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Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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I. Ursprünge und Entwicklungslinien 85<br />

nären Sturz unnötig gemacht hätten. Es zeigt sich also, dass das demokratische<br />

Element, flankiert von einem monarchischen Vetorecht wie es die Paulskirchenverfassung<br />

avisierte, gerade nicht das Ende der Monarchie, sondern deren ‚Lebensretter‛<br />

hätte sein können.<br />

In der größten politischen Tat Otto von Bismarcks – der Herstellung der<br />

Reichseinheit – wurde wohl auch schon der Ke<strong>im</strong> des Zusammenbruchs gelegt.<br />

So beschreibt der amerikanische Staatssekretär des Inneren, Karl Schurz, <strong>im</strong> Zusammenhang<br />

mit Bismarcks Abgang <strong>im</strong> Jahr 1889 in fast antizipatorischer Weise<br />

seine Sorge um die deutsche Verfassungskultur:<br />

„…Ich habe für Bismarck die größte Verehrung. Er war der Mann, welcher die Träume von<br />

uns Achtundvierzigern verwirklicht hat. Er hat sämtliche deutsche Stämme durch Blut und<br />

Eisen zu einem mächtigen Reich vereinigt und diesem dann, selbst unter schwierigsten Verhältnissen,<br />

den Frieden erhalten. Ob aber sein Werk lange lebensfähig bleiben kann, ist eine andere<br />

Frage, denn die Verfassung die er geschaffen hat, ist einzig und allein auf seinen Leib zugeschnitten.<br />

Danach hat aber das deutsche Volk so gut wie gar kein Mitbest<strong>im</strong>mungsrecht an<br />

seinen eigenen Schicksalen. Auch wird das Volk auf diese Weise nie eine richtige politische<br />

Schulung, die ihm so sehr fehlt erhalten können… […] Darin liegt aber meiner Ansicht nach<br />

gerade die Gefahr, daß ein so junger und <strong>im</strong>pulsiver Mann wie der Kaiser, […] eine derartig<br />

unkontrollierbare Machtfülle in seinen Händen besitzt, daß er jeden Minister durch einen einzigen<br />

Federstreich ernennen oder entlassen kann, ohne auch nur <strong>im</strong> geringsten die Volksvertretung<br />

befragen zu müssen. Hoffentlich irre ich mich, aber ich kann die schwere Besorgnis nicht los<br />

werden, daß vielleicht eines Tages Ereignisse eintreten könnten, welche das deutsche Volk zwingen<br />

würden seine Schicksale selbst in die Hand zu nehmen. Wahrscheinlich wird aber dann ein<br />

großes und nie wieder gutzumachendes Unglück bereits geschehen sein. …“<br />

Jene Auffassung war nicht nur von großer historischer Weitsicht geprägt, sondern<br />

kann für die Vetofrage auch als verfassungsrechtliche Bestandsaufnahme dienen.<br />

Es wird einmal mehr deutlich: Der Umstand, dass Bismarck lieber ganz dem<br />

überkommenden Verfassungsverständnis der Reichsländer vertraute, um die Monarchie<br />

auch auf Reichsebene an der Macht partizipieren zu lassen, öffnete gleichsam<br />

das Tor für deren Untergang, der mit dem Abgang der Person Bismarcks<br />

eingeleitet wurde. Andere Staaten Europas hatten erkannt, dass die Teilhabe der<br />

Monarchie an der Staatsgewalt nur durch <strong>Vetorechte</strong> gesichert werden konnte.<br />

Bismarck versuchte es durch die Überstülpung eines föderaleren Konstitutionalismus<br />

mit absolutistischer Grundausrichtung. Dem Voranschreiten volksouveräner<br />

Bestrebungen konnte er nur durch seine Person Einhalt gebieten, mit deren<br />

Abtritt vernichtete sich das monarchische Element wie eine ‚tickende Zeitbombe‛<br />

vollends selbst. Es ist mehr als nur Spekulation, dass womöglich eine durch <strong>Vetorechte</strong><br />

flankierte konstitutionelle Demokratie in der Lage gewesen wäre, für das<br />

Schicksal der Monarchie mehr zu leisten.<br />

Wiederum die Reichsländer konnten noch nicht einmal zu diesen rud<strong>im</strong>entären<br />

Vetostrukturen einen produktiven Beitrag leisten, da <strong>im</strong> Verhältnis zu ihnen selbst

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