in einem solchen Fall Unbeteiligte zu Schaden gekommen, wäre der Innenminister politisch nicht<br />

zu halten gewesen.<br />

Insbesondere an diesem aktuellsten Beispiel wird deutlich, welche faktischen Folgen durch das Vetoprüfrecht<br />

hervorgerufen werden können. Der Bundespräsident, der nach der Konstruktion des Grundgesetzes aber über<br />

gar keine Gesetzgebungskompetenz verfügen sollte, bekommt hierüber auf die aktive Staatsleitung einen vergleichbaren<br />

Einfluss. Diese Systeminkongruenz tritt gerade <strong>im</strong> Katastrophenszenario deutlich hervor.<br />

625 Vgl. Berichte über die Reaktionen der Bundesregierung und der sie tragenden Parteien nachdem Bundespräsident<br />

Horst Köhler zum zweiten Mal innerhalb weniger Monate <strong>im</strong> Jahr 2006 einem Bundesgesetz die Ausfertigung<br />

aufgrund evidenter verfassungsrechtlicher Zweifel verweigerte. „…Zwischen Bundesregierung und Bundespräsident<br />

herrscht Hochspannung. Führende Koalitionspolitiker werfen dem Staatsoberhaupt vor, ein falsches Verständnis seiner Zuständigkeiten<br />

zu haben. …“ – Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 17. Dez. 2006, S. 1; ebenso A.a.O, S. 2 „…Doch<br />

Köhler weiß, daß die große Koalition in Wirklichkeit Gift und Galle gegen ihn spukt, <strong>im</strong> Kabinett wie in den Fraktionen: Er kennt<br />

die Grenzen nicht, sagen sie. Er suche noch <strong>im</strong>mer seine Rolle und reiße dabei ihre Arbeit nieder. Beleidigt hintertreibe er das<br />

Staatsoberhaupt die Regierungsgeschäfte, weil sein neoliberaler Wille nicht geschehe. ‚Machtanmaßung‛ und ‚Selbstüberschätzung‛<br />

sind Worte die Regierende über Köhler fallen lassen. …“.<br />

626 Vgl. Verfassungsausschuß der Ministerpräsidentenkonferenz der westlichen Besatzungszonen: Bericht über<br />

den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee, 10. bis 23. August 1948, S. 41 ff.<br />

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