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Ausgabe 1972 - Hohenzollerischer Geschichtsverein

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große Narrenpritsche führt und den ßad-Verruf; d. h. die<br />

Verfassung des „Venetianischen Reiches" zu verkünden<br />

hat. Man darf bei der Beurteilung dieser Charge nicht von<br />

der heutigen, in vieler Beziehung gemilderten Form des<br />

Spieles ausgehen. Im 18. Jahrhundert war er es, der den<br />

vom Gericht Verurteilten in recht derber Art mit durch<br />

Ruß veredeltem Schmalz, „venedischer" Schönheitssalbe<br />

in Gestalt von Wagenschmiere, venedischem Holzrasiermesser<br />

und Kamm und abschließendem Bad im Brunnentrog<br />

eine kräftige Behandlung angedeihen ließ. In ihm erhielt<br />

die Gestalt des angesehenen mittelalterlichen Badmeisters<br />

der Badstube, wie : : auch Grosselfingen hatte,<br />

einen Nachklang, der jetzt wesentlich verfeinert ist. Geht<br />

man den einzelnen Chargen nach, wird man immer wieder<br />

auf ebensolche ironisch-witzigen Karikaturen stoßen<br />

mit einer gespielten Würde, hinter welcher sich der Schalk<br />

verbirgt.<br />

Ohne große Umstände ist es klar und auch allgemein anerkannt,<br />

daß das mit dem Narrengericht verbundene Sommervogelspiel<br />

ursprünglich zu anderer Zeit abgehalten<br />

worden ist. Man glaubt es ursprünglich als ein Pfingstbrauch<br />

erklären zu dürfen. Viel wahrscheinlicher ist aber,<br />

daß es von dem Sonntag Lätare, dem alten Sommertag<br />

übertragen ist. Der Sommervogel ist der Kuckuck. Das althergebrachte<br />

Grosselfinger „Kukulied" weist ihn auch hier<br />

klar als solchen aus, wenn ihn auch im Spiel aus praktischen<br />

Gründen eine Taube vertreten muß. In seiner Eigenschaft<br />

als Sommervogel trägt der Kuckuck nach altem<br />

Spruch ein weißes „Röcklein". Dieses erkennt man aber<br />

erst mit der Narrenbrille, die nach hitzigem Streitgespräch<br />

vor dem Nest dem Gemeindebürgermeister die Wahrheit<br />

und den Narrenvogt als den Gescheiteren erweist. Volkstümlicher<br />

Brauch vom Sonntag Lätare läßt sich vielfach in<br />

Elementen des jetzigen Fastnachtsbrauches nachweisen.<br />

Übrigens stammen ja auch die fastnachtlichen Bräutigamsbäder<br />

oft nachweisbar aus Aschermittwochsbräuchen.<br />

Träger des Grosselfinger Narrenge, ites ist eine kirchliche<br />

Bruderschaft, nachweisbar seit dem Anfang des 18.<br />

Jahrhunderts. Ob das von Anfang an so war, ist schwer<br />

zu sagen. Narretei und kirchliche Frömmigkeit haben sich<br />

im späten Mittelalter ganz gut verstanden, so unbegreiflich<br />

das für unsere Auffassung erscheint. Von der dunklen<br />

hergebrachten Butzengestalt im Spiel hat man an eine<br />

Herkunft oder Verbindung des Narrengerichtes und seiner<br />

Bruderschaft von einer Pestbruderschaft gescnlossen.<br />

E, is* aber sehr fraglich, ob die Butzen von Haus aus nicht<br />

auch zum Lätarebrauch mit seinem Todaustragen gehören<br />

und erst samt dem Sommervogelspiel mit dem Narrengericht<br />

in Beziehung kamen. Dieses hat ja im Bäder und<br />

den Profossen seine Organe. Die Stiftung des Narrengerichtes<br />

soll nach allgemeiner Auffassung durch die Herren<br />

von Bubenhofen erfolgt sein. Von einer Stiftungsurkunde<br />

soll es früher eine Erneuerung aus dem Jahre 1605 gegeben<br />

haben, die verschwunden ist, deren überlieferter Text<br />

aber unmöglich aus der Zeit der Bubenhofer als Ortsherren<br />

stammen kann. Historisch belegt ist, daß die Herren<br />

134<br />

von Bubenhofen im 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts<br />

durch einen Schloßbau, die Wiedergründung der Pfarrei,<br />

Erlangung eines Marktprivilegs und der hohen Gerichtsbarkeit<br />

dem Ort eine Sonderstellung und wohl auch bei<br />

ihrem sprichwörtlichen Reichtum große wirtschaftliche<br />

Vorteile verschafft haben. Daß die volkstümliche Überlieferung<br />

sie deswegen auch zu den Stiftern des Narrengerichtes<br />

gemacht hat, ist ganz natürlich. Ohne eine Art<br />

Privileg des Ortsherren war dieses Narrengericht in seiner<br />

Verbindung mit der Kirche sowieso schwerlich denkbar.<br />

Die Grosselfinger haben sich im 18. Jahrhundert, als der<br />

Ort längst fürstlich hohenzollerisch war, beim Fürsten um<br />

ein Privileg für das Narrengericht bemüht. Bisher hat sich<br />

aber im fürstlichen Archiv nichts darüber gefunden. Für<br />

die Zeit vor dem 18. Jahrhundert bleibt man also immer<br />

noch auf mehr oder weniger einleuchtende Vermutungen<br />

angewiesen. Vom Jahre 1752 liegt eine ausführliche Beschreibung<br />

des ganzen Spieles samt den jetzt noch verwendeten<br />

Texten von dem „kunstreichen Schreiber des<br />

Narrengerichts Geor^ius Ruoff" vor, der sich dabei auf<br />

ältere Aufschriebe von 1719 und 1740 und die Kopie der<br />

Urkunde von 1605 bezieht. Diese Kopie i;t aber auch verlorengegangen<br />

und gegen den überlieferten Text bestehen,<br />

wie gesagt, wohl begründete Zweifel.<br />

In dem Spiel sind aber so viele Brauchtumselemente enthalten,<br />

die über das Zeitalter der Bubenhofer, also das<br />

15. Jahrhundert zurückgehen, daß man es ruhig zum<br />

ältesten Fastnachtsbrauchtum rechnen kann. Entscheidend<br />

für seine Bewertung und Beurteilung ist aber, daß das<br />

Narrenge, cht in Sc. ler -tzigen Form ein gutes Vierteljahrtausend<br />

mit verhältnismäßig geringen Abweichungen<br />

von Generation zu Generation weitergegeben worden ist.<br />

Im letzten Jahrhundert kam es einmal zu einer längeren<br />

Unterbrechung, bis man sich in den fünfziger Jahren wieder<br />

darauf besonnen hat. Dessen ungeachtet gibt es aber<br />

im ganzen südwestdeutschen Raum keine vergleichbare<br />

Erschi inung, auch das bekannte Stockacher Narrengericht<br />

iäßt sich dam.t nicht vergleichen. Besonders ist anzuerkennen,<br />

daß sich die Grossei inger trotz aller Verlockung<br />

bisher nie bereitgefunden haben, dieses kostbare Erbe irgendwo<br />

auswärts als billiges Schaustück aufzuführen, sondern<br />

es nur im örtlichen Rahmen, wo es von jeher hingehört,<br />

durchführen. Ebenso hält man sich streng an die alte<br />

Regel, daß die Masken und Kostüme nur im Rahmen des<br />

Spiels gezeigt und getragen werden, So nii lmt das Grosselfinger<br />

Narrenge icht heute wie schon st't gut und gern<br />

zweihundert Jahren im Bereich tastnachtuchen Brauches<br />

in Südwestdeutschland einen besonderen Rang ein und erfreut<br />

sich mit Recht weit über den engeren Umkreis hinaus<br />

einer hohen Wertschätzung.<br />

Berichtigung: Der Autor von „immer seltener werden die<br />

Ausdrücke und Wendungen in unserer heimiscncn Mundart"<br />

ist Herr Schulrat i. R. Joh. Wannenmacher, Gammertingen.

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