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Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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I. Vetoansatzpunkte <strong>im</strong> Grundgesetz<br />

Anstoß zu mannigfaltiger Kritik 605 aus dem politischen Raum 606 , die aber in Anbetracht<br />

der als schützenswert erachteten Institution des Bundespräsidenten zumindest<br />

für die mediale Wahrnehmung schnell wieder abebbte.<br />

Die beiden aktuellsten Fälle der Ausfertigungsverweigerung machen es mehr<br />

als offenkundig: Im Grundsatz können alle politischen Akteure auf der Verfassungsbühne<br />

durchaus damit leben, dass ein Bundespräsident den Bundesgesetzen<br />

ten Gesetze darauf zu prüfen, ob sie "nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes" zustande gekommen sind. Er ist nach eingehender<br />

Prüfung zu dem Ergebnis gekommen, dass das am 29. Juni 2006 vom Deutschen Bundestag und am 22. September 2006 vom<br />

Bundesrat verabschiedete Gesetz gegen das seit dem 1. September 2006 geltende Verbot des Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG verstößt,<br />

durch Bundesgesetz den Gemeinden und Gemeindeverbänden Aufgaben zu übertragen. Das Verbraucherinformationsgesetz, das vom<br />

Deutschen Bundestag vor und vom Bundesrat nach dem Inkrafttreten der Grundgesetzänderung verabschiedet wurde, trägt der durch<br />

die Föderalismusreform geänderten Verfassungslage nicht Rechnung. Maßstab für die Ausfertigungsprüfung des Bundespräsidenten<br />

ist die seit dem 1.September 2006 geltende Grundgesetzfassung (Vgl. BVerfGE 34, 9). Der Bundespräsident sah sich <strong>im</strong> Hinblick<br />

auf das nunmehr in Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG enthaltene Aufgabenübertragungsverbot für den Bund an Gemeinden und Gemeindeverbände<br />

daran gehindert, das Verbraucherinformationsgesetz auszufertigen. …“ – Quelle: Bundespräsidialamt: Pressemitteilung<br />

des Bundespräsidenten vom 08. Dez. 2006.<br />

605 Aus: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 17. Dez. 2006, S. 2 – „…Doch Köhler weiß, dass die Große Koalition<br />

in Wirklichkeit Gift und Galle gegen ihn spuckt, <strong>im</strong> Kabinett wie in den Fraktionen. Er erkenne seine Grenzen nicht, sagen sie.<br />

Er suche noch <strong>im</strong>mer seine Rolle und reiße dabei ihre Arbeit nieder. Beleidigt hintertreibe das Staatsoberhaupt die Regierungsgeschäfte,<br />

weil sein neoliberaler Wille nicht geschehe. ‚Machtanmaßung‛ und ‚Selbstüberschätzung‛ sind Worte, die Regierende über Köhler<br />

fallen lassen. …“;<br />

Aus: DIE ZEIT, v. 18. Jan. 2007, S. 4 – „…Dabei belässt es der Präsident nicht mehr be<strong>im</strong> Proklamieren. Auch aktiv fährt<br />

er der Koalition in die Parade. Wenn er nun schon zum zweiten Mal einem Gesetz der Koalition die Unterschrift verweigert, beruft<br />

er sich auf seinen grundgesetzlichen Prüfauftrag. In der Koalition wächst der Verdacht er überschreite seine Kompetenzen. Obwohl es<br />

bei diesem Streit um hochkomplexe, verfassungsrechtliche Fragen geht, darf sich Köhler auch hier breitester Zust<strong>im</strong>mung sicher sein,<br />

[…] Wer Gesetze der Großen Koalition stoppt, handelt offenbar populär. Und er stärkt mit seinem Veto zugleich den grassierenden<br />

Vorwurf, diese Koalition bringe einfach gar nichts zuwege. …“.<br />

Aus DER SPIEGEL, v. 19. Mai 2008, S. 27: Nach der kurz hintereinander folgenden Nichtausfertigung zweier<br />

Gesetze und der diesbezüglich massiven Kritik aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, maßgeblich geäußert von<br />

deren Parlamentarischen Geschäftsführer N. Röttgen, sah sich Bundeskanzlerin Merkel genötigt „…Köhler öffentlich<br />

zur Seite zu springen. Intern aber lobte sie Röttgen für seine Kritik. …“.<br />

606 Gerade die Nichtausfertigung durch Bundespräsident Horst Köhler innerhalb weniger Monate <strong>im</strong> Jahre 2006<br />

(„Neuregelung der Flugsicherung“ – 24.10.2006 & „Verbraucherinformationsgesetz“ – 08.12.2006) wurde <strong>im</strong><br />

politischen Raum als besonders dramatisch empfunden, nachdem die sieben Vorgänger Host Köhlers insgesamt<br />

lediglich sechs Gesetze nicht unterschrieben hatten:<br />

Zum ersten Mal verweigerte Bundespräsident Theodor Heuss seine Unterschrift aus formalen Gründen dem<br />

„Gesetz über die Verwaltung der Einkommens- und Körperschaftssteuer“, weil diesem die Zust<strong>im</strong>mung des<br />

Bundesrates gefehlt haben soll. Bundespräsident Heinrich Lübke unterschrieb 1960 das „Gesetz über den Betriebs-<br />

und Belegschaftshandel“ nicht, weil er die Freiheit der Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG) beeinträchtigt<br />

sah. Bundespräsident Gustav Heinemann wies 1969 das „Ingenieurgesetz“ und 1970 das „Architektengesetz“<br />

zurück, mit der Begründung, der Bund habe keine Zuständigkeitskompetenz. Bundespräsident Walter Scheel<br />

verweigerte 1976 dem „Gesetz gegen die Abschaffung der Gewissensprüfung bei Wehrdienstverweigerern“<br />

wegen fehlender Zust<strong>im</strong>mung des Bundesrates die Ausfertigung. In weiteren neun Fällen äußerte Bundespräsident<br />

Scheel massive Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen, fertigte aber dennoch aus. Darunter<br />

waren insb. der sog. Streikparagraph 116 und die Neuregelung der Parteienfinanzierung. Als letzter Bundespräsident<br />

fertigte Richard v. Weizsäcker 1991 das Privatisierungsgesetz zur Flugsicherung nicht aus, weil er Art. 87d<br />

Abs. 1 GG verletzt sah. Erst nach entsprechender Verfassungsänderung war Bundespräsident R. v. Weizsäcker<br />

dazu bereit auszufertigen.<br />

Schon vor den beiden aktuellsten Nichtausfertigungen gab es noch weitere Zweifelsfälle. So hatte Bundespräsident<br />

Roman Herzog 1994 massive Bedenken gegen die Änderung des „Atomgesetzes“, fertigte vor dem Hintergrund<br />

seiner Rolle als vormaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts aber dennoch aus. Auch Bundespräsident<br />

Host Köhler hatte schon <strong>im</strong> Jahr 2004 massive Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes. Er<br />

fertigte aber das fragliche „Luftsicherheitsgesetzes“ dennoch aus, wodurch er den Weg für die verfassungsgerichtliche<br />

Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht frei machte, welches am 13.02.2006 die Verfassungswidrigkeit<br />

zentraler Normen (insb. § 14 Abs. 3 LuftSiG) dieses Gesetzes feststellte – Vgl. BVerfGE 115, 118 ff.<br />

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