Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen
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204 D. Vetos im aktuellen deutschen Verfassungssystem tisch falsch und ist daher in absoluter Form zurück zu weisen. Meines Erachtens hat Bodo Pieroth hierzu eine passende Abschlussformulierung gefunden, die die Obsoletheit, der für das monarchische Prinzip entwickelten Sanktionsthese in Bezug auf parlamentarische Regierungssysteme, mannigfaltig zusammenfasst: „…Die einzelnen Elemente dieser Lehre stehen im Widerspruch zu geltendem Verfassungsrecht oder sind begriffsjuristisches Glasperlenspiel. […] Insgesamt ist die Lehre funktionslos; der Begriff ‚Sanktion‛ ist überflüssig; wenn er verwendet wird, stiftet er nur Verwirrung. Es wäre an der Zeit, ihn ganz fallen zu lassen. …“ 593 Dieser Erkenntnis von Bodo Pieroth gilt es uneingeschränkt zuzustimmen, und in der Endkonsequenz für die Vetoaspekte aus Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG hervor zu streichen, dass aus dem Prüfungsrecht des Bundespräsidenten zwar ein quasi devolutives Vetorecht lesbar ist, dieses aber in keinerlei Zusammenhang zum Themenkreis der Gesetzessanktion gesetzt werden darf. 594 e. Systemkonformität des präsidentiellen Prüfungsrechts – Analyse der verfassungs- und staatspolitischen Tauglichkeit des Präsidentenvetos im Parlamentarismus Als grundsätzliche systematische Bestandsaufnahme der Rechte des Bundespräsidenten aus Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG kann vorangestellt werden, dass es durchaus richtig ist, wenn die mediale Begleitung 595 diesbezüglich regelmäßig von Vetos des Staatsoberhauptes spricht und schreibt. Zweifelsohne erfüllt das präsidiale Prüfungsrecht alle Qualitätskriterien, die an ein Vetorecht zu stellen sind. Oftmals schwingt dennoch die Frage mit, inwieweit der Bundespräsident bei der Anwendung seines Vetoprüfrechts ‚über den Zaun frisst‛. Wenn man in dem Sprachgebrauch des ehemaligen Bundespräsidenten Walter Scheel bleiben möchte, der diese ‚Über den Zaun fressen‛-These in Bezug auf die damalige Bundesregierung unter Bundeskanzler Helmut Schmidt kreierte, dann gilt es zunächst festzustellen: Über wessen Zaun der Bundespräsident denn da eigentlich fressen würde? Grundsätzlich in Betracht käme nur der Zaun, der den legislatorischen Bereich des Bundestages einhegt. Es ist jedoch insbesondere die Bundesregierung, welche den Eindruck hat, dass der Bundespräsident auf eine ihm nicht zugeordnete Kompetenzwiese eindringt. Dem dabei unverhohlen mitschwingenden Vorwurf, der Bundespräsident trete im Falle des Vetoeinsatzes als Usurpator fremder Rechte auf, soll an dieser Stelle jedoch grundsätzlich entgegengetreten werden. Vielmehr wird bei Betrachtung des Verfassungstextes deutlich, dass der Bundespräsi- 593 Pieroth, Die Sanktion im Gesetzgebungsverfahren, in: Der Staat (16) 1977, S. 567. 594 Ebenso: Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, S. 164 ff. 595 Vgl. DIE ZEIT Nr. 4, v. 18. Januar 2007, S. 4; Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 17. Dez 2006, S. 2.
I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz dent bei Anerkennung des formellen und materiellen Prüfungsrechtes durchaus auf seiner „Kompetenzwiese“ verbleibt und eigentlich nichts anderes tut als einen Kernbereich seines Aufgabenspektrums auszufüllen. Insbesondere beim vom derzeitigen Bundespräsidenten Horst Köhler nicht ausgefertigten Verbraucherinformationsgesetz wurde deutlich, dass es der Bundesgesetzgeber selbst war, also der Deutsche Bundestag „angestiftet“ von der initiierenden Bundesregierung, der außerhalb seiner Zuständigkeit Gesetze erlassen wollte und somit auf fremder Kompetenzwiese ‚fraß‛. Es gilt also allen weitergehenden Analysen voranzustellen, dass sich diejenigen Bundespräsidenten, welche Gesetze basierend auf dem Prüfrecht aus Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG nicht ausfertigten, im Rahmen ihrer Kompetenzen hielten. Dennoch ist das ‚Wutschnauben‛ des politischen Raumes unüberhörbar und der Vorwurf des Parlamentarischen Geschäftsführers der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, ‚der politische Wille des Parlaments komme nicht zur Umsetzung‛ 596 zumindest faktisch nicht zu leugnen. Die hier eigentlich bedeutsame Fragestellung muss allerdings auf einer anderen Diskussionsebene angesiedelt werden, als derjenigen, der Bundespräsident handle kompetenzwidrig, das tut er nämlich ganz und gar nicht. Den tieferliegenden Ursachen dieser Verstimmung soll daher nachgegangen und gleichsam mögliche Lösungsansätze offeriert werden. aa. Monarchische Determinationen und politische Friktionslinien Nicht nur bei der Betrachtung der Sanktionsthese, sondern auch bei der näheren Beleuchtung der Einspruchsrechte aus Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG an sich fallen für die Vetorechtsanalyse insbesondere die historischen Determinationen auf, die wie ein Netz zwischen den einzelnen Vetoansatzpunkten geknüpft sind. Gerade auch das an dieser Stelle im Mittelpunkt stehende präsidentielle Prüfungsrecht weist expliziten Bezug zu seinen „Verfassungsvorläufern“ auf. Es fällt auf, dass deren Interpretationshoheit tendenziell bis heute nicht verloren gegangen ist. Besonders deutlich vor Augen tritt dieser Umstand bei den Argumentationslinien bezüglich der materiellen Dimension des präsidialen Prüfrechts, die sich zum Großteil aus Reflektionen der Verfassungshistorie speisen. Es stellt sich jedoch die Frage, inwieweit eine demokratische Verfassung wie das Grundgesetz mit ihren starken parlamentarischen Ausformungen ein Vetorecht „beherbergen“ kann, welches seinen Ursprung in einer untergegangenen Verfassungswelt hat. Dies ist nicht schon aus Prinzip zu hinterfragen, denn die 596 Norbert Röttgen, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag in einem Interview zur zweiten Nichtausfertigung eines Bundesgesetzes im Jahr 2006. – Vgl. SPIEGEL online, v. 14. Dez. 2006. Norbert Röttgen führte im gleichen Zusammenhang aus, dass die zeitlich unmittelbar aufeinander folgende Nichtausfertigung zweier Gesetze dazu geeignet sei, ‚das Verfassungsgefüge in Frage zu stellen‛ - Zitiert aus: Der Politikverdrossene, in: DER SPIEGEL, v. 19. Mai 2008, S. 26 (27). 205
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I. Vetoansatzpunkte <strong>im</strong> Grundgesetz<br />
dent bei Anerkennung des formellen und materiellen Prüfungsrechtes durchaus<br />
auf seiner „Kompetenzwiese“ verbleibt und eigentlich nichts anderes tut als einen<br />
Kernbereich seines Aufgabenspektrums auszufüllen. Insbesondere be<strong>im</strong> vom<br />
derzeitigen Bundespräsidenten Horst Köhler nicht ausgefertigten Verbraucherinformationsgesetz<br />
wurde deutlich, dass es der Bundesgesetzgeber selbst war, also<br />
der Deutsche Bundestag „angestiftet“ von der initiierenden Bundesregierung, der<br />
außerhalb seiner Zuständigkeit Gesetze erlassen wollte und somit auf fremder<br />
Kompetenzwiese ‚fraß‛. Es gilt also allen weitergehenden Analysen voranzustellen,<br />
dass sich diejenigen Bundespräsidenten, welche Gesetze basierend auf dem Prüfrecht<br />
aus Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG nicht ausfertigten, <strong>im</strong> Rahmen ihrer Kompetenzen<br />
hielten.<br />
Dennoch ist das ‚Wutschnauben‛ des politischen Raumes unüberhörbar und<br />
der Vorwurf des Parlamentarischen Geschäftsführers der CDU/CSU-Fraktion <strong>im</strong><br />
Deutschen Bundestag, ‚der politische Wille des Parlaments komme nicht zur Umsetzung‛<br />
596 zumindest faktisch nicht zu leugnen. Die hier eigentlich bedeutsame<br />
Fragestellung muss allerdings auf einer anderen Diskussionsebene angesiedelt<br />
werden, als derjenigen, der Bundespräsident handle kompetenzwidrig, das tut er<br />
nämlich ganz und gar nicht. Den tieferliegenden Ursachen dieser Verst<strong>im</strong>mung<br />
soll daher nachgegangen und gleichsam mögliche Lösungsansätze offeriert werden.<br />
aa. Monarchische Determinationen und politische Friktionslinien<br />
Nicht nur bei der Betrachtung der Sanktionsthese, sondern auch bei der näheren<br />
Beleuchtung der Einspruchsrechte aus Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG an sich fallen für<br />
die Vetorechtsanalyse insbesondere die historischen Determinationen auf, die wie<br />
ein Netz zwischen den einzelnen Vetoansatzpunkten geknüpft sind. Gerade auch<br />
das an dieser Stelle <strong>im</strong> Mittelpunkt stehende präsidentielle Prüfungsrecht weist<br />
expliziten Bezug zu seinen „Verfassungsvorläufern“ auf. Es fällt auf, dass deren<br />
Interpretationshoheit tendenziell bis heute nicht verloren gegangen ist. Besonders<br />
deutlich vor Augen tritt dieser Umstand bei den Argumentationslinien bezüglich<br />
der materiellen D<strong>im</strong>ension des präsidialen Prüfrechts, die sich zum Großteil aus<br />
Reflektionen der Verfassungshistorie speisen.<br />
Es stellt sich jedoch die Frage, inwieweit eine demokratische Verfassung wie<br />
das Grundgesetz mit ihren starken parlamentarischen Ausformungen ein Vetorecht<br />
„beherbergen“ kann, welches seinen Ursprung in einer untergegangenen<br />
Verfassungswelt hat. Dies ist nicht schon aus Prinzip zu hinterfragen, denn die<br />
596 Norbert Röttgen, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion <strong>im</strong> Deutschen Bundestag in<br />
einem Interview zur zweiten Nichtausfertigung eines Bundesgesetzes <strong>im</strong> Jahr 2006. – Vgl. SPIEGEL online, v.<br />
14. Dez. 2006.<br />
Norbert Röttgen führte <strong>im</strong> gleichen Zusammenhang aus, dass die zeitlich unmittelbar aufeinander folgende<br />
Nichtausfertigung zweier Gesetze dazu geeignet sei, ‚das Verfassungsgefüge in Frage zu stellen‛ - Zitiert aus: Der<br />
Politikverdrossene, in: DER SPIEGEL, v. 19. Mai 2008, S. 26 (27).<br />
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