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Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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B. Systematische und strukturelle Einordnung der <strong>Vetorechte</strong><br />

„Ein vom Reichstag beschlossenes Gesetz ist vor seiner Verkündung zum Volksentscheid zu<br />

bringen, wenn der Reichspräsident binnen eines Monats es best<strong>im</strong>mt.“<br />

Gemäß Art. 70 WRV hatte der Reichspräsident an sich die Pflicht, ein vom<br />

Reichstag beschlossenes und damit verfassungsgemäß zustande gekommenes<br />

Reichsgesetz binnen Monatsfrist zu verkünden. Über Art. 73 Abs. 1 WRV erhielt<br />

der Reichspräsident allerdings die Möglichkeit statt der Verkündung einen Volksentscheid<br />

über das ganze Gesetz anzuordnen. Es war ihm hingegen nicht gestattet,<br />

einzelne Teile herauszugreifen und somit lediglich Gesetzesfragmente einer<br />

Volksabst<strong>im</strong>mung zu unterbreiten. 422 Der Reichspräsident konnte die Anordnung<br />

zum Volksentscheid nach seinem eigenen und freien Ermessen treffen. 423 Innerhalb<br />

der bezeichneten Einmonatsfrist konnte er den Volksentscheid selbst dann<br />

noch anordnen, wenn das vom Reichstag beschlossene Reichsgesetz 424 von ihm<br />

eigentlich schon verkündet worden war. Dies war allerdings nur möglich, sofern<br />

noch nicht gemäß Art. 71 WRV die „rechtliche Ausgabe“ der betreffenden<br />

Nummer des Reichsgesetzblatts „in der Reichshauptstadt“ stattgefunden hatte<br />

und dadurch die Gesetzesverkündung offiziell abgeschlossen gewesen wäre. 425 Die<br />

präsidentielle Dispositionsfreiheit ging sogar so weit, dass das Staatsoberhaupt bis<br />

zum Tage der Volksabst<strong>im</strong>mung seinen Einspruch noch widerrufen konnte. 426<br />

Der Reichspräsident war somit berechtigt, gegen legislative Beschlüsse an das<br />

Volk zu appellieren. Die Wahrnehmung des Rechts aus Abs. 1 des Art. 73 WRV,<br />

welches allein dem Reichspräsidenten und nicht der Reichsregierung zustand, löste<br />

eine unmittelbare Teilnahme des Volkes an der Gesetzgebung aus. Dies darf jedoch<br />

nicht als Ausschaltung des Reichstags in der Rolle des ordentlichen Gesetzgebers<br />

gewertet werden. Durch Volksentscheid beschlossene Gesetze, egal ob<br />

vom Volk initiiert oder vom Präsidenten mittels Art. 73 Abs. 1 WRV ausgelöst,<br />

sollten keine erhöhte Gesetzeskraft aufweisen; sie konnten wie jedes andere<br />

Reichsgesetz durch ein vom Reichstag beschlossenes Gesetz abgeändert oder<br />

aufgehoben werden. 427<br />

Anders als bei Art. 70 WRV sah die Reichsverfassung der We<strong>im</strong>arer Republik<br />

mit Art. 73 Abs. 1 WRV ein Recht für den Reichspräsidenten vor, für dessen Anwendung<br />

er weder eine Begründung noch handfeste Motive, wie dasjenige eines<br />

422 Vgl. Triepel, Der Weg der Gesetzgebung nach der neuen Reichsverfassung, AöR 39 (1920), S. 502.<br />

423 Vgl. Hubrich, Das demokratische Verfassungsrecht des <strong>deutschen</strong> Reiches, S. 158.<br />

424 Es musste sich um eine Norm handeln, deren Fixierung soweit fortgeschritten war, dass das entsprechende<br />

Gesetzgebungsverfahren als abgeschlossen angesehen werden konnte – Vgl. Venator, Volksentscheid und<br />

Volksbegehren <strong>im</strong> Reich und den Ländern, AöR 43 (1922), S. 56.<br />

425 Vgl. Hubrich, Das demokratische Verfassungsrecht des <strong>deutschen</strong> Reiches, S. 158/159.<br />

426 Solange der Volksentscheid noch nicht stattgefunden hatte, sollte der Reichspräsident seine Entscheidung bis<br />

zum frühen Morgen des Abst<strong>im</strong>mungstages zurücknehmen oder widerrufen können – Vgl. Jellinek, Das einfache<br />

Reichsgesetz (§72), in: Handbuch des Deutschen Staatsrechts Bd. II (1932), S. 177; Vgl. Schade, Das Vetorecht in<br />

der Gesetzgebung, Diss. Jur. Halle 1929, S. 62.<br />

427 Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, Art. 73, S. 385.

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