Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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110 B. Systematische und strukturelle Einordnung der Vetorechte verfassung hineinzulesen. Diese Bereitschaft lag bei den Anhängern einer möglichst starken monarchischen Staatsleitung offenkundig vor. Dabei bleibt allerdings festzustellen, dass Labands Sanktionszuweisung zum Bundesrat zumindest dahingehend Sinn machte, dass er sie dem Organ zuwies, welches tatsächlich Inhaber der Reichsgewalt war. Verfassungssystematisch ist diese Zuordnung konsistent, da sie genauso von Bismarck erdacht wurde. Zumindest bezüglich dieser Erkenntnis war Laband Gesetzespositivist. Er erkannte immerhin, dass von der Verfassungskonstruktion her, der Bundesrat jenen erstrebten monarchischen Staatsleitungsaspekt erfüllen sollte. Dennoch erkannte er nicht, dass die Beteiligungsrechte des Bundesrates an der Gesetzgebung, so wie Art. 5 Abs. 1 RV 1871 diese vorsahen, etwas fundamental anderes darstellten, als die endgültige Absegnung des unter ständischer Mitwirkung verfassten Gesetzes durch den Monarchen in einer rein konstitutionellen Verfassung. Es war also nicht nur die mit dem Gesetzgebungsalltag schwerlich vereinbare Begründung mittels Art. 7 RV 1871, die keinen zusätzlichen Sanktionsbeschluss beim Bundesrat über dessen eigentliche Zustimmung zum Gesetz hinaus erlaubte, so wie E. R. Huber es richtigerweise herausstellt. Sondern schon die Gleichsetzung des Reichstags mit dem Bundesrat erlaubte eine qualitative Überordnung des letzteren nicht mehr. Die Bedeutung, die der Sanktion ihrem Wesen nach innewohnte, war mit der egalen Position des Bundesrates nicht mehr vereinbar. Überdies stellt es einen Akt willkürlicher Begriffsjurisprudenz dar, wenn Laband nur der Sanktion die Qualität beimisst, Gesetzgebung im staatsrechtlichen Sinne des Wortes zu sein. Er erzeugte mit der Zuweisung des Sanktionsrechts zum Bundesrat eine Wertrelation, welche die Reichsverfassung, der Zustimmung des Bundesrates zum Gesetz, keinesfalls beimaß. An dieser Stelle wirkte sich die Fehlerhaftigkeit seiner künstlichen Aufsplittung des Normsetzungsaktes in Gesetzesinhalt und Gesetzesbefehl besonders fatal aus, denn auch diese war der Grundsystematik der reichsverfassungsrechtlichen Regeln zum Gesetzgebungsverfahren nicht zu entnehmen. Zu jenen, die dem Kaiser die Sanktion zuwiesen, bleibt Folgendes zu sagen: So nachvollziehbar ihr Ansinnen erdacht war und so staatspolitisch realitätsnah es sich darstellte, begingen sie doch den Labandschen Fehler dennoch gleich in doppelter Art und Weise. Sie verkannten zum einen die Unterschiedlichkeit der Reichsgewaltzuweisung in den konstitutionellen Verfassungen der deutschen Länder und der des Kaiserreiches. In letztgenannter war nicht mehr das Staatsoberhaupt Inhaber der solchen, sondern der Bundesrat. Zum anderen verkannten sie, dass es jene Arten von Verfassungsnormen, wie sie diese beispielhaft die Preußische Verfassung mit Art. 62 noch beinhaltete, in der Reichsverfassung nicht mehr gab. Die gemeinschaftliche und übereinstimmende Ausübung der Gesetzgebungsgewalt zwischen Parlament und König sahen weder Wortlaut noch Systematik der Reichsverfassung vor. Der Kaiser hatte schlechterdings kein materielles Mitwirkungsrecht an der Gesetzgebung. Letztlich waren es auch nicht die fehlerhaften Zuweisungen zum falschen Organ, welche die Sanktion als essentielle Voraussetzung der Gesetzgebung untrag-

II. Die These von der Sanktion als Veto 111 bar machten. Vielmehr war es die Verkennung des Umstandes, dass im Rahmen des ursprünglichen Dualismus zwischen Volksvertretung und Monarchen zumindest eine Waffengleichheit eingetreten war. Einen anderen Argumentationsansatz wählt Hartmut Maurer 377 , der die Untauglichkeit des Sanktionsgedankens dahingehend zu erklären versucht, dass durch das Hinzutreten des Bundesrates, aus dem Gewaltendualismus ein Trialismus wurde. Maurer verkennt allerdings, dass der Bundesrat nicht mehr darstellte, als ein Kumulationsorgan, über welches die in den Ländern fortexistierenden monarchischen Rechte der konstitutionellen Fürsten auf Reichsebene Einfluss gewinnen sollten. Somit agierte der Bundesrat auf der Reichsebene lediglich formal als eine dritte Macht. Deren Anliegen waren jedoch ganz eindeutig monarchisch. Es gilt vielmehr einen anderen Grund für die Fehlerlastigkeit des Sanktionsgedankens herauszuarbeiten: Es war der parlamentarische Aspekt, der ein erhöhtes Maß an Volkssouveränität beinhaltete und der nicht mehr mit jenem der noch wirksamen konstitutionellen Fürstenverfassungen in den Reichsländern vergleichbar war. Dieses gilt es als zentraler Aspekt hervorzustreichen, wenn man den Sanktionsgedanken für die Reichsverfassung ihrem Wortlaut nach verneint. Die verfassungspolitische Realität mag mittels eines starken Regiments der Hohenzollern Kaiser und ihres fulminant mächtigen Reichskanzlers Bismarck, im Zusammenspiel mit einer noch nicht entwickelten manifesten parlamentarischen Tradition und Kultur, eine andere gewesen sein. Ein durch die staatspolitische Realität intendiertes nachträgliches Herauspräparieren des Sanktionsrechts aus der Kaiserverfassung ohne entsprechende Verfassungsänderung kann aus heutiger Sicht dennoch nur als Wunschdenken abgetan werden. Für die hier vorzunehmende Vetoanalyse erscheint zudem die nähere Untersuchung der Motivlage als wichtig, welche dem Ansinnen zugrunde lag, dieses vermeintlich fundamentale, für den Gesetzgebungsvorgang schlichtweg konstituierende Sanktionsrecht, als Veto in die Reichsverfassung hinein interpretieren zu wollen. Immerhin verwies Laband für jenen Befehl zur Befolgung der Rechtsnorm auf den in der römischen Republik gültigen Ausspruch von Gajus – ‚Lex est quod populus jubet atque constitut‛ 378 . Ein wesentlicher Beweggrund für die Sanktionsdebatte, scheint im Verfassungskonstrukt selber verborgen zu liegen. Zum einen waren Reichstag und Bundesrat alleinige und gleichrangige Normgeber. Zum anderen wurden sie bei der Rechtsetzung flankiert von einem machtlosen Kaiser. Diese Konstellation sollte durch die Implementierung der im Konstitutionalismus geborenen Sanktionsidee wieder aus den Angeln gehoben und somit zu einem Dualismus zwischen Monarch und Volksvertretung zurück gefunden werden. Das Hineininterpretieren der Sanktionsthese in die Reichsverfassung von 1871 entsprang also einem politischen Ziel, einer politischen Lehre; sie war eine Erscheinungsform der in der Wissen- 377 Maurer, in: Bonner Kommentar, Art. 82, Rn 14/15. 378 Vgl. Laband, Das Staatsrecht des deutschen Reiches Bd. II, S. 4.

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B. Systematische und strukturelle Einordnung der <strong>Vetorechte</strong><br />

verfassung hineinzulesen. Diese Bereitschaft lag bei den Anhängern einer möglichst<br />

starken monarchischen Staatsleitung offenkundig vor.<br />

Dabei bleibt allerdings festzustellen, dass Labands Sanktionszuweisung zum<br />

Bundesrat zumindest dahingehend Sinn machte, dass er sie dem Organ zuwies,<br />

welches tatsächlich Inhaber der Reichsgewalt war. <strong>Verfassungssystem</strong>atisch ist<br />

diese Zuordnung konsistent, da sie genauso von Bismarck erdacht wurde. Zumindest<br />

bezüglich dieser Erkenntnis war Laband Gesetzespositivist. Er erkannte <strong>im</strong>merhin,<br />

dass von der Verfassungskonstruktion her, der Bundesrat jenen erstrebten<br />

monarchischen Staatsleitungsaspekt erfüllen sollte. Dennoch erkannte er nicht,<br />

dass die Beteiligungsrechte des Bundesrates an der Gesetzgebung, so wie Art. 5<br />

Abs. 1 RV 1871 diese vorsahen, etwas fundamental anderes darstellten, als die<br />

endgültige Absegnung des unter ständischer Mitwirkung verfassten Gesetzes<br />

durch den Monarchen in einer rein konstitutionellen Verfassung. Es war also nicht<br />

nur die mit dem Gesetzgebungsalltag schwerlich vereinbare Begründung mittels<br />

Art. 7 RV 1871, die keinen zusätzlichen Sanktionsbeschluss be<strong>im</strong> Bundesrat über<br />

dessen eigentliche Zust<strong>im</strong>mung zum Gesetz hinaus erlaubte, so wie E. R. Huber es<br />

richtigerweise herausstellt. Sondern schon die Gleichsetzung des Reichstags mit<br />

dem Bundesrat erlaubte eine qualitative Überordnung des letzteren nicht mehr.<br />

Die Bedeutung, die der Sanktion ihrem Wesen nach innewohnte, war mit der<br />

egalen Position des Bundesrates nicht mehr vereinbar. Überdies stellt es einen Akt<br />

willkürlicher Begriffsjurisprudenz dar, wenn Laband nur der Sanktion die Qualität<br />

be<strong>im</strong>isst, Gesetzgebung <strong>im</strong> staatsrechtlichen Sinne des Wortes zu sein. Er erzeugte<br />

mit der Zuweisung des Sanktionsrechts zum Bundesrat eine Wertrelation, welche<br />

die Reichsverfassung, der Zust<strong>im</strong>mung des Bundesrates zum Gesetz, keinesfalls<br />

be<strong>im</strong>aß. An dieser Stelle wirkte sich die Fehlerhaftigkeit seiner künstlichen Aufsplittung<br />

des Normsetzungsaktes in Gesetzesinhalt und Gesetzesbefehl besonders<br />

fatal aus, denn auch diese war der Grundsystematik der reichsverfassungsrechtlichen<br />

Regeln zum Gesetzgebungsverfahren nicht zu entnehmen.<br />

Zu jenen, die dem Kaiser die Sanktion zuwiesen, bleibt Folgendes zu sagen: So<br />

nachvollziehbar ihr Ansinnen erdacht war und so staatspolitisch realitätsnah es<br />

sich darstellte, begingen sie doch den Labandschen Fehler dennoch gleich in doppelter<br />

Art und Weise. Sie verkannten zum einen die Unterschiedlichkeit der<br />

Reichsgewaltzuweisung in den konstitutionellen Verfassungen der <strong>deutschen</strong> Länder<br />

und der des Kaiserreiches. In letztgenannter war nicht mehr das Staatsoberhaupt<br />

Inhaber der solchen, sondern der Bundesrat. Zum anderen verkannten sie,<br />

dass es jene Arten von Verfassungsnormen, wie sie diese beispielhaft die Preußische<br />

Verfassung mit Art. 62 noch beinhaltete, in der Reichsverfassung nicht mehr<br />

gab. Die gemeinschaftliche und übereinst<strong>im</strong>mende Ausübung der Gesetzgebungsgewalt<br />

zwischen Parlament und König sahen weder Wortlaut noch Systematik der<br />

Reichsverfassung vor. Der Kaiser hatte schlechterdings kein materielles Mitwirkungsrecht<br />

an der Gesetzgebung.<br />

Letztlich waren es auch nicht die fehlerhaften Zuweisungen zum falschen Organ,<br />

welche die Sanktion als essentielle Voraussetzung der Gesetzgebung untrag-

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