Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen
Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen
194 D. Vetos im aktuellen deutschen Verfassungssystem keit zu eruieren. Die Besprechung des diesbezüglichen Themenfeldes kann mithin sein Bewenden damit finden, dass eine prägnante Zusammenfassung von dessen Umfang geboten wird. Im Grundsatz dreht sich die Debatte um die Fragestellung, welches Gewicht dem Kriterium des Rechtlichen zuzumessen ist. Die Beantwortung dieser Frage entscheidet letztlich darüber, welche Kontroll- und Prüfungsbefugnisse dem Bundespräsidenten zuzugestehen sind. Im Sinne der Kanalisierung dieses Themenkreises auf die tatsächliche Vetodimension soll im Nachstehenden lediglich auf den derzeitigen Meinungsstand hingewiesen werden. Dieser lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die weit überwiegende Meinung in der Literatur, wie auch die Verfassungspraxis, hat mittlerweile klare Maßgaben für die Handhabung des präsidentiellen Prüfungsrechts entwickelt. Nicht nur primärer, sondern alleiniger Ansatzpunkt des Bundespräsidenten bei der Befassung mit dem fraglichen Gesetz sind rechtliche und insbesondere verfassungsrechtliche Friktionen, welche dieses aufweisen könnte. Ein anders lautender Verweigerungsgrund steht dem Bundespräsidenten nicht zur Verfügung. Insbesondere die Nichtausfertigung aus politischen Gründen wäre nicht von der Verfassung gedeckt. Der Bundespräsident darf infolgedessen die Ausfertigung von Gesetzen weder aus politischen Zweckmäßigkeitserwägungen verweigern noch aus sonstigen inhaltlichen Gründen unverhältnismäßig lange hinauszögern. 572 Hierzu Brenner: „…Ein solches politisches Prüfungsrecht, das aus der politischen Perspektive, nicht hingegen aus der des Rechts, über das Wohl und Wehe von Gesetzen befinden könnte, würde der grundgesetzlich ausgeformten Stellung des Bundespräsidenten nicht zuletzt deshalb nicht gerecht werden, weil dem Bundespräsidenten damit die Möglichkeit an die Hand gegeben wäre, sich zum Herr und Richter der Gesetzgebung aufzuschwingen, ja sich letztlich an die Stelle des Parlaments zu setzen. Das Bild eines solchen ‚allmächtigen‛ Bundespräsidenten wohnt indes dem Grundgesetz nicht inne und war auch von den Vätern und Müttern des Grundgesetzes nicht angestrebt worden. …“ 573 Des Weiteren besteht vollständige Einigkeit über die Rechtsfolge einer derartigen Überprüfung, welche zum Ergebnis der Verfassungswidrigkeit kommt. Dem Bundespräsidenten steht dann das Recht zur Verweigerung der Ausfertigung zu. 574 Für den hier zu würdigenden Vetoansatz ergibt sich aus diesem relativ apodiktischen Ergebnis eine interessante Folge: Mit dem präsidentiellen Prüfungsrecht korrespondiert gleichsam in letzter Konsequenz ein präsidentielles Verwerfungs- 572 Schlaich, Die Funktion des Bundespräsidenten im Verfassungsgefüge (§49), in: HStR II, Rn 27; Stern, Staatsrecht II, §30 III 4, S. 234/235; Friauf, in: FS Carstens Bd. 2, S. 547. 573 Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz Bd. 3, Art. 82, Rn 22. 574 Vgl. Darstellung bei: Bauer, in: Dreier, Grundgesetz – Kommentar, Bd. 2, Art. 82, Rn 12.
I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz recht 575 . Es ist letztlich gerade dieses Verwerfungsrecht, in welchem die Dimension der Vetoqualität zu suchen ist. Es ist hinlänglich bekannt, dass die Reichweite jenes Verwerfungsrechts nicht nur in der Kaiserverfassung von 1871, sondern auch für die Verfassung der Weimarer Republik hoch umstritten war. Für das Grundgesetz kann mittlerweile als unstreitig angenommen werden, dass dem Bundespräsidenten zumindest ein formelles Prüfungsrecht zusteht. Diese Erkenntnis fußt letztlich auf zwei Grundargumenten. Zum einen wird auf die grundsätzliche Stellung des Bundespräsidenten im Gesetzgebungsverfahren verwiesen. Da er an dem Zustandekommen des Gesetzes eben gerade nicht beteiligt ist, könne er den Überblick behalten und die Ordnungsmäßigkeit eines Gesetzes in Bezug auf die Einhaltung des formellen Verfassungsrechts als quasi hierfür „geborenes Organ“ beurkunden. 576 Zum anderen wird diese Funktionszuweisung insbesondere mit dem Wortlaut von Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG begründet, welcher explizit von dem Zustandekommen nach den Vorschriften des Grundgesetzes spricht. Einhellige Auffassung ist es daher, dass dem Bundespräsidenten die Befugnis und gleichsam die Verpflichtung zukommt, zu prüfen, ob der Bundestag den Inhalt der zur Ausfertigung vorgelegten Urschrift überhaupt als Gesetz beschlossen und der Bundesrat diesem Gesetz gegebenenfalls zugestimmt hat, bzw. es seiner Zustimmung bedurft hätte. 577 Überdies soll die Überprüfung der Verfassungsvorgaben bei der Gesetzgebung nicht nur die Verfahrensvorschriften beinhalten, sondern auch die Fragestellung nach der Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers für das konkrete formelle Gesetz aufwerfen. 578 Einen in seiner Dimension weitaus umstritteneren Bereich nimmt das Diskussionsfeld ein, welches sich mit der Frage auseinandersetzt, inwieweit dem Bundespräsidenten über das formelle Prüfungsrecht hinaus auch eine Prüfkompetenz für die inhaltliche Vereinbarkeit mit den Vorschriften des Grundgesetzes zuzugestehen ist. Es ist die Frage nach dem sog. materiellen Prüfungsrecht. Für die Rechte des Kaisers aus Art. 17 RV 1871 noch abgelehnt, wurde es dem Reichspräsidenten bezüglich seines Rechtes aus Art. 70 WRV zugestanden. Und obwohl das Bundesverfassungsgericht 579 in einigen seiner Entscheidungen dieses Recht zur mate- 575 Hierzu umfänglich: Lehngut, Verweigerung der Ausfertigung von Gesetzen durch den Bundespräsidenten und das weitere Verfahren, in: DÖV 1992, 439 ff; Epping, Das Ausfertigungsverweigerungsrecht im Selbstverständnis der Bundespräsidenten - Warum der Bundespräsident das 10. Änderungsgesetz zum Luftverkehrsgesetz nicht unterschreiben wollte, in: JZ 1991, 1102 ff. 576 Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz Bd. 3, Art. 82, Rn 24. 577 Vgl. statt aller Bryde, in: v. Münch Grundgesetz Kommentar, Art. 82, Rn 3; Maurer, in: Bonner Kommentar, Art. 82, Rn 28. 578 Pieroth, in Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland – Kommentar, Art. 82, Rn 3; Ipsen Staatsorganisationsrecht I, Rn 410; Degenhart, Staatsrecht I, Rn 463; Badura, Staatsrecht, S. 437; Maunz, in: Maunz/Dürig GG Bd. IV, Art. 82, Rn 1. 579 Vgl. BVerfGE 1, 396 (413 ff); 2, 143 (169); 34, 9 (22 ff) – wobei zu erwähnen ist, dass es sich bei den diesbezüglichen Fundstellen nicht um ausdrückliche Stellungnahmen des BVerfG zum diesem Themenkreis handelt, sondern um entsprechende Äußerungen in Form von obiter dicta, aus denen eine grundsätzliche Bejahung einer solchen Kompetenzzuweisung wohl angenommen werden kann. 195
- Seite 159 und 160: III. Analyse der Weimarer Reichsver
- Seite 161 und 162: III. Analyse der Weimarer Reichsver
- Seite 163 und 164: III. Analyse der Weimarer Reichsver
- Seite 165 und 166: III. Analyse der Weimarer Reichsver
- Seite 167 und 168: III. Analyse der Weimarer Reichsver
- Seite 169 und 170: III. Analyse der Weimarer Reichsver
- Seite 171 und 172: III. Analyse der Weimarer Reichsver
- Seite 173 und 174: III. Analyse der Weimarer Reichsver
- Seite 175 und 176: III. Analyse der Weimarer Reichsver
- Seite 177 und 178: III. Analyse der Weimarer Reichsver
- Seite 179 und 180: III. Analyse der Weimarer Reichsver
- Seite 181 und 182: III. Analyse der Weimarer Reichsver
- Seite 183 und 184: IV. Zusammenfassende Wertung der Ve
- Seite 185 und 186: IV. Zusammenfassende Wertung der Ve
- Seite 187 und 188: C. Definitorische Vetogrundsätze u
- Seite 189 und 190: I. Vetodefinitionen ausgeformt. Ein
- Seite 191 und 192: I. Vetodefinitionen müssten ihm ir
- Seite 193 und 194: I. Vetodefinitionen 6. Definitionsf
- Seite 195 und 196: II. Vetoarten beleuchten. Im Sinne
- Seite 197 und 198: II. Vetoarten 3. Devolutive Vetorec
- Seite 199 und 200: D. Vetos im aktuellen deutschen Ver
- Seite 201 und 202: I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz
- Seite 203 und 204: I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz
- Seite 205 und 206: I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz
- Seite 207 und 208: I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz
- Seite 209: I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz
- Seite 213 und 214: I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz
- Seite 215 und 216: I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz
- Seite 217 und 218: I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz
- Seite 219 und 220: I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz
- Seite 221 und 222: I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz
- Seite 223 und 224: I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz
- Seite 225 und 226: I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz
- Seite 227 und 228: I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz
- Seite 229 und 230: I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz
- Seite 231 und 232: I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz
- Seite 233 und 234: I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz
- Seite 235 und 236: I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz
- Seite 237 und 238: I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz
- Seite 239 und 240: I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz
- Seite 241 und 242: I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz
- Seite 243 und 244: I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz
- Seite 245 und 246: I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz
- Seite 247 und 248: I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz
- Seite 249 und 250: I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz
- Seite 251 und 252: I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz
- Seite 253 und 254: I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz
- Seite 255 und 256: I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz
- Seite 257 und 258: I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz
- Seite 259 und 260: I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz
I. Vetoansatzpunkte <strong>im</strong> Grundgesetz<br />
recht 575 . Es ist letztlich gerade dieses Verwerfungsrecht, in welchem die D<strong>im</strong>ension<br />
der Vetoqualität zu suchen ist.<br />
Es ist hinlänglich bekannt, dass die Reichweite jenes Verwerfungsrechts nicht<br />
nur in der Kaiserverfassung von 1871, sondern auch für die Verfassung der We<strong>im</strong>arer<br />
Republik hoch umstritten war. Für das Grundgesetz kann mittlerweile als<br />
unstreitig angenommen werden, dass dem Bundespräsidenten zumindest ein formelles<br />
Prüfungsrecht zusteht. Diese Erkenntnis fußt letztlich auf zwei Grundargumenten.<br />
Zum einen wird auf die grundsätzliche Stellung des Bundespräsidenten<br />
<strong>im</strong> Gesetzgebungsverfahren verwiesen. Da er an dem Zustandekommen des Gesetzes<br />
eben gerade nicht beteiligt ist, könne er den Überblick behalten und die<br />
Ordnungsmäßigkeit eines Gesetzes in Bezug auf die Einhaltung des formellen<br />
Verfassungsrechts als quasi hierfür „geborenes Organ“ beurkunden. 576<br />
Zum anderen wird diese Funktionszuweisung insbesondere mit dem Wortlaut<br />
von Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG begründet, welcher explizit von dem Zustandekommen<br />
nach den Vorschriften des Grundgesetzes spricht. Einhellige Auffassung ist<br />
es daher, dass dem Bundespräsidenten die Befugnis und gleichsam die Verpflichtung<br />
zukommt, zu prüfen, ob der Bundestag den Inhalt der zur Ausfertigung vorgelegten<br />
Urschrift überhaupt als Gesetz beschlossen und der Bundesrat diesem<br />
Gesetz gegebenenfalls zugest<strong>im</strong>mt hat, bzw. es seiner Zust<strong>im</strong>mung bedurft hätte.<br />
577 Überdies soll die Überprüfung der Verfassungsvorgaben bei der Gesetzgebung<br />
nicht nur die Verfahrensvorschriften beinhalten, sondern auch die Fragestellung<br />
nach der Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers für das konkrete formelle<br />
Gesetz aufwerfen. 578<br />
Einen in seiner D<strong>im</strong>ension weitaus umstritteneren Bereich n<strong>im</strong>mt das Diskussionsfeld<br />
ein, welches sich mit der Frage auseinandersetzt, inwieweit dem Bundespräsidenten<br />
über das formelle Prüfungsrecht hinaus auch eine Prüfkompetenz für<br />
die inhaltliche Vereinbarkeit mit den Vorschriften des Grundgesetzes zuzugestehen<br />
ist. Es ist die Frage nach dem sog. materiellen Prüfungsrecht. Für die Rechte des<br />
Kaisers aus Art. 17 RV 1871 noch abgelehnt, wurde es dem Reichspräsidenten<br />
bezüglich seines Rechtes aus Art. 70 WRV zugestanden. Und obwohl das Bundesverfassungsgericht<br />
579 in einigen seiner Entscheidungen dieses Recht zur mate-<br />
575 Hierzu umfänglich: Lehngut, Verweigerung der Ausfertigung von Gesetzen durch den Bundespräsidenten und<br />
das weitere Verfahren, in: DÖV 1992, 439 ff; Epping, Das Ausfertigungsverweigerungsrecht <strong>im</strong> Selbstverständnis<br />
der Bundespräsidenten - Warum der Bundespräsident das 10. Änderungsgesetz zum Luftverkehrsgesetz nicht<br />
unterschreiben wollte, in: JZ 1991, 1102 ff.<br />
576 Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz Bd. 3, Art. 82, Rn 24.<br />
577 Vgl. statt aller Bryde, in: v. Münch Grundgesetz Kommentar, Art. 82, Rn 3; Maurer, in: Bonner Kommentar,<br />
Art. 82, Rn 28.<br />
578 Pieroth, in Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland – Kommentar, Art. 82, Rn 3;<br />
Ipsen Staatsorganisationsrecht I, Rn 410; Degenhart, Staatsrecht I, Rn 463; Badura, Staatsrecht, S. 437; Maunz,<br />
in: Maunz/Dürig GG Bd. IV, Art. 82, Rn 1.<br />
579 Vgl. BVerfGE 1, 396 (413 ff); 2, 143 (169); 34, 9 (22 ff) – wobei zu erwähnen ist, dass es sich bei den diesbezüglichen<br />
Fundstellen nicht um ausdrückliche Stellungnahmen des BVerfG zum diesem Themenkreis handelt,<br />
sondern um entsprechende Äußerungen in Form von obiter dicta, aus denen eine grundsätzliche Bejahung einer<br />
solchen Kompetenzzuweisung wohl angenommen werden kann.<br />
195