Jahresbericht 2011 - Caritasverband für das Bistum Aachen

Jahresbericht 2011 - Caritasverband für das Bistum Aachen Jahresbericht 2011 - Caritasverband für das Bistum Aachen

22.01.2013 Aufrufe

Das Ende der Unbefangenheit Das Thema „Sexueller Missbrauch“ in der (kirchlichen) Jugendhilfe hat die Einrichtungen im Caritasverband auch in 2011 noch nicht losgelassen. Allmählich wandelt sich aber der Umgang mit dem Thema von der Aufarbeitung zur Prävention und auch zur Frage, was denn die erschreckenden Erkenntnisse der vergangenen Jahre für Auswirkungen auf die Beziehungen im pädagogischen Alltag haben werden. Anfang Oktober veranstaltete darum die Arbeitsgemeinschaft katholischer Einrichtungen und Dienste der Erziehungshilfen (AGkE) ein Fachforum unter dem Titel „Ende der Unbefangenheit“ im Landhotel Kallbach. Fachleute aus dem gesamten Bistum diskutierten einen Tag lang mit drei ExpertInnen zu zentralen Fragestellungen: ● Wie gestalten PädagogInnen Beziehungen mit Kindern und Jugendlichen, die sexuelle Gewalt erlebt haben? ● Wie unterstützen wir Kinder und Jugendliche, sich in ihrer psychosexuellen Entwicklung möglichst störungsfrei zu entwickeln? ● Wie viel körperliche Nähe ist möglich und wie viel zulässig? Anlass für das politisch brisante und fachlich aufwühlende Thema des Fachforums war die Aufdeckungswelle von Missbrauchsfällen im letzten Jahr, die das erschreckende Ausmaß sexua- Schwerpunkte aus der Arbeit 2011 in den Bereichen lisierter Gewalt in der Gesellschaft verdeutlichte und die Anfälligkeit von pädagogischen Institutionen für dieses Thema erkennen ließ. Waren die Fragen schon schwierig, so waren es die Antworten nicht minder. Denn es gebe keine „Patentrezepte“ so die einhellige Meinung der Experten. Die Beziehungsgestaltung unterliege immer einer besonderen Dynamik und müsse daher bei jedem Kind und Jugendlichen wieder neu betrachtet und reflektiert werden, so Brigitte Bialojahn von „Zornröschen“, Verein gegen sexuellen Missbrauch an Mädchen und Jungen e.V. in Mönchengladbach. „Es geht immer wieder darum, die eigene Grundhaltung zur Sexualerziehung und das eigene Verständnis von Sexualität zu reflektieren und darüber in den Austausch zu kommen“ ergänzte Martina Gerdes von der katholischen Erziehungsberatungsstelle in Erkelenz. Benötigt würden aber auch Sachkenntnisse über alters- gerechtesexualpädagogische Entwicklungsprozesse, damit die Erziehenden Situationen im pädagogischen Alltag wie zum Beispiel Doktorspiele besser einordnen könnten. Grundsätzlich bedürfe es klarer Konzepte und Leitlinien in den Einrichtungen und Diensten. „Sexueller Gewalt werde dort Tür und Tor geöffnet, wo es unklare Strukturen, mangelnde Offenheit und statt Transparenz nur Diffusion gebe“, betonte Max Hartkopf, Leiter der Beratungsstelle „Auswege für jugendliche sexuelle Misshandler“ in Düsseldorf – unabhängig davon, ob die Bedrohung von Kindern und Jugendlichen ausgehe oder von Mitarbeitern. Grenzen und Regeln zu setzen ist eine der Grundvoraussetzungen, um präventiv wirksam zu sein und Täter vor sich und Opfer vor anderen zu schützen“. Es gelte den Blick für grenzverletzende Umgangsweisen mit und von Kindern und Jugendlichen zu schärfen und die eigenen Verhaltensmöglichkeiten zu reflektieren. In den sich anschließenden Workshops wurden die The- � Fachforum der AGKE � Grenzen und Regeln sind Grundvoraussetzung Caritas-Jahresbericht 2011 39

„Unbefangenheit � zweiter Ordnung“ Dagmar Hardt- � Zumdick (l.) und Herbert Knops (r.) vom Vorstand der AGkE Aachen mit den Referent/innen der Fachtagung Brigitte Bialojahn, Max Hartkopf und Martina Gerdes Der Bedarf scheint � stetig zu steigen 40 2011 Schwerpunkte aus der Arbeit 2011 in den Bereichen men der Beiträge des Vormittags vertieft und mit Praxisbeispielen weitergearbeitet. Das Fazit im abschließenden Plenum war einhellig. Auch wenn oder gerade weil viele der Kinder und Jugendlichen in der Erziehungshilfe keine guten Voraussetzungen für eine gelingende psychosexuelle Entwicklung mitbringen, braucht es ein pädagogisches Angebot der Erziehenden, das ihnen Zutrauen zum eigenen Körper, Mut zum Umgang mit dem eigenen Geschlecht, Zärtlichkeit wie auch den Respekt vor den Grenzen des anderen vermit- Der Bedarf nach Leistungen der ambulanten Jugendhilfe scheint unaufhaltsam zu steigen, gleichzeitig stagnieren die Mittel. Öffentliche und freie Träger der Jugendhilfe fragen gemeinsam mit Wissenschaftlern, ob veränderte – effektivere – Ansätze der Prävention und Intervention Caritas-Jahresbericht telt. „Unbefangen“ in dem Sinne, dass man jede Gefahr möglicher Übergriffe oder Grenzverletzungen leugne, dürfe eine solche Erziehungshilfe nicht mehr sein. Es bedürfe vielmehr einer „Unbefangenheit zweiter Ordnung“, der Bereitschaft und Fähigkeit, im Wissen um die Gefahren und in entsprechender Achtsamkeit und Verantwortungsfähigkeit dennoch auf die Fragen und die Wünsche nach Nähe einzugehen bzw. die notwendigen Grenzen liebevoll und transparent zu ziehen. Dagmar Hardt-Zumdick Erziehungsberatung in bewegten Zeiten – Wohin soll sie sich entwickeln möglich sind, am besten solche, die hohe Effizienz mit maximaler Flexibilität verbinden. Diese Diskussionen lassen auch die Beratungsstellen in Verantwortung der Caritas nicht unberührt – es gibt Bedarf, sich anregen zu lassen, sich auszutauschen und neu zu positionieren. Im Juli 2011 beschäftigte sich darum ein Fachtag der Erziehungs-/Familienberatungsstellen im Bistum Aachen mit den Perspektiven der Erziehungs-und Familienberatung. In Bewegung, in Diskussion, im Zuhören und im Beschreiben wurden Haltungen und Perspektiven sichtbar, die die Vielfalt der Arbeit in der Erziehungsberatung im Bistum Aachen aktuell ausmachen. Prof. Dr. Heiner Keupp, Sozial- und Gemeindepsychologe aus München und Vorsitzender der Sachverständigenkommission des 13. Kinder- und Jugendberichts, beschrieb die Bedarfe von Kindern und Jugendlichen der heutigen Gesellschaft: „Unsere Kinder und Jugendlichen wachsen in einer Gesellschaft mit materiellen, psychischen und sozialen Risiken auf. Deshalb brauchen sie Ich-Stärke, soziale Unterstützung und eine Gesellschaft, die ihnen die Chancen eröffnet, gesund aufzuwachsen, sich zu eigenständigenPersönlichkeiten zu entwickeln und ihren Beitrag zu einer mitmenschlichen Gesellschaft zu leisten. Erziehungsberaterinnen und -berater haben den doppelten Auftrag, die Kinder und Jugendlichen mit ihren Fähigkeiten und Lebenswünschen im direkten Kontakt zu unterstützen und zu stärken sowie die Eltern, Erzieher und Lehrerinnen zu einem befähigenden Umgang mit der nachfolgenden Generation anzuregen.“ Mit dieser Perspektive ermutigte Prof. Keupp die Fachkräfte der Erziehungsberatungsstellen, sich auf neue Herausforderungen in ihrer Arbeit einzulassen.

Das Ende der Unbefangenheit<br />

Das Thema „Sexueller<br />

Missbrauch“ in der<br />

(kirchlichen) Jugendhilfe<br />

hat die Einrichtungen im<br />

<strong>Caritasverband</strong> auch in <strong>2011</strong><br />

noch nicht losgelassen. Allmählich<br />

wandelt sich aber<br />

der Umgang mit dem Thema<br />

von der Aufarbeitung zur Prävention<br />

und auch zur Frage,<br />

was denn die erschreckenden<br />

Erkenntnisse der vergangenen<br />

Jahre <strong>für</strong> Auswirkungen<br />

auf die Beziehungen im<br />

pädagogischen Alltag haben<br />

werden. Anfang Oktober veranstaltete<br />

darum die Arbeitsgemeinschaft<br />

katholischer<br />

Einrichtungen und Dienste<br />

der Erziehungshilfen (AGkE)<br />

ein Fachforum unter dem<br />

Titel „Ende der Unbefangenheit“<br />

im Landhotel Kallbach.<br />

Fachleute aus dem gesamten<br />

<strong>Bistum</strong> diskutierten einen<br />

Tag lang mit drei ExpertInnen<br />

zu zentralen Fragestellungen:<br />

● Wie gestalten PädagogInnen<br />

Beziehungen mit Kindern<br />

und Jugendlichen,<br />

die sexuelle Gewalt erlebt<br />

haben?<br />

● Wie unterstützen wir Kinder<br />

und Jugendliche, sich<br />

in ihrer psychosexuellen<br />

Entwicklung möglichst<br />

störungsfrei zu entwickeln?<br />

● Wie viel körperliche Nähe<br />

ist möglich und wie viel<br />

zulässig?<br />

Anlass <strong>für</strong> <strong>das</strong> politisch<br />

brisante und fachlich aufwühlende<br />

Thema des Fachforums<br />

war die Aufdeckungswelle<br />

von Missbrauchsfällen<br />

im letzten Jahr, die <strong>das</strong> erschreckende<br />

Ausmaß sexua-<br />

Schwerpunkte aus der Arbeit <strong>2011</strong> in den Bereichen<br />

lisierter Gewalt in der Gesellschaft<br />

verdeutlichte und die<br />

Anfälligkeit von pädagogischen<br />

Institutionen <strong>für</strong> dieses<br />

Thema erkennen ließ.<br />

Waren die Fragen schon<br />

schwierig, so waren es die<br />

Antworten nicht minder.<br />

Denn es gebe keine „Patentrezepte“<br />

so die einhellige<br />

Meinung der Experten.<br />

Die Beziehungsgestaltung<br />

unterliege immer einer besonderen<br />

Dynamik und müsse<br />

daher bei jedem Kind und<br />

Jugendlichen wieder neu betrachtet<br />

und reflektiert werden,<br />

so Brigitte Bialojahn von<br />

„Zornröschen“, Verein gegen<br />

sexuellen Missbrauch an<br />

Mädchen und Jungen e.V. in<br />

Mönchengladbach.<br />

„Es geht immer wieder darum,<br />

die eigene Grundhaltung<br />

zur Sexualerziehung<br />

und <strong>das</strong> eigene Verständnis<br />

von Sexualität zu reflektieren<br />

und darüber in den Austausch<br />

zu kommen“ ergänzte<br />

Martina Gerdes von der<br />

katholischen Erziehungsberatungsstelle<br />

in Erkelenz. Benötigt<br />

würden aber auch<br />

Sachkenntnisse über alters-<br />

gerechtesexualpädagogische Entwicklungsprozesse,<br />

damit die Erziehenden Situationen<br />

im pädagogischen<br />

Alltag wie zum Beispiel Doktorspiele<br />

besser einordnen<br />

könnten.<br />

Grundsätzlich bedürfe es klarer<br />

Konzepte und Leitlinien in<br />

den Einrichtungen und<br />

Diensten. „Sexueller Gewalt<br />

werde dort Tür und Tor geöffnet,<br />

wo es unklare Strukturen,<br />

mangelnde Offenheit<br />

und statt Transparenz nur<br />

Diffusion gebe“, betonte Max<br />

Hartkopf, Leiter der Beratungsstelle<br />

„Auswege <strong>für</strong><br />

jugendliche sexuelle Misshandler“<br />

in Düsseldorf –<br />

unabhängig davon, ob die<br />

Bedrohung von Kindern und<br />

Jugendlichen ausgehe oder<br />

von Mitarbeitern. Grenzen<br />

und Regeln zu setzen ist<br />

eine der Grundvoraussetzungen,<br />

um präventiv wirksam<br />

zu sein und Täter vor sich<br />

und Opfer vor anderen zu<br />

schützen“. Es gelte den Blick<br />

<strong>für</strong> grenzverletzende Umgangsweisen<br />

mit und von<br />

Kindern und Jugendlichen zu<br />

schärfen und die eigenen<br />

Verhaltensmöglichkeiten zu<br />

reflektieren.<br />

In den sich anschließenden<br />

Workshops wurden die The-<br />

� Fachforum der<br />

AGKE<br />

� Grenzen und Regeln<br />

sind Grundvoraussetzung<br />

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