Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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124 B. Systematische und strukturelle Einordnung der Vetorechte stark nachklingenden Volksrätemodell der ‚Revolutionslinken‛ geschuldet waren, fallen für den hier interessierenden Forschungsbereich ins Auge. Vielmehr die Möglichkeit, dem Grunde nach exekutiv-strukturierter Organe auf den eigentlich abgeschlossenen Gesetzgebungsakt, Einfluss nehmen zu können, erstaunt. Es wurden dem Reichspräsidenten und dem Reichsrat weitreichende Gelegenheiten zugestanden, Gesetzesbeschlüssen die Wirksamkeit zu nehmen oder diese zumindest aufzuschieben. Ohne vorwegzugreifen, kann an dieser Stelle schon festgestellt werden, dass keinem dieser Organe, weder dem Reichspräsidenten noch dem Reichsrat, der eigentliche Gesetzgebungsbeschluss oblag. Inwieweit diese nun näher zu bestimmenden Einspruchsrechte, die in der Lage waren, beschlossene Gesetzes zu unterminieren, tatsächlich auch als exekutive Vetorechte bezeichnet werden können, muss im Folgenden eruiert werden. a. Vetoaspekte auf Reichsebene aa. Das Ausfertigungs- und Verkündungsrecht aus Art. 70 WRV Für das staatsrechtliche Zustandekommen eines Gesetzes sah die WRV als zentrales beendendes Element die Ausfertigung und Verkündung im Reichsgesetzblatt vor. Diese in Art. 70 WRV 408 festgelegte Regelung hatte das Ziel, der Gesetzesvorschrift verbindliche Kraft zu verleihen. Da, wie bereit bei Art. 17 der Bismarckschen Reichsverfassung, für den Kaiser betrachtet, dem Reichspräsidenten damit die Möglichkeit gegeben wurde, ein Gesetz per Ausfertigungsverweigerung die Gültigkeit vorzuenthalten, soll diese Norm auch für die WRV ob ihrer Vetoqualität näher beleuchtet werden. Im Staatsrechtlehrbuch für die Weimarer Republik von Finger findet sich folgende organisationsrechtliche Einordnung des Art. 70 WRV: „…Die Verkündung ist aber im Gegensatz zu den anderen Phasen lediglich ein formales Element. Der Beschluß des Reichstages macht einen Gesetzentwurf zum Gesetz (Art 68 Abs. 2) und die Ausfertigung und Verkündung sind staatsrechtliche Akte, die sich auf ein verfassungsgemäß bereits zustande gekommenes Gesetz (Art. 70) beziehen. […] Die Pflicht des Reichspräsidenten zur Ausfertigung und Verkündung eines Gesetzes bezieht sich bloß auf ‚verfassungsmäßig zustande gekommene Gesetze‛, woraus folgt, daß der Reichspräsident diese Voraussetzung festzustellen hat. Fehlt sie, dann wird er die Ausfertigung des Gesetzes unterlassen. Hierdurch gewinnt dieses dem Reichspräsidenten zustehende formelle Recht materielle Bedeutung. Von einem materiellen Recht unterscheidet es sich wesentlich dadurch, daß der Reichspräsident das 408 Art. 70 Abs. 1 Verfassung des Deutschen Reichs v. 11. August 1919: „…Der Reichspräsident hat die verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetze auszufertigen und binnen Monatsfrist im Reichs-Gesetzblatt zu verkünden. …“.

III. Analyse der Weimarer Reichsverfassung als demokr. Vorläufer des Grundgesetzes 125 Gesetz nicht etwa bloß verkündet, wenn er will, wenn er nach einer Prüfung zu der Erkenntnis kommt, daß das Reichsinteresse dies verlangt, sondern, wenn er muß, d.h. wenn die formalen gesetzlichen Voraussetzungen für die Verkündung gegeben sind. …“ 409 Mit der Ausfertigung und Verkündung war also nicht nur ein automatisch zu vollziehender Abdruck im Reichsgesetzblatt gemeint, sondern in Anlehnung 410 an das kaiserliche Recht aus Art. 17 RV 1871 gab dieser Vorgang den nachgeordneten Organen den Anwendungsbefehl. In der staatsrechtlichen Literatur der Weimarer Republik war Art. 70 WRV ein vieldiskutiertes Thema 411 . Es wurde nämlich im Gegensatz zur Kaiserverfassung zahlreich 412 angenommen, dass neben einem Prüfrecht bezüglich der formellen Verfassungskriterien dem Reichspräsidenten auch eine Überprüfung der materiellen Übereinstimmung mit der Verfassung zustand. 413 Dieses auch für unser heutiges Grundgesetz und die Norm des Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG wohl bekannte Streitthema soll jedoch nicht in seiner inhaltlichen Vielschichtigkeit das hier zu vorderst zu behandelnde Thema sein. Was aber auffällt, ist der Umstand, dass, wenn man im Prüfrecht des präsidialen Weimarer Staatsoberhaupts neben der formellen auch eine inhaltliche Kontrollkomponente erkennt, dies die Relevanz der Vetofrage nur noch erhöht. Es muss an dieser Stelle, trotz der Verlockungen, die die Wortlautgleichheit zwischen Art. 17 der Kaiserverfassung und Art. 70 WRV bereithält, darauf hingewiesen werden, dass eine unreflektierte Bezeichnung als Vetorecht, wie sie letztlich beim kaiserlichen Prüfrecht erfolgte, mit einigen Problemen behaftet ist. Unzweifelhaft richtig ist zunächst, dass dieses Prüfrecht ein mit Verfassungsverlet- 409 Finger, Das Staatsrecht des Deutschen Reichs, S. 381/382. 410 Art. 70 WRV wurde von der Weimarer Nationalversammlung in bewusster Anlehnung und anhand des Vorbilds aus Art. 17 RV 1871 geschaffen. – Vgl. Triepel, Der Weg der Gesetzgebung nach der neuen Reichsverfassung, AöR 39 (1920), S. 538. 411 Eine den heutigen rechtshistorischen Wissensstand widerspiegelnde Abhandlung zur Diskussion des Ausmaßes des reichspräsidialen Prüfungsrechts bietet: W. M. Pohl, Die Prüfungskompetenz des Bundespräsidenten bei der Ausfertigung von Gesetzen, S. 117 ff. Maßgeblich ging es schon zur Zeit der WRV um die Frage, inwieweit der Reichspräsident über Art. 70 WRV über die Prüfung der formell-rechtlichen Konformität mit der Reichsverfassung auch die inhaltlich-materielle Übereinstimmung prüfen durfte. 412 Umfängliche Darstellungen zum diesbezüglichen Meinungsstand in der Weimarer Staatsrechtswissenschaft finden sich u.a. bei: Schneider, Die Reichsverfassung vom 11. August 1919, in: Isensee/Kirchhof HStR Bd. I, §5, Rn 65. 413 Dieses von der Mehrheit Staatsrechtswissenschaft in der Weimarer Republik dem Präsidenten zugestandene materielle Prüfrecht nahm der zweite Reichspräsident Paul v. Hindenburg auch ganz selbstverständlich für sich in Anspruch als er die Ausfertigung und Verkündung des sog. ‚Militärstrafgesetzbuches‛ verweigerte: Folgende Ausführungen des Reichspräsidenten v. Hindenburg sind überliefert: „…Ich könnte es nicht mit meinem Gewissen und der mir in Art. 70 der Reichsverfassung übertragenden Pflicht zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzgebungsaktes vereinbaren, ein vom Reichstag nur mit einfacher Mehrheit beschlossenes Gesetz auszufertigen und zu verkünden, wenn begründete Zweifel darüber bestehen, ob es mit der Verfassung des Reiches vereinbar ist, oder sie in diesem besonderen Falle durchbricht. …“ – aus: Poetzsch-Heffter, Vom Staatsleben unter der Weimarer Verfassung, in: JöR 13 (1925), 1 (140). Als relevant muss hervor gestrichen werden, dass es bei der Prüfung der inhaltlichen Verfassungsmäßigkeit im Kern der damaligen Debatte nicht um eine inhaltliche Kongruenz im Sinne der Übereinstimmung mit den Grundrechten, den Staatszielbestimmungen und sonstigem Staatsorganisationsrecht ging, sondern lediglich um die Frage, ob das Gesetz in der seinem Inhalt entsprechenden Form zustande gekommen war. – Vgl. W. M. Pohl, Die Prüfungskompetenz des Bundespräsidenten bei der Ausfertigung von Gesetzen, S. 121.

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B. Systematische und strukturelle Einordnung der <strong>Vetorechte</strong><br />

stark nachklingenden Volksrätemodell der ‚Revolutionslinken‛ geschuldet waren,<br />

fallen für den hier interessierenden Forschungsbereich ins Auge. Vielmehr die<br />

Möglichkeit, dem Grunde nach exekutiv-strukturierter Organe auf den eigentlich<br />

abgeschlossenen Gesetzgebungsakt, Einfluss nehmen zu können, erstaunt. Es<br />

wurden dem Reichspräsidenten und dem Reichsrat weitreichende Gelegenheiten<br />

zugestanden, Gesetzesbeschlüssen die Wirksamkeit zu nehmen oder diese zumindest<br />

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Ohne vorwegzugreifen, kann an dieser Stelle schon festgestellt werden, dass<br />

keinem dieser Organe, weder dem Reichspräsidenten noch dem Reichsrat, der<br />

eigentliche Gesetzgebungsbeschluss oblag. Inwieweit diese nun näher zu best<strong>im</strong>menden<br />

Einspruchsrechte, die in der Lage waren, beschlossene Gesetzes zu unterminieren,<br />

tatsächlich auch als exekutive <strong>Vetorechte</strong> bezeichnet werden können,<br />

muss <strong>im</strong> Folgenden eruiert werden.<br />

a. Vetoaspekte auf Reichsebene<br />

aa. Das Ausfertigungs- und Verkündungsrecht aus Art. 70 WRV<br />

Für das staatsrechtliche Zustandekommen eines Gesetzes sah die WRV als zentrales<br />

beendendes Element die Ausfertigung und Verkündung <strong>im</strong> Reichsgesetzblatt<br />

vor. Diese in Art. 70 WRV 408 festgelegte Regelung hatte das Ziel, der Gesetzesvorschrift<br />

verbindliche Kraft zu verleihen. Da, wie bereit bei Art. 17 der Bismarckschen<br />

Reichsverfassung, für den Kaiser betrachtet, dem Reichspräsidenten<br />

damit die Möglichkeit gegeben wurde, ein Gesetz per Ausfertigungsverweigerung<br />

die Gültigkeit vorzuenthalten, soll diese Norm auch für die WRV ob ihrer Vetoqualität<br />

näher beleuchtet werden. Im Staatsrechtlehrbuch für die We<strong>im</strong>arer Republik<br />

von Finger findet sich folgende organisationsrechtliche Einordnung des Art.<br />

70 WRV:<br />

„…Die Verkündung ist aber <strong>im</strong> Gegensatz zu den anderen Phasen lediglich ein formales Element.<br />

Der Beschluß des Reichstages macht einen Gesetzentwurf zum Gesetz (Art 68 Abs. 2)<br />

und die Ausfertigung und Verkündung sind staatsrechtliche Akte, die sich auf ein verfassungsgemäß<br />

bereits zustande gekommenes Gesetz (Art. 70) beziehen. […] Die Pflicht des Reichspräsidenten<br />

zur Ausfertigung und Verkündung eines Gesetzes bezieht sich bloß auf ‚verfassungsmäßig<br />

zustande gekommene Gesetze‛, woraus folgt, daß der Reichspräsident diese Voraussetzung<br />

festzustellen hat. Fehlt sie, dann wird er die Ausfertigung des Gesetzes unterlassen. Hierdurch<br />

gewinnt dieses dem Reichspräsidenten zustehende formelle Recht materielle Bedeutung. Von<br />

einem materiellen Recht unterscheidet es sich wesentlich dadurch, daß der Reichspräsident das<br />

408 Art. 70 Abs. 1 Verfassung des Deutschen Reichs v. 11. August 1919: „…Der Reichspräsident hat die verfassungsmäßig<br />

zustande gekommenen Gesetze auszufertigen und binnen Monatsfrist <strong>im</strong> Reichs-Gesetzblatt zu<br />

verkünden. …“.

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