Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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158 B. Systematische und strukturelle Einordnung der Vetorechte ge nur unter großem Aufwand zu kreieren. Man kann sogar so weit gehen, zu sagen: Die durch einige Verfassungen aufgestellten Mehrheitsdimensionen, um eine exekutive Zurückweisung des Gesetzesbeschlusses parieren zu können, stellten sich in den entsprechenden Ländern der Weimarer Republik als teilweise faktisch unüberwindbare Hürden dar. Nach dem Wortlaut der betroffenen Verfassungen war die Zurückweisung der Einspruchsrechte eigentlich dem Landesparlament als Ganzem zugewiesen. Problematisch war jedoch, die Inhomogenität der Weimarer Legislativen. Diese war insbesondere der parteipolitisch zersplitterten Fraktionslandschaft 513 der Parlamente in der Weimarer Zeit geschuldet. Zu den hohen, teilweise faktisch unüberwindbaren, Quorummehrheiten in den Landtagen, die es verunmöglichten bzw. extrem erschwerten einen Einspruch der Landesexekutiven zurückzuweisen, kam noch die oben unter B.III.2.b.bb. aufgezeigte weit verbreitete Konstellation der Volksentscheide über die vetobelegten Gesetze hinzu. Die politische Zersplitterung der Weimarer Parteienlandschaft spiegelte letztlich ja nur die gesellschaftliche Zerrissenheit der jungen Republik wieder. Es kann angenommen werden, dass die vielschichtigen Partikularinteressen in der Weimarer Bevölkerung auch im Rahmen von Volksentscheiden, die plebiszitäre Bestätigung eines Gesetzes nicht erleichterten. Insbesondere waren es also faktische Hürden, die zugunsten der Landesexekutiven als Vetoverstärker wirken konnten. Wenn man an dieser Stelle die juristische Exegese des Wortlauts der damaligen Landesverfassungen verlässt und zu einer verfassungspolitischen Sicht übergeht, so muss trotz eigentlich anderslautendem Verfassungstext speziell bei den Einspruchsrechten, die nur mittels Zweidrittelmehrheit überwunden werden konnten und bei Gesetzen, die infolge eines Einspruchs plebiszitären Unwägbarkeiten ausgesetzt waren, de facto von absoluten Vetorechten gesprochen werden. 514 Dieser Effekt fand sowohl auf der Reichsebe- 513 Es fehlte in der Weimarer Republik insbesondere an einer Hürde, wie der heutigen Fünfprozentklausel, welche die Fraktionszersplitterung zu verhindern geholfen hätte – zur Ausgestaltung des Verhältniswahlsystems zur Weimarer Zeit; Pohl, Das Reichstagswahlrecht (§35), in: Handbuch des Deutschen Staatsrechts Bd. I (1930), S. 397-399. Zu der der Parteienzersplitterung zugrunde liegenden gesellschaftlichen Dimension: Thoma, Die rechtliche Ordnung des parlamentarischen Regierungssystems (§43), in: Handbuch des Deutschen Staatsrechts Bd. I (1930), S. 510. Zu den Folgen, der aus den gesellschaftlichen Verwerfungen entspringenden Parteienzersplitterung als Zeitzeuge der Reichsminister a.D. und ehem. Mitglied der Weimarer Verfassungsversammlung Hugo Preuß, in: Preuß: Um die Reichsverfassung von Weimar, S. 65/66 – „...Es ist der Krebsschaden unserer parlamentarischen Parteiverhältnisse, wie sie aus unpolitisch geführten Wahlen hervorgegangen sind, daß es unmöglich ist, auf der gemeinsamen Grundlage jener beiden Prinzipien (gemeint waren: …das Prinzip der nationalen Einheit in Gestalt der demokratischen Republik und das Prinzip der Ueberwindung des sozialen Klassengegensatzes von ‚Bürgertum‛ und Arbeiterschaft in der nationalen Gemeinschaft der staatsbürgerlichen Demokratie. …) zwei Parteien oder Koalitionen nebeneinander zu bilden, die sich als Regierung und regierungsfähige Opposition ablösen könnten. […] Parteien, deren ganze Zukunftshoffnungen darauf beruhen, daß sich die jetzige Ordnung der Dinge nicht konsolidiert und befestigt, Parteien, deren Machtentfaltung auf die Verschärfung des sozialen Klassengegensatzes zwischen Bürgertum und Proletariat sich stützt, können nicht für eine Koalition in Betracht kommen, die eine wirklich verfassungstreue Regierung tragen will. …“. 514 Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass das quasi absolute Veto des Staates Anhalt (§ 42 Verfassung für Anhalt v. 18. Juli 1919 [in der konsolidierten Fassung v. 06. Oktober 1922]) zwar eine im Vergleich herausragende und besonders starke Stellung der Exekutive gegenüber der anhaltischen Legis-

III. Analyse der Weimarer Reichsverfassung als demokr. Vorläufer des Grundgesetzes 159 ne als auch in den Weimarer Ländern seinen Ursprung nicht nur in der zersplitterten politischen Landschaft, sondern wurde zudem noch durch eine fehlende parlamentarische Kultur verschärft, welche gekennzeichnet war vom Makel der fehlenden Bindungen zwischen Regierung und Parlamentsfraktionen in der Weimarer Republik. bbb. Fehlende Kohärenz zum Verfassungssystem Der Aspekt einer sog. „Parlamentarischen Regierung“ war in der Weimarer Republik auf allen ihren staatlichen Ebenen nur rudimentär ausgebildet. 515 Gerade diese fehlende Bindung zwischen exekutiver Landesregierung und einer ihr parteipolitisch zugetanen Parlamentsmehrheit öffnete Tür und Tor für Einsprüche der Staatsregierung gegen parlamentarische Gesetze, die sie nicht wollte. Eine nach heutigem Verständnis vergleichbare Verantwortung der Länderexekutiven für Gesetze der sie tragenden Parlamentsmehrheit existierte so gut wie nicht. Das mag im Grundsatz auch für die Reichsebene gegolten haben, dort existierte aber überdies noch ein Reichspräsident, der die schützende Hand über ‚seine‛ Regierung halten konnte und diese nicht allein dem Vertrauensvotum eines mit ihr fremdelnden Parlaments ausgesetzt war. Denn auch die Legislative war sich in der Regel keiner Verantwortung für die Durchsetzungsfähigkeit der Exekutive bewusst. Dabei hatten gerade die Länder der Weimarer Republik eine besondere Chance jene Bindungen zwischen Regierung und Parlamentsfraktionen herzustellen, da hier anders als auf Reichsebene kein Präsident die Regierung ohne parlamentarische Mitwirkung hätte ernennen können. 516 Die Länderverfassungen Weimars waren den heutigen Verfassungskonstruktionen einer parlamentarischen lative bedeutete, das Parlament jedoch im Falle eines durch Quorumverfehlung erledigten Gesetzgebungsbeschlusses, zumindest mit einfacher Mehrheit, dann selber ein Referendum zur Bestätigung des eigenen Gesetzgebungsanliegens initiieren konnte. 515 Diesen Umstand einer fehlenden „Parlamentarischen Regierung“ in der Weimarer Republik exzellent darstellend: Thoma, Die rechtliche Ordnung des parlamentarischen Regierungssystems (§43), in: Handbuch des Deutschen Staatsrechts Bd. I (1930), S. 510: „…Man sagt „Parlamentarische Regierung“, meint damit aber nicht Parlamentsregierung, sondern Regierung eines vom Vertrauen einer Parlamentsmehrheit getragenen Ministeriums. …“ Ebenso, Preuß, Um die Reichsverfassung von Weimar, S. 64: „…Jedenfalls gibt die Zerfahrenheit unseres Parteiwesens, die daraus folgende Unvermeidlichkeit von Koalitionsregierungen dem Reichspräsidenten bei der Lösung von Regierungskrisen einen größeren Einfluß, stellt ihn aber zugleich vor an sich schwierige Aufgaben, die durch Mangel an Tradition und Schulung in der Kunst parlamentarischer Selbstregierung und durch den entsprechenden Mangel staatsmännischer Führungsbund politischer Selbstdisziplin erschwert werden. …“. 516 Ganz anders auf Reichsebene: Hier wurde dem Reichspräsidenten eine starke Rolle bei der Regierungsbildung zugewiesen. Vgl. Pohl, Die Zuständigkeiten des Reichspräsidenten (§42), in: Handbuch des Deutschen Staatsrechts Bd. I (1930), S. 487/488: „…Der Anteil des Reichspräsidenten an der Regierungsbildung ist keineswegs eine bloß formelle Befugnis, sondern (nach Hugo Preuß) ‚die wichtigste selbständige Funktion des Reichspräsidenten. Hierin vor allem hat er seine politische Führereigenschaft zu bewähren‛ Er und nicht etwa die Mehrheitsparteien im Reichstag haben die Regierung zu bilden. Denn sie ist von der Verfassung als ein selbständiges Organ der Exekutive gedacht, nicht als Vertrauensausschuss des Reichstags. Der Reichspräsident ist bei der Regierungsbildung nicht auf Personen beschränkt, ‚von denen bekannt oder den Umständen nach anzunehmen ist, daß der Reichstag ihnen sein Vertrauen nicht versagen wird‛. […] Der Reichspräsident ist rechtlich in der Lage, zur Durchsetzung seines politischen Willens gegen eine Reichstagsmehrheit zunächst eine Minderheits- und Kampfregierung zu bilden, zu der dann ein aus Neuwahlen hervorgehender Reichstag Stellung zu nehmen hat. …“.

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B. Systematische und strukturelle Einordnung der <strong>Vetorechte</strong><br />

ge nur unter großem Aufwand zu kreieren. Man kann sogar so weit gehen, zu<br />

sagen: Die durch einige Verfassungen aufgestellten Mehrheitsd<strong>im</strong>ensionen, um<br />

eine exekutive Zurückweisung des Gesetzesbeschlusses parieren zu können, stellten<br />

sich in den entsprechenden Ländern der We<strong>im</strong>arer Republik als teilweise faktisch<br />

unüberwindbare Hürden dar.<br />

Nach dem Wortlaut der betroffenen Verfassungen war die Zurückweisung der<br />

Einspruchsrechte eigentlich dem Landesparlament als Ganzem zugewiesen. Problematisch<br />

war jedoch, die Inhomogenität der We<strong>im</strong>arer Legislativen. Diese war<br />

insbesondere der parteipolitisch zersplitterten Fraktionslandschaft 513 der Parlamente<br />

in der We<strong>im</strong>arer Zeit geschuldet. Zu den hohen, teilweise faktisch unüberwindbaren,<br />

Quorummehrheiten in den Landtagen, die es verunmöglichten bzw.<br />

extrem erschwerten einen Einspruch der Landesexekutiven zurückzuweisen, kam<br />

noch die oben unter B.III.2.b.bb. aufgezeigte weit verbreitete Konstellation der<br />

Volksentscheide über die vetobelegten Gesetze hinzu. Die politische Zersplitterung<br />

der We<strong>im</strong>arer Parteienlandschaft spiegelte letztlich ja nur die gesellschaftliche<br />

Zerrissenheit der jungen Republik wieder. Es kann angenommen werden, dass die<br />

vielschichtigen Partikularinteressen in der We<strong>im</strong>arer Bevölkerung auch <strong>im</strong> Rahmen<br />

von Volksentscheiden, die plebiszitäre Bestätigung eines Gesetzes nicht erleichterten.<br />

Insbesondere waren es also faktische Hürden, die zugunsten der Landesexekutiven<br />

als Vetoverstärker wirken konnten. Wenn man an dieser Stelle die juristische<br />

Exegese des Wortlauts der damaligen Landesverfassungen verlässt und zu einer<br />

verfassungspolitischen Sicht übergeht, so muss trotz eigentlich anderslautendem<br />

Verfassungstext speziell bei den Einspruchsrechten, die nur mittels Zweidrittelmehrheit<br />

überwunden werden konnten und bei Gesetzen, die infolge eines Einspruchs<br />

plebiszitären Unwägbarkeiten ausgesetzt waren, de facto von absoluten<br />

<strong>Vetorechte</strong>n gesprochen werden. 514 Dieser Effekt fand sowohl auf der Reichsebe-<br />

513 Es fehlte in der We<strong>im</strong>arer Republik insbesondere an einer Hürde, wie der heutigen Fünfprozentklausel,<br />

welche die Fraktionszersplitterung zu verhindern geholfen hätte – zur Ausgestaltung des Verhältniswahlsystems<br />

zur We<strong>im</strong>arer Zeit; Pohl, Das Reichstagswahlrecht (§35), in: Handbuch des Deutschen Staatsrechts Bd. I (1930),<br />

S. 397-399. Zu der der Parteienzersplitterung zugrunde liegenden gesellschaftlichen D<strong>im</strong>ension: Thoma, Die<br />

rechtliche Ordnung des parlamentarischen Regierungssystems (§43), in: Handbuch des Deutschen Staatsrechts<br />

Bd. I (1930), S. 510.<br />

Zu den Folgen, der aus den gesellschaftlichen Verwerfungen entspringenden Parteienzersplitterung als Zeitzeuge<br />

der Reichsminister a.D. und ehem. Mitglied der We<strong>im</strong>arer Verfassungsversammlung Hugo Preuß, in: Preuß: Um<br />

die Reichsverfassung von We<strong>im</strong>ar, S. 65/66 – „...Es ist der Krebsschaden unserer parlamentarischen Parteiverhältnisse, wie<br />

sie aus unpolitisch geführten Wahlen hervorgegangen sind, daß es unmöglich ist, auf der gemeinsamen Grundlage jener beiden Prinzipien<br />

(gemeint waren: …das Prinzip der nationalen Einheit in Gestalt der demokratischen Republik und das Prinzip der<br />

Ueberwindung des sozialen Klassengegensatzes von ‚Bürgertum‛ und Arbeiterschaft in der nationalen Gemeinschaft der staatsbürgerlichen<br />

Demokratie. …) zwei Parteien oder Koalitionen nebeneinander zu bilden, die sich als Regierung und regierungsfähige Opposition<br />

ablösen könnten. […] Parteien, deren ganze Zukunftshoffnungen darauf beruhen, daß sich die jetzige Ordnung der Dinge nicht<br />

konsolidiert und befestigt, Parteien, deren Machtentfaltung auf die Verschärfung des sozialen Klassengegensatzes zwischen Bürgertum<br />

und Proletariat sich stützt, können nicht für eine Koalition in Betracht kommen, die eine wirklich verfassungstreue Regierung tragen<br />

will. …“.<br />

514 Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass das quasi absolute Veto des Staates<br />

Anhalt (§ 42 Verfassung für Anhalt v. 18. Juli 1919 [in der konsolidierten Fassung v. 06. Oktober 1922]) zwar<br />

eine <strong>im</strong> Vergleich herausragende und besonders starke Stellung der <strong>Exekutive</strong> gegenüber der anhaltischen Legis-

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