Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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134 B. Systematische und strukturelle Einordnung der Vetorechte ven Reichsoberhauptes und der Volksvertretung offensichtlich in Erscheinung. Die WRV gab dem Reichspräsidenten in einer Konstellation des Widerstreits der Meinungen die Waffe zur Hand, nach seinem Belieben eine Volksabstimmung über das umstrittene Gesetz veranlassen zu können. Diese Möglichkeit wurde schon in den Beratungen der Nationalversammlung zur Weimarer Reichsverfassung als Veto gegenüber den Beschlüssen der Legislative tituliert: Abgeordneter Philipp:„…Die Stellung des Reichspräsidenten nach dem Entwurf des Verfassungsausschusses entspricht nicht den Wünschen, die wir hegen. Eine machtvolle oberste Spitze ist besonders notwendig zu Zeiten, die aus einer Revolution heraus geboren sind oder in denen noch eine Revolution stattfindet. Wir bedauern es, daß nach den Bestimmungen des Verfassungsausschusses der Reichspräsident nur ein suspensives Veto hat. Wir glauben, im deutschen Volk, vielleicht sogar in seiner Mehrheit, ist noch ein gesundes Verständnis für eine machtvolle Obrigkeit vorhanden. Das deutsche Volk will regiert werden, und gerade die Ereignisse der letzten Monate haben das Autoritätsgefühl im deutschen Volke – in vielen Teilen wenigstens – gestärkt. …“ 434 Abgeordneter Heinze: „…Ich sagte vorhin, der Art. 73 erweitere das Referendum außerordentlich. Er erweitert es zunächst in Abs. 1 in der Richtung, daß der Reichspräsident, auch wenn ein Gesetz durch den Reichstag in Übereinstimmung mit dem Reichsrat beschlossen worden ist, auf das Referendum zukommen kann. Über diese Funktion des Reichspräsidenten könne man schließlich reden. Sie bedeutet ein gewisses Vetorecht des Reichspräsidenten gegen die vom Reichstag beschlossenen Gesetze. …“ 435 aaa. Die Parlamentsauflösung als Vetoverstärker Insbesondere die Vetomöglichkeit des Präsidenten aus Art. 73 Abs. 1 der Weimarer Reichsverfassung erlangte eine zusätzliche Dynamik, wenn man sie im Zusammenspiel mit der Auflösungsmöglichkeit gegenüber dem Reichstag bewertet. Nach Art. 25 WRV 436 war es dem Reichspräsidenten jederzeit möglich, einen ihm nicht genehmen Reichstag aufzulösen und dessen Mandat zwangsweise an das Volk zurückgehen zu lassen, damit es einen neuen Reichstag wählen sollte. Dieses 434 Vgl. Abg. Phillipp in der Nationalversammlung vom 4. Juli 1919 (zit. bei Heilfron, Deutsche Nationalversammlung, Bd. 5, S. 3183. 435 Vgl. Abg. Heinze in der Nationalversammlung vom 7. Juli 1919 (zit. bei Heilfron, Deutsche Nationalversammlung, Bd. 5, S. 3299. 436 Art. 25 Abs. 1 WRV – „Der Reichspräsident kann den Reichstag auflösen, jedoch nur einmal aus dem gleichen Anlaß.“ Aus dem Umstand, dass der Reichspräsident von dieser Möglichkeit zahlreich Gebrauch machte (Auflösungsverordnungen des Reichspräsidenten vom 13. März 1924, vom 20. Oktober 1924, vom 31. März 1928, vom 18. Juli 1930, vom 4. Juni 1932, vom 12. September 1932 und vom 1. Februar 1933 belegen dies), kann diesem Recht eine gewisse Praxisrelevanz im politischen Betrieb der Weimarer Republik zuerkannt werden. Zumal die aufgeführten Fälle nur die tatsächlich durchgeführten Auflösungen darstellen. Unter wertenden Gesichtspunkten erscheint es durchaus als möglich, dass die Dunkelziffer entsprechender Auflösungsdrohungen erheblich höher lag.

III. Analyse der Weimarer Reichsverfassung als demokr. Vorläufer des Grundgesetzes 135 Auflösungsrecht war bedingungslos und konnte daher vom Präsidenten der Weimarer Republik zeitgleich mit dem Referendum nach Art. 73 Abs. 1 WRV eingesetzt werden. Stellt man sich jenes Konglomerat aus dem Veto über Art. 73 Abs. 1 WRV verbunden mit der Inaussichtstellung einer Reichstagsauflösung vor, so dürfte dieses schon als Drohkulisse einige Kräfte freigesetzt haben, den Reichstag gegenüber dem Reichsoberhaupt und seinen politischen Vorstellungen gefügiger zu machen, da die Parlamentarier ansonsten Gefahr gelaufen wären, auf der Welle der politischen Empörung über ein Gesetz am selben Tag gleichsam eine für sie wichtige Norm und ihr Mandat zu verlieren. Aus staatspolitischem Blickwinkel darf daher nicht nur der tatsächlich vollzogene Vetoeinsatz gewürdigt werden, sondern man muss sich vor allem klarmachen, welche politische Dynamik eine entsprechende Vetodrohung, verstärkt mit dem möglichen Auflösungsszenario, für den Reichstag und seine um ihr Mandat bangenden Abgeordneten erzeugte. 437 Aus Sicht des Reichsparlaments ist die Bedeutsamkeit dieser vermeintlichen präsidialen Drohkulisse als erheblich einzustufen. Vor diesem Hintergrund erscheint das Vetorecht des Reichspräsidenten aus Art. 73 Abs. 1 WRV als wirklich machtvoll und relevant. Dem Reichspräsidenten war zwar durch dieses nicht gestattet, den Gesetzgebungsakt an sich eigenständig für nichtig zu erklären (aus verfassungsrechtlichen Gründen konnte er dies jedoch über das Veto aus Art. 70 WRV tun), er konnte aber das Volk zu einer Art Schiedsrichter über die widerstreitenden Anschauungen zwischen ihm und der Legislative berufen. Allerdings erscheint die Einspruchsmöglichkeit des Präsidenten nicht nur im Zusammenhang mit der Drohkulisse einer Parlamentsauflösung als machtvoll. Die Gefahr, dass er sich bei deren Einsatz eigentlich der Letztentscheidung über das Gesetz gleichsam wieder sofort begeben musste, konnte er durch weitere taktische Kniffe minimieren. Venator beschreibt die Vetomöglichkeit daher als ein besonders starkes Recht und offenbart dabei auch die Finessen, die dem Reichspräsidenten politisch zur Verfügung standen, um seine Stellung im Verfassungsgefüge der Weimarer Republik mittels Art. 73 Abs. 1 WRV zu manifestieren: „…Diese Regelung bedeutet jedoch u. E. nicht eine Schwächung, vielmehr eine Stärkung der Stellung des Reichspräsidenten der Volksvertretung gegenüber. Macht er nämlich von seinem ‚Veto-Recht‛ nicht schon Gebrauch, wenn nach seiner Ansicht das betreffende Gesetz ganz oder in wichtigen Punkten dem Wohle des Volkes zuwiderläuft, oder wenn er sonst schwere Bedenken hat, sondern erst dann, wenn er aus bestimmten Anzeichen darauf rechnen darf, daß 437 Es darf in diesem Zusammenhang insbesondere nicht übersehen werden, dass es innerhalb der Weimarer Wählerschaft nur äußerst rudimentär ausgebildete Parteibindungen gab. Am deutlichsten wird dieser Umstand daran sichtbar, dass sich weite Teile der Arbeitnehmer unter den Wählern innerhalb weniger Jahre weg von den Sozialdemokraten, hin zu den Nationalsozialisten orientierten. Über jedem Abgeordneten schwang somit das Damoklesschwert des Mandatsverlustes in viel dramatischerer Art und Weise, als Abgeordnete dies in den deutschen Parlamenten unserer Zeit empfinden müssen.

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B. Systematische und strukturelle Einordnung der <strong>Vetorechte</strong><br />

ven Reichsoberhauptes und der Volksvertretung offensichtlich in Erscheinung.<br />

Die WRV gab dem Reichspräsidenten in einer Konstellation des Widerstreits der<br />

Meinungen die Waffe zur Hand, nach seinem Belieben eine Volksabst<strong>im</strong>mung<br />

über das umstrittene Gesetz veranlassen zu können. Diese Möglichkeit wurde<br />

schon in den Beratungen der Nationalversammlung zur We<strong>im</strong>arer Reichsverfassung<br />

als Veto gegenüber den Beschlüssen der Legislative tituliert:<br />

Abgeordneter Philipp:„…Die Stellung des Reichspräsidenten nach dem Entwurf des Verfassungsausschusses<br />

entspricht nicht den Wünschen, die wir hegen. Eine machtvolle oberste Spitze<br />

ist besonders notwendig zu Zeiten, die aus einer Revolution heraus geboren sind oder in denen<br />

noch eine Revolution stattfindet. Wir bedauern es, daß nach den Best<strong>im</strong>mungen des Verfassungsausschusses<br />

der Reichspräsident nur ein suspensives Veto hat. Wir glauben, <strong>im</strong> <strong>deutschen</strong><br />

Volk, vielleicht sogar in seiner Mehrheit, ist noch ein gesundes Verständnis für eine<br />

machtvolle Obrigkeit vorhanden. Das deutsche Volk will regiert werden, und gerade die Ereignisse<br />

der letzten Monate haben das Autoritätsgefühl <strong>im</strong> <strong>deutschen</strong> Volke – in vielen Teilen<br />

wenigstens – gestärkt. …“ 434<br />

Abgeordneter Heinze: „…Ich sagte vorhin, der Art. 73 erweitere das Referendum außerordentlich.<br />

Er erweitert es zunächst in Abs. 1 in der Richtung, daß der Reichspräsident, auch<br />

wenn ein Gesetz durch den Reichstag in Übereinst<strong>im</strong>mung mit dem Reichsrat beschlossen worden<br />

ist, auf das Referendum zukommen kann. Über diese Funktion des Reichspräsidenten könne<br />

man schließlich reden. Sie bedeutet ein gewisses Vetorecht des Reichspräsidenten gegen<br />

die vom Reichstag beschlossenen Gesetze. …“ 435<br />

aaa. Die Parlamentsauflösung als Vetoverstärker<br />

Insbesondere die Vetomöglichkeit des Präsidenten aus Art. 73 Abs. 1 der We<strong>im</strong>arer<br />

Reichsverfassung erlangte eine zusätzliche Dynamik, wenn man sie <strong>im</strong> Zusammenspiel<br />

mit der Auflösungsmöglichkeit gegenüber dem Reichstag bewertet.<br />

Nach Art. 25 WRV 436 war es dem Reichspräsidenten jederzeit möglich, einen ihm<br />

nicht genehmen Reichstag aufzulösen und dessen Mandat zwangsweise an das<br />

Volk zurückgehen zu lassen, damit es einen neuen Reichstag wählen sollte. Dieses<br />

434 Vgl. Abg. Phillipp in der Nationalversammlung vom 4. Juli 1919 (zit. bei Heilfron, Deutsche Nationalversammlung,<br />

Bd. 5, S. 3183.<br />

435 Vgl. Abg. Heinze in der Nationalversammlung vom 7. Juli 1919 (zit. bei Heilfron, Deutsche Nationalversammlung,<br />

Bd. 5, S. 3299.<br />

436 Art. 25 Abs. 1 WRV – „Der Reichspräsident kann den Reichstag auflösen, jedoch nur einmal aus dem gleichen<br />

Anlaß.“<br />

Aus dem Umstand, dass der Reichspräsident von dieser Möglichkeit zahlreich Gebrauch machte (Auflösungsverordnungen<br />

des Reichspräsidenten vom 13. März 1924, vom 20. Oktober 1924, vom 31. März 1928, vom 18. Juli<br />

1930, vom 4. Juni 1932, vom 12. September 1932 und vom 1. Februar 1933 belegen dies), kann diesem Recht<br />

eine gewisse Praxisrelevanz <strong>im</strong> politischen Betrieb der We<strong>im</strong>arer Republik zuerkannt werden. Zumal die aufgeführten<br />

Fälle nur die tatsächlich durchgeführten Auflösungen darstellen. Unter wertenden Gesichtspunkten<br />

erscheint es durchaus als möglich, dass die Dunkelziffer entsprechender Auflösungsdrohungen erheblich höher<br />

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