Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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192 D. Vetos im aktuellen deutschen Verfassungssystem erscheint als würdigenswert, dieses auch für das bundespräsidiale Ausfertigungsverweigerungsrecht näher zu betrachten. Diesen Ansatz zugrunde legend kann zunächst festgestellt werden, dass mit dem Ausfertigungsvorgang die Gesetzesurkunde hergestellt und damit das interne Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen wird, mit der Verkündung das Gesetz indessen in die Außenwelt tritt und rechtlich existent wird. 566 Eine Nichtvornahme jener Formalakte erfüllt, wie soeben aufgezeigt, die Aspekte des externen Einspruchs gegen ein Legislativprodukt. Um qualitativ als Vetorecht wahrgenommen zu werden, müsste dieser präsidentiellen Verhinderungsmöglichkeit aus Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG gegenüber einem vom Bundestag beschlossenen Gesetz ein darüber hinausgehender Wirkbereich entnommen werden können. Es stellt sich mithin also die Frage nach der hinter dem Recht aus Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG stehenden „wirklichen“ Vetodimension. aa. Analyse des präsidentiellen Prüfrechts in formeller und materieller Dimension Folglich stellt sich also die Frage nach einer die technische Funktion erweiternden Vetoqualität. Im Kaiserreich und in der Weimarer Republik wurde eine dergestaltige erweiterte Vetokomponente als erfüllt angesehen, da nach damaliger Rechtsauffassung, mit dem Ausfertigungsrecht auch die Kompetenzbereiche des sog. Prüfrechts für das Staatsoberhaupt gegenüber dem Parlamentsgesetz einhergingen. Dieser, in den „Vorgängerverfassungen“ bei der Ausfertigungsverweigerung betrachtete Vetoansatz, soll auch für die Frage der Vetoqualität der Einspruchsrechte aus Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG ob seiner Weiterverwendbarkeit näher untersucht werden. Als Konsequenz daraus, dass sich die Ausfertigung nicht in einem symbolischzeremoniellen Akt der Unterschriftsleistung des Bundespräsidenten erschöpfen können soll, wird auch für das Grundgesetz unserer Tage gemeinhin eine weitergehende Funktion gelesen. Dem Formalakt soll ferner die Aufgabe der Bestätigung des Verfahrensabschlusses, wie auch der Beglaubigung der Echtheit des Gesetzeswortlauts zukommen. Hieraus wird in ähnlicher Anschauung, wie schon zu Zeiten der Bismarckschen Reichsverfassung und der Weimarer Verfassung, gelesen, dass dem Bundespräsidenten ein Prüfrecht im Hinblick auf die auszufertigenden Gesetze zustehen muss. 567 Ergeben soll sich dies aus der Tatsache, dass Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG vorsieht, dass der Bundespräsident nur die ‚nach den Vorschriften des Grundgesetzes zustande gekommenen Gesetze‛ ausfertigen und verkünden muss. Daher soll dem Bundespräsidenten im Umkehrschluss das Recht zu kommen, auch dasjenige zu prüfen, was zu bestätigen und auszufertigen von ihm verlangt wird. Es wird ihm also das Recht eingeräumt, dass wenn er schon für 566 Vgl. Maurer, in: Bonner Kommentar, Art. 82, Rn 2. 567 Vgl. Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz Bd. 3, Art. 82, Rn 20.

I. Vetoansatzpunkte im Grundgesetz das betreffende Gesetz die Beachtung und Einhaltung der Vorschriften des Grundgesetzes quittieren muss, dann soll er dieses ob jener Qualität auch untersuchen dürfen. Insofern kann von einer Wiederkehr des verfassungsrechtlichen Prüfrechts, wie es schon die Kaiserverfassung und die WRV kannten, gesprochen werden. Michael Brenner meint daher: „…Nicht zu erstaunen vermag es vor diesem Hintergrund, dass ein solches Recht des Bundespräsidenten – das ggf. auch in eine Verpflichtung münden kann –, zur Ausfertigung anstehende Gesetze zu überprüfen und gegebenenfalls die Ausfertigung zu verweigern, jedenfalls im Grundsatz allgemein anerkannt und lediglich die Reichweite dieses Prüfrechts bis heute umstritten ist. …“ 568 Da dem von anderen Staatsorganen beschlossenen Gesetz durch die präsidiale, oft auch als „staatsnotarielle“ Beurkundung bezeichnete, Ausfertigung eine erhöhte „Weihe“ zukommt, wird dem Bundespräsidenten die Funktion eines sog. „Staatsnotars“ zugewiesen. Hierzu Klaus Stern: „…Insofern ist der Vergleich zum Notar nicht verfehlt, dessen Aufgabe eine ähnliche ist. Wie schon der Notar nicht mechanisch seine Unterschrift unter einen fremden Willen zu setzen hat, sondern zu raten, zu prüfen und zu kontrollieren hat, kommt eine gleiche Aufgabe dem ‚Staatsnotar‛ zu. …“ 569 Roman Herzog, dem die Formulierung des „Staatsnotars“ 570 ursprünglich zuzuweisen ist, hebt diesbezüglich hervor: „dass…es kein oberstes Staatsorgan geben kann, das verpflichtet sein könnte, sehenden Auges eine rechts- oder gar verfassungswidrige Handlung vorzunehmen oder sich an ihr auch nur zu beteiligen. …“ 571 Auch wenn dem geneigten Leser an dieser Stelle nunmehr die Sorge umtreiben könnte, im Folgenden eine neuerliche Darstellung zum Themenkreis ‚Die Reichweite der Prüfrechte des Bundespräsidenten‛ absolvieren zu müssen, kann diesbezüglich Entwarnung gegeben werden. Nicht nur, weil das Diskussionsfeld seit jeher gut bestellt und aller Voraussicht nach abgeerntet ist, sondern vor allem, weil es der Ansatz dieser Arbeit weniger ist, eine vollständige Darstellung des Meinungsstandes oder eventuell neue Ansichten zum Umfang des bundespräsidialen Prüfrechts zu präsentieren. Vielmehr geht es allein darum, aus dem Umfang des präsidentiellen Prüfungsrechts eine Antwort auf die Frage nach der Vetotauglich- 568 Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz Bd. 3, Art. 82, Rn 21. 569 Stern, Staatsrecht Bd. II, S. 229. 570 Vgl. R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 287; R. Herzog, Entscheidung und Gegenzeichnung, in: FS Gebhard Müller, S. 128/129. 571 R. Herzog, Entscheidung und Gegenzeichnung, in: FS Gebhard Müller, S. 130. 193

192<br />

D. Vetos <strong>im</strong> aktuellen <strong>deutschen</strong> <strong>Verfassungssystem</strong><br />

erscheint als würdigenswert, dieses auch für das bundespräsidiale Ausfertigungsverweigerungsrecht<br />

näher zu betrachten.<br />

Diesen Ansatz zugrunde legend kann zunächst festgestellt werden, dass mit<br />

dem Ausfertigungsvorgang die Gesetzesurkunde hergestellt und damit das interne<br />

Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen wird, mit der Verkündung das Gesetz<br />

indessen in die Außenwelt tritt und rechtlich existent wird. 566 Eine Nichtvornahme<br />

jener Formalakte erfüllt, wie soeben aufgezeigt, die Aspekte des externen Einspruchs<br />

gegen ein Legislativprodukt. Um qualitativ als Vetorecht wahrgenommen<br />

zu werden, müsste dieser präsidentiellen Verhinderungsmöglichkeit aus Art. 82<br />

Abs. 1 S. 1 GG gegenüber einem vom Bundestag beschlossenen Gesetz ein darüber<br />

hinausgehender Wirkbereich entnommen werden können. Es stellt sich mithin<br />

also die Frage nach der hinter dem Recht aus Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG stehenden<br />

„wirklichen“ Vetod<strong>im</strong>ension.<br />

aa. Analyse des präsidentiellen Prüfrechts in formeller und<br />

materieller D<strong>im</strong>ension<br />

Folglich stellt sich also die Frage nach einer die technische Funktion erweiternden<br />

Vetoqualität. Im Kaiserreich und in der We<strong>im</strong>arer Republik wurde eine dergestaltige<br />

erweiterte Vetokomponente als erfüllt angesehen, da nach damaliger Rechtsauffassung,<br />

mit dem Ausfertigungsrecht auch die Kompetenzbereiche des sog.<br />

Prüfrechts für das Staatsoberhaupt gegenüber dem Parlamentsgesetz einhergingen.<br />

Dieser, in den „Vorgängerverfassungen“ bei der Ausfertigungsverweigerung betrachtete<br />

Vetoansatz, soll auch für die Frage der Vetoqualität der Einspruchsrechte<br />

aus Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG ob seiner Weiterverwendbarkeit näher untersucht<br />

werden.<br />

Als Konsequenz daraus, dass sich die Ausfertigung nicht in einem symbolischzeremoniellen<br />

Akt der Unterschriftsleistung des Bundespräsidenten erschöpfen<br />

können soll, wird auch für das Grundgesetz unserer Tage gemeinhin eine weitergehende<br />

Funktion gelesen. Dem Formalakt soll ferner die Aufgabe der Bestätigung<br />

des Verfahrensabschlusses, wie auch der Beglaubigung der Echtheit des<br />

Gesetzeswortlauts zukommen. Hieraus wird in ähnlicher Anschauung, wie schon<br />

zu Zeiten der Bismarckschen Reichsverfassung und der We<strong>im</strong>arer Verfassung,<br />

gelesen, dass dem Bundespräsidenten ein Prüfrecht <strong>im</strong> Hinblick auf die auszufertigenden<br />

Gesetze zustehen muss. 567 Ergeben soll sich dies aus der Tatsache, dass<br />

Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG vorsieht, dass der Bundespräsident nur die ‚nach den Vorschriften<br />

des Grundgesetzes zustande gekommenen Gesetze‛ ausfertigen und<br />

verkünden muss. Daher soll dem Bundespräsidenten <strong>im</strong> Umkehrschluss das Recht<br />

zu kommen, auch dasjenige zu prüfen, was zu bestätigen und auszufertigen von<br />

ihm verlangt wird. Es wird ihm also das Recht eingeräumt, dass wenn er schon für<br />

566 Vgl. Maurer, in: Bonner Kommentar, Art. 82, Rn 2.<br />

567 Vgl. Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz Bd. 3, Art. 82, Rn 20.

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