Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen
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160 B. Systematische und strukturelle Einordnung der Vetorechte Regierung wesentlich ähnlicher als die Reichsverfassung. 517 Immerhin wählten in den meisten Ländern die Landtage die Landesregierung. 518 Im Grundsatz standen sich also nur das Parlament und die von ihm gewählte und von seinem Vertrauen abhängige Regierung gegenüber. Dennoch entwickelte sich kein wirkliches Vertrauensverhältnis zwischen den Mehrheiten des Landtags und den Landesregierungen. 519 Sowohl Landesparlamente als auch Landesexekutiven agierten eher nebeneinander und nicht in Form eines konstruktiven Miteinanders. Hierin ist wohl eine der Hauptursachen zu suchen und zu finden, durch welche die theoretische Möglichkeit einer Vetoanwendung gegenüber dem parlamentarischen Landesgesetz überhaupt erst eröffnet wurde. Eine Landesregierung, die vom Parlament getragen worden wäre, hätte aufgrund der vielfältigen Abstimmungsmechanismen diese Vetomöglichkeit als Instrument gar nicht nötig gehabt. Der Umstand, dass die Landesverfassungen allesamt bis auf diejenige Braunschweigs und Preußens ihren Exekutiven diese Einspruchsrechte gaben, spricht für ein gänzlich anderes Verständnis des parlamentarischen Regierungssystems, als wir es heute praktizieren. Nicht das Vertrauen zwischen Parlamentsmehrheit und Regierung war die Basis für eine gedeihliche Gesetzgebungsarbeit, sondern gegenseitiges Misstrauen. Als Menetekel hierfür können die verfassungsrechtlichen Möglichkeiten der Staatsregierungen in Form des suspensiven Einspruchsvetos mit seinen absoluten Einspruchsdimensionen gelten. Insofern die Landesregierung ohne vorherige Gesetzeszurückweisung an den Landtag oder nachdem jener diese pariert hatte, die betreffende Norm dem Landesvolk zum Volksentscheid vorgelegten, handelte es sich systemtheoretisch um einen suspensiven Einspruch mit einer zweiten devolutiven Phase. Mithin ähnelten diese Einsprüche dem devolutiven Vetorecht aus Art. 73 Abs. 1 WRV auf der Reichsebene. Die aufgezeigten Möglichkeiten der Länderregierungen erstarkten sogar noch unter dem Aspekt der Auflösungsmöglichkeit. Die meisten der dargestellten Exekutiven hatten nämlich zudem die Möglichkeit, dem Landesparlament mit der Auflösung 520 per Volksabstimmung zu drohen. Die Länderregierung hätte also 517 Vgl. Venator, Volksentscheid und Volksbegehren im Reich und den Ländern, AöR 43 (1922), S. 51/52. 518 So zum Beispiel in der Verfassung des freien Volksstaates Württemberg v. 25. September 1919 – § 47 Abs. 1 „Die Staatsleitung wird durch den Landtag dem Staatsministerium übertragen. An seiner Spitze steht ein Ministerpräsident, der die Amtsbezeichnung ‚Staatspräsident‛ führt.“ […] § 48 Abs. 1 „Der Staatspräsident wird durch den Landtag gewählt.“. 519 Vielmehr verhielt es sich so, wie Thoma es zumindest für den Reichsparlamentarismus beschreibt: „…Es ist eine Verfassungswidrigkeit und Entartungserscheinung des parlamentarischen Regierungssystems, wenn einzelne Fraktionen und Parlamentarier ihren Einfluss missbrauchen zur Entfaltung einer Hintertreppenpolitik parteipolitischer oder gar persönlicher Sonderzwecke. …“ – Vgl. Thoma, A.a.O., S. 510. 520 So sahen folgende Länderverfassung auch ein exekutiv initiiertes Auflösungsszenario vor: Hessen – Art. 24 Abs. 1 „Der Landtag kann vor Ablauf seiner Dauer nur durch Volksabstimmung aufgelöst werden. Die Frage der Auflösung ist dem Volke unverzüglich vorzulegen, wenn das Gesamtministerium es beschließt oder wenn ein Zwanzigstel der bei der letzten Wahl zum Landtag Stimmberechtigten das Begehren stellt. …“; Bremen § 18 Abs. 1 „Die Bürgerschaft kann durch Volksentscheid aufgelöst werden. Der Antrag muß von mindestens einem Fünftel der Stimmberechtigten gestellt werden. Das gleiche Antragsrecht steht dem Senat zu, wenn mindestens ein Drittel der gesetzlichen Mitgliederzahl der Bürgerschaft zustimmt. Die Auflösung ist beschlossen, wenn mehr
III. Analyse der Weimarer Reichsverfassung als demokr. Vorläufer des Grundgesetzes 161 gleichsam mit einer Destruktion des Gesetzes mittels Volkabstimmung und der parallelen frühzeitigen Demission des Parlaments durch das Volk drohen können. Dass jene Drohkulisse das Potential hatte, die Länderparlamente zu einer gewissen Gefügigkeit gegenüber der Exekutive zu zwingen, ist wohl anzunehmen. Denn nicht nur der Verlust des Legislativaktes drohte, sondern damit verbunden auch noch der Verlust des Mandats. 521 Diese Drohkulisse entfaltete ihre Wirkung natürlich insbesondere im Rahmen der Einspruchszurückweisung durch die Landtage. Der erhöhte Druck, den die Landesregierung über das mittelbare Auslösungsszenario auf die Legislative ausüben konnte, erleichterte sicherlich nicht die Mehrheitsfindung für den Zurückweisungsbeschluss. Es erweist sich also gerade in Bezug auf die suspensiv und devolutiv ausgestalteten exekutiven Vetorechte der Länderebene als ein Trugschluss, allein die Grundkonstanten des Parlamentarismus der Weimarer Republik zu betrachten. Beschränkt man sich lediglich darauf, so kommt man verständlicherweise zu dem Ergebnis, dass die Reichsländerverfassungen eine klare Lösung zugunsten des Prinzips einer parlamentarisch verantwortlichen Regierung fanden. 522 Nur wenn man den Blick schärft für die kontrastierenden Komplementärnormen, kann man die tatsächliche Natur des Weimarer Verfassungssystems auf Länderebene richtig einschätzen. Zu einem solchen Gesamtüberblick gehört es, auch die Vetorechte, flankiert von den Auflösungsdrohkulissen, zu reflektieren und zu werten. Diese Vetoeinsprüche auf Länderebene waren letztlich systemfremd gegenüber der eigentlichen Zielkonzeption einer klassischen parlamentarischen Regierung. Für das Verfehlen dieses Ziels könnte man auf der Reichsebene die Schuld noch bei der Position des unmittelbar volkslegitimierten Reichspräsidenten suchen. Bei Betrachtung der Reichsländerverfassungen wird jedoch deutlich, dass mit den Vetorechten ein Rechtsinstitut in die Verfassungslandschaft „gepflanzt“ wurde, welches dem parlamentarischen Ansinnen der Weimarer Verfassungen nach als die Hälfte der Stimmberechtigten dafür gestimmt hat.“; Württemberg – § 16 „Abs. 1. Der Landtag kann vor Ablauf der Landtagsperiode durch Volksabstimmung aufgelöst werden.“ „Abs. 2 Die Frage der Auflösung des Landtags ist dem Volke vorzulegen, wenn das Staatsministeriums es beschließt oder wenn ein Fünftel der bei der letzten Landtagswahl Stimmberechtigten das Volksbegehren stellt.“; Anhalt – § 11 „Der Landtag kann vor Ablauf der Wahlperiode durch Volksentscheid aufgelöst werden. Die Frage der Auflösung des Landtags ist zum Volksentscheid zu bringen, wenn der Staatsrat es beschließt….“; Oldenburg – § 55 „Der Landtag ist, abgesehen von dem Falle des § 40, vom Staatsministerium aufzulösen, wenn er es mit der für Verfassungsänderungen vorgeschriebenen Stimmenmehrheit selbst beschließt oder wenn eine Volksabstimmung es verlangt.“; Sachsen – Art. 9 Abs. 2 „Der Landtag kann auf Volksbegehren oder auf Antrag des Gesamtministeriums durch Volksentscheid aufgelöst werden.“. – Genauso wie für die Reichsebene lassen sich auch für die kurze Zeit der Existenz der Weimarer Reichsländer einige dementsprechende Auflösungen eruieren. 521 Wie schon für die Reichsebene festgestellt, darf auch für den Länderparlamentarismus nicht übersehen werden, dass es innerhalb der Weimarer Wählerschaft nur äußerst rudimentär ausgebildete Parteibindungen gab. Am deutlichsten wird dieser Umstand darin, dass sich weite Teile der Arbeitnehmer unter den Wählern innerhalb weniger Jahre weg von den Sozialdemokraten, hin zu den Nationalsozialisten orientierten. Über jedem Abgeordneten schwang somit das Damoklesschwert des Mandatsverlustes in viel dramatischerer Art und Weise, als Abgeordnete dies in den deutschen Parlamenten unserer Zeit empfinden müssen. 522 So z.B. Koellreutter, Das parlamentarische System in den deutschen Länderverfassungen, S. 12 – „…Die parlamentarische Regierung muß die Geschäfte im Einvernehmen mit dem Parlament führen, weil sie nach dem demokratischen Prinzip dem Volke verantwortlich sein muß. …“.
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B. Systematische und strukturelle Einordnung der <strong>Vetorechte</strong><br />
Regierung wesentlich ähnlicher als die Reichsverfassung. 517 Immerhin wählten in<br />
den meisten Ländern die Landtage die Landesregierung. 518 Im Grundsatz standen<br />
sich also nur das Parlament und die von ihm gewählte und von seinem Vertrauen<br />
abhängige Regierung gegenüber. Dennoch entwickelte sich kein wirkliches Vertrauensverhältnis<br />
zwischen den Mehrheiten des Landtags und den Landesregierungen.<br />
519 Sowohl Landesparlamente als auch Landesexekutiven agierten eher<br />
nebeneinander und nicht in Form eines konstruktiven Miteinanders.<br />
Hierin ist wohl eine der Hauptursachen zu suchen und zu finden, durch welche<br />
die theoretische Möglichkeit einer Vetoanwendung gegenüber dem parlamentarischen<br />
Landesgesetz überhaupt erst eröffnet wurde. Eine Landesregierung, die<br />
vom Parlament getragen worden wäre, hätte aufgrund der vielfältigen Abst<strong>im</strong>mungsmechanismen<br />
diese Vetomöglichkeit als Instrument gar nicht nötig gehabt.<br />
Der Umstand, dass die Landesverfassungen allesamt bis auf diejenige Braunschweigs<br />
und Preußens ihren <strong>Exekutive</strong>n diese Einspruchsrechte gaben, spricht<br />
für ein gänzlich anderes Verständnis des parlamentarischen Regierungssystems, als<br />
wir es heute praktizieren. Nicht das Vertrauen zwischen Parlamentsmehrheit und<br />
Regierung war die Basis für eine gedeihliche Gesetzgebungsarbeit, sondern gegenseitiges<br />
Misstrauen. Als Menetekel hierfür können die verfassungsrechtlichen<br />
Möglichkeiten der Staatsregierungen in Form des suspensiven Einspruchsvetos<br />
mit seinen absoluten Einspruchsd<strong>im</strong>ensionen gelten.<br />
Insofern die Landesregierung ohne vorherige Gesetzeszurückweisung an den<br />
Landtag oder nachdem jener diese pariert hatte, die betreffende Norm dem Landesvolk<br />
zum Volksentscheid vorgelegten, handelte es sich systemtheoretisch um<br />
einen suspensiven Einspruch mit einer zweiten devolutiven Phase. Mithin ähnelten<br />
diese Einsprüche dem devolutiven Vetorecht aus Art. 73 Abs. 1 WRV auf der<br />
Reichsebene.<br />
Die aufgezeigten Möglichkeiten der Länderregierungen erstarkten sogar noch<br />
unter dem Aspekt der Auflösungsmöglichkeit. Die meisten der dargestellten <strong>Exekutive</strong>n<br />
hatten nämlich zudem die Möglichkeit, dem Landesparlament mit der<br />
Auflösung 520 per Volksabst<strong>im</strong>mung zu drohen. Die Länderregierung hätte also<br />
517 Vgl. Venator, Volksentscheid und Volksbegehren <strong>im</strong> Reich und den Ländern, AöR 43 (1922), S. 51/52.<br />
518 So zum Beispiel in der Verfassung des freien Volksstaates Württemberg v. 25. September 1919 – § 47 Abs. 1<br />
„Die Staatsleitung wird durch den Landtag dem Staatsministerium übertragen. An seiner Spitze steht ein Ministerpräsident,<br />
der die Amtsbezeichnung ‚Staatspräsident‛ führt.“ […] § 48 Abs. 1 „Der Staatspräsident wird durch<br />
den Landtag gewählt.“.<br />
519 Vielmehr verhielt es sich so, wie Thoma es zumindest für den Reichsparlamentarismus beschreibt: „…Es ist<br />
eine Verfassungswidrigkeit und Entartungserscheinung des parlamentarischen Regierungssystems, wenn einzelne Fraktionen und<br />
Parlamentarier ihren Einfluss missbrauchen zur Entfaltung einer Hintertreppenpolitik parteipolitischer oder gar persönlicher<br />
Sonderzwecke. …“ – Vgl. Thoma, A.a.O., S. 510.<br />
520 So sahen folgende Länderverfassung auch ein exekutiv initiiertes Auflösungsszenario vor: Hessen – Art. 24<br />
Abs. 1 „Der Landtag kann vor Ablauf seiner Dauer nur durch Volksabst<strong>im</strong>mung aufgelöst werden. Die Frage der<br />
Auflösung ist dem Volke unverzüglich vorzulegen, wenn das Gesamtministerium es beschließt oder wenn ein<br />
Zwanzigstel der bei der letzten Wahl zum Landtag St<strong>im</strong>mberechtigten das Begehren stellt. …“; Bremen § 18 Abs.<br />
1 „Die Bürgerschaft kann durch Volksentscheid aufgelöst werden. Der Antrag muß von mindestens einem<br />
Fünftel der St<strong>im</strong>mberechtigten gestellt werden. Das gleiche Antragsrecht steht dem Senat zu, wenn mindestens<br />
ein Drittel der gesetzlichen Mitgliederzahl der Bürgerschaft zust<strong>im</strong>mt. Die Auflösung ist beschlossen, wenn mehr