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Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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208<br />

D. Vetos <strong>im</strong> aktuellen <strong>deutschen</strong> <strong>Verfassungssystem</strong><br />

rungsrechtes eine Zurückhaltung auferlegt haben, die schon einem ‚presidential<br />

self-restraint‛ nahe kommt. 603<br />

Dennoch gilt es in jüngster Zeit zu beobachten, dass der Diskussionsverlauf<br />

um Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG den Boden des verfassungsrechtlichen Streits um die<br />

materielle Prüfrechtskomponente verlassen hat und nunmehr in grundsätzlicher<br />

Hinsicht aufflammt. Die Gründe hierfür allein in der monarchischen Determination<br />

des präsidentiellen Prüfungsvetos zu suchen, wäre wohl zu kurz gegriffen. Eine<br />

weitergehende politische D<strong>im</strong>ension tritt offenkundig hinzu. Gerade die zwe<strong>im</strong>aligen<br />

Anlässe 604 aus der Amtszeit von Bundespräsident Horst Köhler gaben den<br />

603 Insbesondere die hohen Hürden, die sich die Bundespräsidenten Karl Carstens, Richard von Weizsäcker und<br />

Johannes Rau auferlegten, sprechen hierüber Bände. Alle drei Genannten maßen ihre Entscheidung, ob sie bei<br />

verfassungsrechtlichen Zweifeln an einem Bundesgesetz die Ausfertigung verweigern dürften, an der Frage,<br />

inwieweit der verfassungsrechtliche Zweifel ‚offenkundig‛ und ‚zweifelsfrei‛ wäre. Da die konkreten Zweifelsfragen<br />

diese Hürden jeweils nicht nahmen, fertigte Bundespräsident Carstens das „Staatshaftungsgesetz“, Bundespräsident<br />

v. Weizsäcker das „Arbeitsförderungsgesetz“ und Bundespräsident Rau das „Zuwanderungsgesetz“ aus, um<br />

damit den Weg für ein vermeintliches Normenkontrollverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht frei zu<br />

machen.<br />

Bundespräsident Carstens schrieb diesbezüglich an den Bundeskanzler und den Präsidenten des Deutschen<br />

Bundestages und des Bundesrates: „…Die gegen das verfassungsgemäße Zustandekommen des Gesetzes erhobenen Bedenken<br />

wiegen schwer; doch reichen sie, da auch die Argumente zugunsten der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes vorgetragen werden, denen<br />

ein gewisses Gewicht nicht abzusprechen ist, nach meiner Ansicht nicht aus, um die Ausfertigung des Gesetzes durch den Bundespräsidenten<br />

abzulehnen. Zu einem solchen Verhalten würde ich mich nur veranlasst sehen, wenn die Unvereinbarkeit eines Gesetzes mit<br />

dem Grundgesetz für mich offenkundig und zweifelsfrei wäre. …“ – Schreiben d. Bundespräsidenten v. 26. Juni 1981, in:<br />

Bulletin der Bundesregierung Nr. 64 v. 02.07.1981, S. 545.<br />

In der Presseerklärung des von Bundespräsident R. v. Weizsäcker zum letztlich ausgefertigten Arbeitsförderungsgesetz<br />

heißt es: „…Bei der notwendigen rechtlichen Abwägung der Argumente für und wider das die Verfassungsmäßigkeit<br />

des Gesetzes ist er (der Bundespräsident) zu der Überzeugung gelangt, daß ein offenkundiger und zweifelsfreier Verfassungsverstoß,<br />

der ihn verpflichten hätte, von der Unterzeichnung abzusehen, nicht vorliegt. …“ – Vgl. Pflüger, Von Heuss bis Weizsäcker:<br />

Hüter des Grundkonsenses. Das Amt des Bundespräsidenten in Theorie und Praxis, in: FS Bracher, S. 387.<br />

Johannes Rau erklärte i.R. einer Rede zur Ausfertigung am 20. Juni 2002: „…Nach Abwägung aller Gesichtspunkte<br />

habe ich das Zuwanderungsgesetz heute morgen unterzeichnet und den Auftrag zur Verkündung <strong>im</strong> Bundesgesetzblatt erteilt. Nach<br />

der Kompetenzordnung des Grundgesetzes und nach der Staatspraxis ist der Bundespräsident nur dann berechtigt und verpflichtet,<br />

von der Ausfertigung eines Gesetzes abzusehen, wenn er die sichere Überzeugung gewonnen hat, dass zweifelsfrei und offenkundig ein<br />

Verfassungsverstoß vorliegt. Zu dieser Überzeugung bin ich <strong>im</strong> vorliegenden Fall nicht gekommen. Ich habe heute einen Brief an die<br />

drei am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Verfassungsorgane geschrieben, an den Bundeskanzler und an die Präsidenten von<br />

Bundestag und Bundesrat, in dem ich sie über meine Entscheidung unterrichte. ...“ – Quelle:<br />

http://www.bundespraesident.de/dokumente/-,2.85177/Rede/dokument.htm .<br />

604 Bundespräsident Horst Köhler verweigerte zunächst am 24.10.2006 dem Gesetz zur Neuregelung der Flugsicherung<br />

die Ausfertigung. In seinem Begründungsschreiben an die Bundeskanzlerin und die Präsidenten des<br />

Bundestags und des Bundesrats begründete Bundespräsident Horst Köhler die Entscheidung: „…Der Bundespräsident<br />

hat gemäß Artikel 82 Absatz 1 Satz 1 Grundgesetz die verfassungsrechtliche Pflicht, die ihm zur Ausfertigung vorgelegten<br />

Gesetze darauf zu prüfen, ob sie "nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes" zustande gekommen sind. Er ist nach eingehender<br />

Prüfung zu dem Ergebnis gekommen, dass das am 7. April 2006 vom Bundestag verabschiedete Gesetz gegen Art. 87 d Abs. 1<br />

GG verstößt. Zur evidenten Verfassungswidrigkeit des Gesetzes zur Neuregelung der Flugsicherung führen die Unvereinbarkeit einer<br />

kapitalprivatisierten Flugsicherungsorganisation mit dem Erfordernis der bundeseigenen Verwaltung, die sich aus dem Flugsicherungsgesetz<br />

unmittelbar ergebende zeitliche Befristung der vorgesehenen Steuerungs- und Kontrollrechte des Bundes sowie die geringen<br />

gesellschaftsrechtlichen Einflussmöglichkeiten aufgrund einer Minderheitsbeteiligung. Die Entscheidung des Bundespräsidenten richtet<br />

sich nicht gegen die Privatisierung einer staatlichen Aufgabe. Eine solche Privatisierung kann jedoch nur nach Maßgabe des geltenden<br />

Verfassungsrechts erfolgen. Dem Gesetzgeber ist es unbenommen die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für sein Vorhaben zu<br />

schaffen. …“.<br />

Im zweiten und bisher letzten Fall entschied sich Bundespräsident Horst Köhler am 08.12.2006 gegen die Ausfertigung<br />

des „Verbraucherinformationsgesetzes“ und begründete dies in seinem Begleitschreiben an die Bundeskanzlerin<br />

und die Präsidenten des Bundestags und des Bundesrats inhaltlich folgendermaßen: „… Der Bundespräsident<br />

hat gemäß Artikel 82 Absatz 1 Satz 1 Grundgesetz die verfassungsrechtliche Pflicht, die ihm zur Ausfertigung vorgeleg-

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