Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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140 B. Systematische und strukturelle Einordnung der Vetorechte er eine nach dem Verfassungsverständnis des heutigen Grundgesetzes nur schwerlich vorstellbare Reaktionskaskade auslösen hätten können. In einem solchen Falle des Vertrauensentzugs durch den Reichstag gegenüber „seiner“ Regierung hätte er zunächst die Möglichkeit einer unmittelbaren Parlamentsauflösung bei gleichzeitiger Ernennung eines Minderheitenkanzlers oder Minderheitenministeriums seiner Wahl als ad hoc Reaktion zur Verfügung gehabt. 456 Eine neue Reichsregierung hätte ihm auch die notwendige Gegenzeichnung des Auflösungsbeschlusses gegenüber dem Reichstag gewährt. 457 Mit diesem ‚Schachzug‛ wäre er einem erneu- 456 Dieses Szenario ist gleichsam in einer Art Krisenprävention denkbar. Sollte ein Minister oder der Reichskanzler aus Angst vor Vertrauensentzug durch den Reichstag seine Gegenzeichnung verweigern, hätte der Reichspräsident die freie Möglichkeit gehabt, diesen zu entlassen und einen zeichnungswilligen Nachfolger zu bestimmen, mit welchem er dann nach der sofort erfolgten Reichstagsauflösung in den Wahlkampf gezogen wäre, ohne, dass der Reichsregierung der Makel des vorherigen Vertrauensentzuges angehaftet hätte. 457 Das der Reichstag durch die Vertrauensabhängigkeit der gegenzeichnungsnotwendigen Mehrheitsregierung keinen wirklichen Schutz gegen willkürliche Auflösungen durch den Reichspräsidenten erfuhr, beschreibt Pohl, in: Die Zuständigkeiten des Reichspräsidenten (§42), in: Handbuch des Deutschen Staatsrechts Bd. I (1930), S. 486/487, sowie ders. in: Die Auflösung des Reichtags, S. 18 ff. A.A. Hoffmann, Die Stellung des Staatshauptes zur Legislative und Exekutive im deutschen Reich und seinen Ländern, in: AöR 7 (1924), S. 263/264; und insb. Koellreutter, Das parlamentarische System in den deutschen Länderverfassungen, S. 2-7. Diese Autoren vertraten die Auffassung, dass der Reichspräsident zu all seinen Verfügungen und Anordnungen die Gegenzeichnung des zuständigen Reichsministers oder Reichskanzlers benötigte: „...Und das nun hat gerade besonders wichtige Konsequenz für das Auflösungsrecht des Reichstags, das die Verfassung im Art. 25 dem Reichspräsidenten verleiht. […] Der Reichspräsident ist an die Reichsregierung gekettet und nach Art. 54 RV verfassungsmäßig verpflichtet nur eine Regierung zu berufen, die das Vertrauen der Mehrheit des Reichstags genießt. Er kann nicht, wie der englische König, die Reichsregierung, entlassen und mit einer Minderheitsregierung die Auflösung des Reichstags durchführen. …“(Koellreutter, A.a.O., S. 5/6) Jene Auffassung kann aber nur überzeugen, wenn man die faktischen Realitäten der Weimarer Reichsverfassung hinter deren erhabene Ideale von Parlamentarismus und Demokratie zurücktreten lässt. Dieser Vorwurf ist insbesondere Koellreutter zu machen. Er geht davon aus, dass, nur weil der Reichspräsident neben sich eine in der Verfassung vorgesehen zweite Exekutiveinheit in Form der Reichsregierung platziert bekam, hierdurch dessen starke Stellung aus der unmittelbaren Volkswahl egalisiert wurde (Vgl. Koellreutter, A.a.O., S. 5). Für ihn war das Prinzip der verantwortlichen Regierung der Kern des parlamentarischen Systems. (A.a.O., S. 3.). M.E. stellt sich an dieser Auffassung als problematisch dar, dass die Weimarer Reichsverfassung nun mal keine solche war, die das parlamentarische System tatsächlich verwirklichte. Die WRV schuf mit dem Reichstag und dem Reichspräsidenten vielmehr zwei unmittelbar volkslegitimierte Verfassungsorgane, die durch ihre autarke Stellung zueinander in einen fast systemimmanenten Antagonismus treten mussten. Der Umstand, dass die WRV die eigentlich auf Gleichgewicht ausgerichtete Systematik nicht konsequent durchhielt, ist insbesondere einem Ansinnen der Sozialdemokratie in der Weimarer Verfassungsversammlung geschuldet. Diese verfolgte das Ziel, einen möglichst machtbeschränkten Reichspräsidenten zu platzieren und seine Stellung bewusst herabzudrücken. Dieses Ansinnen erzeugte jedoch eine Ambivalenz, die sich in der praktischen Anwendung der Reichsverfassung als ungemein problematisch erwies. Ein unmittelbar volkslegitimierter Präsident ließ sich nun mal nicht auf eine Anbindung an die Reichsregierung beschränken. Der Kardinalfehler der Argumentation Koellreutters liegt daher in dem Übersehen der wahren Natur des Verfassungssystems der Weimarer Republik. Koellreutter argumentiert damit, dass allein im englischen Regierungssystem der wahre Parlamentarismus verwirklicht wurde. (A.a.O., S. 4). Dies führte er auf die unabhängige Stellung des englischen Königs gegenüber dem Parlament zurück. Er verweist auf Redslob, Die Parlamentarische Regierung in ihrer wahren und in ihrer unechten Form. Redslob bezeichnet darin insbesondere die französische Verfassung als eine solche, die nur einen unechten Parlamentarismus beinhaltete. (Vgl. Redslob, A.a.O., S. 183 ff ) Koellreutters damit verbundener Grundfehler ist der, dass er das Weimarer Verfassungssystem, mit dem des damaligen Frankreichs gleichsetzt. Allerdings wurde der dortige Präsident durch das Parlament und nicht durch das Volk kreiert. Auch wenn Koellreutter die tatsächlichen Unterschiede zur WRV benennt, gewichtet er sie bei der speziellen Frage des Auflösungsrechts m. A. nach nicht genügend. Er schreibt: „…Der Reichspräsident würde einfach verfassungswidrig handeln, wenn er entgegen Art. 54 Persönlichkeiten zu Reichsministern ernennen wollte, die das Vertrauen des Reichstags nicht haben. Für die französische Verfassung spricht Lebon es mit dürren Worten aus, daß unter dem parlamentarischen System das

III. Analyse der Weimarer Reichsverfassung als demokr. Vorläufer des Grundgesetzes 141 Staatsoberhaupt die Minister ihres Amtes nicht entheben könne, solange die Mehrheit im Parlament auf ihrer Seite steht. Diesen typischen Standpunkt des unechten Parlamentarismus im Redslobschen Sinne hat sich unsere Reichsverfassung bewusst zu eigen gemacht und damit eine Auflösung des Reichstags gegen den Mehrheitswillen desselben praktisch ausgeschlossen. …“ (A.a.O., S. 6). Klarer kann man seine eigenen Gedankenfehler nicht offenbaren. Der Reichspräsident der Weimarer Republik mag nicht die autarke Stellung des amerikanischen Präsidenten gehabt haben, allerdings war er auch nicht derartig unselbstständig wie der französische Präsident in der Dritten Republik. Wenn zur Argumentation gegen ein autarkes Auflösungsrecht, unter taktischer Auswechslung der gegenzeichnungsnotwendigen Reichsregierung, nunmehr auf diesen französischen Präsident verwiesen wurde, muss dem gerade aus heutiger neutraler Sicht entschieden widersprochen werden. Gerade weil der Weimarer Reichspräsident viel autarker und mächtiger war als sein französischer Amtskollege, kann dieser nicht als Argument gegen die Ernennung einer Minderheitsregierung entgegen des parlamentarischen Willens angeführt werden. Es ist daher vielmehr Heinrich Pohl beizupflichten, der die faktisch realen Möglichkeiten des Reichspräsidenten im Zusammenhang mit dem Veto aus Art. 73 Abs. 1 WRV wie folgt beschreibt: „….Die im Verfassungsausschuß der Nationalversammlung von verschiedenen Seiten erhobene Forderung, in diesem Falle [gemeint ist die Auflösungsverfügung nach Art. 25 WRV] die Gegenzeichnung verfassungsrechtlich fortfallen zu lassen, wurde nicht erfüllt. Wäre die ministerielle Gegenzeichnung verfassungsrechtlich nicht gefordert, dann wäre dies eine folgerichtige Durchführung des Gedankens, der in der Wahl des Reichspräsidenten durch das Volk seine Verwirklichung finden sollte. Es wäre durch die Auflösung ohne Gegenzeichnung klar dargetan worden, daß der Reichspräsident ein dem Reichstag vollkommen ebenbürtiger Faktor sei. Man hätte nicht nötig gehabt, den Reichspräsidenten zu zwingen, sich ein Minderheitsministerium ad hoc zu suchen, das nicht das Vertrauen des Reichstags besitzt und deshalb mit seinem Amtsantritt den Reichstag in dem Augenblick überraschen muß, in dem es ihm die Auflösungsverfügung des Reichspräsidenten bekannt gibt, um dem sicheren Misstrauensvotum der Reichstagsmehrheit zuvorzukommen. …“ (Pohl, in: Die Zuständigkeiten des Reichspräsidenten (§42), in: Handbuch des Deutschen Staatsrechts Bd. I (1930), S. 486.) Die diesbezügliche Entgegnung Koellreutters überzeugt nicht. „…Abgesehen davon, daß man einer Verfassung die Möglichkeit derartiger Mätzchen nicht unterstellen soll, ist die Ansicht [gemeint ist die Pohls] nach Art und Weise, wie die RV. das parlamentarische System in all seinen Aeußerungen verfassungsrechtlich festgelegt hat, nicht richtig. …“ (Koelreutter, A.a.O., S. 6) Einmal davon abgesehen, dass Koellreutter an dieser Stelle schon bezüglich seines Grundverfassungsverständnisses widerlegt wurde, kommt auch Giese letztlich zu der Auffassung: „…Die Auflösung entzieht dem Reichstag als dem vom Volke gewählten Kollegium die weitere staatsrechtliche Existenz. …“ (Vgl. Giese, Die Verfassung des deutschen Reiches v. 11. August 1919, Art. 25, S. 105). Wenn dem so gewesen ist, kann es m.E. nicht fraglich sein, dass dieser Reichstag der Minderheitsregierung nicht mehr das Misstrauen aussprechen konnte. Da die WRV nirgendwo die Wahl der vom Reichspräsidenten ernannten Reichsregierung als deren Existenzvoraussetzung verlangte, schlug in einem solchen Falle auch nicht der Vertrauensentzug durch. Eine offensichtlich faktisch nicht desavouierte Reichsregierung konnte dem Präsidenten den Auflösungsbeschluss mithin gegenzeichnen. Es mag zwar so gewesen sein, dass die staatsrechtliche Literatur in der Weimarer Republik aus Art. 54 S.1 WRV die Schlussfolgerung zog, dass der Reichspräsident niemanden zum Reichskanzler oder Reichsminister ernennen durfte, von dem von vornherein anzunehmen ist, dass er das Vertrauen des Reichstags nicht besitzt, d.h. alsbald zum Rücktritt gezwungen sein werde (Vgl. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, Art. 54, S. 319.). Dies unterstreicht auch Thoma, Die rechtliche Ordnung des parlamentarischen Regierungssystems (§43), in: Handbuch des Deutschen Staatsrechts Bd. I (1930), S. 505/506, wenn er schreibt: „…Der Reichspräsident ist rechtlich verpflichtet, nur solche Persönlichkeiten zu Reichskanzlern und Reichsministern zu ernennen, von denen jeweils zu vermuten ist, daß der Reichstag sie nicht alsbald durch Misstrauensvotum zum Rücktritt nötigen werde. …“ Es ist jedoch zu hinterfragen, was dieses Vertrauen wirklich bedeutete. Insbesondere gilt es diesbezüglich festzustellen, dass: „…ob sie es [gemeint ist das Vertrauen] haben, ist nach den obwaltenden Umständen festzustellen (zu beachten, daß die Verfassung über das Wie dieser Feststellung nichts vorschreibt, dem Reichspräsidenten also insofern freie Hand läßt). Das sie es haben, darf insofern und so lange vorausgesetzt werden, als nicht Tatsachen das Gegenteil beweisen. …“ – Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, Art. 54, S. 319. Das der Reichspräsident sich eine gegenzeichnungsbereite Reichsregierung kreieren konnte, ohne das diese das ausdrückliche Vertrauen des Reichstags hatte, wird auch aus den weitergehenden Ausführungen von Thoma, in: Die rechtliche Ordnung des parlamentarischen Regierungssystems (§43), in: Handbuch des Deutschen Staatsrechts Bd. I (1930), S. 505-507, deutlich: „…Indes darf und muß im Sinne der Reichsverfassung dem Reichspräsidenten die Befugnis zugestanden werden, mit der Ernennung eines Reichskanzlers, bei dem die Vermutung nicht zutrifft, die Auflösung des Reichstags zu verbinden derart, daß erst der Wahlausfall darüber entscheidet, ob dieses Kabinett das ‚Vertrauen‛ einer Mehrheit finden wird. Demgemäß dürfen der Reichspräsident und die Reichsregierung auch einem drohenden Misstrauensvotum durch Auflösung zuvorkommen, in der Annahme, daß der neue Reichstag dem beharrenden Kabinett sein ‚Vertrauen‛ schenken werde. Ist dies richtig, so ist nicht einzusehen, weshalb nicht auch einem schon ausgesprochenen Misstrauensvotum mit sofortiger Auflösung sollte begegnet werden dürfen. […]

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B. Systematische und strukturelle Einordnung der <strong>Vetorechte</strong><br />

er eine nach dem Verfassungsverständnis des heutigen Grundgesetzes nur schwerlich<br />

vorstellbare Reaktionskaskade auslösen hätten können. In einem solchen Falle<br />

des Vertrauensentzugs durch den Reichstag gegenüber „seiner“ Regierung hätte er<br />

zunächst die Möglichkeit einer unmittelbaren Parlamentsauflösung bei gleichzeitiger<br />

Ernennung eines Minderheitenkanzlers oder Minderheitenministeriums seiner<br />

Wahl als ad hoc Reaktion zur Verfügung gehabt. 456 Eine neue Reichsregierung<br />

hätte ihm auch die notwendige Gegenzeichnung des Auflösungsbeschlusses gegenüber<br />

dem Reichstag gewährt. 457 Mit diesem ‚Schachzug‛ wäre er einem erneu-<br />

456 Dieses Szenario ist gleichsam in einer Art Krisenprävention denkbar. Sollte ein Minister oder der Reichskanzler<br />

aus Angst vor Vertrauensentzug durch den Reichstag seine Gegenzeichnung verweigern, hätte der Reichspräsident<br />

die freie Möglichkeit gehabt, diesen zu entlassen und einen zeichnungswilligen Nachfolger zu best<strong>im</strong>men,<br />

mit welchem er dann nach der sofort erfolgten Reichstagsauflösung in den Wahlkampf gezogen wäre, ohne, dass<br />

der Reichsregierung der Makel des vorherigen Vertrauensentzuges angehaftet hätte.<br />

457 Das der Reichstag durch die Vertrauensabhängigkeit der gegenzeichnungsnotwendigen Mehrheitsregierung<br />

keinen wirklichen Schutz gegen willkürliche Auflösungen durch den Reichspräsidenten erfuhr, beschreibt Pohl, in:<br />

Die Zuständigkeiten des Reichspräsidenten (§42), in: Handbuch des Deutschen Staatsrechts Bd. I (1930), S.<br />

486/487, sowie ders. in: Die Auflösung des Reichtags, S. 18 ff.<br />

A.A. Hoffmann, Die Stellung des Staatshauptes zur Legislative und <strong>Exekutive</strong> <strong>im</strong> <strong>deutschen</strong> Reich und seinen<br />

Ländern, in: AöR 7 (1924), S. 263/264; und insb. Koellreutter, Das parlamentarische System in den <strong>deutschen</strong><br />

Länderverfassungen, S. 2-7. Diese Autoren vertraten die Auffassung, dass der Reichspräsident zu all seinen<br />

Verfügungen und Anordnungen die Gegenzeichnung des zuständigen Reichsministers oder Reichskanzlers<br />

benötigte: „...Und das nun hat gerade besonders wichtige Konsequenz für das Auflösungsrecht des Reichstags, das die Verfassung<br />

<strong>im</strong> Art. 25 dem Reichspräsidenten verleiht. […] Der Reichspräsident ist an die Reichsregierung gekettet und nach Art. 54 RV<br />

verfassungsmäßig verpflichtet nur eine Regierung zu berufen, die das Vertrauen der Mehrheit des Reichstags genießt. Er kann nicht,<br />

wie der englische König, die Reichsregierung, entlassen und mit einer Minderheitsregierung die Auflösung des Reichstags durchführen.<br />

…“(Koellreutter, A.a.O., S. 5/6)<br />

Jene Auffassung kann aber nur überzeugen, wenn man die faktischen Realitäten der We<strong>im</strong>arer Reichsverfassung<br />

hinter deren erhabene Ideale von Parlamentarismus und Demokratie zurücktreten lässt. Dieser Vorwurf ist<br />

insbesondere Koellreutter zu machen. Er geht davon aus, dass, nur weil der Reichspräsident neben sich eine in<br />

der Verfassung vorgesehen zweite <strong>Exekutive</strong>inheit in Form der Reichsregierung platziert bekam, hierdurch<br />

dessen starke Stellung aus der unmittelbaren Volkswahl egalisiert wurde (Vgl. Koellreutter, A.a.O., S. 5). Für ihn<br />

war das Prinzip der verantwortlichen Regierung der Kern des parlamentarischen Systems. (A.a.O., S. 3.).<br />

M.E. stellt sich an dieser Auffassung als problematisch dar, dass die We<strong>im</strong>arer Reichsverfassung nun mal keine<br />

solche war, die das parlamentarische System tatsächlich verwirklichte. Die WRV schuf mit dem Reichstag und<br />

dem Reichspräsidenten vielmehr zwei unmittelbar volkslegit<strong>im</strong>ierte Verfassungsorgane, die durch ihre autarke<br />

Stellung zueinander in einen fast system<strong>im</strong>manenten Antagonismus treten mussten. Der Umstand, dass die WRV<br />

die eigentlich auf Gleichgewicht ausgerichtete Systematik nicht konsequent durchhielt, ist insbesondere einem<br />

Ansinnen der Sozialdemokratie in der We<strong>im</strong>arer Verfassungsversammlung geschuldet. Diese verfolgte das Ziel,<br />

einen möglichst machtbeschränkten Reichspräsidenten zu platzieren und seine Stellung bewusst herabzudrücken.<br />

Dieses Ansinnen erzeugte jedoch eine Ambivalenz, die sich in der praktischen Anwendung der Reichsverfassung<br />

als ungemein problematisch erwies. Ein unmittelbar volkslegit<strong>im</strong>ierter Präsident ließ sich nun mal nicht auf eine<br />

Anbindung an die Reichsregierung beschränken.<br />

Der Kardinalfehler der Argumentation Koellreutters liegt daher in dem Übersehen der wahren Natur des <strong>Verfassungssystem</strong>s<br />

der We<strong>im</strong>arer Republik. Koellreutter argumentiert damit, dass allein <strong>im</strong> englischen Regierungssystem<br />

der wahre Parlamentarismus verwirklicht wurde. (A.a.O., S. 4). Dies führte er auf die unabhängige Stellung<br />

des englischen Königs gegenüber dem Parlament zurück. Er verweist auf Redslob, Die Parlamentarische Regierung in<br />

ihrer wahren und in ihrer unechten Form. Redslob bezeichnet darin insbesondere die französische Verfassung als eine<br />

solche, die nur einen unechten Parlamentarismus beinhaltete. (Vgl. Redslob, A.a.O., S. 183 ff ) Koellreutters<br />

damit verbundener Grundfehler ist der, dass er das We<strong>im</strong>arer <strong>Verfassungssystem</strong>, mit dem des damaligen Frankreichs<br />

gleichsetzt. Allerdings wurde der dortige Präsident durch das Parlament und nicht durch das Volk kreiert.<br />

Auch wenn Koellreutter die tatsächlichen Unterschiede zur WRV benennt, gewichtet er sie bei der speziellen<br />

Frage des Auflösungsrechts m. A. nach nicht genügend. Er schreibt: „…Der Reichspräsident würde einfach verfassungswidrig<br />

handeln, wenn er entgegen Art. 54 Persönlichkeiten zu Reichsministern ernennen wollte, die das Vertrauen des Reichstags<br />

nicht haben. Für die französische Verfassung spricht Lebon es mit dürren Worten aus, daß unter dem parlamentarischen System das

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