Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

webdoc.sub.gwdg.de
von webdoc.sub.gwdg.de Mehr von diesem Publisher
22.01.2013 Aufrufe

122 B. Systematische und strukturelle Einordnung der Vetorechte ten nunmehr erscheinen lässt. Allerdings darf die Entscheidung der Nationalversammlung nicht nur singulär als eine Entscheidung zugunsten einer starken exekutiven Staatsspitze gewertet werden, sondern es bedarf der Reflektion, dass diese Variation nur zustande kam, weil dem Reichspräsidenten ganz bewusst ein starker Reichstag gegenübergestellt wurde. Der zweite Präsident der Weimarer Republik Paul v. Hindenburg fasste diese Konstellation in seiner Vereidigungsrede wie folgt zusammen: „…Reichstag und Reichspräsident gehören zusammen, denn sie sind beide unmittelbar aus den Wahlen des deutschen Volkes hervorgegangen. Aus dieser gemeinsamen Grundlage leiten sie ihre Machtvollkommenheiten her. Beide zusammen erst bilden die Verkörperung der Volkssouveränität, die die Grundlage unseres gesamten heutigen Verfassungslebens bildet. Das ist der tiefere Sinn der Verfassung…“ 404 Trotz der immer wiederkehrenden Betonung des starken demokratischen Elements, das sowohl den Reichspräsidenten als auch den Reichstag prägen sollte, fällt an der WRV doch auf, dass die Weimarer Republik eine semipräsidentielle Demokratie war, in der der Reichspräsident als Staatsoberhaupt die eigentliche Kanzlers Bismarck zugeschnitten – die jetzige Reichsverfassung soll nicht auf den Leib des Reichspräsidenten Ebert zugeschnitten sein. Wir müssen mit der Tatsche rechnen, dass eines Tages ein anderer Mann aus einer anderen Partei, vielleicht aus einer reaktionären staatsstreichlüsternen Partei, an dieser Stelle stehen wird. …“ – Vgl. Heilfron, Deutsche Nationalversammlung, Bd. 2, S. 924 ff; Der Abgeordnete Koch-Weser von der Deutschen Demokratischen Partei konnte demgegenüber einem starken Reichspräsidenten positive Aspekte abgewinnen und argumentierte: „…Wir sind also der Meinung, dass wir unseren Parlamentarismus durch eine andere Art der obersten Spitze im Reich ergänzen müssen. Denn ein Großstaat kann nicht von einer einzigen Körperschaft in seinem Schicksal abhängig sein wie eine Landgemeinde. Wir sind nicht gewillt, den Präsidenten lediglich zu einer Repräsentationsfigur werden zu lassen. […] Was wir erwarten, ist ein Mann, der auf hoher Warte steht und nur dann, wenn die Stunde der Gefahr herangekommen ist, herabsteigt und in den Streit der Meinungen mit ernsten Worten eingreift. Wir wünschen aus diesem Grunde auch, dass der Präsident vom gesamten Volke gewählt wird, damit er in ernster Stunde ein Gegengewicht gegen die Parlamentsroutine bildet. …" – Vgl. Heilfron, A.a.O., Bd. 2, S. 972. Weitergehende Darstellungen zur Umstrittenheit der Ausgestaltung des Präsidentenamtes unter den Parteien in der Nationalversammlung, die zwischen ‚überflüssig‛ bis ‚möglichst machtvoll‛ variierten; zu finden bei: v. Beyme, Die Parlamentarischen Regierungssysteme in Europa, S. 270/271. 403 Folgende Charakteristika zeichneten die staatsrechtliche Stellung des Reichspräsidenten aus: Der Reichspräsident stand an der Spitze des Reiches und war gemäß Art. 41, 43 WRV vom Volk direkt gewählt und konnte auch wiedergewählt werden. Art. 43 Abs. 2 WRV bestimmte auch über den Fall der Absetzung. Auf Antrag einer Zweidrittelmehrheit des Reichstags konnte eine Volksabstimmung anberaumt werden, die den Reichspräsidenten per Mehrheitsvotum absetzen hätte können. Als besonders bemerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang die Bestimmung, dass im Fall der Ablehnung der Absetzung per Volksabstimmung eine Neuwahl des Reichspräsidenten für eine weitere volle Amtszeit als fingiert anzusehen ist und gleichsam automatisch der Reichstag als aufgelöst gilt und Neuwahlen zu diesem stattfinden. Darüber hinaus ernannte und entließ der Reichspräsident gemäß Art. 53 WRV den Reichskanzler und die Reichsminister. Des Weiteren konnte er, basierend auf Art. 25 Abs. 1 WRV, den Reichstag auflösen, allerdings nur einmal aus demselben Anlass. Insbesondere Art. 48 WRV stattete den Reichspräsidenten mit beträchtlichen Vollmachten aus, indem ihm ein weitgehendes Notverordnungsrecht zugewiesen wurde. 404 Auszug aus der Vereidigungsrede von Reichspräsident Paul von Hindenburg im Deutschen Reichstag vom 12. Mai 1925 –Zitiert bei: Boldt, Die Stellung von Parlament und Parteien in der Weimarer Reichsverfassung. Verfassungstheorie und Verfassungswirklichkeit, in: Kolb/Mühlhausen (Hrsg.) Demokratie in der Krise Parteien im Verfassungssystem der Weimarer Republik, S 33.

III. Analyse der Weimarer Reichsverfassung als demokr. Vorläufer des Grundgesetzes 123 Führerschaft im Reich überantwortet bekam. 405 Er sollte als führendes Staatsoberhaupt an den Staatsgeschäften aktiven Anteil nehmen und ein „…in die Geschicke des Reichs tatkräftig eingreifender, sie mitbestimmender, schaffender, leitender Staatsmann…“ sein, „…der über die ihm zugewiesenen Zuständigkeiten im Bereich der Verwaltung, Rechtsprechung und Gesetzgebung hinaus die Kontinuität und Permanenz der staatlichen Einheit und ihres einheitlichen Funktionierens…“ 406 darstellen. 407 Ausgehend von dieser Bestandsaufnahme der den Vetobereich beeinflussenden staatsorganisationsrechtlichen Strukturen und Institutionen der WRV soll nun im Folgenden untersucht werden, inwieweit bestimmte exekutive Rechte, die dem starken Reichspräsidenten gegenüber dem Gesetzgebungsgebaren der Legislative zustanden, als Vetorechte bezeichnet werden können, so wie es die Staatsrechtswissenschaft der Weimarer Republik des Öfteren tat und wie sie auch in der heutigen Nachschau häufig bezeichnet werden. 2. Vetoausprägungen im Wortlaut der WRV Die Weimarer Reichsverfassung sah in ihren Regelungen das Normsetzungsverfahren betreffend zwar vor, dass ein Gesetz, welches durch den entsprechenden Reichstagbeschluss zustande kam, keiner weitergehenden Zustimmungskomponente mehr bedurfte. Gerade in diesem Punkt unterschied sich die WRV nicht nur fundamental von den konstitutionellen Vorläufersystemen, die bis zum revolutionären Umsturz in den Ländern galten, sondern auch von der Regelung in Art. 5 Abs. 1 der Kaiserverfassung, durch welche dem dynastisch-monarchischen Bundesrat die Position des Gesetzgebers eröffnet wurde. Dennoch muss gerade in Anbetracht der Art. 73 und 74 WRV dem Weimarer Verfassungswerk eine Vielzahl von Angriffspunkten auf den Gesetzgebungsakt des volksabgeleiteten Reichtags attestiert werden. Weniger die plebiszitären Elemente, die wohl dem etwas zu 405 Vgl. Rudzio, Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, S. 293. 406 Vgl. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, in: AöR 16 (1929)/Heft 2, S. 218; 407 Die Stellung des Präsidenten der Weimarer Republik als eines der beiden gleich stark konzipierten demokratischen Organe, beschreibt Pohl, Die Zuständigkeiten des Reichspräsidenten (§42), in: Handbuch des Deutschen Staatsrechts Bd. I (1930), S. 483: „…Die Verfassungsbestimmungen über den Reichspräsidenten machen den Versuch, ‚dem Parlament als Repräsentation des ganzen deutschen Volkes eine ebenfalls vom ganzen deutschen Volke gewählte andere Repräsentation entgegenzustellen. Das entspricht dem demokratischen Prinzip und hat den verfassungsrechtlichen Sinn, die politische Einheit des ganzen Volkes vor einem zum Instrument pluralistischer Tendenzen gewordenen Instrument zu retten.‛ Ganz im Sinne des demokratischen Prinzips, auf dem die Weimarer Verfassung beruht, wird er als ‚der Hüter der Verfassung‛ bezeichnet. Die politischen Befugnisse des vom ganzen deutschen Volk gewählten Reichspräsidenten gegenüber den gesetzgebenden Instanzen sind, wie Carl Schmitt mit Recht betont, der Sache nach ‚nur ein Appell an das Volk‛. ‚Die Weimarer Verfassung hat hier den Versuch gemacht, gerade aus demokratischen Prinzipien heraus gegen die Herrschaft von Parlamentskoalitionen und gegen den Pluralismus sozialer und wirtschaftlicher Machtgruppen ein Gegengewicht zu bilden, die Einheit des Volkes als eines politischen Ganzen zu wahren und die verfassungsmäßige Ordnung vor einem Mißbrauch der Parteien zu schützen.‛ ‚Sowohl das relativ Statische und Permanente (Wahl auf sieben Jahre, erschwerte Abberufungsmöglichkeit, Unabhängigkeit von den wechselnden Parlamentsmehrheiten) wie auch die Art seiner Befugnisse… haben den Sinn, eine neutrale und vermittelnde Stelle zu schaffen, die als solche der berufene Wahrer und Hüter des verfassungsmäßigen Zustandes und des verfassungsmäßigen Funktionierens der obersten Reichsinstanzen ist.“.

122<br />

B. Systematische und strukturelle Einordnung der <strong>Vetorechte</strong><br />

ten nunmehr erscheinen lässt. Allerdings darf die Entscheidung der Nationalversammlung<br />

nicht nur singulär als eine Entscheidung zugunsten einer starken exekutiven<br />

Staatsspitze gewertet werden, sondern es bedarf der Reflektion, dass diese<br />

Variation nur zustande kam, weil dem Reichspräsidenten ganz bewusst ein starker<br />

Reichstag gegenübergestellt wurde. Der zweite Präsident der We<strong>im</strong>arer Republik<br />

Paul v. Hindenburg fasste diese Konstellation in seiner Vereidigungsrede wie folgt<br />

zusammen:<br />

„…Reichstag und Reichspräsident gehören zusammen, denn sie sind beide unmittelbar aus den<br />

Wahlen des <strong>deutschen</strong> Volkes hervorgegangen. Aus dieser gemeinsamen Grundlage leiten sie ihre<br />

Machtvollkommenheiten her. Beide zusammen erst bilden die Verkörperung der Volkssouveränität,<br />

die die Grundlage unseres gesamten heutigen Verfassungslebens bildet. Das ist der tiefere<br />

Sinn der Verfassung…“ 404<br />

Trotz der <strong>im</strong>mer wiederkehrenden Betonung des starken demokratischen Elements,<br />

das sowohl den Reichspräsidenten als auch den Reichstag prägen sollte,<br />

fällt an der WRV doch auf, dass die We<strong>im</strong>arer Republik eine semipräsidentielle<br />

Demokratie war, in der der Reichspräsident als Staatsoberhaupt die eigentliche<br />

Kanzlers Bismarck zugeschnitten – die jetzige Reichsverfassung soll nicht auf den Leib des Reichspräsidenten Ebert zugeschnitten<br />

sein. Wir müssen mit der Tatsche rechnen, dass eines Tages ein anderer Mann aus einer anderen Partei, vielleicht aus einer reaktionären<br />

staatsstreichlüsternen Partei, an dieser Stelle stehen wird. …“ – Vgl. Heilfron, Deutsche Nationalversammlung, Bd.<br />

2, S. 924 ff;<br />

Der Abgeordnete Koch-Weser von der Deutschen Demokratischen Partei konnte demgegenüber einem starken<br />

Reichspräsidenten positive Aspekte abgewinnen und argumentierte: „…Wir sind also der Meinung, dass wir unseren<br />

Parlamentarismus durch eine andere Art der obersten Spitze <strong>im</strong> Reich ergänzen müssen. Denn ein Großstaat kann nicht von einer<br />

einzigen Körperschaft in seinem Schicksal abhängig sein wie eine Landgemeinde. Wir sind nicht gewillt, den Präsidenten lediglich zu<br />

einer Repräsentationsfigur werden zu lassen. […] Was wir erwarten, ist ein Mann, der auf hoher Warte steht und nur dann, wenn<br />

die Stunde der Gefahr herangekommen ist, herabsteigt und in den Streit der Meinungen mit ernsten Worten eingreift. Wir wünschen<br />

aus diesem Grunde auch, dass der Präsident vom gesamten Volke gewählt wird, damit er in ernster Stunde ein Gegengewicht gegen<br />

die Parlamentsroutine bildet. …" – Vgl. Heilfron, A.a.O., Bd. 2, S. 972.<br />

Weitergehende Darstellungen zur Umstrittenheit der Ausgestaltung des Präsidentenamtes unter den Parteien in<br />

der Nationalversammlung, die zwischen ‚überflüssig‛ bis ‚möglichst machtvoll‛ variierten; zu finden bei: v. Beyme,<br />

Die Parlamentarischen Regierungssysteme in Europa, S. 270/271.<br />

403 Folgende Charakteristika zeichneten die staatsrechtliche Stellung des Reichspräsidenten aus: Der Reichspräsident<br />

stand an der Spitze des Reiches und war gemäß Art. 41, 43 WRV vom Volk direkt gewählt und konnte auch<br />

wiedergewählt werden. Art. 43 Abs. 2 WRV best<strong>im</strong>mte auch über den Fall der Absetzung. Auf Antrag einer<br />

Zweidrittelmehrheit des Reichstags konnte eine Volksabst<strong>im</strong>mung anberaumt werden, die den Reichspräsidenten<br />

per Mehrheitsvotum absetzen hätte können. Als besonders bemerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang<br />

die Best<strong>im</strong>mung, dass <strong>im</strong> Fall der Ablehnung der Absetzung per Volksabst<strong>im</strong>mung eine Neuwahl des Reichspräsidenten<br />

für eine weitere volle Amtszeit als fingiert anzusehen ist und gleichsam automatisch der Reichstag als<br />

aufgelöst gilt und Neuwahlen zu diesem stattfinden. Darüber hinaus ernannte und entließ der Reichspräsident<br />

gemäß Art. 53 WRV den Reichskanzler und die Reichsminister. Des Weiteren konnte er, basierend auf Art. 25<br />

Abs. 1 WRV, den Reichstag auflösen, allerdings nur einmal aus demselben Anlass. Insbesondere Art. 48 WRV<br />

stattete den Reichspräsidenten mit beträchtlichen Vollmachten aus, indem ihm ein weitgehendes Notverordnungsrecht<br />

zugewiesen wurde.<br />

404 Auszug aus der Vereidigungsrede von Reichspräsident Paul von Hindenburg <strong>im</strong> Deutschen Reichstag vom 12.<br />

Mai 1925 –Zitiert bei: Boldt, Die Stellung von Parlament und Parteien in der We<strong>im</strong>arer Reichsverfassung. Verfassungstheorie<br />

und Verfassungswirklichkeit, in: Kolb/Mühlhausen (Hrsg.) Demokratie in der Krise Parteien <strong>im</strong><br />

<strong>Verfassungssystem</strong> der We<strong>im</strong>arer Republik, S 33.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!