Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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108 B. Systematische und strukturelle Einordnung der Vetorechte Handhabe schaffen, einem den parlamentarischen Weg erfolgreich absolvierenden Gesetzesbeschluss frei und unbedingt die Existenz versagen zu können. Als Problem erwies sich dabei nicht nur, dass die Reichsverfassung in ihrem Wortlaut keinem der dafür erkorenen Organe die vakante Aufgabe zuwies, sondern auch ansonsten in Gänze nicht mehr des Geistes war, der als Voraussetzung für das Labandsche Sanktionsmodell notwendig gewesen wäre. Dennoch meinte die Staatsrechtswissenschaft zur Kaiserzeit in ihrer großen Mehrheit mittels der „sanctio legis“ der Reichsverfassung ein Veto entnehmen zu können, welches entweder dem über die Länderfürsten monarchisch determinierten Bundesrat oder dem Kaiser als monarchischem Staatsoberhaupt des Reiches einen freien Einspruch gegenüber den Legislativakten gestattet hätte. Als Basis hierfür diente ein waghalsiges Interpretationskonstrukt, mittels welchem konstitutionelle Staatsrechtsgrundsätze in die Reichsverfassung hineingelesen werden sollten. Dieses geschah vor allem durch das Aufsplitten des Normsetzungsvorganges, in den Gesetzesbeschluss, mit der entsprechenden Zuweisung an das Parlament und in den Gesetzesbefehl, der einer exekutiven Oberinstanz zugeordnet wurde. Über den Weg, auch für die Normsetzung der Reichsebene den materiellen Gesetzesbegriff in zwei Komponenten zu differenzieren, importierte Laband grundlegende Wesenszüge aus dem konstitutionellen Monarchieverständnis. Dabei übersah er allerdings, dass das Reichsvolk, anders als in seiner Eigenschaft als jeweilige Fürstentumsvölker, nicht mehr nur über die beratende Ständebeteiligung an der Normsetzung partizipierte, sondern über den Reichstag eine tatsächliche Volksvertretung geschaffen wurde. Deren manifester Anteil an der Gesetzgebung, so wie ihn der Verfassungstext vorsah, wurde konterkariert durch die Sanktionsthese. An dieser Stelle sei diesbezüglich nochmals zusammenfassend festgestellt: Der Begriff der Sanktion gewann seine eigentliche Bedeutung im Staatsrecht für die konstitutionellen Monarchien in Deutschlands Fürstentümern. Im Staat des 18. Jahrhunderts lag die gesetzgebende Gewalt lediglich in der Hand des zwar konstitutionell beschränkten, aber trotzdem faktisch weiterhin absolut regierenden Monarchen. Es wurde oben herausgearbeitet, dass die Ständebeteiligung regelmäßig nur kosmetische Qualität aufwies. Damals konnte von einer Trennung der Funktionen nur ansatzweise in juristischer und so gut wie gar nicht in tatsächlicher Hinsicht die Rede sein. Bis auf einige ständische Beteiligungsrechte, die mehr oder weniger einen beratenden Charakter aufwiesen, war es weiterhin der Monarch, der den Gesetzesinhalt schuf, sowie auch den Gesetzesbefehl erteilte und diese Nomen publizierte. Im Ergebnis waren die Stände der deutschen Fürstentümer trotz Teilhabe am Gesetzgebungsgeschehen keine Faktoren des solchen. Gleichwohl waren ihr Beirat und ihre Zustimmung verfassungsmäßig vorgesehen. Diese Partizipationsaspekte indizierten zwar keine Souveränitätsteilhabe und kamen nicht über eine nachgeordnete Funktionsbeteiligung 373 hinaus, dennoch unterschied sich 373 Vgl. Bauer, in: Dreier, Grundgesetz – Kommentar, Bd. 2, Art. 82, Rn 1.

II. Die These von der Sanktion als Veto 109 hierdurch das Normsetzungsverfahren von dem des Absolutismus. In der Folge war es am Ende der Gesetzesentstehung für den Landesmonarchen wichtig hervor zu streichen, dass nach dem erzielten Konsens mit den Ständen, erst die abschließende und endgültige Beschlussfassung durch ihn als Inhaber der Gesetzgebungsgewalt die Gesetzwerdung vollendete. Jenen evidenten Endakt stellte die „sanctio legis“ dar, welche nach der Reichseinheit auch für die Reichsverfassung als vakant diskutierte wurde. Diese Erwägungen zugrundelegend, erscheint es fraglich, wie die Sanktion, die von Laband als „notwendige eine Tat des Staates“ 374 , als „Kernpunkt des ganzen Gesetzgebungsvorganges“ 375 , ja sogar „als alleinige Gesetzgebung im staatsrechtlichen Sinne des Wortes“ 376 bezeichnet wurde, mit den Grundkonstanten der Reichsverfassung in Einklang gebracht werden kann. Erwiesenermaßen stammt die Sanktion der Gesetze aus einer Entwicklungsphase des Konstitutionalismus. Dieses Stadium, in welchem der König alleiniger Gesetzgeber war, wurde mit der Reichseinheit und der für diese Ebene erlassenen Verfassung von 1871 überwunden. Die Reichsverfassung enthielt wesentliche Teilhaberechte der Volksrepräsentation. Es mag sachlich sinnvoll erscheinen, dem Kaiser jenes Recht der Sanktion zuzuweisen, denn er war eben sowohl oberster Reichsrepräsentant als auch ansonsten nicht in die Rivalität der Gesetzgebungsorgane verstrickt. Das Ansinnen E. R. Hubers und anderer, die Sanktion beim Kaiser zu verorten, überzeugt deshalb sogar auf den ersten Blick, da aus der Grundtradition des in den konstitutionellen Fürstentümern sanktionierenden Monarchen es nahe gelegen hätte, dem Kaiser, der auch die Gesetze auszufertigen hatte, des Weiteren die Sanktion zuzuweisen. Dies hätte zweifelsohne sogar die nicht verkennbare monarchische Traditionslinie zum Konstitutionalismus in Reinkultur widergespiegelt. Es mag zudem sein, dass die Verfassungsrealitäten des Kaiserreiches einen anderen Verlauf nahmen, als es die ursprüngliche Verfassungskonzeption vorsah. Aber die Grundsystematik der Reichsverfassung war dennoch auf den Abbau der Macht beim monarchischen Staatsoberhaupt ausgerichtet. Wie schon oben herausgearbeitet, war dies der Preis, den Bismarck für die über die Bundesratskonstruktion avisierte starke Position der Reichsfürsten bereit war, zu zahlen. Eigentlich sollte der Kaiser, mangels Inhaberschaft der Reichsgewalt, als neutraler Pol und über Art. 17 RV 1871 als eine Art Verfassungshüter im Reichsgefüge positioniert werden. Dass aus der nationalen Kraft, die aus der Einigung des Reiches erwuchs, sich der Wunsch nach der Widerbelebung alter monarchischer Stärke an der Staatsspitze emanzipierte, mag zwar als realistische Bestandsaufnahme verfassungspolitisch richtig sein. Bei der Betrachtung verfassungsrechtlicher Parameter darf dies indessen keine Rolle spielen, es sei denn, man ist bedingungslos bereit, für den zur Jahrhundertwende faktisch starken Kaiser ein Vetorecht in die Reichs- 374 Laband, Das Staatsrecht des deutschen Reiches Bd. II, S. 4. 375 A.a.O., S. 29. 376 A.a.O., S. 6.

108<br />

B. Systematische und strukturelle Einordnung der <strong>Vetorechte</strong><br />

Handhabe schaffen, einem den parlamentarischen Weg erfolgreich absolvierenden<br />

Gesetzesbeschluss frei und unbedingt die Existenz versagen zu können. Als Problem<br />

erwies sich dabei nicht nur, dass die Reichsverfassung in ihrem Wortlaut keinem<br />

der dafür erkorenen Organe die vakante Aufgabe zuwies, sondern auch ansonsten<br />

in Gänze nicht mehr des Geistes war, der als Voraussetzung für das<br />

Labandsche Sanktionsmodell notwendig gewesen wäre.<br />

Dennoch meinte die Staatsrechtswissenschaft zur Kaiserzeit in ihrer großen<br />

Mehrheit mittels der „sanctio legis“ der Reichsverfassung ein Veto entnehmen zu<br />

können, welches entweder dem über die Länderfürsten monarchisch determinierten<br />

Bundesrat oder dem Kaiser als monarchischem Staatsoberhaupt des Reiches<br />

einen freien Einspruch gegenüber den Legislativakten gestattet hätte. Als Basis<br />

hierfür diente ein waghalsiges Interpretationskonstrukt, mittels welchem konstitutionelle<br />

Staatsrechtsgrundsätze in die Reichsverfassung hineingelesen werden sollten.<br />

Dieses geschah vor allem durch das Aufsplitten des Normsetzungsvorganges,<br />

in den Gesetzesbeschluss, mit der entsprechenden Zuweisung an das Parlament<br />

und in den Gesetzesbefehl, der einer exekutiven Oberinstanz zugeordnet wurde.<br />

Über den Weg, auch für die Normsetzung der Reichsebene den materiellen Gesetzesbegriff<br />

in zwei Komponenten zu differenzieren, <strong>im</strong>portierte Laband grundlegende<br />

Wesenszüge aus dem konstitutionellen Monarchieverständnis. Dabei<br />

übersah er allerdings, dass das Reichsvolk, anders als in seiner Eigenschaft als<br />

jeweilige Fürstentumsvölker, nicht mehr nur über die beratende Ständebeteiligung<br />

an der Normsetzung partizipierte, sondern über den Reichstag eine tatsächliche<br />

Volksvertretung geschaffen wurde. Deren manifester Anteil an der Gesetzgebung,<br />

so wie ihn der Verfassungstext vorsah, wurde konterkariert durch die Sanktionsthese.<br />

An dieser Stelle sei diesbezüglich nochmals zusammenfassend festgestellt: Der<br />

Begriff der Sanktion gewann seine eigentliche Bedeutung <strong>im</strong> Staatsrecht für die<br />

konstitutionellen Monarchien in Deutschlands Fürstentümern. Im Staat des 18.<br />

Jahrhunderts lag die gesetzgebende Gewalt lediglich in der Hand des zwar konstitutionell<br />

beschränkten, aber trotzdem faktisch weiterhin absolut regierenden Monarchen.<br />

Es wurde oben herausgearbeitet, dass die Ständebeteiligung regelmäßig<br />

nur kosmetische Qualität aufwies. Damals konnte von einer Trennung der Funktionen<br />

nur ansatzweise in juristischer und so gut wie gar nicht in tatsächlicher<br />

Hinsicht die Rede sein. Bis auf einige ständische Beteiligungsrechte, die mehr oder<br />

weniger einen beratenden Charakter aufwiesen, war es weiterhin der Monarch, der<br />

den Gesetzesinhalt schuf, sowie auch den Gesetzesbefehl erteilte und diese Nomen<br />

publizierte. Im Ergebnis waren die Stände der <strong>deutschen</strong> Fürstentümer trotz<br />

Teilhabe am Gesetzgebungsgeschehen keine Faktoren des solchen. Gleichwohl<br />

waren ihr Beirat und ihre Zust<strong>im</strong>mung verfassungsmäßig vorgesehen. Diese Partizipationsaspekte<br />

indizierten zwar keine Souveränitätsteilhabe und kamen nicht<br />

über eine nachgeordnete Funktionsbeteiligung 373 hinaus, dennoch unterschied sich<br />

373 Vgl. Bauer, in: Dreier, Grundgesetz – Kommentar, Bd. 2, Art. 82, Rn 1.

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