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Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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D. Vetos <strong>im</strong> aktuellen <strong>deutschen</strong> <strong>Verfassungssystem</strong><br />

det, sondern dem Bewusstsein einer organschaftlichen Trennung von Entscheidungs-<br />

und Verantwortungssphäre <strong>im</strong> Grundgesetz. Sowohl die inhaltliche Beschlussfassung<br />

als auch der Beschluss selbst werden dem Bundespräsidenten nach<br />

dem Verfassungswortlaut vorenthalten. Dennoch ist er dem Legislativorgan gegenüber<br />

de facto mit einer Art Kontrollbefugnis ausgestattet. Für seine Nichtausfertigung<br />

muss er jedoch dem Wähler niemals Rechenschaft ablegen. Anderes gilt<br />

für den parteipolitisch gespeisten Deutschen Bundestag. Dessen Abgeordnete und<br />

Parteien müssen sich vor dem ‚demos‛, für den Nichterlass eines Gesetzes rechtfertigen.<br />

Dies wird umso schwieriger, wenn man ein Gesetz aus ‚Angst‛ vor der<br />

Nichtausfertigung des Bundespräsidenten erst gar nicht beschlossen hätte.<br />

Für das Parlament und die aus ihm hervorgehende und in Gesetzgebungsfragen<br />

federführende Bundesregierung stellt sich das Unterfangen somit als eine Art<br />

‚no-win-Situation‛ dar. Der politische Alltag und die tendenzielle Unbest<strong>im</strong>mtheit<br />

einer Verfassung können <strong>im</strong>mer wieder Konstellationen erzeugen, in denen die<br />

verfassungsrechtliche Beurteilung unsicher ist. Für die Regierung und die sie tragenden<br />

Parlamentsfraktionen stellt sich dann die Alternative: Entweder sie werden<br />

vom Bundespräsidenten gemaßregelt und als Verfassungsverletzer gebrandmarkt<br />

oder sie stellen sich selbst als ‚Drückeberger‛ dar, die sich hinter formaljuristischen<br />

Zweifeln verstecken.<br />

Fakt ist jedenfalls: Die einmalige Wiederwahlhürde des Bundespräsidenten<br />

(Art. 54 Abs. 2 GG) erscheint als zu geringe demokratische Rückkopplung seiner<br />

Arbeit, um ihm die Folgen seiner Nichtausfertigung politisch in Rechnung stellen<br />

zu können. Zumal die Mehrheiten in der Bundesversammlung nach jeder Landtagswahl<br />

schwanken können und die amtierende Regierungsmehrheit auf Bundesebene<br />

i.d.R. <strong>im</strong> Laufe ihrer Regierungszeit eher an dortigem Einfluss verliert und<br />

die Opposition hinzugewinnt. Ein Bundespräsident, der durch die Nichtausfertigung<br />

von für die Parlamentsminderheit unerwünschten Gesetzen in die Karten<br />

der Opposition spielt, wird sich vor dieser in der Bundesversammlung wohl nicht<br />

fürchten müssen. Zumal ein sich in zweiter Amtszeit befindlicher Bundespräsident<br />

derartige Betrachtungen sowieso nicht anstellen müsste.<br />

Alle diese Einzelerwägungen verbinden sich <strong>im</strong> Falle des präsidentiellen Verfassungsvetos<br />

aus Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG zu einem gut hörbaren ‚Aufschrei‛ der<br />

politischen Verantwortungsträger in der Bundesregierung und <strong>im</strong> Deutschen<br />

Bundestag. Dieser ‚Aufschrei‛ kann als Menetekel für eine staatsstrukturelle Anomalie<br />

erachtet werden, die in dem Umstand zu suchen ist, dass ein Staatsoberhaupt,<br />

dem eigentlich lediglich exekutiv-repräsentative Funktionen zuzuordnen<br />

sind und welches nur eine sog. demokratische Reservefunktion innehaben soll, das<br />

Recht zugestanden wird, ein vom gesetzgebenden Organ Bundestag <strong>im</strong> Zusammenwirken<br />

mit dem Bundesrat geschaffenes Gesetz 619 per verfassungsrechtlich<br />

begründeter Ausfertigungsverweigerung zu unterminieren. Dies kann letztlich nur<br />

619 Nichts anderes drückt nach wohl einhelliger Auffassung Art. 77 i.V.m 78 GG aus, Vgl. Pieroth, in Jarass/Pieroth,<br />

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland – Kommentar, Art. 77, Rn 2.

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