Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen
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III. Analyse der We<strong>im</strong>arer Reichsverfassung als demokr. Vorläufer des Grundgesetzes 141<br />
Staatsoberhaupt die Minister ihres Amtes nicht entheben könne, solange die Mehrheit <strong>im</strong> Parlament auf ihrer Seite steht. Diesen<br />
typischen Standpunkt des unechten Parlamentarismus <strong>im</strong> Redslobschen Sinne hat sich unsere Reichsverfassung bewusst zu eigen<br />
gemacht und damit eine Auflösung des Reichstags gegen den Mehrheitswillen desselben praktisch ausgeschlossen. …“ (A.a.O., S. 6).<br />
Klarer kann man seine eigenen Gedankenfehler nicht offenbaren. Der Reichspräsident der We<strong>im</strong>arer Republik<br />
mag nicht die autarke Stellung des amerikanischen Präsidenten gehabt haben, allerdings war er auch nicht derartig<br />
unselbstständig wie der französische Präsident in der Dritten Republik. Wenn zur Argumentation gegen ein<br />
autarkes Auflösungsrecht, unter taktischer Auswechslung der gegenzeichnungsnotwendigen Reichsregierung,<br />
nunmehr auf diesen französischen Präsident verwiesen wurde, muss dem gerade aus heutiger neutraler Sicht<br />
entschieden widersprochen werden. Gerade weil der We<strong>im</strong>arer Reichspräsident viel autarker und mächtiger war<br />
als sein französischer Amtskollege, kann dieser nicht als Argument gegen die Ernennung einer Minderheitsregierung<br />
entgegen des parlamentarischen Willens angeführt werden.<br />
Es ist daher vielmehr Heinrich Pohl beizupflichten, der die faktisch realen Möglichkeiten des Reichspräsidenten <strong>im</strong><br />
Zusammenhang mit dem Veto aus Art. 73 Abs. 1 WRV wie folgt beschreibt: „….Die <strong>im</strong> Verfassungsausschuß der<br />
Nationalversammlung von verschiedenen Seiten erhobene Forderung, in diesem Falle [gemeint ist die Auflösungsverfügung<br />
nach Art. 25 WRV] die Gegenzeichnung verfassungsrechtlich fortfallen zu lassen, wurde nicht erfüllt. Wäre die ministerielle<br />
Gegenzeichnung verfassungsrechtlich nicht gefordert, dann wäre dies eine folgerichtige Durchführung des Gedankens, der in der Wahl<br />
des Reichspräsidenten durch das Volk seine Verwirklichung finden sollte. Es wäre durch die Auflösung ohne Gegenzeichnung klar<br />
dargetan worden, daß der Reichspräsident ein dem Reichstag vollkommen ebenbürtiger Faktor sei. Man hätte nicht nötig gehabt, den<br />
Reichspräsidenten zu zwingen, sich ein Minderheitsministerium ad hoc zu suchen, das nicht das Vertrauen des Reichstags besitzt<br />
und deshalb mit seinem Amtsantritt den Reichstag in dem Augenblick überraschen muß, in dem es ihm die Auflösungsverfügung des<br />
Reichspräsidenten bekannt gibt, um dem sicheren Misstrauensvotum der Reichstagsmehrheit zuvorzukommen. …“ (Pohl, in: Die<br />
Zuständigkeiten des Reichspräsidenten (§42), in: Handbuch des Deutschen Staatsrechts Bd. I (1930), S. 486.)<br />
Die diesbezügliche Entgegnung Koellreutters überzeugt nicht. „…Abgesehen davon, daß man einer Verfassung die<br />
Möglichkeit derartiger Mätzchen nicht unterstellen soll, ist die Ansicht [gemeint ist die Pohls] nach Art und Weise, wie die RV. das<br />
parlamentarische System in all seinen Aeußerungen verfassungsrechtlich festgelegt hat, nicht richtig. …“ (Koelreutter, A.a.O., S.<br />
6) Einmal davon abgesehen, dass Koellreutter an dieser Stelle schon bezüglich seines Grundverfassungsverständnisses<br />
widerlegt wurde, kommt auch Giese letztlich zu der Auffassung: „…Die Auflösung entzieht dem Reichstag als<br />
dem vom Volke gewählten Kollegium die weitere staatsrechtliche Existenz. …“ (Vgl. Giese, Die Verfassung des <strong>deutschen</strong><br />
Reiches v. 11. August 1919, Art. 25, S. 105).<br />
Wenn dem so gewesen ist, kann es m.E. nicht fraglich sein, dass dieser Reichstag der Minderheitsregierung nicht<br />
mehr das Misstrauen aussprechen konnte. Da die WRV nirgendwo die Wahl der vom Reichspräsidenten ernannten<br />
Reichsregierung als deren Existenzvoraussetzung verlangte, schlug in einem solchen Falle auch nicht der<br />
Vertrauensentzug durch. Eine offensichtlich faktisch nicht desavouierte Reichsregierung konnte dem Präsidenten<br />
den Auflösungsbeschluss mithin gegenzeichnen.<br />
Es mag zwar so gewesen sein, dass die staatsrechtliche Literatur in der We<strong>im</strong>arer Republik aus Art. 54 S.1 WRV<br />
die Schlussfolgerung zog, dass der Reichspräsident niemanden zum Reichskanzler oder Reichsminister ernennen<br />
durfte, von dem von vornherein anzunehmen ist, dass er das Vertrauen des Reichstags nicht besitzt, d.h. alsbald<br />
zum Rücktritt gezwungen sein werde (Vgl. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August<br />
1919, Art. 54, S. 319.). Dies unterstreicht auch Thoma, Die rechtliche Ordnung des parlamentarischen Regierungssystems<br />
(§43), in: Handbuch des Deutschen Staatsrechts Bd. I (1930), S. 505/506, wenn er schreibt: „…Der<br />
Reichspräsident ist rechtlich verpflichtet, nur solche Persönlichkeiten zu Reichskanzlern und Reichsministern zu ernennen, von denen<br />
jeweils zu vermuten ist, daß der Reichstag sie nicht alsbald durch Misstrauensvotum zum Rücktritt nötigen werde. …“ Es ist<br />
jedoch zu hinterfragen, was dieses Vertrauen wirklich bedeutete. Insbesondere gilt es diesbezüglich festzustellen,<br />
dass: „…ob sie es [gemeint ist das Vertrauen] haben, ist nach den obwaltenden Umständen festzustellen (zu beachten, daß die<br />
Verfassung über das Wie dieser Feststellung nichts vorschreibt, dem Reichspräsidenten also insofern freie Hand läßt). Das sie es<br />
haben, darf insofern und so lange vorausgesetzt werden, als nicht Tatsachen das Gegenteil beweisen. …“ – Anschütz, Die Verfassung<br />
des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, Art. 54, S. 319.<br />
Das der Reichspräsident sich eine gegenzeichnungsbereite Reichsregierung kreieren konnte, ohne das diese das<br />
ausdrückliche Vertrauen des Reichstags hatte, wird auch aus den weitergehenden Ausführungen von Thoma, in:<br />
Die rechtliche Ordnung des parlamentarischen Regierungssystems (§43), in: Handbuch des Deutschen Staatsrechts<br />
Bd. I (1930), S. 505-507, deutlich: „…Indes darf und muß <strong>im</strong> Sinne der Reichsverfassung dem Reichspräsidenten die<br />
Befugnis zugestanden werden, mit der Ernennung eines Reichskanzlers, bei dem die Vermutung nicht zutrifft, die Auflösung des<br />
Reichstags zu verbinden derart, daß erst der Wahlausfall darüber entscheidet, ob dieses Kabinett das ‚Vertrauen‛ einer Mehrheit<br />
finden wird. Demgemäß dürfen der Reichspräsident und die Reichsregierung auch einem drohenden Misstrauensvotum durch Auflösung<br />
zuvorkommen, in der Annahme, daß der neue Reichstag dem beharrenden Kabinett sein ‚Vertrauen‛ schenken werde. Ist dies<br />
richtig, so ist nicht einzusehen, weshalb nicht auch einem schon ausgesprochenen Misstrauensvotum mit sofortiger Auflösung sollte<br />
begegnet werden dürfen. […]