Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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132 B. Systematische und strukturelle Einordnung der Vetorechte verfassung vorderhand beabsichtigte Gleichgewichtssystem zwischen Präsident und Parlament in Wahrheit ein Vorrechtssystem des Präsidenten gewesen ist. 430 Als Grund für diese Ausgestaltung der Norm wird immer wieder angeführt, dass der Reichspräsident als eine Art Vertrauensmann des Volkes in der Verfassung installiert wurde, dem die Gelegenheit gegeben werden sollte, bei einem Zwiespalt mit dem Reichstag an das Volk appellieren zu dürfen. 431 Diese Position des Vertrauensmanns sollte dem Reichspräsidenten insbesondere deshalb zuteilwerden, da er, anders als die eigentliche Reichsregierung gegenüber dem Parlament eine größere Unabhängigkeit besaß. Nach damalig breit anzutreffender Verfassungsvorstellung wäre es ihm somit möglich gewesen, im Falle der Annahme, dass der Wille der Reichstagsmehrheit nicht (mehr) dem Willen des Volkes entsprach, einem Parlamentsabsolutismus gegenüber die Rechte des Volkes zu wahren. 432 Überdies lassen sich aus gesetzestechnischer Sicht drei wesentliche Komponenten des Rechtes aus Art. 73 Abs. 1 WRV erkennen: Zum einen stand es nur dem exekutiven Reichspräsidenten zu, der wiederum nicht am eigentlichen Gesetzgebungsvorgang beteiligt war. Nach der infolge der Wahrnehmung der Rechte aus Art. 73 Abs. 1 WRV eintretenden zeitlichen Verzögerung des Gesetzwerdungsvorganges hätte innerhalb eines Monats aber letztlich nicht der Reichspräsident in vollkommener und autarker Form über das Schicksal dieses Gesetzes ent- 430 Fromme, Von der Weimarer Verfassung zum Bonner Grundgesetz, S. 159. 431 Vgl. Triepel, Der Weg der Gesetzgebung nach der neuen Reichsverfassung, AöR 39 (1920), S. 503. Als weitere Motivlage für die Norm des Art. 73 WRV verweist, Triepel, A.a.O. S. 526 ff, auf eine Art Konkurrenzkampf zwischen Reichspräsidenten und Reichsrat. Dieses Argument fußt auf der Idee, dass der Reichspräsident versuchen könnte, einen Einspruch des Reichsrates (Art. 74 Abs. 1 WRV) mittels seines Vetos aus Art. 73 Abs. 1 WRV zu übertrumpfen. Triepel führt hierzu aus: „…Welche Gründe könnte er [der Reichspräsident] dafür haben? Man wird sagen: ist der Präsident ein Gegner des Gesetzes, so kann er ja das Ergebnis des Einspruchs abwarten. Denn entweder lehnt der Reichstag bei der nochmaligen Beschlußfassung das Gesetz ab; dann hat der Präsident erreicht, was er will. Oder der Reichstag nimmt das Gesetz mit einfacher Mehrheit zum zweiten Male an; dann braucht es der Präsident nicht zu verkünden. Oder endlich die Annahme erfolgt mit Zweidrittelmehrheit; dann steht dem Präsidenten der Appell an das Volk immer noch offen, er braucht sich also nicht vorzeitig mit dem Odium einer Parteinahme gegen den Reichstag zu belasten. So richtig das alles ist, so kann die politische Situation doch vielleicht gelegentlich die Annahme rechtfertigen, das Volk werde bei sofortigem Anrufe eher willens seins, das Gesetz zu verwerfen, als wenn es der Reichstag zum zweiten Male angenommen hat. Vor allem kann der Entschluß des Präsidenten, den vorliegenden Einspruch zu übertrumpfen, aus dem Wunsche geboren werden, das Gesetz zu retten. Er fürchtet, daß der Reichstag dem Einspruch nachgibt; die Äußerungen der Parteien oder die Beratungen des Parlaments zeigen, daß der Einspruch im Begriffe ist, zu siegen. Wenn der Präsident glaubt, daß die Stimmung des Volkes für das Gesetz ist, so kann er dem Einspruch noch in letzter Stunde in die Parade fahren: Man denke auch an den Fall, daß der Einspruch bei oder nach Ablauf der Legislaturperiode erhoben wird; der Präsident kann dann allein noch durch Anordnung des Volksentscheids den Versuch machen, das Gesetz rasch in den Hafen zu steuern. Die Frage ist nur, ob das zulässig ist. Kann insbesondere die Einigung zwischen Reichsrat und Reichstag durch das Dazwischentreten des Präsidenten hintertrieben werden? Ich glaube, daß man die Frage wegen der kategorischen Fassung des Art. 73, Abs. 1 bejahen muß. …“ – A.A. Finger, in: Das Staatsrecht des Deutschen Reichs, S. 359 Fn 1, der dem Übertrumpfungsargument Triepels entgegen tritt: „…Ich vermag diese Anschauung nicht zu teilen. Es entspricht m.E. nicht dem Geiste der Verfassung, wenn ein von dieser für bestimmte Fälle als zuständig bezeichnetes Organ ausgeschaltet wird. Die Reichsverfassung will, daß Meinungsverschiedenheiten zwischen Reichstag und Reichsrat auf dem in Art. 74 bezeichneten Wege gelöst werden – es ist die Pflicht des Präsidenten dafür zu sorgen, daß dieser Weg ohne zwingende Momente nicht verlassen wird. Das dem Präsidenten in Art. 73 eingeräumte Recht soll nach der Verfassung dazu dienen, eine Meinungsverschiedenheit zwischen Reichstag und Reichspräsidenten zu entscheiden, das Mittel ist aber nicht dazu da, um Meinungsverschiedenheiten zwischen Reichspräsidenten und Reichsrat zu lösen. Hierfür gibt Art. 74 die Norm. Es wäre bedenklich nicht ganz klare Verfassungsbestimmungen nach Art eines Politikers in den Dienst des Zwecks zu stellen, die Machtbefugnisse eines Organes zu übertrumpfen. …“. 432 Vgl. Schade, Das Vetorecht in der Gesetzgebung, Diss. Jur. Halle 1929, S. 84.

III. Analyse der Weimarer Reichsverfassung als demokr. Vorläufer des Grundgesetzes 133 schieden, sondern es würde in die Hände des Reichsvolks, als unmittelbarerem Träger der Staats- und damit Gesetzgebungsgewalt, gelegt. Zum anderen ist als wesentlich hervorzuheben, dass der Reichspräsident diese Verbringung zum Volksentscheid aus jeglichen ihm beliebenden Motiven vornehmen hätte können. Dies könnten sowohl verfassungsrechtliche als auch politische Beweggründe sein. Die WRV verlangte de facto noch nicht einmal von ihm, dass er diese Gründe offen legt. Nur mehr die öffentliche Entscheidung hätte eine Offenlegung der Motive durch den Reichspräsidenten erzwingen können. Wenn das ganze Einspruchsunterfangen nämlich nicht nur zu einer Verzögerung des Gesetzgebungsprozesses hätte führen sollen, wäre der Präsident gezwungen gewesen, das Volk argumentativ zur Eliminierung des Reichstagsbeschlusses zu animieren. Die entsprechende Überzeugungsarbeit hätte den Präsidenten dazu genötigt, seine Einspruchsgründe zu offenbaren. cc. Vetoreflektionen für die Reichsebene Zusammenfassend lässt sich sagen, dass über den Art. 70 WRV hinaus, der wegen seiner Bedingtheit einige Problemfelder offen lässt, die Reichsverfassung der Weimarer Republik mit Art. 73 Abs. 1 WRV den Reichspräsidenten mit einem Einspruchsrecht ausstattete, das zwar keine vollkommene und unbedingte Vetowirkung hatte, aber dennoch zunächst suspendierenden Charakter gegenüber dem davon betroffenen Reichstagsgesetz aufwies. 433 Dieser suspendierende Charakter konnte sich durch die Entscheidung des Reichsvolkes dazu auswachsen, dass der gesamte Gesetzesbeschluss nicht in Gesetzeskraft ergehen konnte. Mit dem Reichsvolk entschied somit eine andere Ebene über die Durchschlagskraft des ursprünglichen Vetos. Der Präsident konnte mithin das Gesetz zwar weder dauerhaft suspendieren noch letztgültig autark verhindern. Er konnte es jedoch hemmen und eine andere Instanz über dieses entscheiden lassen. Das Veto war somit devolutiv. Es lässt sich also klar feststellen, dass dem Präsidenten auf Reichsebene ein Veto zur Verfügung stand, welches dem Reichstag die Möglichkeit entzog, absolut über die Gesetzeskraft seines Beschlusses zu befinden. Ein exekutiv-präsidialer Appell an das Reichsvolk konnte mithin der legislativen Entschließung jegliche Wirksamkeit nehmen. Selbst im Fall der plebiszitären Bestätigung des Reichstagsbeschlusses erreichte der Präsident bezüglich unliebsamer Gesetze zumindest eine erhebliche Verzögerung bei deren Rechtskrafterlangung. Mit der Anordnung des Referendums nach Art. 73 Abs. 1 WRV durch den Reichspräsidenten trat der Widerspruch zwischen den Anschauungen des exekuti- 433 Die Bezeichnung des Präsidentenrechts aus Art. 73 Abs. 1 WRV als Veto; findet sich auch bei: Nawiasky, in: Die Grundgedanken der Reichsverfassung, S. 72; noch heute: Friauf, in: FS Carstens Bd. 2, S. 553. Überdies war die Titulierung als „suspensives Veto“ in der einschlägigen staatsrechtlichen Literatur der Weimarer Republik die gängige Bezeichnung für das Recht des Reichspräsidenten aus Art. 73 Abs. 1 WRV. – Vgl. Giese, Die Verfassung des deutschen Reiches v. 11. August 1919, Art. 73, S. 190.

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B. Systematische und strukturelle Einordnung der <strong>Vetorechte</strong><br />

verfassung vorderhand beabsichtigte Gleichgewichtssystem zwischen Präsident<br />

und Parlament in Wahrheit ein Vorrechtssystem des Präsidenten gewesen ist. 430<br />

Als Grund für diese Ausgestaltung der Norm wird <strong>im</strong>mer wieder angeführt, dass<br />

der Reichspräsident als eine Art Vertrauensmann des Volkes in der Verfassung<br />

installiert wurde, dem die Gelegenheit gegeben werden sollte, bei einem Zwiespalt<br />

mit dem Reichstag an das Volk appellieren zu dürfen. 431 Diese Position des Vertrauensmanns<br />

sollte dem Reichspräsidenten insbesondere deshalb zuteilwerden,<br />

da er, anders als die eigentliche Reichsregierung gegenüber dem Parlament eine<br />

größere Unabhängigkeit besaß. Nach damalig breit anzutreffender Verfassungsvorstellung<br />

wäre es ihm somit möglich gewesen, <strong>im</strong> Falle der Annahme, dass der<br />

Wille der Reichstagsmehrheit nicht (mehr) dem Willen des Volkes entsprach, einem<br />

Parlamentsabsolutismus gegenüber die Rechte des Volkes zu wahren. 432<br />

Überdies lassen sich aus gesetzestechnischer Sicht drei wesentliche Komponenten<br />

des Rechtes aus Art. 73 Abs. 1 WRV erkennen: Zum einen stand es nur<br />

dem exekutiven Reichspräsidenten zu, der wiederum nicht am eigentlichen Gesetzgebungsvorgang<br />

beteiligt war. Nach der infolge der Wahrnehmung der Rechte<br />

aus Art. 73 Abs. 1 WRV eintretenden zeitlichen Verzögerung des Gesetzwerdungsvorganges<br />

hätte innerhalb eines Monats aber letztlich nicht der Reichspräsident<br />

in vollkommener und autarker Form über das Schicksal dieses Gesetzes ent-<br />

430 Fromme, Von der We<strong>im</strong>arer Verfassung zum Bonner Grundgesetz, S. 159.<br />

431 Vgl. Triepel, Der Weg der Gesetzgebung nach der neuen Reichsverfassung, AöR 39 (1920), S. 503.<br />

Als weitere Motivlage für die Norm des Art. 73 WRV verweist, Triepel, A.a.O. S. 526 ff, auf eine Art Konkurrenzkampf<br />

zwischen Reichspräsidenten und Reichsrat. Dieses Argument fußt auf der Idee, dass der Reichspräsident<br />

versuchen könnte, einen Einspruch des Reichsrates (Art. 74 Abs. 1 WRV) mittels seines Vetos aus Art. 73<br />

Abs. 1 WRV zu übertrumpfen. Triepel führt hierzu aus: „…Welche Gründe könnte er [der Reichspräsident] dafür<br />

haben? Man wird sagen: ist der Präsident ein Gegner des Gesetzes, so kann er ja das Ergebnis des Einspruchs abwarten. Denn<br />

entweder lehnt der Reichstag bei der nochmaligen Beschlußfassung das Gesetz ab; dann hat der Präsident erreicht, was er will. Oder<br />

der Reichstag n<strong>im</strong>mt das Gesetz mit einfacher Mehrheit zum zweiten Male an; dann braucht es der Präsident nicht zu verkünden.<br />

Oder endlich die Annahme erfolgt mit Zweidrittelmehrheit; dann steht dem Präsidenten der Appell an das Volk <strong>im</strong>mer noch offen,<br />

er braucht sich also nicht vorzeitig mit dem Odium einer Parteinahme gegen den Reichstag zu belasten. So richtig das alles ist, so<br />

kann die politische Situation doch vielleicht gelegentlich die Annahme rechtfertigen, das Volk werde bei sofortigem Anrufe eher<br />

willens seins, das Gesetz zu verwerfen, als wenn es der Reichstag zum zweiten Male angenommen hat. Vor allem kann der Entschluß<br />

des Präsidenten, den vorliegenden Einspruch zu übertrumpfen, aus dem Wunsche geboren werden, das Gesetz zu retten. Er<br />

fürchtet, daß der Reichstag dem Einspruch nachgibt; die Äußerungen der Parteien oder die Beratungen des Parlaments zeigen, daß<br />

der Einspruch <strong>im</strong> Begriffe ist, zu siegen. Wenn der Präsident glaubt, daß die St<strong>im</strong>mung des Volkes für das Gesetz ist, so kann er<br />

dem Einspruch noch in letzter Stunde in die Parade fahren: Man denke auch an den Fall, daß der Einspruch bei oder nach Ablauf<br />

der Legislaturperiode erhoben wird; der Präsident kann dann allein noch durch Anordnung des Volksentscheids den Versuch<br />

machen, das Gesetz rasch in den Hafen zu steuern. Die Frage ist nur, ob das zulässig ist. Kann insbesondere die Einigung zwischen<br />

Reichsrat und Reichstag durch das Dazwischentreten des Präsidenten hintertrieben werden? Ich glaube, daß man die Frage wegen der<br />

kategorischen Fassung des Art. 73, Abs. 1 bejahen muß. …“ –<br />

A.A. Finger, in: Das Staatsrecht des Deutschen Reichs, S. 359 Fn 1, der dem Übertrumpfungsargument Triepels<br />

entgegen tritt: „…Ich vermag diese Anschauung nicht zu teilen. Es entspricht m.E. nicht dem Geiste der Verfassung, wenn ein<br />

von dieser für best<strong>im</strong>mte Fälle als zuständig bezeichnetes Organ ausgeschaltet wird. Die Reichsverfassung will, daß Meinungsverschiedenheiten<br />

zwischen Reichstag und Reichsrat auf dem in Art. 74 bezeichneten Wege gelöst werden – es ist die Pflicht des Präsidenten<br />

dafür zu sorgen, daß dieser Weg ohne zwingende Momente nicht verlassen wird. Das dem Präsidenten in Art. 73 eingeräumte<br />

Recht soll nach der Verfassung dazu dienen, eine Meinungsverschiedenheit zwischen Reichstag und Reichspräsidenten zu entscheiden,<br />

das Mittel ist aber nicht dazu da, um Meinungsverschiedenheiten zwischen Reichspräsidenten und Reichsrat zu lösen. Hierfür gibt<br />

Art. 74 die Norm. Es wäre bedenklich nicht ganz klare Verfassungsbest<strong>im</strong>mungen nach Art eines Politikers in den Dienst des<br />

Zwecks zu stellen, die Machtbefugnisse eines Organes zu übertrumpfen. …“.<br />

432 Vgl. Schade, Das Vetorecht in der Gesetzgebung, Diss. Jur. Halle 1929, S. 84.

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