Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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142 B. Systematische und strukturelle Einordnung der Vetorechte ten Misstrauensvotum des Parlaments zuvorgekommen. Da der Reichspräsident ansonsten ohne jegliche weitere Instanz den Reichstag auflösen konnte, hätte er nun mit seinem quasi kommissarisch regierenden Reichskanzler in die kommende Reichstagswahl ziehen können. Was dem Reichstag geblieben wäre, ist nur die vage Hoffnung auf einen politischen Stimmungsumschwung zulasten des Reichspräsidenten. Selbst wenn sich bei der Wahl und dem gleichzeitig stattfindenden vetoinitiierten Referendum die Mehrheiten nicht zugunsten des Präsidenten entwickelt hätten, hätte ihm sein Kanzlerkreationsrecht zumindest genügend Einfluss für die Installierung einer Minderheitenregierung gesichert. 458 In jedem Fall hätte aber der Reichspräsident den viel bemühten ‚längeren Arm‛ gehabt. Die sprichwörtliche ‚Butter‛ jedenfalls brauchte sich der Reichspräsident, durch die Gegenzeichnungsnotwendigkeit der vertrauensabhängigen Regierung, ‚nicht vom Brot nehmen lassen‛. Hingegen für den Reichstag gab es in einer solchen Auseinandersetzung nicht viel zu gewinnen. Vielmehr drohten politische Blamage und Mandatsverlust. Das für den Bedeutungsgehalt des Art. 73 Abs. 1 WRV als Vetorecht essentielle Auflösungsrecht aus Art. 25 WRV darf also bei der Bewertung von dessen Vetoqualität niemals übersehen werden. Die diesbezügliche Drohkulisse 459 wurde allgemein schon oben angedeutet. Sie bildet jedoch beim Parieren des Gegenzeichnungsvorbehalts, wie ihn Schade als Nachweis der Vetoschwäche aufbietet, die Hauptargumentationslinie, um seine auf den ersten Blick schlüssige Beweisführung zu widerlegen. Unter Betrachtung des Weimarer Verfassungsgefüges in seinem Großen und Ganzen wird deutlich, dass es sich bei einem konzertierten Gebrauch durch einen taktisch klugen Reichspräsidenten bei Art. 73 Abs. 1 WRV um ein äußerst starkes Vetorecht hätte handeln können. Allein eine starke Präsidentenpersönlich- Der Satz, daß der Reichskanzler und die Reichsminister des Vertrauens des Reichstags bedürfen, ist also insofern nicht wörtlich gemeint, als das Vorhandensein des ‚Vertrauens‛ solange unterstellt (fingiert) wird, als es ihnen der Reichstag nicht durch ausdrücklichen Beschluß entzieht. Ein positives Vertrauensvotum wird nicht erfordert…“ Es lässt sich somit m. A. nach mit Fug und Recht sagen: Diese taktische Maßnahme der Auflösung unter Ablösung der alten Reichsregierung mit dem Zweck sich ein gegenzeichnungswilliges Kabinett zu erschaffen kann dem Reichspräsidenten nach dem Wortlaut der WRV nicht abgesprochen werden und schon gar nicht durch eine missliche Argumentation über den parlamentarischen Charakter der Verfassung Weimars, den diese vielleicht tendenziell anstrebte, der aber in ihr als parlamentarische Republik nicht in genügender Dimension verwirklicht wurde. Im Ergebnis bedeutet dies: Wenn auch jeder Minister des Vertrauens des Reichstags bedurfte, so konnte doch der Reichspräsident unabhängig von einem etwaigen Misstrauensvotum den Reichskanzler oder den einzelnen Reichsminister absetzen. – Vgl. Peters, in: Geschichtliche Entwicklung und Grundfragen der Verfassung, S. 89. 458 In diesem Sinne auch Nawiasky, in: Die Grundgedanken der Reichsverfassung, S. 79/80: „…Das … […] die Wiederwahl des Reichstags mit im wesentlichen unveränderter Zusammensetzung die Absetzung des Reichspräsidenten nicht nach sich zieht, erklärt sich aus technischen Gründen. Es lässt sich ja niemals in so scharfer Form feststellen, daß der Ausfall der Reichstagswahlen eine Niederlage des Reichspräsidenten bedeutet. …“. 459 Das die von Art. 73 Abs. 1 WRV ausgehende ‚Drohkulisse‛ für die Weimarer Politik ein durchaus realistischer Horizont war, zeigt sich auch daran, dass allein die Existenz dieses Präsidentenvetos schon Bewegung ins Parlament brachte. Vgl. Fromme, Von der Weimarer Verfassung zum Bonner Grundgesetz, S. 159, der basierend auf Stampfer, Die ersten 14 Jahre der Deutschen Republik, S. 465 darauf hinweist, dass trotz des fehlenden Einsatzes von Art. 73 Abs. 1 WRV, schon „…das Vorhandensein dieses präsidialen Rechtes gelegentlich eine Beunruhigung der Politik zur Folge gehabt [habe]. Die vergebliche Opposition der DNVP [Deutschnationale Volkspartei] gegen die Verträge von Locarno z.B. stützte sich auf die Hoffnung, der Reichspräsident werde die Locarno Gesetze zum Volksentscheid stellen. …“.

III. Analyse der Weimarer Reichsverfassung als demokr. Vorläufer des Grundgesetzes 143 keit mit gutem Draht zum Kanzler hätte jedoch nicht genügt. Vielmehr wäre das Aufbieten der gesamten Macht aus der Verfassung nötig gewesen, um dem ebenbürtigen Verfassungsorgan Reichstag mittels exekutivem Veto Paroli bieten zu können. 460 (2) Betrachtungen für Art. 70 WRV In all den Fällen, in denen der Präsident der Weimarer Republik aktiv handelte, so wie es für den Erlass des Volksentscheides anzunehmen ist, benötigte er für die Wirksamkeit seines Tuns, die positive Verantwortungsübernahme durch die Reichsregierung in Form der ministeriellen Billigung. Es wurde oben dargestellt, dass der Reichspräsident zwar kein vollwertiges Mitwirkungsrecht an der Reichgesetzgebung hatte, ihm jedoch neben den Möglichkeiten aus Art. 73 Abs. 1 WRV eine präsidiale Reaktion eröffnet war, die sich gegen das Gesetzgebungsgebaren des Reichstags richten konnte. Der Art. 70 WRV erlaubte es dem Präsidenten, zumindest aus verfassungsrechtlichen Zweifeln, die Ausfertigung und Verkündung eines Reichsgesetzes zu verweigern. Da sich die Gegenzeichnungspflicht auf alle präsidialen Akte erstrecken sollte, gilt es entsprechende Betrachtungen auch für die Ausfertigungsverweigerungskonstellation anzustellen. Die grundsätzliche Regel, dass der Präsident die Gegenzeichnung des Reichskanzlers oder der Reichsminister für seine Akte benötigte greift prinzipiell auch für die Fragestellung der Verweigerung der Ausfertigung i.S.v. Art. 70 WRV. Auch hierfür benötigte er theoretisch die ministerielle Verantwortlichkeitsübernahme in 460 Nachweise zu der von Anschütz als herrschende Meinung dargestellten Auffassung, das der Reichspräsident im Falle des Konflikts mit der Reichstagsmehrheit und der ihr ergebenen Regierung, die letztere ohne Gegenzeichnung eines ihrer Mitglieder entlassen und eine Minderheitsregierung berufen, deren Führer in Person des neuen Reichskanzlers die Entlassung der alten Regierung, seine eigene Ernennung und die Auflösung des Reichstags kontrasignieren konnte, sind zu finden bei: Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, Art. 25, S. 199. Dabei führt Anschütz insbesondere den Abgeordneten Preuß und seine Aussagen ins Feld: „…Wenn der Präsident den Reichstag auflöst und gegen die Mehrheit regieren will, dann kann er nicht mit dem Mehrheitsministerium regieren. Er muß aber eine Gegenzeichnung dafür haben. Dieser ganze politische Akt kann nur darin bestehen, daß er durch die Neuwahlen versucht, die Mehrheit zu machen… er muss aber dann aus der Minderheit die dafür verantwortlichen Staatsmänner berufen. …“ (Preuß VAusSchProt S. 237). […] Es ist gewiß denkbar, daß der neue Reichspräsident zu dem Entschluß gelangt, er müsse die Auflösung gegen die Mehrheit des Reichstages und gegen die Meinung des aus dieser Mehrheit hervorgegangen Ministeriums vornehmen; … dann muß er sich aus der Minderheit ein neues Ministerium bilden, mit dessen Gegenzeichnung auflösen und abwarten, wie die Wahlen ausfallen. …“ (Preuß VAusSchProt S. 252). Neben Preuß als unmittelbaren Zeugen aus der Weimarer Verfassungsversammlung verweist Anschütz auf den Staatsrechtler Thoma (Thoma, Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik (50), S. 279): „…Der Reichspräsident hat das Auflösungsrecht, und wenn es etwas taugen soll, so muß er in der Lage sein, im kritischen Augenblick das Mehrheitsministerium zu entlassen und sich von einem ad hoc ernannten Reichskanzler dessen Ernennung und den Auflösungsbeschluß gegenzeichnen lassen… Es handelt sich hier um eine Möglichkeit deren juristisch-konstruktive Deduktion aus den Verfassungsartikeln einer verständigen Interpretation keine Schwierigkeiten bereitet. …“. „…Das (d.h. die Auflösung des Reichstags gegen den Willen der Reichsregierung) kann und darf der Reichspräsident, indem er in einem Zuge die Entlassung der Reichsregierung, die Auflösung des Reichstags und die Ernennung eines neuen Reichskanzlers verfügt, dessen Gegenzeichnung diese drei Regierungsakte deckt, die demnächst vor dem neugewählten Reichstag zu verantworten sind. …“ (Thoma, DJZ (29), S. 659).

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B. Systematische und strukturelle Einordnung der <strong>Vetorechte</strong><br />

ten Misstrauensvotum des Parlaments zuvorgekommen. Da der Reichspräsident<br />

ansonsten ohne jegliche weitere Instanz den Reichstag auflösen konnte, hätte er<br />

nun mit seinem quasi kommissarisch regierenden Reichskanzler in die kommende<br />

Reichstagswahl ziehen können. Was dem Reichstag geblieben wäre, ist nur die<br />

vage Hoffnung auf einen politischen St<strong>im</strong>mungsumschwung zulasten des Reichspräsidenten.<br />

Selbst wenn sich bei der Wahl und dem gleichzeitig stattfindenden<br />

vetoinitiierten Referendum die Mehrheiten nicht zugunsten des Präsidenten entwickelt<br />

hätten, hätte ihm sein Kanzlerkreationsrecht zumindest genügend Einfluss<br />

für die Installierung einer Minderheitenregierung gesichert. 458 In jedem Fall hätte<br />

aber der Reichspräsident den viel bemühten ‚längeren Arm‛ gehabt. Die sprichwörtliche<br />

‚Butter‛ jedenfalls brauchte sich der Reichspräsident, durch die Gegenzeichnungsnotwendigkeit<br />

der vertrauensabhängigen Regierung, ‚nicht vom Brot<br />

nehmen lassen‛.<br />

Hingegen für den Reichstag gab es in einer solchen Auseinandersetzung nicht<br />

viel zu gewinnen. Vielmehr drohten politische Blamage und Mandatsverlust. Das<br />

für den Bedeutungsgehalt des Art. 73 Abs. 1 WRV als Vetorecht essentielle Auflösungsrecht<br />

aus Art. 25 WRV darf also bei der Bewertung von dessen Vetoqualität<br />

niemals übersehen werden. Die diesbezügliche Drohkulisse 459 wurde allgemein<br />

schon oben angedeutet. Sie bildet jedoch be<strong>im</strong> Parieren des Gegenzeichnungsvorbehalts,<br />

wie ihn Schade als Nachweis der Vetoschwäche aufbietet, die Hauptargumentationslinie,<br />

um seine auf den ersten Blick schlüssige Beweisführung zu widerlegen.<br />

Unter Betrachtung des We<strong>im</strong>arer Verfassungsgefüges in seinem Großen<br />

und Ganzen wird deutlich, dass es sich bei einem konzertierten Gebrauch durch<br />

einen taktisch klugen Reichspräsidenten bei Art. 73 Abs. 1 WRV um ein äußerst<br />

starkes Vetorecht hätte handeln können. Allein eine starke Präsidentenpersönlich-<br />

Der Satz, daß der Reichskanzler und die Reichsminister des Vertrauens des Reichstags bedürfen, ist also insofern nicht wörtlich<br />

gemeint, als das Vorhandensein des ‚Vertrauens‛ solange unterstellt (fingiert) wird, als es ihnen der Reichstag nicht durch ausdrücklichen<br />

Beschluß entzieht. Ein positives Vertrauensvotum wird nicht erfordert…“<br />

Es lässt sich somit m. A. nach mit Fug und Recht sagen: Diese taktische Maßnahme der Auflösung unter Ablösung<br />

der alten Reichsregierung mit dem Zweck sich ein gegenzeichnungswilliges Kabinett zu erschaffen kann<br />

dem Reichspräsidenten nach dem Wortlaut der WRV nicht abgesprochen werden und schon gar nicht durch eine<br />

missliche Argumentation über den parlamentarischen Charakter der Verfassung We<strong>im</strong>ars, den diese vielleicht<br />

tendenziell anstrebte, der aber in ihr als parlamentarische Republik nicht in genügender D<strong>im</strong>ension verwirklicht<br />

wurde.<br />

Im Ergebnis bedeutet dies: Wenn auch jeder Minister des Vertrauens des Reichstags bedurfte, so konnte doch<br />

der Reichspräsident unabhängig von einem etwaigen Misstrauensvotum den Reichskanzler oder den einzelnen<br />

Reichsminister absetzen. – Vgl. Peters, in: Geschichtliche Entwicklung und Grundfragen der Verfassung, S. 89.<br />

458 In diesem Sinne auch Nawiasky, in: Die Grundgedanken der Reichsverfassung, S. 79/80: „…Das … […] die<br />

Wiederwahl des Reichstags mit <strong>im</strong> wesentlichen unveränderter Zusammensetzung die Absetzung des Reichspräsidenten nicht nach<br />

sich zieht, erklärt sich aus technischen Gründen. Es lässt sich ja niemals in so scharfer Form feststellen, daß der Ausfall der Reichstagswahlen<br />

eine Niederlage des Reichspräsidenten bedeutet. …“.<br />

459 Das die von Art. 73 Abs. 1 WRV ausgehende ‚Drohkulisse‛ für die We<strong>im</strong>arer Politik ein durchaus realistischer<br />

Horizont war, zeigt sich auch daran, dass allein die Existenz dieses Präsidentenvetos schon Bewegung ins Parlament<br />

brachte. Vgl. Fromme, Von der We<strong>im</strong>arer Verfassung zum Bonner Grundgesetz, S. 159, der basierend auf<br />

Stampfer, Die ersten 14 Jahre der Deutschen Republik, S. 465 darauf hinweist, dass trotz des fehlenden Einsatzes<br />

von Art. 73 Abs. 1 WRV, schon „…das Vorhandensein dieses präsidialen Rechtes gelegentlich eine Beunruhigung der Politik<br />

zur Folge gehabt [habe]. Die vergebliche Opposition der DNVP [Deutschnationale Volkspartei] gegen die Verträge von Locarno<br />

z.B. stützte sich auf die Hoffnung, der Reichspräsident werde die Locarno Gesetze zum Volksentscheid stellen. …“.

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