Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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90 B. Systematische und strukturelle Einordnung der Vetorechte Begründung als Vetorecht gewertet. 325 Um die Tauglichkeit des Sanktionsgedankens als Vetorecht hinterfragen zu können, erscheint eine Rückkehr in die rechtshistorische Gedankenwelt des 18./19. Jahrhunderts im Allgemeinen und diejenige des Konstitutionalismus im Besonderen als gewinnbringend. aa. Verfassungshistorische Ursprünge der „sanctio legis“ Zunächst sticht der mögliche Kontext zum römischen Staatsrecht hervor, der sich durch die Wortherleitung aus der lateinischen Formulierung „sanctio legis“ ergeben könnte. Hierzu stellt Walter Mallmann 326 für den Ursprung des Sanktionsgedankens allerdings relativ apodiktisch fest: „…Als Bezeichnung für einen Akt des Gesetzgebungsverfahrens kommt der Ausdruck ‚Sanktion‛ vereinzelt seit dem 16., häufiger seit dem Ende des 18. Jahrhunderts vor. Trotz seines etymologischen Zusammenhangs mit sancire, das zwar ursprünglich ‚heiligen‛, ‚weihen‛, aber schon im klassischen Latein u.a. auch ‚unverbrüchlich festsetzen‛ ‚verordnen‛ bedeutet, wurde unter sanctio weder in der römischen Umgangssprache, noch in der Rechtssprache eine Verordnung, ein Befehl oder gar die ‚Erteilung eines Gesetzesbefehls‛ verstanden. …“ Dennoch findet sich jene Bezeichnung der „sanctio legis“ genau für den Bereich der königlichen Gesetzgebung wieder, was insbesondere für die Zeit des Absolutismus zu konstatieren ist. Die Sanktion wurde sogar als das wichtigste Element im Gesetzgebungsverfahren 327 benannt, da der absolute Monarch alleiniger Gesetzgeber war und dem Gesetz damit seine Bestätigung oder Approbation verliehen wurde. 328 Für das beginnende konstitutionelle Staatsrecht lässt sich ein Begriffsimport aus der Zeit des Absolutismus eruieren. Ausgehend von der fragwürdigen Verquickung mit einer vetoverneinenden Zustimmung des Monarchen zum Gesetzesbeschluss der parlamentarischen Ständeversammlungen, wurde das Sanktionsrecht als eine Art gesetzgeberischer Tätigkeit des Monarchen erkannt. Nur der Monarch sollte die Gesetze sanktionieren können. 329 Mittels Verfassungsexegese lässt sich aufklären, dass der Gebrauch des Wortes Sanktion seinen Eingang in die konstitutionelle Staatslehre durch entsprechende 325 Vgl. Hoffmann, Die Stellung des Staatshauptes zur Legislative und Exekutive im deutschen Reich und seinen Ländern, in: AöR 7 (1924), S. 257 (266); Stier-Somlo, Deutsches Reichs- und Landesstaatsrecht, Bd. 1, S. 99, 329; Zöpfl, Grundsätze des gemeinen deutschen Staatsrechts Bd. I, S. 173, Bd. II, S. 182. 326 So Mallmann in seinem Standardwerk zur Sanktionslehre: Mallmann, Die Sanktion im Gesetzgebungsverfahren, S. 38. 327 Vgl. Hubrich, Das demokratische Verfassungsrecht des deutschen Reiches, S. 144. 328 Fleischmann, Der Weg der Gesetzgebung in Preußen, S. 55. 329 Der Sanktionsansatz basierte auf der weitestgehend einhelligen Auffassung in der konstitutionellen Staatslehre für die deutschen Fürstentümer. So schreibt Schulze für das Preußische Staatsrecht: „…Kein Gesetz kann zu Stande kommen ohne Zustimmung der Volksvertretung, aber die zum Gehorsam verbindende Kraft des Gesetzes liegt doch nur in der königlichen Sanktion. …“- Vgl. Schulze, in: Das Preussische Staatsrecht I. Band, S. 568.

II. Die These von der Sanktion als Veto 91 verfassungsrechtliche Normierungen des Gesetzgebungsverfahrens in der Zeit der Französischen Revolution fand, welche ihrerseits auf einer Adaption des englischen Monarchenrechts (des sog. „Royal Assent“ ) fußte. Der englische König wirkte seit dem Beginn des 16. Jahrhunderts durch die Erteilung des „Royal Assent“ am Zustandekommen einer von beiden Häusern des Parlaments beschlossenen „Bill“ mit. Ihm stand damit die grundsätzliche Möglichkeit der Verweigerung einer solchen Zustimmung zur Verfügung („le Roy s‛avisera“). An jene royalen Vorbilder des englischen Parlamentarismus lehnte sich auch die konstituierende Nationalversammlung des nachrevolutionären Frankreichs an. In der Verfassung von 1791 330 wurde erstmals jener adaptierte Gedanke der Sanktion im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens in einem europäischen Staatsgrundgesetz fixiert. Die Formulierung „De la sanction royale“ kann als Startschuss jener die staatsrechtlichen Emotionen hochkochenden Konstruktion gesehen werden. Die Sanktion wurde somit zum Inbegriff für die Beteiligung des Monarchen an der Gesetzgebung. 331 Dabei war von Anfang an, also auch schon im nachrevolutionären Frankreich, der Umfang und die Ausformung der Sanktion umstritten. Es wurde uneinheitlich beurteilt, ob darin nur ein Aspekt königlicher Zustimmung zur entstehenden Norm oder gar ein Veto externer exekutiver Natur zu sehen war. 332 Was für den Konstitutionalismus allerdings vor allem prägend sein sollte, war die eindeutige Zuordnung der Sanktion als königliches Recht im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens, unabhängig von der Ausprägungsintensität der monarchischen Beteiligung an der Normsetzung. Dieser Aspekt des französischen Konstitutionalismus 333 fand dann über die süddeutschen Länder Eingang in die Kleinstaatenwelt des feudal zersplitterten Deutschlands, in welchem sich die vormals absoluten Monarchen in ihren jeweiligen Fürstentümern ohne Zugeständnisse nicht mehr der revolutionären Bewegungen erwehren konnten. Mittels verknüpfender Betrachtung der obigen Darstellungen zur konstitutionellen Entwicklung in den deutschen Ländern wird deutlich, dass je nachdem wie stark dort das Gewicht des Monarchen im Gesetzgebungs- 330 Zu finden als Überschrift des Titre III Chapitre III Section III – in der Französischen Verfassung von 1791. Die nachfolgende Charte von 1814 (Art. 22) und die Charte von 1830 (Art. 18) wiesen übereinstimmend dem König die Sanktion der Gesetze zu. 331 Pieroth, Die Sanktion im Gesetzgebungsverfahren, in: Der Staat (16) 1977, S. 560. 332 Den Umstand „…das die Sanktion zu Beginn des konstitutionellen Zeitalters in Frankreich kein einheitlicher und eindeutiger Begriff war…“ umfassend erläuternd: Mallmann, Die Sanktion im Gesetzgebungsverfahren, S. 40-46; nähere Ausführungen zu den entsprechenden französischen Debatten: Redslob, Die Staatstheorien der französischen Nationalversammlung von 1789, S. 184 ff. 333 Die historische Genauigkeit erfordert an dieser Stelle jedoch den Hinweis: Das mit der Ausübung des „Consentement royal“, wie es die erste Nachrevolutionsverfassung von 1791 vorsah, zunächst gleichsam auch dessen Sterbeglöckchen geläutet wurde. Als nämlich der französische König Ludwig XVI. von jenem vermeintlichen Vetorecht Gebrauch machte, führte dies in der Folge zum Sturm auf die Tuilerien und zum erneuten Sturz des Königtums. So war es eigentlich die dann später folgende „Charte Constitutionelle von 1814, die zum Verfassungsvorbild der süddeutschen Fürstentümer wurde.

II. Die These von der Sanktion als Veto 91<br />

verfassungsrechtliche Normierungen des Gesetzgebungsverfahrens in der Zeit der<br />

Französischen Revolution fand, welche ihrerseits auf einer Adaption des englischen<br />

Monarchenrechts (des sog. „Royal Assent“ ) fußte. Der englische König<br />

wirkte seit dem Beginn des 16. Jahrhunderts durch die Erteilung des „Royal<br />

Assent“ am Zustandekommen einer von beiden Häusern des Parlaments beschlossenen<br />

„Bill“ mit. Ihm stand damit die grundsätzliche Möglichkeit der Verweigerung<br />

einer solchen Zust<strong>im</strong>mung zur Verfügung („le Roy s‛avisera“). An jene<br />

royalen Vorbilder des englischen Parlamentarismus lehnte sich auch die konstituierende<br />

Nationalversammlung des nachrevolutionären Frankreichs an. In der Verfassung<br />

von 1791 330 wurde erstmals jener adaptierte Gedanke der Sanktion <strong>im</strong><br />

Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens in einem europäischen Staatsgrundgesetz<br />

fixiert. Die Formulierung „De la sanction royale“ kann als Startschuss jener die<br />

staatsrechtlichen Emotionen hochkochenden Konstruktion gesehen werden. Die<br />

Sanktion wurde somit zum Inbegriff für die Beteiligung des Monarchen an der<br />

Gesetzgebung. 331<br />

Dabei war von Anfang an, also auch schon <strong>im</strong> nachrevolutionären Frankreich,<br />

der Umfang und die Ausformung der Sanktion umstritten. Es wurde uneinheitlich<br />

beurteilt, ob darin nur ein Aspekt königlicher Zust<strong>im</strong>mung zur entstehenden<br />

Norm oder gar ein Veto externer exekutiver Natur zu sehen war. 332 Was für den<br />

Konstitutionalismus allerdings vor allem prägend sein sollte, war die eindeutige<br />

Zuordnung der Sanktion als königliches Recht <strong>im</strong> Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens,<br />

unabhängig von der Ausprägungsintensität der monarchischen Beteiligung<br />

an der Normsetzung.<br />

Dieser Aspekt des französischen Konstitutionalismus 333 fand dann über die<br />

süd<strong>deutschen</strong> Länder Eingang in die Kleinstaatenwelt des feudal zersplitterten<br />

Deutschlands, in welchem sich die vormals absoluten Monarchen in ihren jeweiligen<br />

Fürstentümern ohne Zugeständnisse nicht mehr der revolutionären Bewegungen<br />

erwehren konnten. Mittels verknüpfender Betrachtung der obigen Darstellungen<br />

zur konstitutionellen Entwicklung in den <strong>deutschen</strong> Ländern wird deutlich,<br />

dass je nachdem wie stark dort das Gewicht des Monarchen <strong>im</strong> Gesetzgebungs-<br />

330 Zu finden als Überschrift des Titre III Chapitre III Section III – in der Französischen Verfassung von 1791.<br />

Die nachfolgende Charte von 1814 (Art. 22) und die Charte von 1830 (Art. 18) wiesen übereinst<strong>im</strong>mend dem<br />

König die Sanktion der Gesetze zu.<br />

331 Pieroth, Die Sanktion <strong>im</strong> Gesetzgebungsverfahren, in: Der Staat (16) 1977, S. 560.<br />

332 Den Umstand „…das die Sanktion zu Beginn des konstitutionellen Zeitalters in Frankreich kein einheitlicher und eindeutiger<br />

Begriff war…“ umfassend erläuternd: Mallmann, Die Sanktion <strong>im</strong> Gesetzgebungsverfahren, S. 40-46; nähere<br />

Ausführungen zu den entsprechenden französischen Debatten: Redslob, Die Staatstheorien der französischen<br />

Nationalversammlung von 1789, S. 184 ff.<br />

333 Die historische Genauigkeit erfordert an dieser Stelle jedoch den Hinweis: Das mit der Ausübung des<br />

„Consentement royal“, wie es die erste Nachrevolutionsverfassung von 1791 vorsah, zunächst gleichsam auch<br />

dessen Sterbeglöckchen geläutet wurde. Als nämlich der französische König Ludwig XVI. von jenem vermeintlichen<br />

Vetorecht Gebrauch machte, führte dies in der Folge zum Sturm auf die Tuilerien und zum erneuten Sturz<br />

des Königtums. So war es eigentlich die dann später folgende „Charte Constitutionelle von 1814, die zum Verfassungsvorbild<br />

der süd<strong>deutschen</strong> Fürstentümer wurde.

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