Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen
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164 B. Systematische und strukturelle Einordnung der Vetorechte den, zumal jeder Nachweis fehlt, daß die Schöpfer der neuen R. V. absichtlich den hergebrachten Sanktionsbegriff, der an sich auch im Wesen der Sache liegt, haben ausmerzen wollen. …“ 525 Einen ähnlichen Ansatz wie Mallmann verfolgte allerdings Heinrich Triepel, der in seiner Argumentation allerdings wesentlich juristischer, weil näher an den verfassungsrechtlichen Vorgaben der WRV argumentierte: „…Ich habe nichts dagegen, wenn man diesem (Gesetzesbeschluss) die Bezeichnung ‚Sanktion‛ beilegen will, würde mich in diesem Falle nur dagegen verwahren, daß man aus dem Ausdrucke bestimmte Folgerungen bezüglich der juristischen Konstruktion zöge. Sich gegen die Benennung bloß deshalb zu sträuben, weil sie dem Gedankenkreise des konstitutionellen Staatsrechts entstammt und in republikanischen Verfassungen regelmäßig nicht vorkommt, hieße die Sache auf das Gleis eines Wortstreits schieben. …“ 526 Ausgehend von diesem analytischen Ansatz findet Triepel einen Weg der Nüchternheit, um dieses von Mallmann 527 polemisch hochgejazzte Themenfeld der Sanktion für die WRV zu einem produktiven Ergebnis zu führen. Dieser Lösungsansatz stellt sich dann auch als sinnstiftend für die Beantwortung der Vetoqualitäten in dieser Debatte dar: „…Der Gesetzesbeschluß ist die Erklärung des Inhabers der gesetzgebenden Gewalt, daß der Inhalt eines Gesetzentwurfs mit Rechtsverbindlichkeit ausgestattet werden sollte. Diese Erklärung bildet das Herzstück des Gesetzgebungsverfahrens. Gewiß läßt sie das Gesetz noch nicht lebendig werden; das besorgt erst die Verkündung. Aber der Gesetzesbeschluß macht die Verkündung, wenn sie nicht in die dieselbe Hand gelegt ist, zur rechtlichen Notwendigkeit. Er verpflichtet zur Verkündung. Und er bindet andererseits das ‚Sanktionsorgan‛ selbst. […] Nach der neuen Reichsverfassung gibt es zwei Subjekte des Gesetzesbeschlusses: den Reichstag und das Volk, genauer die Gesamtheit der stimmberechtigten Reichsbürger. Das regelmäßige Organ der ‚Sanktion‛ ist der Reichstag. Art. 68, Abs. 2 der Verfassung sagt: ‚Die Reichsgesetze werden vom Reichstag beschlossen‛. Das Volk als unmittelbarer Gesetzgeber steht erst in zweiter Linie. …“ 528 Aus den Darstellungen von Triepel kann man also klar erkennen, dass es zwei Fälle zu unterscheiden galt. Entweder das Volk äußerte sich unmittelbar über Art. 73 Abs. 3 WRV in Form eines Referendums; dann erteilte es als eigentlicher und 525 Hubrich, Das demokratische Verfassungsrecht des deutschen Reiches, S. 144. 526 Triepel, Der Weg der Gesetzgebung nach der neuen Reichsverfassung, AöR 39 (1920), S. 498/499. 527 Auch wenn Mallmanns Werk „Die Sanktion im Gesetzgebungsverfahren“ eine durchaus vollständige Analyse der von Laband angestoßenen Sanktionsdebatte für die Reichsebene, zu attestieren ist. So fällt doch auf, dass insbesondere bei der Beurteilung der Weimarer Verfassungsverhältnisse, die politischen Hintergründe des 1938 erschienen Werkes, eine notwendige Wertunabhängigkeit den historischen Sichtweisen des nationalsozialistischen Regimes gegenüber, nicht aufrecht erhalten werden konnte. Diesen Umstand gilt es an dieser Stelle nicht zu bewerten, jedoch beim Heranziehen des Werkes zumindest zu würdigen. 528 Triepel, Der Weg der Gesetzgebung nach der neuen Reichsverfassung, AöR 39 (1920), S. 498/499.
III. Analyse der Weimarer Reichsverfassung als demokr. Vorläufer des Grundgesetzes 165 unmittelbarer Reichssouverän die Sanktion. Oder es griff der regelmäßige Entstehungsweg des Gesetzes, in welchem der Reichstag das einzige Rechtsetzungsorgan darstellte und mithin auch Inhaber des Sanktionsrechts war. Während dieses regelmäßigen Gesetzgebungsweges, wie ihn Art. 68 Abs. 2 WRV vorgab, konnte es nur in einem einzigen weiteren Fall zu einer Ausnahme von der Sanktionserteilung durch die Volksvertretung kommen. Diese Situation sah der Art. 74 Abs. 3 WRV nämlich dann vor, wenn das Volk nach dem Einspruch des Reichrats durch den Reichspräsidenten zur Entscheidung über den Gegenstand der Meinungsverschiedenheiten zwischen Reichstag und Reichsrat aufgerufen wurde. Auch in diesem Fall erteilte allein der Reichssouverän direkt die Sanktion i.S. eines abschließenden Gesetzgebungsbeschlusses. In allen anderen Fällen waren die Partizipationsmöglichkeiten der sonstigen Reichsorgane, inklusive des Reichsvolkes, auf eine hemmende Beteiligung beschränkt. Dies galt insbesondere auch für das Veto aus Art. 73 Abs. 1 WRV. Letztlich blieb es in all diesen hemmenden Konstellationen, welche die WRV vorsah, beim Gesetzesbeschluss des Reichstags und damit bei dessen Sanktion. Nur der Eintritt der Gesetzeskraft war teilweise abhängig vom Ausgang der Volksabstimmung. Die Verfassung machte das Volk damit zum Kontrollorgan gegenüber dem Reichstag. 529 Ob man nun, wie Mallmann die Übernahme der Sanktionsidee aus dem konstitutionellen Staatsrecht verdammte oder den gegenteiligen Ansatz wählte und deren funktionale Aspekte auch für die Weimarer Reichsverfassung gebrauchenswert fand 530 , ist letztlich nicht wirklich ausschlaggebend und relevant. Wichtiger ist die Erkenntnis, dass die Staatslehre Weimars diesen Begriff nicht mehr im Sinne einer exekutiven Bestätigung des Gesetzgebungsgebarens eines Volkshauses betrachtete, worin jedoch der eigentliche Ausgangspunkt des Sanktionsgedankens im Konstitutionalismus zu sehen war. Ursprünglich war der Sanktionsgedanke entweder ausgeprägt in der orthodoxen Form einer unmittelbaren Beteiligung des exekutiven Monarchen am Gesetzgebungsverfahren selber, wie in den Fürstenländern zu finden oder er sollte eine Art letztinstanzliche Prüfung durch ein exekutivmonarchisch besetztes Gremium, wie den Bundesrat oder den Reichsmonarchen darstellen. Die Beseitigung des Dualismus zwischen Volkssouveränität und monarchischem Prinzip in der Weimarer Republik wies deren Verfassung jedoch in eine gänzlich neue Richtung. Dem Sanktionsgedanken an sich war auf diese Weise sein Gegenstand, seine ‚raison d‛ être‛, entfallen. 531 Mehr als eine rechtshistorisch belastete Bezeichnung für den Gesetzesbeschluss war vom Gedanken einer gesonderten Sanktion nicht übrig geblieben. Dies war maßgeblich dem Umstand geschul- 529 A.a.O., S. 500. 530 Vgl. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, Art. 68/69, S. 365; Hubrich, Das demokratische Verfassungsrecht des deutschen Reiches, S. 143 ff. 531 Vgl. Pieroth, Die Sanktion im Gesetzgebungsverfahren, in: Der Staat (16) 1977, S. 566.
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III. Analyse der We<strong>im</strong>arer Reichsverfassung als demokr. Vorläufer des Grundgesetzes 165<br />
unmittelbarer Reichssouverän die Sanktion. Oder es griff der regelmäßige Entstehungsweg<br />
des Gesetzes, in welchem der Reichstag das einzige Rechtsetzungsorgan<br />
darstellte und mithin auch Inhaber des Sanktionsrechts war. Während dieses regelmäßigen<br />
Gesetzgebungsweges, wie ihn Art. 68 Abs. 2 WRV vorgab, konnte es<br />
nur in einem einzigen weiteren Fall zu einer Ausnahme von der Sanktionserteilung<br />
durch die Volksvertretung kommen. Diese Situation sah der Art. 74 Abs. 3 WRV<br />
nämlich dann vor, wenn das Volk nach dem Einspruch des Reichrats durch den<br />
Reichspräsidenten zur Entscheidung über den Gegenstand der Meinungsverschiedenheiten<br />
zwischen Reichstag und Reichsrat aufgerufen wurde. Auch in diesem<br />
Fall erteilte allein der Reichssouverän direkt die Sanktion i.S. eines abschließenden<br />
Gesetzgebungsbeschlusses. In allen anderen Fällen waren die Partizipationsmöglichkeiten<br />
der sonstigen Reichsorgane, inklusive des Reichsvolkes, auf eine hemmende<br />
Beteiligung beschränkt. Dies galt insbesondere auch für das Veto aus Art.<br />
73 Abs. 1 WRV.<br />
Letztlich blieb es in all diesen hemmenden Konstellationen, welche die WRV<br />
vorsah, be<strong>im</strong> Gesetzesbeschluss des Reichstags und damit bei dessen Sanktion.<br />
Nur der Eintritt der Gesetzeskraft war teilweise abhängig vom Ausgang der<br />
Volksabst<strong>im</strong>mung. Die Verfassung machte das Volk damit zum Kontrollorgan<br />
gegenüber dem Reichstag. 529<br />
Ob man nun, wie Mallmann die Übernahme der Sanktionsidee aus dem konstitutionellen<br />
Staatsrecht verdammte oder den gegenteiligen Ansatz wählte und deren<br />
funktionale Aspekte auch für die We<strong>im</strong>arer Reichsverfassung gebrauchenswert<br />
fand 530 , ist letztlich nicht wirklich ausschlaggebend und relevant. Wichtiger ist die<br />
Erkenntnis, dass die Staatslehre We<strong>im</strong>ars diesen Begriff nicht mehr <strong>im</strong> Sinne einer<br />
exekutiven Bestätigung des Gesetzgebungsgebarens eines Volkshauses betrachtete,<br />
worin jedoch der eigentliche Ausgangspunkt des Sanktionsgedankens <strong>im</strong> Konstitutionalismus<br />
zu sehen war. Ursprünglich war der Sanktionsgedanke entweder<br />
ausgeprägt in der orthodoxen Form einer unmittelbaren Beteiligung des exekutiven<br />
Monarchen am Gesetzgebungsverfahren selber, wie in den Fürstenländern zu<br />
finden oder er sollte eine Art letztinstanzliche Prüfung durch ein exekutivmonarchisch<br />
besetztes Gremium, wie den Bundesrat oder den Reichsmonarchen<br />
darstellen.<br />
Die Beseitigung des Dualismus zwischen Volkssouveränität und monarchischem<br />
Prinzip in der We<strong>im</strong>arer Republik wies deren Verfassung jedoch in eine<br />
gänzlich neue Richtung. Dem Sanktionsgedanken an sich war auf diese Weise sein<br />
Gegenstand, seine ‚raison d‛ être‛, entfallen. 531 Mehr als eine rechtshistorisch belastete<br />
Bezeichnung für den Gesetzesbeschluss war vom Gedanken einer gesonderten<br />
Sanktion nicht übrig geblieben. Dies war maßgeblich dem Umstand geschul-<br />
529 A.a.O., S. 500.<br />
530 Vgl. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, Art. 68/69, S. 365; Hubrich, Das<br />
demokratische Verfassungsrecht des <strong>deutschen</strong> Reiches, S. 143 ff.<br />
531 Vgl. Pieroth, Die Sanktion <strong>im</strong> Gesetzgebungsverfahren, in: Der Staat (16) 1977, S. 566.