Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen
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138 B. Systematische und strukturelle Einordnung der Vetorechte Regierung und die Auswahl des Personals hatte, letztlich konnte diese immer nur mit dem Vertrauen des Parlaments agieren. Damit war auch der Reichspräsident mittelbar abhängig vom Reichstag, denn sein Reichskanzler und seine Reichsminister waren als Mehrheitsregierung abhängig vom Vertrauen des Parlaments. Hieraus konnte im staatspolitischen Betrieb die Konsequenz einer Art „Racheaktion“ des Reichstags folgen. Denn es musste damit gerechnet werden, sollte der Reichspräsident sein Veto aus Art. 73 Abs. 1 WRV einlegen, das die Reichsregierung vom Parlament hierfür zur Rechenschaft gezogen werden konnte. Über „seine“ Reichsregierung erfuhr der eigentlich parlamentsautarke Präsident also eine mittelbare Rückkopplung an die Volksvertretung. Für die Vetobetrachtungen stellt es sich nun als fraglich dar, inwieweit diese Gegenzeichnungskomponente wirklich den Schwung aus dem Vetorecht des Reichspräsidenten nehmen konnte. Würde also ein verängstigter Reichskanzler oder Reichsminister im Angesicht des Vertrauensentzuges durch die Weimarer Volksvertretung dem Präsidenten tatsächlich die Gegenzeichnung der Anordnung eines Volksentscheides verweigern? Obgleich der Reichspräsident von seinem vetoartigen Appellrecht aus Art. 73 Abs. 1 WRV niemals Gebrauch machte 451 und somit der praktische Anwendungsfall einer diesbezüglichen Gegenzeichnungsverweigerung in der Weimarer Republik ausgeblieben ist, lohnt es sich m.E. gerade für den im weiteren Verlauf anstehenden Verfassungsvergleich zum Grundgesetz unserer Tage, eine nähere Begutachtung der Gesamtdimension dieses Vetorechts der Weimarer Verfassung vorzunehmen. Hätte also ein präsidialer Vetoeinsatz basierend auf Art. 73 Abs. 1 WRV durch die Gegenzeichnungsverweigerung der Mitglieder der Reichsregierung gestoppt werden können? Die Qualität und Durchschlagskraft des Vetos aus Art. 73 Abs. 1 WRV wird sich nur bei Beantwortung dieser Fragestellung wirklich abschließend bewerten lassen. Eine Antwort kann im Gesamtzusammenhang der präsidialen Rechte und seiner Stellung zum Reichsparlament gefunden werden. Für den sich zu Zeiten der Weimarer Republik mit Art. 73 Abs. 1 WRV auseinandersetzenden Hans Schade war die Antwort klar. Er ging davon aus, wenn die Reichsregierung vom Vertrauen des Reichstags abhängig ist, dann muss dieses zwangsläufig auf das Erfordernis der Gegenzeichnung durchschlagen. In der Folge sollte dem eigentlich relativ autarken Appellrecht aus Art. 73 Abs. 1 WRV nicht viel Bedeutung bleiben. Schade schrieb daher: „…Da die Reichsregierung von dem Vertrauen der Reichstagsmehrheit abhängig ist, wird sie sich in der Regel zur Gegenzeichnung eines gegen den Willen dieser Mehrheit gerichteten Regierungsakt kaum bereitfinden. Die Stellung des Reichspräsidenten wird auch bei Anordnung des 451 Der fehlende Anwendungsfall des Art. 73 Abs. 1 WRV wird übereinstimmend bezeugt bei: Jellinek, Das einfache Reichsgesetz (§72), in: Handbuch des Deutschen Staatsrechts Bd. II (1932), S. 177; Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, Art. 73, S. 388.
III. Analyse der Weimarer Reichsverfassung als demokr. Vorläufer des Grundgesetzes 139 Volksentscheids dadurch geschwächt, daß die Gegenzeichnung erforderlich ist. … […]… Im großen und ganzen muß man feststellen, daß dem Veto des Reichspräsidenten praktisch keine allzugroße Bedeutung zukommen dürfte. Wenn er auch dem Parlament gegenüber unabhängiger ist als die Reichsregierung, so ist er doch auf deren Mitwirkung angewiesen. Es wird allein von den Persönlichkeiten des jeweiligen Reichspräsidenten und Reichskanzlers abhängen, inwieweit durch gemeinsames Zusammenwirken dem Reichstag entgegen eine Stellungnahme durchgesetzt werden kann. … “ 452 Ein gewisses Verständnis kann diesem Ansatz vor allem vor dem Hintergrund entgegengebracht werden, dass Schade der Reichsverfassung eine dezidiert parlamentarische Grundeinstellung beimaß, nach der der Reichstag die zentrale Stellung im Verfassungsleben einnehmen sollte. 453 Allerdings deutet sich in dieser Auffassung ein etwas zu gering schätzender Umgang mit dem Machtpotential an, welches die WRV dem Präsidenten an die Hand gab. Die Verfassung der Weimarer Republik wies dem Reichspräsidenten nämlich wichtige und machtvolle Befugnisse gerade auch gegenüber dem Reichstag zu. Diese Bewertung galt nicht nur für das außerordentliche Notverordnungsrecht, sondern auch für den staatspolitischen Normalfall. Wie schon oben angedeutet, war eines der wirkungsvollsten Rechte des Reichspräsidenten, seine Befugnis den Reichstag aufzulösen. Im Zusammenhang mit der Gegenzeichnung von Anordnungen des Volksentscheides 454 konnte seine Auflösungsberechtigung die Möglichkeiten des Reichstags in stärkerer Art und Weise egalisieren, als das die Optionen des Präsidenten durch die Verantwortlichkeit und Vertrauensabhängigkeit der Mehrheitsreichsregierung vom Parlament geschmälert gewesen wären. Nach dem Aussprechen des Misstrauens durch den Reichstag gegenüber dem gegenzeichnenden Mitglied der Reichsregierung hätte dieses zwar zurücktreten 455 müssen und der Präsident hätte gleichsam ohne Einwirkungsmöglichkeit „seinen“ Minister, Reichskanzler oder die gesamte Reichsregierung verloren. Auf dieses defensive Hinnehmen des parlamentarischen Vertrauensentzuges gegenüber der Reichsregierung infolge seines Vetos wäre der Reichspräsident indessen nicht beschränkt gewesen. Nur wenn ihm hiergegen keinerlei Maßnahmen zur Verfügung gestanden hätten, könnte man im Sinne Schades von einem schwachen Veto aus Art. 73 Abs. 1 WRV sprechen. Ein ganz anderes war jedoch der Fall. Die WRV gab dem Reichspräsidenten vielmehr einen prall gefüllten Köcher mit Möglichkeiten zur Hand, mittels derer 452 Schade, Das Vetorecht in der Gesetzgebung, Diss. Jur. Halle 1929, S. 84/88. 453 Vgl. A.a.O., S. 85. 454 Nach der Auffassung von Anschütz, paarte sich das Recht der Auflösung sogar schlechterdings mit der Möglichkeit des Reichspräsidenten gegen gesetzgeberische Beschlüsse den Volksentscheid anzurufen – Vgl. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, Art. 25, S. 195. 455 Vgl. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, Art. 54, S. 321 – „…Der bzw. die von dem Mißtrauensbeschluß betroffenen Minister müssen ‚zurücktreten‛. Das heißt: Sie müssen, und zwar unverzüglich, bei dem Reichspräsidenten ihre Entlassung beantragen, ihre ‚Demission überreichen‛, und der Reichspräsident ist verpflichtet, dem Antrag stattzugeben, oder, wenn er nicht gestellt wird, die Entlassung von Amts wegen auszusprechen. ...“.
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III. Analyse der We<strong>im</strong>arer Reichsverfassung als demokr. Vorläufer des Grundgesetzes 139<br />
Volksentscheids dadurch geschwächt, daß die Gegenzeichnung erforderlich ist. … […]… Im<br />
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werden kann. … “ 452<br />
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entgegengebracht werden, dass Schade der Reichsverfassung eine dezidiert parlamentarische<br />
Grundeinstellung be<strong>im</strong>aß, nach der der Reichstag die zentrale Stellung<br />
<strong>im</strong> Verfassungsleben einnehmen sollte. 453 Allerdings deutet sich in dieser<br />
Auffassung ein etwas zu gering schätzender Umgang mit dem Machtpotential an,<br />
welches die WRV dem Präsidenten an die Hand gab. Die Verfassung der We<strong>im</strong>arer<br />
Republik wies dem Reichspräsidenten nämlich wichtige und machtvolle Befugnisse<br />
gerade auch gegenüber dem Reichstag zu. Diese Bewertung galt nicht nur<br />
für das außerordentliche Notverordnungsrecht, sondern auch für den staatspolitischen<br />
Normalfall.<br />
Wie schon oben angedeutet, war eines der wirkungsvollsten Rechte des<br />
Reichspräsidenten, seine Befugnis den Reichstag aufzulösen. Im Zusammenhang<br />
mit der Gegenzeichnung von Anordnungen des Volksentscheides 454 konnte seine<br />
Auflösungsberechtigung die Möglichkeiten des Reichstags in stärkerer Art und<br />
Weise egalisieren, als das die Optionen des Präsidenten durch die Verantwortlichkeit<br />
und Vertrauensabhängigkeit der Mehrheitsreichsregierung vom Parlament<br />
geschmälert gewesen wären. Nach dem Aussprechen des Misstrauens durch den<br />
Reichstag gegenüber dem gegenzeichnenden Mitglied der Reichsregierung hätte<br />
dieses zwar zurücktreten 455 müssen und der Präsident hätte gleichsam ohne Einwirkungsmöglichkeit<br />
„seinen“ Minister, Reichskanzler oder die gesamte Reichsregierung<br />
verloren. Auf dieses defensive Hinnehmen des parlamentarischen Vertrauensentzuges<br />
gegenüber der Reichsregierung infolge seines Vetos wäre der<br />
Reichspräsident indessen nicht beschränkt gewesen. Nur wenn ihm hiergegen<br />
keinerlei Maßnahmen zur Verfügung gestanden hätten, könnte man <strong>im</strong> Sinne<br />
Schades von einem schwachen Veto aus Art. 73 Abs. 1 WRV sprechen.<br />
Ein ganz anderes war jedoch der Fall. Die WRV gab dem Reichspräsidenten<br />
vielmehr einen prall gefüllten Köcher mit Möglichkeiten zur Hand, mittels derer<br />
452 Schade, Das Vetorecht in der Gesetzgebung, Diss. Jur. Halle 1929, S. 84/88.<br />
453 Vgl. A.a.O., S. 85.<br />
454 Nach der Auffassung von Anschütz, paarte sich das Recht der Auflösung sogar schlechterdings mit der Möglichkeit<br />
des Reichspräsidenten gegen gesetzgeberische Beschlüsse den Volksentscheid anzurufen – Vgl. Anschütz,<br />
Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, Art. 25, S. 195.<br />
455 Vgl. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, Art. 54, S. 321 – „…Der bzw. die<br />
von dem Mißtrauensbeschluß betroffenen Minister müssen ‚zurücktreten‛. Das heißt: Sie müssen, und zwar unverzüglich, bei dem<br />
Reichspräsidenten ihre Entlassung beantragen, ihre ‚Demission überreichen‛, und der Reichspräsident ist verpflichtet, dem Antrag<br />
stattzugeben, oder, wenn er nicht gestellt wird, die Entlassung von Amts wegen auszusprechen. ...“.