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Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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B. Systematische und strukturelle Einordnung der <strong>Vetorechte</strong><br />

der Etablierung einer <strong>deutschen</strong> Vetokultur, ausgeübt durch das exekutive Staatsoberhaupt<br />

auf Reichsebene, war damit vertan.<br />

Der Reichstag wurde <strong>im</strong> Wesentlichen beschränkt auf eine Mitwirkungsfunktion<br />

bei der Gesetzgebung (Art. 5 RV 1871). Darüber hinaus finden sich in der<br />

Verfassung von 1871 keine weitergehenden Rechte, die ein klassisches Parlament<br />

<strong>im</strong> heutigen und auch damaligen Parlamentarismusverständnis auszeichnete. Ein<br />

manifester Anteil an der Staatsleitung des Reiches war dem Reichstag damit nicht<br />

zugewiesen. Es ist zwar richtig, dass der Reichswille nicht ohne den übereinst<strong>im</strong>menden<br />

Beschluss auch des Reichstags gebildet werden konnte, der Bundesrat<br />

also legislatorisch nicht allein agieren konnte, aber genauso richtig war der sich<br />

aufdrängende Umkehrschluss: Auch der Reichstag war ohne den die dynastischen<br />

Interessen vertretenen Bundesrat nicht in der Lage den Willen des Volkes in<br />

Norm zu gießen.<br />

Das, was mit dieser Konstellation gelang, war vorübergehend die Angst vor einem<br />

überbordenden Parlamentsabsolutismus zu betäuben, eine dauerhafte Lösung<br />

stellten sie allerdings nicht dar. Es wurde vielmehr die Chance vertan demokratische<br />

Elemente in voller Ausprägung zuzulassen ohne den monarchischen<br />

Aspekt gänzlich zu Grabe zu tragen. Anstatt jedoch dem Reichstag das üblicherweise<br />

dem Parlamentarismus innewohnende Gegengewicht zur Regierung zuzuweisen<br />

und damit wirkliche Macht gegenüber deren exekutiven Auflösungsrecht 320<br />

zuzugestehen, verwies man diesen auf eine Pseudobeteiligung an der gemeinsamen<br />

Gesetzgebung mit dem Bundesrat. Unter dem Aspekt der <strong>im</strong> übrigen Europa<br />

Platz greifenden Volkssouveränität wäre es viel gewinnbringender gewesen, dem<br />

Reichstag eine Alleinstellung in Normsetzungsfragen zu gestatten, die durch das<br />

monarchische Strukturelement der konstitutionellen Reichsverfassung, nötigenfalls<br />

per Veto, überaus transparent hätte egalisiert oder zumindest suspendiert<br />

werden können. So aber wurde der eigentlich als politisches Machtzentrum vorbest<strong>im</strong>mte<br />

Bundesrat <strong>im</strong>mer mehr zu einem beratenden Kollegium; die Entschlüsse<br />

und Entscheidungen aber oblagen dem Kaiser. Dieser unterlag aber als Staatsoberhaupt<br />

keiner wirksamen Kontrolle, weder einer justiziellen noch einer parlamentarischen.<br />

Das Vetorecht hätte das garantieren können, was eigentlich avisiert war, nämlich<br />

Fortbestand monarchischer Teilhabe an der Staatsgewalt. Diese wäre aber,<br />

anders als der durch Machtverschiebung entstandene faktische Zustand, verfassungsrechtlich<br />

legit<strong>im</strong>iert und sogar demokratisch flankiert gewesen.<br />

Es mag Spekulation sein, aber die hier soeben als wünschenswert beschriebene<br />

Regelungsvariante mit monarchischen <strong>Vetorechte</strong>n gegenüber einer autarken<br />

Volksrepräsentation hätte womöglich den fatalen Zusammenbruch des Kaiserreichs<br />

verhindern können, da demokratische und parlamentarische Strukturen<br />

bereits in einer Intensität und Ausformung bestanden hätten, die einen revolutio-<br />

320 Art. 24 der Reichsverfassung von 1871 erlaubte die Auflösung des Reichtages vor Ablauf der Legislaturperiode<br />

durch einen Beschluss des Bundesrates unter Zust<strong>im</strong>mung des Kaisers.

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