Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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200 D. Vetos im aktuellen deutschen Verfassungssystem des Bundesrates, die in Art. 78 in positiver Gestaltung erscheinen, der Beschluß hinfällig wird. […] Hat nun der Bundesrat zugestimmt, den Antrag gemäß Art 77 Abs. 2 nicht gestellt, innerhalb der Frist des Art. 77 Abs. 3 keinen Einspruch eingelegt, […] so ist das ‚Gesetz‛ nach Art. 78 ‚zustande gekommen‛, d.h. der bedingt wirksame Gesetzesbeschluß des Bundestages ist voll wirksam geworden. […] …ist für alle an der Gesetzgebung beteiligten Staatsorgane verbindlich geworden, es ist nur noch nicht ein für den Bürger verbindliches Gesetz. Diese Verbindlichkeit – Wirksamkeit nach außen – erlangt der Gesetzesbeschluß erst durch die Ausfertigung und Verkündung. …“ 585 Zum anderen sollen auch die Ausführungen von Karl Heinrich Friauf gewürdigt werden, der die Ausfertigung in die Nähe der Sanktion und diese in die Nähe des Vetos bringt: „…Die Ausfertigung eines Gesetzes durch das Staatsoberhaupt weist dort einen Inhaltsbezug auf, wo das Staatsoberhaupt nach dem geltenden Verfassungsrecht einen Faktor der gesetzgebenden Gewalt darstellt und deshalb zu einer – wenn auch möglicherweise beschränkten – Willensbildung in Bezug auf den Erlaß des Gesetzes befugt ist. Die Sanktion des Gesetzes durch den Monarchen im Verfassungssystem der konstitutionellen Monarchie bildet hierfür wohl den nächstliegenden Beleg. Ähnlich ist die Lage beim amerikanischen Präsidenten, der kraft seiner Veto-Power an der gesetzgebenden Gewalt beteiligt ist. Er kann und muß sein Vetorecht gegebenenfalls auch ausüben, wenn er einen vom Kongreß gefaßten Beschluß für verfassungswidrig hält. …“ 586 In diesen, sich zielgerichtet mit dem Prüfungsrecht aus Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG beschäftigenden streitbaren Beiträgen, zeigt sich, dass Ernst Friesenhahn ein ‚Jünger‛ des Labandschen Sanktionsgedankens war und Karl Heinrich Friauf wohl noch ist. In der Folge haben beide versucht, an der unnötigen Zersplitterung des Gesetzgebungsverfahrens in die Feststellung des Inhalts, den Beschluss und die eigentliche Sanktion auch für das Grundgesetz festzuhalten. Dieser Ansatz allein erweist sich noch nicht als problematisch genug, um die Sanktionsthese für den Ausfertigungsakt des Bundespräsidenten als bedenklich zu erachten, da sowohl Friesenhahn als auch Friauf zugegebener Maßen dann doch die richtige Sanktionszuordnung beim Bundestag vornehmen. Problembelasteter erscheinen diese Importe rechtshistorischer Kompetenzen im Zusammenspiel mit einigen Formulierungen des Bundesverfassungsgerichts 585 Friesenhahn, in: FS Leibholz Bd. 2, S. 681. 586 Friauf, in: FS Carstens Bd. 2, S. 552/553 – Insbesondere beim Beitrag von Friauf zeigt sich, dass auch er zumindest hier nicht konsequent die Unterschiede zwischen Vetorecht und Sanktion würdigt. Die Sanktion des konstitutionellen Monarchen war, wie hier hinlänglich aufgezeigt, eben nicht nur ein Akt der Beteiligung, sondern der Ausdruck der eigentlichen Inhaberschaft der Gesetzgebung des Monarchen. Die ‚Veto-Power‛ des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika stellt jedoch etwas ganz anderes dar. Sie ist lediglich externe exekutive Einflussmöglichkeit auf die Gesetzgebungsprodukte von Senat und Repräsentantenhaus als Teilhäuser des Legislativorgans Kongreß. Der Umstand, dass zwischen Sanktion und Veto eben gerade dieser fundamentale Strukturunterschied liegt, ist Friauf bei seiner Darstellung nicht präsent.

I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz zum Prüfungsrecht des Bundespräsidenten. In deren Kontext könnten diese Darstellungen Friesenhahns und Friaufs potentiell den Boden für einen manifesten Zuordnungsansatz der Sanktion beim Bundespräsidenten bieten. Das Bundesverfassungsgericht stellte i.R. einer schon oben erwähnten Funktionsanalyse für den Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG fest, dass es sich bei den Akten der Ausfertigung und Verkündung um keine bloßen Zutaten, sondern um integrierende Bestandteile des Gesetzgebungsverfahrens handelt. 587 Es erfolgte überdies zwar ein einschränkender Einschub, dass es sich bei den Rechten aus Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG insofern letztlich doch nur um solche von formaler Natur handele, was zur Folge hat, dass dem Bundespräsidenten Einwirkungsmöglichkeiten auf den Gesetzesinhalt durch Art. 82 Abs. 1 S. 1 mithin nicht vermittelt würden. Im Schrifttum 588 wird, im Wesentlichen inspiriert durch die Formulierungen des Bundesverfassungsgerichts, ausgeführt, dass das Rechtssetzungsverfahren erst durch die Ausfertigung und Verkündung mit konstitutiver Wirkung abgeschlossen würde. Folglich sei dieser abschließende Akt nicht lediglich als „Wurmfortsatz“ anzusehen. Erst mit der ordnungsgemäßen Ausfertigung und Verkündung soll die Norm somit rechtlich wirklich existent werden. Aus dieser Bestandaufnahme der Wahrnehmung ließe sich problemlos schließen, es handele sich bei dem Recht aus Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG nicht nur um ein ‚formaljuristisches Placebo‛, sondern um ein essentiell-konstitutives Recht des Bundespräsidenten, ohne welches Gesetzgebung unter dem Primat des Grundgesetzes nicht möglich ist. Dies fiele umso leichter, wenn man wie E. R. Huber sogar bereit war, in dem Ausfertigungs- und Verweigerungsrecht des Kaisers aus Art. 17 RV 1871 eine Sanktionsgewalt mit verfassungsrechtlicher Intendierung zu erkennen, die gleichsam ein Vetorecht darstellt. 589 Im Rahmen dieser Melange aus historischer Verkennung und freimütiger Verfassungsinterpretation könnte theoretisch problemlos der Ansatz dazu gefunden werden, dem Bundespräsidenten auch auf der Sanktionsbasis ein Vetorecht zuzuerkennen. Das Grundgesetz würde dies schon allein deshalb erleichtern, weil beim Prüfungsrecht des Bundespräsidenten relativ unkritisch an das Ausfertigungs- und Verkündungsrecht aus Art. 17 RV 1871 angeknüpft wurde. Dies gilt auch in Bezug auf Art. 70 WRV, dem Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG noch wesentlich mehr ähnelt, weil dieser schon die Gegenzeichnung und Bestimmungen über die Verkündung 587 So BVerfGE 7, 330 (337); 42, 263 (283). 588 Vgl. statt vieler Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz Bd. 3, Art. 82, Rn 10. 589 Vgl. siehe oben Kapitel B.II.1.a.cc.bbb.; Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 3 S. 924/926 – „…Während der König von Preußen nach der Verfassung von 1850 ein freies Sanktionsrecht besaß, war der Deutsche Kaiser nach der Bismarckschen Reichsverfassung auf ein gebundenes Sanktionsrecht beschränkt. Doch war auch diese rechtsgebundene Sanktion noch ein echter Gesetzesbefehl. Wenn der Kaiser feststellte, daß kein ordnungsgemäßer Beschluß der Legislative vorlag, war er berechtigt, aber auch verpflichtet, die Sanktion zu verweigern. Als Inhaber der Sanktionsgewalt besaß der Kaiser also zugleich ein höchstes Prüfungsrecht in Bezug auf die Verfassungsmäßigkeit der ihm zur Sanktion vorgelegter Reichsgesetze. (S. 924) […] Wie die formelle Ausfertigung und Verkündung betraf die materielle S a n k t i o n die Herstellung der Verbindlichkeit des Gesetzes nach außen. Daher sprach die Logik der Sache für die Vereinigung dieser formellen und materiellen Zuständigkeiten in einer Hand. Der Kaiser übte die Sanktionsgewalt im Gesetzgebungsverfahren nicht nur de facto aus; sie stand ihm nach dem Gesamtzusammenhang der Verfassung auch de jure zu. …“(S. 926). 201

I. Vetoansatzpunkte <strong>im</strong> Grundgesetz<br />

zum Prüfungsrecht des Bundespräsidenten. In deren Kontext könnten diese Darstellungen<br />

Friesenhahns und Friaufs potentiell den Boden für einen manifesten<br />

Zuordnungsansatz der Sanktion be<strong>im</strong> Bundespräsidenten bieten.<br />

Das Bundesverfassungsgericht stellte i.R. einer schon oben erwähnten Funktionsanalyse<br />

für den Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG fest, dass es sich bei den Akten der<br />

Ausfertigung und Verkündung um keine bloßen Zutaten, sondern um integrierende<br />

Bestandteile des Gesetzgebungsverfahrens handelt. 587 Es erfolgte überdies zwar<br />

ein einschränkender Einschub, dass es sich bei den Rechten aus Art. 82 Abs. 1 S.<br />

1 GG insofern letztlich doch nur um solche von formaler Natur handele, was zur<br />

Folge hat, dass dem Bundespräsidenten Einwirkungsmöglichkeiten auf den Gesetzesinhalt<br />

durch Art. 82 Abs. 1 S. 1 mithin nicht vermittelt würden. Im Schrifttum<br />

588 wird, <strong>im</strong> Wesentlichen inspiriert durch die Formulierungen des Bundesverfassungsgerichts,<br />

ausgeführt, dass das Rechtssetzungsverfahren erst durch die<br />

Ausfertigung und Verkündung mit konstitutiver Wirkung abgeschlossen würde.<br />

Folglich sei dieser abschließende Akt nicht lediglich als „Wurmfortsatz“ anzusehen.<br />

Erst mit der ordnungsgemäßen Ausfertigung und Verkündung soll die Norm<br />

somit rechtlich wirklich existent werden.<br />

Aus dieser Bestandaufnahme der Wahrnehmung ließe sich problemlos schließen,<br />

es handele sich bei dem Recht aus Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG nicht nur um ein<br />

‚formaljuristisches Placebo‛, sondern um ein essentiell-konstitutives Recht des<br />

Bundespräsidenten, ohne welches Gesetzgebung unter dem Pr<strong>im</strong>at des Grundgesetzes<br />

nicht möglich ist. Dies fiele umso leichter, wenn man wie E. R. Huber sogar<br />

bereit war, in dem Ausfertigungs- und Verweigerungsrecht des Kaisers aus Art. 17<br />

RV 1871 eine Sanktionsgewalt mit verfassungsrechtlicher Intendierung zu erkennen,<br />

die gleichsam ein Vetorecht darstellt. 589<br />

Im Rahmen dieser Melange aus historischer Verkennung und fre<strong>im</strong>ütiger Verfassungsinterpretation<br />

könnte theoretisch problemlos der Ansatz dazu gefunden<br />

werden, dem Bundespräsidenten auch auf der Sanktionsbasis ein Vetorecht zuzuerkennen.<br />

Das Grundgesetz würde dies schon allein deshalb erleichtern, weil be<strong>im</strong><br />

Prüfungsrecht des Bundespräsidenten relativ unkritisch an das Ausfertigungs- und<br />

Verkündungsrecht aus Art. 17 RV 1871 angeknüpft wurde. Dies gilt auch in Bezug<br />

auf Art. 70 WRV, dem Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG noch wesentlich mehr ähnelt,<br />

weil dieser schon die Gegenzeichnung und Best<strong>im</strong>mungen über die Verkündung<br />

587 So BVerfGE 7, 330 (337); 42, 263 (283).<br />

588 Vgl. statt vieler Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz Bd. 3, Art. 82, Rn 10.<br />

589 Vgl. siehe oben Kapitel B.II.1.a.cc.bbb.; Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 3 S. 924/926 – „…Während der<br />

König von Preußen nach der Verfassung von 1850 ein freies Sanktionsrecht besaß, war der Deutsche Kaiser nach der Bismarckschen<br />

Reichsverfassung auf ein gebundenes Sanktionsrecht beschränkt. Doch war auch diese rechtsgebundene Sanktion noch ein echter<br />

Gesetzesbefehl. Wenn der Kaiser feststellte, daß kein ordnungsgemäßer Beschluß der Legislative vorlag, war er berechtigt, aber auch<br />

verpflichtet, die Sanktion zu verweigern. Als Inhaber der Sanktionsgewalt besaß der Kaiser also zugleich ein höchstes Prüfungsrecht<br />

in Bezug auf die Verfassungsmäßigkeit der ihm zur Sanktion vorgelegter Reichsgesetze. (S. 924) […]<br />

Wie die formelle Ausfertigung und Verkündung betraf die materielle S a n k t i o n die Herstellung der Verbindlichkeit des<br />

Gesetzes nach außen. Daher sprach die Logik der Sache für die Vereinigung dieser formellen und materiellen Zuständigkeiten in<br />

einer Hand. Der Kaiser übte die Sanktionsgewalt <strong>im</strong> Gesetzgebungsverfahren nicht nur de facto aus; sie stand ihm nach dem Gesamtzusammenhang<br />

der Verfassung auch de jure zu. …“(S. 926).<br />

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