22.01.2013 Aufrufe

Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

148<br />

B. Systematische und strukturelle Einordnung der <strong>Vetorechte</strong><br />

Reichskanzler von dem er sich trennen wollte, gegen dessen Willen entlassen und<br />

von seinem Nachfolger sowohl dessen Berufung als auch die Entlassung kontrasignieren<br />

lassen. Diese Argumentation sollte schon allein dadurch untermauert<br />

werden, dass es widersinnig wäre und gegen die allgemeinen Grundsätze der Verfassung<br />

verstieße, wenn der Reichspräsident seinen Reichskanzler nicht autark<br />

‚loswerden‛ konnte. 472<br />

Jene Ansicht konnte jedoch in gar keiner Weise mit der Auffassung konform<br />

gehen, dass die Reichsregierung ein Vertrauensausschuss der Volksvertretung sei.<br />

Dies hätte nämlich zur Folge gehabt, dass die Reichsregierung als parlamentarische<br />

Regierung auf der einen Seite in absoluter Vertrauensposition zum Parlament<br />

als „Kernpunkt ihrer Stellung“ 473 gestanden hätte und auf der anderen Seite vollständig<br />

dem Willen des Reichspräsidenten ausgesetzt gewesen wäre. Genauso konfus<br />

erscheint es jedoch, dass der dermaßen starke und direkt demokratisch legit<strong>im</strong>ierte<br />

Reichspräsident nur <strong>im</strong> Sinne der Mehrheitsverhältnisse <strong>im</strong> Parlament agieren<br />

können sollte. Was wäre das Appellationsrecht an das Volk aus Art. 73 Abs. 1<br />

WRV dann überhaupt wert gewesen?<br />

Be<strong>im</strong> Aufwerfen dieser Fragen wird deutlich, dass gerade die Vetokonstruktion<br />

der WRV dazu geeignet ist, wie in einem Lichtkegel die Schizophrenie der We<strong>im</strong>arer<br />

Verfassungskonstruktion auszuleuchten. Bei näherer Betrachtung der dortigen<br />

Gegebenheiten wird deutlich, dass auch das Vetorecht aus Art. 73 Abs. 1 WRV<br />

letztlich nur die Folge eines undurchdachten politischen Kompromisses darstellte,<br />

der wie die gesamte WRV das Ergebnis einer unsystematischen Fehlkonstruktion<br />

war. 474 Anhand der Vetokonstruktion wird deutlich, dass die Fragilität der WRV<br />

472 Vgl. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, Art. 25, S. 200.<br />

V. Beyme (v. Beyme, Die Parlamentarischen Regierungssysteme in Europa, S. 273) weist darauf hin, dass die<br />

Debatten um die Gegenzeichnungsnotwendigkeit präsidialer Akte, insbesondere in Parlamentsauflösungsfragen,<br />

unter dem Eindruck der Verweigerung Bismarcks standen, <strong>im</strong> Jahr 1890 seine eigene Entlassung gegenzuzeichnen.<br />

Obwohl die Gegenzeichnung der eigenen Entlassung eine Farce darstellen würde und die Gegenzeichnung der<br />

scheidenden Minister für die Ernennung des neuen Kabinetts gleichfalls keine wirkliche Verantwortlichkeit<br />

bedeuten konnte, stellte sich der Abg. Preuß in der Nationalversammlung auf folgenden Punkt, den mit ihm die<br />

herrschende Lehre <strong>im</strong> Staatsrecht der We<strong>im</strong>arer Republik vertrat: „…Der Präsident ist nicht unbedingt der Mehrheit<br />

unterworfen, er kann versuchen eine Minderheit zur Mehrheit durch Anrufung des Volkes zu machen; er muß aber dann aus der<br />

Minderheit die dafür verantwortlichen Staatsmänner berufen. …“ Preuß und die h.M. suchten also den Ausweg aus dem<br />

Dilemma, dass eine durch Misstrauen gestürzte Reichsregierung nicht mehr rechtmäßig ein Auflösungsdekret<br />

kontrasignieren durfte, darin, dass sie dem Reichspräsidenten das Recht zusprachen eine Minderheitsregierung zu<br />

bilden, die das Auflösungsdekret gegenzeichnet und <strong>im</strong> Reichstag verkündet, noch ehe dieser Zeit finden konnte,<br />

ihr das Misstrauen auszusprechen. – Vgl. v. Beyme, Die Parlamentarischen Regierungssysteme in Europa, S. 272.<br />

473 Vgl. Nawiasky, in: Die Grundgedanken der Reichsverfassung, S. 69.<br />

474 Als für die Ambivalenz der WRV besonders symbolträchtig kann auch und gerade die Konzeption des Präsidentenamtes<br />

angeführt werden. Die oben schon angedeutete Umstrittenheit von dessen Ausgestaltung führte<br />

dazu, dass den eigentlichen demokratischen und parlamentarischen Zielvorgaben für die WRV nicht konsequent<br />

Rechnung getragen wurde. Auf der einen Seite versuchten die Wortführer der Nationalversammlung, allen voran<br />

der Abg. Preuß, Deutschland die ‚Mängel des unechten französischen Parlamentarismus‛, zu ersparen. Insbesondere durch<br />

die Volkswahl sollte dem Präsidenten quasi die Autorität und das Ansehen verliehen werden, um ihn als wirkliches<br />

Gegengewicht zur souveränen Volksversammlung zu installieren. Vgl. v. Beyme, Die Parlamentarischen<br />

Regierungssysteme in Europa, S. 268;

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!