Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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168 B. Systematische und strukturelle Einordnung der Vetorechte Verwandtschaftsgrad zu Vetorechten aufweisen, zu deren Kernfamilie gehören diese ‚Hybriden‛ jedoch nicht. Die Liberalisierungstendenzen des Konstitutionalismus, die zwar auch in Deutschland revolutionäre Züge annahmen, waren im Wesentlichen gespeist aus den zahlreichen französischen Revolutionen. Die Protagonisten jener Zeit versuchten in vielerlei Hinsicht den Import des Verfassungswandels. In der Regel aber blieb dieser in den Kinderschuhen stecken, was insbesondere der fehlenden philosophischen Adaption geschuldet war. Dennoch konnten sich auch in Deutschland parlamentarische Strukturen sukzessive ausbreiten. Deren Einfluss war jedoch regelmäßig auf die pseudodemokratische Begleitung des weiterhin staatsleitenden Monarchen beschränkt. Es zeigte sich daher auch, dass der ursprüngliche Gedanke, wie er dem römischen Interzessionsrecht entnommen werden konnte, nicht konsequent durchgehalten wurde. Insbesondere im Nachfolgersystem des Absolutismus, dem Konstitutionalismus, wurde jegliche monarchische Beteiligung an der Gesetzgebung als Veto bezeichnet. Diese Bezeichnung konnte als systematisch irreführend herausgearbeitet werden. Die monarchischen Mitentscheidungsrechte an der Gesetzgebung, die i.d.R. als gemeinsame Gesetzgebung mit den beiden Parlamentskammern deklariert wurden, waren letztlich nicht vielmehr als ein absolutes Letztentscheidungsrecht des Monarchen, dem damit weiterhin de facto die Gesetzgebung zustand. Dies als ein Vetorecht zu bezeichnen, stellte sich als systemtheoretisch zweifelhaft heraus. Dennoch wurden in den deutschen Fürstenländern derartige monarchische Normsetzungspartizipationen bis zur Novemberrevolution von 1918/19 als Vetorecht angesehen. Auch wenn aufgrund der Reichseinheit nach der Bürgerlichen Revolution von 1848/49 sogar eine Reichsverfassung mit gegenüber den Fürstenländern fortschrittlicher konstitutioneller Beschränkung des monarchischen Staatsoberhauptes kreiert wurde, musste all deren demokratische Umkleidung, doch nur als Mantel für das fortwirkende monarchische Element herhalten. Die Vetorechte erweisen sich bei diesen Betrachtungen als eine Art Lackmustest für die Demokratisierungsfortschritte. Je stärker das monarchische Element in den unterschiedlichsten Formen fortwirkte, desto weniger notwendig waren exekutive Vetorechte. Denn faktisch blieb es ja beim bisherigen Zustand: Die monarchische Staatsleitung hatte wesentlichen Einfluss auf die Gesetzgebung, weil sie an dieser in den unterschiedlichsten, wenn auch mittlerweile verdeckten Formen, partizipierte. Diese Erkenntnis behielt auch für die kaiserliche Reichsverfassung ihre Gültigkeit ins Jahre 1918. Dennoch erlebten die Vetorechte auch schon in der Zeit vor der Novemberrevolution eine kleine Renaissance, die über eine Fehlzuordnung im Rahmen monarchischer Gesetzgebungsbeteiligungsrechte hinausging. Zumindest bei verfassungsrechtlichen Zweifeln sollte der Kaiser einem Gesetz die Ausfertigung und Verkündung autark verweigern können. Dass dies keine echte exekutive Einspruchsmöglichkeit war, sondern lediglich Aspekt des Verfassungsschutzes, darf nicht verdecken, dass das tribunizische Interzessionsrecht zumindest im Ansatz Wie-

IV. Zusammenfassende Wertung der Vetohistorie derkehr fand. Jegliche darüber hinausgehenden Vetostrukturen existierten, der fehlenden Notwendigkeit geschuldet, nicht. Je stärker jedoch das demokratische Element gegenüber dem monarchischen die Oberhand gewann, desto mehr kristallisierten sich in den deutschen Verfassungsstrukturen Vetorechte heraus, die tatsächlich qualitativ vergleichbar waren mit denen des „ius intercessionis“. Hierfür bedurfte es jedoch der vollständigen Abkehr vom monarchischen Prinzip, wie es in der Weimarer Reichsverfassung zumindest ihrer Grundkonzeption nach vollzog wurde. Folge dieses grundsätzlichen Verfassungswandels war nicht nur das Primat des Reichstags bei der Gesetzgebung, sondern auch der Wunsch, diesem gegenüber einen exekutiven Gegenpart zu installieren. Jene Zielstellung fand ihren Ausdruck vor allem im präsidialen Recht aus Art. 73 Abs. 1 Weimarer Reichsverfassung. Dem dort manifestierten exekutiven Einspruch kann aus heutiger Sicht ein tatsächlicher Vetocharakter bescheinigt werden. Ähnliche Rechte gab es auch für die Staatsregierungen in den Weimarer Ländern. Geschuldet waren sie vor allem der damaligen Vorstellung, die Rechte des Volkes gegenüber einem ‚Parlamentsabsolutismus‛ bewahren zu müssen. Insbesondere auf Bundesebene wurden sie daher dem volksdemokratisch legitimierten Reichspräsidenten übertragen. Eigentlich sollten damit die Mängel in der Repräsentativverfassung ausgeglichen werden. Das Gegenteil wurde jedoch erreicht. Die Vetorechte eigneten sich vielmehr, im Zusammenspiel mit den sonstigen inkohärenten Rechten der WRV, zum Aufbau einer Drohkulisse, die es ermöglichte, dass Volk gegen seine Vertretung auszuspielen. Erstaunlicher Weise waren es also Momente reaktionärer Hommage und Reminiszenz, auf denen die Integration von Vetorechten in ein auf Demokratie ausgerichtetes Verfassungssystem fußte. Es handelt sich dabei um denselben Gedanken, auf dem die Vetorechte seit ihrer Wiederkehr im Konstitutionalismus fußten. Wesentliches Ziel war die Beschränkung des parlamentarischen Gebarens in Gesetzgebungsfragen. Für die Ausgestaltung in der WRV lässt sich jedoch überdies feststellen, dass der Vetoeinbau zumindest systemgerecht erfolgte, da nur die außerhalb der Gesetzgebung stehende Exekutive diese Rechte gegenüber den Normsetzungsbeschlüssen anwenden können sollte. Dies war, wie aufgezeigt, insbesondere in den konstitutionellen Fürstenländern noch verkannt wurden. Vetorechte hatten also offensichtlich immer dann eine besonders gute Chance, stark und durchschlagskräftig zu sein, wenn es darum ging, die parlamentarische Macht einzuschränken. Ob nun aus dem Motiv heraus, dass man die parlamentarische Gesetzgebung gar nicht wollte oder weil es galt, diese einzuschränken, da sie zum Absoluten neigte. Die voranstehende historische Betrachtung eröffnet eine Reihe von Motivlagen pro Vetorecht für exekutive Staatsorgane, die sich in der Quintessenz in folgender Analyse zusammenfassen lassen: 169

IV. Zusammenfassende Wertung der Vetohistorie<br />

derkehr fand. Jegliche darüber hinausgehenden Vetostrukturen existierten, der<br />

fehlenden Notwendigkeit geschuldet, nicht.<br />

Je stärker jedoch das demokratische Element gegenüber dem monarchischen<br />

die Oberhand gewann, desto mehr kristallisierten sich in den <strong>deutschen</strong> Verfassungsstrukturen<br />

<strong>Vetorechte</strong> heraus, die tatsächlich qualitativ vergleichbar waren<br />

mit denen des „ius intercessionis“. Hierfür bedurfte es jedoch der vollständigen<br />

Abkehr vom monarchischen Prinzip, wie es in der We<strong>im</strong>arer Reichsverfassung<br />

zumindest ihrer Grundkonzeption nach vollzog wurde.<br />

Folge dieses grundsätzlichen Verfassungswandels war nicht nur das Pr<strong>im</strong>at des<br />

Reichstags bei der Gesetzgebung, sondern auch der Wunsch, diesem gegenüber<br />

einen exekutiven Gegenpart zu installieren. Jene Zielstellung fand ihren Ausdruck<br />

vor allem <strong>im</strong> präsidialen Recht aus Art. 73 Abs. 1 We<strong>im</strong>arer Reichsverfassung.<br />

Dem dort manifestierten exekutiven Einspruch kann aus heutiger Sicht ein tatsächlicher<br />

Vetocharakter bescheinigt werden. Ähnliche Rechte gab es auch für die<br />

Staatsregierungen in den We<strong>im</strong>arer Ländern. Geschuldet waren sie vor allem der<br />

damaligen Vorstellung, die Rechte des Volkes gegenüber einem ‚Parlamentsabsolutismus‛<br />

bewahren zu müssen. Insbesondere auf Bundesebene wurden sie daher<br />

dem volksdemokratisch legit<strong>im</strong>ierten Reichspräsidenten übertragen. Eigentlich<br />

sollten damit die Mängel in der Repräsentativverfassung ausgeglichen werden. Das<br />

Gegenteil wurde jedoch erreicht. Die <strong>Vetorechte</strong> eigneten sich vielmehr, <strong>im</strong> Zusammenspiel<br />

mit den sonstigen inkohärenten Rechten der WRV, zum Aufbau<br />

einer Drohkulisse, die es ermöglichte, dass Volk gegen seine Vertretung auszuspielen.<br />

Erstaunlicher Weise waren es also Momente reaktionärer Hommage und Reminiszenz,<br />

auf denen die Integration von <strong>Vetorechte</strong>n in ein auf Demokratie ausgerichtetes<br />

<strong>Verfassungssystem</strong> fußte. Es handelt sich dabei um denselben Gedanken,<br />

auf dem die <strong>Vetorechte</strong> seit ihrer Wiederkehr <strong>im</strong> Konstitutionalismus fußten.<br />

Wesentliches Ziel war die Beschränkung des parlamentarischen Gebarens in Gesetzgebungsfragen.<br />

Für die Ausgestaltung in der WRV lässt sich jedoch überdies<br />

feststellen, dass der Vetoeinbau zumindest systemgerecht erfolgte, da nur die außerhalb<br />

der Gesetzgebung stehende <strong>Exekutive</strong> diese Rechte gegenüber den<br />

Normsetzungsbeschlüssen anwenden können sollte. Dies war, wie aufgezeigt,<br />

insbesondere in den konstitutionellen Fürstenländern noch verkannt wurden.<br />

<strong>Vetorechte</strong> hatten also offensichtlich <strong>im</strong>mer dann eine besonders gute Chance,<br />

stark und durchschlagskräftig zu sein, wenn es darum ging, die parlamentarische<br />

Macht einzuschränken. Ob nun aus dem Motiv heraus, dass man die parlamentarische<br />

Gesetzgebung gar nicht wollte oder weil es galt, diese einzuschränken, da sie<br />

zum Absoluten neigte. Die voranstehende historische Betrachtung eröffnet eine<br />

Reihe von Motivlagen pro Vetorecht für exekutive Staatsorgane, die sich in der<br />

Quintessenz in folgender Analyse zusammenfassen lassen:<br />

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