22.01.2013 Aufrufe

Ausgabe 1997 - Hohenzollerischer Geschichtsverein eV

Ausgabe 1997 - Hohenzollerischer Geschichtsverein eV

Ausgabe 1997 - Hohenzollerischer Geschichtsverein eV

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

HOHENZOLLERISCHE<br />

HEIMAT<br />

Kreidezeichnung von Hermann Anton Bande, Rom 1906.<br />

Stadt Gammertingen, Nachlaß H. A. Bande. Foto Dr. Burkarth.<br />

Herausgegeben vom<br />

M 3828 F<br />

Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong><br />

47. Jahrgang Nr. 1/März <strong>1997</strong><br />

Jubiläums-Ausstellung in der Straßberger Schmeienhalle<br />

anläßlich des 125. Geburtstages von Freskomaler Hermann Anton Bantle<br />

vom 2. bis 4. Mai <strong>1997</strong><br />

SI


GERD BANTLE<br />

Jubiläums-Ausstellung in der Straßberger Schmeienhalle<br />

Vor 125 Jahren geboren: der Freskomaler Hermann Anton<br />

Bantle<br />

Vor 125 Jahren, am 22. April 1872, wurde in Straßberg der<br />

Freskomaler Hermann Anton Bantle geboren. Vom 2. bis<br />

zum 4. Mai wird in der Schmeienhalle seiner Heimatgemeinde<br />

eine Ausstellung zu sehen sein, die seit vielen Monaten<br />

vom Straßberger Arbeitskreis »Jan von Werth« und der Gemeindeverwaltung<br />

vorbereitet wird.<br />

Heimatkundler wie Kunstliebhaber dürfen sich freuen: Die<br />

Initiatoren haben aus dem Nachlaß Bantles in Gammertingen,<br />

aus Kirchen- und Privatbesitz wertvolle Bilder und<br />

Dokumente gesammelt, die tiefen Einblick in das Leben und<br />

Wirken des Künstlers geben. Wenn auch die Freskomalerei<br />

als Hauptarbeitsgebiet Bantles bezeichnet werden kann: Das,<br />

was er außerhalb des Kirchenraums schuf und nicht für diesen<br />

bestimmt, kann sich ebenfalls sehen lassen. Es war von<br />

vornherein die Absicht der Ausstellungsmacher, diese Seite<br />

Bantle'schen Schaffens, die bislang in der Öffentlichkeit<br />

kaum bekannt ist, auch einmal publik zu machen.<br />

Der Großvater Joseph Schilling, Bildhauer und Maler, begeisterte<br />

Hermann Anton Bantle früh für die Kunst. Dessen<br />

Talent erwies sich, als er beim Besuch der städtischen Zeichenschule<br />

in Ebingen unter Professor Ziegler im dritten Jahr<br />

in den Genuß eines kleinen Stipendiums kam und außerdem<br />

eine Preismedaille errang. Sein weiterer Weg führte ihn nach<br />

St. Gallen zum Studium im dortigen Museum und zum anschließenden<br />

kunstgewerblichen Entwerfen und Zeichnen.<br />

Weiteren Schliff eignete er sich in der Beuroner Kunstschule<br />

unter Pater Desiderius Lenz an. Er erhielt zudem die Möglichkeit,<br />

in »St. Gabriel« in Prag zu arbeiten, und dank Beuroner<br />

Vermittlung erhielt er zur Finanzierung seiner Kosten<br />

unter anderem Aufträge in Kessenich im Rheinland sowie in<br />

Wehlen bei Trier.<br />

Zumindest, was die Monumentalität und die klare Formensprache<br />

betrifft, blieb das Schaffen des tiefreligiösen<br />

Straßbergers vom Beuroner Kunststil geprägt. Er selber bekannte<br />

in der Zeitschrift »Heiliges Feuer« zehn Jahre vor seinem<br />

Tod: »Eine männliche, stark überzeugende, eindringliche<br />

Kunst brauchen wir, eine Kunst, die nichts mehr und<br />

nichts weniger ist als der Ausdruck unseres innerlichen Glaubens«.<br />

Nach künstlerischer Weiterbildung in München wandte er<br />

sich während mehrerer Italienaufenthalte keineswegs nur<br />

religiösen Motiven und der Kirchenmalerei zu. Zwar studierte<br />

er die für sein weiteres Schaffen richtungsgebende<br />

Freskomalerei genauestens und lernte sie schätzen, doch es<br />

entstanden auch eine Fülle fein empfundener Studien, Charakterdarstellungen<br />

und farbenfroher Landschaftsbilder.<br />

Nach dem Ersten Weltkrieg (Bantle leistete seinen Heeresdienst<br />

an der Schweizer Grenze ab) erlebte der Künstler die<br />

Inflationszeit in bitterer Armut. Von 1925 an ließ zudem sein<br />

Gesundheitszustand mehr und mehr zu wünschen übrig. Der<br />

»Prediger im Malerkittel«, wie er einmal treffend charakterisiert<br />

wurde, starb am 27. Juni 1930 in München an einer Brustfell-Entzündung.<br />

Auch wenn infolge der Kriegswirren und Zeitläufte viele der<br />

Kunstwerke Bantles zerstört und verschwunden sind, noch<br />

gibt es sehenswerte Spuren seines Schaffens, auch in unserer<br />

Heimat: nicht nur in Straßberg, Kaiseringen und Albstadt-<br />

Ebingen, sondern beispielsweise auch in Sigmaringen, Laiz,<br />

Vilsingen, Dunningen und Öflingen. Und die Ausstellung in<br />

2<br />

H. A. Bantle, Stadt Gammertingen, Nachlaß H. A. Bantle, Foto<br />

Dr. Burkarth.<br />

Straßberg, bei deren Eröffnung am Abend des 2. Mai Kunstkenner<br />

Dr. Smitmans aus Albstadt einführende Worte sprechen<br />

wird, dürfte geeignet sein, die Bedeutung eines Mannes,<br />

der sich einen Platz unter den bedeutendsten süddeutschen<br />

Malern im 19. und 20. Jahrhundert erworben hat, in seiner<br />

Heimat wieder bewußter zu machen. Dazu dürfte auch eine<br />

Kunstmappe mit acht Bantle-Werken beitragen, die während<br />

der Ausstellung (am 3. und 4. Mai von 10 bis 18 Uhr geöffnet)<br />

angeboten wird, und außerdem ein abendlicher Vortrag<br />

von Josef Sutter aus Oflingen. Letzterer wird am Jubiläumstag,<br />

dem 22. April, in der Kaiseringer Kirche Einblick in die<br />

Kunst Bantles geben.<br />

7.ur Bibliothek der ehemaligen Reichsabtei Ochsenhausen<br />

Zum 28. September 1827 erschien im Wochenblatt für das<br />

Fürstentum Hohenzollern-Sigmaringen nachstehende Anzeige:<br />

Bibliothekverkauf<br />

Die Fürstlich Metternich'sche Bibliothek zu Ochsenhausen,<br />

welche in ungefähr 14000 Bänden aus allen Fächern besteht,


SobenjoUetifdje (onbe<br />

Dfatteüungen aug bcm ©cfcE)icf)töt>ercin<br />

Veranstaltungen im 2. Quartal <strong>1997</strong><br />

Symposium »Regionalismus und Südweststaatidee«<br />

Der Hohenzollerische <strong>Geschichtsverein</strong> veranstaltet anläßlich<br />

der Bildung des ehemaligen Landes Württemberg-<br />

Hohenzollern vor 50 Jahren am 10. Mai ab 9.00 Uhr bis<br />

ca. 17.00 Uhr im Bildungshaus St. Luzen in Hechingen<br />

ein ganztägiges Symposium mit dem Thema »Regionalismus<br />

und Südweststaatidee«. Dabei werden folgende Vorträge<br />

gehalten:<br />

Dr. Otto H. Becker, Sigmaringen:<br />

Zwischen Württemberg und Baden: Hohenzollern<br />

(1945-1952)<br />

Dr. Heinz Pfefferle, Laichingen:<br />

Politische Identitätsbildung im Land Württemberg-<br />

Hohenzollern und die Rolle Oberschwabens bei der Südweststaatsbildung<br />

Oswald Burger, Überlingen:<br />

»Ein freier geistiger Tauschplatz«. Der Beitrag der Gesellschaft<br />

Oberschwaben zur gesellschaftlichen Erneuerung<br />

Dr. Frank Raberg M. A., Neresheim:<br />

Gebhard Müller - Staatsmann zwischen Rumpfland und<br />

Länderneugliederung<br />

Bernhard Rüth, Rottweil:<br />

Akademie-Provisorium im provisorischen Staat: Die<br />

Kunstschule in Bernstein (1946-1955)<br />

Da aus Raumgründen die Zahl der Teilnehmer auf 100<br />

Personen begrenzt werden muß und im Bildungshaus<br />

St. Luzen auch das Mittagessen eingenommen werden<br />

kann, wird um Anmeldung bis spätestens 30. April <strong>1997</strong><br />

gebeten. Anmeldungen sind zu richten an:<br />

Teilnehmer aus dem Bereich Hechingen an Herrn<br />

Dr.Vees, Tel. 07471/9381-0<br />

Teilnehmer aus dem Bereich Sigmaringen an Frau Liebhaber,<br />

Tel. 07571/101-558 außer montags oder Tel.<br />

07571/101-580 Herrn Dr. Becker<br />

worunter sich viele klassische Werke befinden, deren <strong>Ausgabe</strong>n<br />

im Buchhandel vergriffen sind, ist in der Art zum Verkauf<br />

ausgesetzt, daß dieselbe demjenigen, welcher bis zum<br />

11. November d. J. das größte Angebot gibt, vorbehaltlich<br />

der Hochfürstliche Ratifikation und gegen bare Bezahlung<br />

des Kaufschillings zugeschlagen wird.<br />

Kaufliebhaber können die Bibliothek täglich einsehen und<br />

ihre Kauf-Offerte entweder an den Herrn Dekanatsverweser<br />

Für Teilnehmer aus dem Raum Sigmaringen besteht die<br />

Möglichkeit mit der Deutschen Bahn A.G. zu fahren:<br />

Sigmaringen ab 7.41 Uhr<br />

Hechingen an 8.48 Uhr<br />

(Bahnhof Hech. unweit von St. Luzen)<br />

Rückfahrt: Hechingen ab 17.58 Uhr, Sigmaringen an<br />

18.59 Uhr<br />

Vortrag<br />

Ute Weidemeyer-Schellinger M. A., Burladingen<br />

»Es war wie überall, eben kleiner«. - Französische Besatzung<br />

in Burladingen (1945-1948)<br />

Mittwoch, 23. April, um 20 Uhr in der Aula der Grundschule<br />

Burladingen<br />

Montag, 2. Juni, um 20 Uhr im Spiegelsaal des Prinzenbaus<br />

(Staatsarchiv) in Sigmaringen<br />

Exkursion<br />

Am Samstag, 26. April, setzt der Hohenzollerische <strong>Geschichtsverein</strong><br />

seine beliebten Städtefahrten mit einer<br />

Ganztagesexkursion nach Rottweil fort. Unter der kundigen<br />

Führung von Herrn Kreisarchivar Dr. Edwin Ernst<br />

Weber, Sigmaringen, werden u. a. das Römerbad, der<br />

Hofgerichtsstuhl, das Heilig-Kreuz-Münster und das<br />

Dominikanermuseum besucht und erläutert.<br />

Abfahrt: Sigmaringen um 8.00 Uhr (Bushaltestelle gegenüber<br />

der ehemaligen EZS)<br />

Hechingen um 9.00 Uhr (Bushaltestelle Obertorplatz)<br />

Rückkehr: Hechingen ca. 18.00 Uhr<br />

Sigmaringen ca. 19.00 Uhr<br />

Anmeldungen sind zu richten für Teilnehmer aus dem Bereich<br />

Hechingen an Herrn Dr. Vees, aus dem Bereich Sigmaringen<br />

an Frau Liebhaber oder an Herrn Dr. Becker<br />

(Tel. wie oben).<br />

Der Arbeitskreis Jan von Werth und die Gemeinde Straßberg<br />

veranstalten vom 2. bis 4. Mai in der Schmeiehalle,<br />

Brückenstraße, beim Sportgelände in Straßberg eine Gedächtnisausstellung<br />

über den Maler Hermann Anton<br />

Bande (1872-1930). Den Mitgliedern des <strong>Geschichtsverein</strong>s<br />

wird am 3. Mai um 15.00 Uhr die Gelegenheit zu einer<br />

Führung durch die Ausstellung geboten. Die Hin- und<br />

Rückfahrt erfolgt mit Privatfahrzeugen.<br />

Interessenten, die eine Mitfahrgelegenheit suchen, sollen<br />

sich wenden an:<br />

Teilnehmer aus dem Bereich Hechingen an Herrn<br />

Dr.Vees, Teilnehmer aus dem Bereich Sigmaringen an<br />

Frau Liebhaber bzw. Herrn Dr. Becker (Tel. wie oben).<br />

gez.: Dr. Becker<br />

Vorsitzender<br />

Pfarrer Neuer in Ochsenhausen oder an den Unterzeichneten<br />

abgeben.<br />

Heiligkreuzthal den 28. September 1827.<br />

Fürstlich Metternich'scher Kommisair,<br />

F. Kamerai-Amts-Buchhalter<br />

Rauter.<br />

(weiter Seite 4)<br />

3


1803 waren Stift und Herrschaft Ochsenhausen an den<br />

Reichsgrafen und späteren Fürsten Franz Georg von Metternich-Winneburg<br />

gefallen. Nach dessen Tod 1818 kam der<br />

Besitz an den Sohn Clemens Wenzel Nepomuk Lothar Fürst<br />

von Metternich, österreichischer Außenminister und späterer<br />

Staatskanzler. Dieser entschloß sich 1825, den Besitz an<br />

König Wilhelm II. von Württemberg zu verkaufen. Vom Verkauf<br />

ausgenommen blieben, neben Mobilien, die<br />

Klosterbibliothek und die Instrumente und Bücher der<br />

Sternwarte. Der Bestand der Bibliothek wird auf ca. 70000<br />

Bände geschätzt, eine Zahl, die in ihrer Höhe aber umstritten<br />

ist. Mit Hilfe von Fachleuten sollen 8000 wertvolle Bände<br />

für Fürst Metternich ausgesucht worden sein, den Rest<br />

THOMAS JAUCH<br />

habe man stehen lassen. Fürst Metternich ließ die Bücher auf<br />

sein Schloß Königswart bei Marienbad transportieren.<br />

Der Maler Johann Baptist Pflug von Biberach, der Bibliothek<br />

und Sternwarte noch gesehen hat, berichtet in seinen Lebenserinnerungen,<br />

daß später eine Menge Bücher vom (württembergischen)<br />

Staat verkauft worden seien. 22 zweispännige<br />

Fuhren hätten »Makulatur« (religiöse und andere Bücher, die<br />

man für wertlos hielt) nach Biberach gebracht. Der oben<br />

abgedruckten Anzeige ist zu entnehmen, daß 1827 14000,<br />

vermutlich sehr wertvolle Bücher im Auftrag des Fürsten<br />

Metternich vom Staat verkauft wurden. Wer die Bücher<br />

gekauft hat, ist allerdings nicht bekannt.<br />

Der Landwirtschaftliche Verein für das Fürstentum Hohenzollern-Hechingen<br />

und das erste landwirtschaftliche Fest in Hechingen am 28. September 1843<br />

Der Landwirtschaftliche Verein für das Fürstentum Hohenzollern-Hechingen<br />

Im Oktober 1839 rief der fürstliche Domänenverwalter Ruff<br />

zur Bildung eines landwirtschaftlichen Vereins auf, der die<br />

Verbesserung und Rationalisierung der Landwirtschaft im<br />

Fürstentum befördern sollte 1. Gleichzeitig konnte er bereits<br />

mitteilen, daß Fürst Friedrich Wilhelm Konstantin seine Bereitschaft<br />

zur Unterstützung des Vereins erklärt hatte. Zur<br />

Verdeutlichung der Zwecke und Ziele des Vereins erfolgte<br />

eine Woche später der Abdruck des ersten Artikels der vorläufigen<br />

Vereinsstatuten: »Der Verein macht es sich zur Aufgabe,<br />

zu Emporbringung der Landwirthschaft nach Kräften<br />

mitzuwirken, durch Aufsuchung und Bezeichnung der geeigneten<br />

Mittel hiezu, durch Bezeichnung der statthabenden<br />

Mängel und Gebrechen, und durch Bekämpfung, besonders<br />

aber durch thatsächliche Widerlegung der bestehenden Vorurtheile,<br />

dem minder wie dem mehr begüterten Landmann<br />

nützlich zu werden« 2. Der nachfolgende Katalog der zu behandelnden<br />

Themen reicht von Bodenqualität und -düngung<br />

über Viehzucht, Anbau und Ernte von Nutzpflanzen bis hin<br />

zu Hauswirtschaft und Handel und Gewerbe.<br />

Nach einer Versammlung im Dezember 1839 3 scheint es um<br />

den Verein still geworden zu sein, denn am 5. 12. 1840 traf<br />

Pfarrer Blumenstetter, Boll, mit einer Erklärung an die Öffentlichkeit,<br />

in der er die Vereinsmitglieder wissen ließ, »daß<br />

von der bisherigen Unthätigkeit des Vereins-Ausschusses<br />

keineswegs [ihm] Etwas zur Last falle« 4. Ein dreiviertel Jahr<br />

später erschien wiederum ein namentlich nicht gekennzeichneter<br />

Artikel, der die Untätigkeit des Vereins bemängelte und<br />

die erneute Gründung anregte 5. Nach einem weiteren Gründungsaufruf,<br />

unterzeichnet von J. Blumenstetter, X. Ribler,<br />

J. Ruff und C. Werner 6, fand die Gründungsversammlung<br />

schließlich am 27. 12. 1841 im Hechinger Rathaussaal statt,<br />

die Ausrichtung landwirtschaftlicher Feste war bereits als<br />

Vereinszweck formuliert worden 7. Mit Datum vom 12.4.1842<br />

genehmigte der Fürst die Gründung des Vereins und ordnete<br />

gleichzeitig die Unterstützung desselben durch einen »Regierungs-Commißär«<br />

an, kurze Zeit später übernahm er das<br />

Protektorat und sicherte dem Verein einen jährlichen Beitrag<br />

zu 8.<br />

In den folgenden Jahren entfaltete der Verein, dessen Hauptversammlungen<br />

regelmäßig im Saal des 1836 eröffneten<br />

Schwefel(kur)bades in der Herrenackerstraße abgehalten<br />

wurden, eine rege Tätigkeit: neben der Organisation der land-<br />

4<br />

wirtschaftlichen Feste 1843 9 und 1845 und der Herausgabe<br />

des »Landwirthschaftlichen Boten« konzentrierte sich die<br />

Arbeit der Vereinsmitglieder, 1845 waren es über 300, insbesondere<br />

auf die Verbesserung des Obstbaus, der Böden und<br />

der Viehzucht und auch im Bereich der Feldwegregulierungen<br />

und der Ent- beziehungsweise Bewässerung wurden Anstrengungen<br />

unternommen. Die Rinderzucht mit den importierten<br />

Schweizer und Allgäuer Zuchtstieren zeigte schon<br />

bei der Vorführung des Jungviehs beim 2. landwirtschaftlichen<br />

Fest in Hechingen 1845 ihre positiven Auswirkungen 10.<br />

Die schlechten Erträge 1846/47 in der Landwirtschaft und die<br />

politische Entwicklung 1848 hemmten die Arbeit des Vereins,<br />

weitere Feste wurden nicht mehr veranstaltet. Nach dem<br />

Übergang der hohenzollerischen Fürstentümer an Preußen<br />

setzten beim Hechinger Verein Überlegungen ein, sich dem<br />

landwirtschaftlichen Verein in Sigmaringen anzuschließen.<br />

Diese fanden erst im Jahr 1853 ihr Ende, als sich der Sigmaringer<br />

Verein als »Verein zur Beförderung der Landwirthschaft<br />

und der Gewerbe für die Hohenzollern'schen Lande«<br />

mit revidierten Statuten neu konstitutierte und für Hechingen<br />

eine vierte Bezirksstelle, zuständig für den Oberamtsbezirk<br />

Hechingen, eingerichtet wurde 11. Die Leitung der Bezirksvereine,<br />

neben Hechingen waren dies Sigmaringen,<br />

Gammertingen und Haigerloch, erfolgte fortan durch die<br />

Zentralstelle in Sigmaringen.<br />

»Der Landwirthschaftliche Bote für das Fürstenthum<br />

Hohenzollern-Hechingen« u<br />

Mit dem Landwirthschaftlichen Boten hatte sich der Landwirtschaftliche<br />

Verein 1842 ein Publikationsorgan geschaffen,<br />

als dessen Vorbild das von der Zentralstelle des Landwirtschaftlichen<br />

Vereins zu Stuttgart seit 1834 herausgegebene<br />

»Wochenblatt für Land- und Hauswirtschaft, Gewerbe<br />

und Handel« gedient haben mag. Auch die »Mittheilungen<br />

des Vereins zur Beförderung der Landwirthschaft und<br />

der Gewerbe im Fürstenthume Hohenzollern-Sigmaringen«<br />

waren schon seit dem 12. 1. 1842 in wöchentlicher Folge<br />

erschienen 13. Erfahrungen als Autor und Herausgeber einer<br />

Zeitschrift hatte Pfarrer Blumenstetter, der zusammen mit<br />

Hofkammerrat Ribler und Justizrat Werner für den größten<br />

Teil der Beiträge zum Landwirthschaftlichen Boten sorgte,<br />

bereits mit der Herausgabe des »Volksfreunds« gesammelt.<br />

In der ab 1835 unter dem Motto »klar, wahr, brauchbar« er-


schienenen Zeitschrift finden sich zahlreiche Beiträge, die die<br />

Verbesserung der Landwirtschaft thematisieren, kritische<br />

Äußerungen zu politischen Fragen führten jedoch zum Verbot<br />

der Zeitschrift im Februar 1836 14. Sowohl der Volksfreund<br />

wie auch der Landwirthschaftliche Bote wurden wiederum<br />

in der Riblerschen Hofbuchdruckerei hergestellt.<br />

In der ersten <strong>Ausgabe</strong> des Landwirtschaftlichen Boten ist die<br />

Zielsetzung der Zeitschrift in Reimen niedergelegt: »Am liebsten<br />

redet er in Eurem Kreise / Von Landwirthschaft, von<br />

Vieh- und Obstbaumzucht; / Und wie man da und dort, auf<br />

beßre Weise / Stets, Haus und Felder zu bestellen sucht. / Er<br />

will, daß Ihr dergleichen wohl erwäget, / Daß Ihr es prüft -<br />

von Vorurtheilen frei, / und dann das Beste allzeit wählen<br />

möget, / Sei es nun altherkömmlich, oder neu« 15. Der Autor<br />

schließt mit folgenden Zeilen: »Geling ihm [dem Boten] nur<br />

das wohlgemeinte Streben, / Dem er mit Lieb und Lust sich<br />

zugewandt: / Das Beßre allenthalben zu beleben, / Und so zu<br />

nützen seinem Vaterland«. Die Zeitschrift hatte sich also der<br />

Aufklärung der in der Landwirtschaft Tätigen verschrieben,<br />

dies jedoch nicht allein zu deren Wohl, sondern auch zu dem<br />

Die Lindichwirtschaft 1900<br />

(Vorlage städt. Mus. Hechingen)<br />

des Vaterlandes. Das noch junge europäische Staatengefüge<br />

mit seinen gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen<br />

Umwälzungen und die beginnende Industrialisierung<br />

erforderten eine Rationalisierung und Verbesserung der landwirtschaftlichen<br />

Produktionsmethoden. Dies hatte wohl<br />

auch der Fürst erkannt, der bereitwillig den Verein unterstützte.<br />

Im ersten Jahrgang des Landwirthschaftlichen Boten finden<br />

sich, außer wenigen Vereinsnachrichten, durchweg Aufsätze,<br />

die sich die Verbesserung von Land- und Forstwirtschaft<br />

zum Ziel setzen: Haltung von Mutterschweinen, Abwendung<br />

von Futtermangel durch Anbau von Hackfrüchten, Mostherstellung,<br />

Gartenbau, Anbau von Flachs und Wein, Feldpolizei,<br />

Gemeindebacköfen. Die Nummer 10 des Jahrgangs<br />

1843 ist schließlich ganz dem Bericht über das landwirtschaftliche<br />

Fest vorbehalten.<br />

Das landwirtschaftliche Fest auf dem Lindich am 28.9.1843 16<br />

Die Vorbereitung des ersten landwirtschaftlichen Festes in<br />

Hechingen oblag nicht allein den Vereinsmitgliedern, auch<br />

die Stadt und das Oberamt waren mit einbezogen: Letzteres<br />

erteilte den Gemeinden den Auftrag, »die Gemeindefarren,<br />

welche ohne Gefahr transportiert werden können, den<br />

28. dieses [Monats] zeitig zu dem landwirthschaftlichen Feste<br />

in Lindich bringen zu lassen« 17 und am 26. September, also<br />

zwei Tage vor dem Fest, wurde in der Verhandlung des Stadtrats<br />

und Bürgerausschusses von Hechingen dem Antrag von<br />

Stadtrat Zoll entsprochen, die Stadt möge auf Gemeindekosten<br />

das Rathaus schmücken. Mit der Ausführung wurde<br />

Stadtbaumeister Wist beauftragt 18. Die im Rahmen des Festes<br />

stattfindende Preisverleihung hatte das Fürstenpaar durch<br />

Spenden in Höhe von 150 fl (Gulden) ermöglicht.<br />

Als im Morgengrauen des 28. Septembers »Geschützdonner«<br />

das Fest ankündigte, dürfte der strömende Regen den Verantwortlichen<br />

des Landwirtschaftlichen Vereins nicht wenige<br />

Sorgen bereitet haben. Nachdem jedoch der Festzug Aufstellung<br />

genommen hatte, beteiligt waren unter anderem die<br />

Vereinsmitglieder, der Musikverein mit seinem Gesangschor<br />

und dem Musikcorps sowie mehrere geschmückte Festwagen<br />

aus den Landgemeinden, wollte der Himmel »auf dieses<br />

freuderfüllte Treiben [...] nimmer länger mit der anfänglich<br />

griesgrämigen Miene blicken«. Der Umzug, der vom Rathaus<br />

zur Villa Eugenia und weiter zum Festplatz bei dem Schloß<br />

Lindich führte und das anschließende Fest konnten bei bestem<br />

Wetter durchgeführt werden, und erst bei »annähernder<br />

Abenddämmerung schieden die vergnügten Gäste«.<br />

Auf dem Lindich wurden die Festteilnehmer von Pfarrer<br />

Blumenstetter als Vertreter des Vereinsvorstandes begrüßt.<br />

In seiner Rede brachte Blumenstetter zum Ausdruck, daß das<br />

Fest ein Erntefest darstelle, nicht nur im wörtlichen Sinne,<br />

sondern auch hinsichtlich der Arbeit des Vereins, die nun<br />

»Erstlingsfrüchte« hervorbringe. Desweiteren dankte er dem<br />

Fürstenhaus für die gebotene Unterstützung und erinnerte<br />

schlußendlich an die »gnadenvollen Segnungen des Himmels«,<br />

die im Jahr 1843 eine reiche Ernte beschert hatten.<br />

Bei der anschließenden Preisverleihung wurden besondere<br />

Leistungen auf folgenden Gebieten ausgezeichnet: Waldkulturen,<br />

Obstbau, Fleiß und Treue von Dienstboten, Anbau<br />

von Futterkräutern, Samenerziehung, Anpflanzung von<br />

Handelsgewächsen, Flachsbau, Düngerbereitung und Viehzucht.<br />

Im Bereich von Anbau und Pflanzenzucht ist die überdurchschnittliche<br />

Anzahl von Pfarrern, Lehrern und Vögten<br />

unter den Preisträgern auffällig, bei den Besitzern der prä-<br />

5


mierten Pferde, Rinder und Schweine handelt es sich in mehr<br />

als der Hälfte aller Fälle um Wirte, Gutspächter oder Müller.<br />

Die Preisverleihung macht somit einerseits deutlich, daß Innovationen<br />

in der Landwirtschaft vielfach von Lehrern und<br />

Pfarrern ausgingen, andererseits zeigt sich im Bereich der<br />

Viehzucht, welche (Berufs-)Gruppen eine herausragende<br />

Stellung innehatten. Neben den prämierten Tieren wurden<br />

nach der Preisverleihung außer Konkurrenz auch Hengste<br />

und Farren aus der fürstlichen Ökonomie zur Schau gestellt.<br />

Vereinsdirektor Werner brachte anschließend »mit vaterländischem,<br />

am südlichen Abhänge des Lindich gewachsenen,<br />

Vierunddreißiger« dem Fürstenpaar ein dreimaliges Hoch<br />

dar, »in welches tausendstimmiger Jubel schallte«.<br />

Nach dem darauf folgenden Pferderennen über die Distanz<br />

von 530 Schritten, die Joseph Schuler aus Hechingen als<br />

Schnellster in 45 Sekunden bewältigte, zogen sich die »Höchsten<br />

Herrschaften« mit geladenen Gästen in das Schloß<br />

zurück, während sich die übrigen Besucher in der Lindichwirtschaft<br />

oder an den extra aufgestellten Buden verköstigten.<br />

Der weitere Nachmittag des Festes war ausgefüllt mit<br />

Musikdarbietungen des Musikvereins Hechingen und der<br />

Gesangvereine Owingen sowie Stetten b. Hechingen, einer<br />

Lotterie, Volksbelustigungen (Hahnentanz, Sacklaufen,<br />

Anmerkungen<br />

HBH = Hohenzollerische Heimatbücherei Hechingen.<br />

LBH = Der Landwirthschaftliche Bote für das Fürstenthum<br />

Hohenzollern-Hechingen.<br />

VI H = Verordnungs- und Intelligenzblatt für das Fürstenthum<br />

Hohenzollern-Hechingen.<br />

1 VIH, Jg. 1839, Nr. 42 vom 19.10.<br />

2 VIH, Jg. 1839, Nr. 43 vom 26.10.<br />

3 VIH, Jg. 1839, Nr. 51 vom 21.12.<br />

4 VIH, Jg. 1840, Nr. 49 vom 5.12.<br />

5 VIH, Jg. 1841, Nr. 39 vom 25.9.<br />

6 Josef Blumenstetter, Pfarrer (1807-1885); Franz Xaver Ribler,<br />

Schulinspektor, fürstlicher Hofkammerrat, Verleger (1783-1862);<br />

Josef Ruff, fürstlicher Domänenrat, Vorstand des Rentamts<br />

(1804-1887); Constantin Werner, Oberamtmann und Justizrat,<br />

Oberamtsrichter, Kreis- und Landgerichtsrat (1813-1885).<br />

7 VIH, Jg. 1841, Nr. 47 vom 20.11. und Jg. 1842, Nr. 1 vom 1.1.<br />

8 VIH, Jg. 1842, Nr. 16 vom 16.4. und Nr. 20 vom 14.5.<br />

9 Im benachbarten Hohenzollern-Sigmaringen hatten bereits am<br />

6.10.1842 in Sigmaringen und, zwei Tage vor dem Hechinger Fest,<br />

am 26.8.1843 in Trochtelfingen landwirtschaftliche Feste stattgefunden<br />

(Programme: HBH, K 189).<br />

10 Zeitungsartikel über den Landwirtschaftlichen Verein anläßlich<br />

des 50jährigen Jubiläums. Hohenzollernsche Blätter, Jg. 1891,<br />

Nr. 152 vom 27.9.<br />

11 Amtsblatt der Königlich Preußischen Regierung zu Sigmaringen,<br />

Jg. 1853, Nr. 34 vom 21.8. Siehe auch: Anton Heinzler: Entwick-<br />

JOSEF NEUBURGER<br />

Zur Schulgeschichte von Bingen<br />

Gemeinde- und Pfarrarchiv geben in vielen Bereichen Auskunft,<br />

wie sich das Leben in Bingen vor Jahrhunderten abgespielt<br />

hat. Wann es in Bingen die erste Schule gab, kann<br />

nicht mehr festgestellt werden. Sicher ist, daß die Schule durch<br />

das Kloster Zwiefalten gefördert wurde, das über Jahrhunderte<br />

hinweg das Patronatsrecht in Bingen besaß.<br />

6<br />

Klettern, Wassertragen) und einem Sternschießen der Schützengesellschaft.<br />

Den Festtag beschließen sollte der Vortrag eines eigens verfaßten<br />

und von Hofkapellmeister Täglichsbeck vertonten<br />

Gedichts, »allein die Sänger und Zuhörer hatten sich bereits<br />

zu weit zerstreut, als daß man sie nochmals leicht hätte versammeln<br />

mögen«. So erschien das Gedicht nachträglich im<br />

Landwirtschaftlichen Boten, die letzte Strophe beinhaltet<br />

nochmals die Zielsetzung des Landwirtschaftlichen Vereins:<br />

»Sie [die schönen Stunden des Festtages] haben sich ins Herz<br />

geschrieben / Wohl Jedem, der sie mit erlebt, / und sind erfolglos<br />

nicht geblieben, / Wenn er nach ihrem Ziele strebt. /<br />

Wenn er, die Landwirthschaft zu heben / Nach Kräften wirkt<br />

in seinem Kreis, / Und auch bei Andern gleiches Streben /<br />

Ersprießlich anzuregen weiß«.<br />

Einen Erfolg im Hinblick auf ein verstärktes Interesse an der<br />

Fortentwicklung der Landwirtschaft wird man dem Fest, den<br />

damit verbundenen Anregungen des Vereins sowie dem Engagement<br />

des Fürstenhauses mit Sicherheit anrechnen dürfen,<br />

einer Zeitungsnotiz zufolge wurden zumindest einige<br />

Gäste durch den Besuch der Veranstaltung zum Beitritt in<br />

den Landwirtschaftlichen Verein angeregt 19.<br />

lung der Landwirtschaft in Hohenzollern. Mschr. Diss. Hohenheim<br />

1924, S. 133-136.<br />

12 Nach Ausweis der Bibliographie der hohenzollerischen Geschichte<br />

(Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte 10/11 (1974/75),<br />

S. 26 Nr. 376) ist die Zeitschrift von 1843-1848 erschienen. Im<br />

Stadtarchiv Hechingen findet sich der erste Jahrgang 1842 (!) der<br />

monatlich erschienenen Zeitschrift mit den Nummern 1-6 (Juli bis<br />

Dezember) und die Nr. 10 vom Oktober des Jahres 1843. Weitere<br />

Nummern konnten bisher nicht aufgefunden werden, nach einem<br />

Hinweis im VIH, Jg. 1844, Nr. 40 vom 5. 10., ist die Zeitschrift jedoch<br />

bis mindestens 1844 erschienen.<br />

13 Rechenschaftsbericht der Centraisteile und der Bezirksstellen des<br />

Vereins zur Beförderung der Landwirthschaft und der Gewerbe<br />

im Fürstenthume Hohenzollern-Sigmaringen für das Jahr 1842.<br />

Mit dem Etat der Centraisteile für die Jahre 1843, 1844 und 1845.<br />

Sigmaringen o. J., S. 4.<br />

14 Speidel, Hans: Pfarrer Josef Blumenstetter. Seelsorger und Volksmann<br />

1807-1885. In: Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte<br />

6 (1970), S. 37-107, hier S. 50 und 57.<br />

15 LBH, Jg. 1842, Nr. 1 vom Juli.<br />

16 Die Darstellung des Festverlaufs beruht auf folgenden Quellen:<br />

Programm zur Feier des ersten landwirthschaftlichen Festes im<br />

Fürstenthum Hohenzollern-Hechingen, Donnerstag, den 28. September<br />

1843 (HBH, K 189); VIH, Jg. 1843, Nr. 38 vom 23. 9.<br />

(Nachtrag zum Programm); LBH, Jg. 1843, Nr. 10 vom Oktober<br />

(hieraus alle Zitate).<br />

17 VIH, Jg. 1843, Nr. 38 vom 23.9.<br />

18 Stadtratsprotokolle 1843-1850. Stadtarchiv Hechingen, A 22, S. 1.<br />

19 VIH, Jg. 1843, Nr. 39 vom 30.9.<br />

Der erste Hinweis auf eine Schule findet sich im Binger<br />

Gemeindearchiv. Der Schulmeister Christoph Fischer, der<br />

neben seinem Schul- und Mesneramte auch als Richter und<br />

Gerichtsschreiber des Dorfgerichts Bingen tätig war, sagt bei<br />

einem Zeugenverhör von sich folgendes aus: »Im Jahre 1615<br />

(weiter auf Seite 8)


OTTO H. BECKER<br />

Dr. Eugen Stemmler zum Gedächtnis<br />

Am 27. November 1996 starb kurz vor der Vollendung seines<br />

88. Lebensjahres das Ehrenmitglied des Hohenzollerischen<br />

<strong>Geschichtsverein</strong>s, Staatsarchivdirektor a. D. Dr. Eugen<br />

Stemmler. Der Verstorbene, der bald nach seiner Berufung<br />

in das Amt des Leiters des Staatsarchivs Sigmaringen 1957<br />

dem damaligen »Verein für Geschichte, Kultur- und Landeskunde<br />

Hohenzollerns« als Mitglied beigetreten war, wurde<br />

knapp sieben Jahre säter als Nachfolger des Prinzen Franz<br />

Josef von Hohenzollern-Emden (1891-1964) zum Vorsitzenden<br />

bestellt.<br />

Nach der Übernahme der Vorstandschaft durch Dr. Stemmler<br />

erlebte der <strong>Geschichtsverein</strong> eine Phase tiefgreifender Erneuerung.<br />

Die nunmehr stärkere historische Ausrichtung<br />

wurde vor allem durch die Umbenennung des »Vereins für<br />

Geschichte, Kultur- und Landeskunde Hohenzollerns« in<br />

»<strong>Hohenzollerischer</strong> <strong>Geschichtsverein</strong>« und der »Hohenzollerischen<br />

Jahreshefte« in »Zeitschrift für Hohenzollerische<br />

Geschichte« deutlich gemacht. Auch die demokratischen<br />

Strukturen des Vereins erfuhren durch die Aufwertung der<br />

Mitgliederversammlung eine nachhaltige Stärkung. Alle diese<br />

Maßnahmen bildeten positive Voraussetzungen dafür, daß<br />

der <strong>Geschichtsverein</strong> nach der Aufhebung des Hohenzollerischen<br />

Landeskommunalverbandes infolge der Kreisreform<br />

1973 nunmehr auch »ohne Landesgrenzen« erfolgreich weiterarbeiten<br />

konnte.<br />

Nach der Auflösung dieser kommunalen Selbstverwaltungskörperschaft<br />

gelang es Dr. Stemmler mit der Unterstützung<br />

des damaligen Sigmaringer Landrats Dr. Max Gögler, die<br />

Landeskundliche Forschungsstelle Hohenzollern wenigstens<br />

als Redaktionsstelle der Historischen Kommission in<br />

Baden-Württemberg für die Herausgabe der Schriftenreihe<br />

»Arbeiten zur Landeskunde Hohenzollerns« fortzuführen.<br />

Als Leiter der Forschungsstelle konnte Dr. Stemmler in dieser<br />

Reihe insgesamt sechs Bände mit Themen zur Geschichte<br />

Hohenzollerns herausbringen, darunter die Dissertation<br />

von Maren Kuhn-Rehfus über das Kloster Wald (1971) und<br />

die Arbeit von Josef Mühlebach über den Landeskommunalverband<br />

(1972).<br />

Der Verstorbene ist in Hohenzollern freilich nicht nur als<br />

Leiter des Staatsarchivs Sigmaringen, als Vorsitzender des<br />

<strong>Geschichtsverein</strong>s und als Redaktor der erwähnten Schriftenreihe,<br />

sondern auch als Erforscher der Geschichte des<br />

Landes hervorgetreten. Es sei hierbei erinnert an die beiden<br />

Aufsätze »Zollern und Hohenberg vom 12. bis 16. Jahrhundert«<br />

(1961) und »Die Hauptmannschaft der Grafen von<br />

Zollern in der Herrschaft Hohenberg« (1967) sowie an das<br />

mit dem damaligen Landeskonservator Oscar Heck zusammen<br />

bearbeitete Buch »Hechingen. Zollerland zwischen Alb<br />

und Schwarzwald« (1969) und nicht zuletzt an den gedruckten<br />

Katalog zur Ausstellung über den Heiligen Fidelis von<br />

Sigmaringen (1972).<br />

Auch nachdem Dr. Stemmler 1972 aus gesundheitlichen<br />

Gründen sein Amt als Vorsitzender des Hohenzollerischen<br />

<strong>Geschichtsverein</strong>s in jüngere Hände abgegeben hatte und<br />

1974 mit 65 Jahren dann in den wohlverdienten Ruhestand<br />

getreten war, blieb er mit der Arbeit des <strong>Geschichtsverein</strong>s<br />

auch weiterhin verbunden. Bis zu seinem Wegzug von<br />

Sigmaringen in seine Vaterstadt Rottenburg a. N. 1981 besorgte<br />

er sogar noch den Versand der vom <strong>Geschichtsverein</strong><br />

herausgegebenen Hohenzollerischen Heimat.<br />

Für seine Tätigkeit als Vorsitzender des <strong>Geschichtsverein</strong>s<br />

und seine Verdienste um die Heimatpflege in Hohenzollern<br />

wurde Dr. Stemmler am 11. Mai 1987 in Sigmaringen von der<br />

Mitgliederversammlung einstimmig zum Ehrenmitglied er-<br />

Dr. Eugen Stemmler (1908-1996)<br />

nannt. In seiner Ansprache dankte der Geehrte allen Mitgliedern,<br />

die ihm bei seiner Tätigkeit als Vereinsvorsitzenden<br />

behilflich waren. Seine Ausführungen gipfelten in der<br />

schwerwiegenden Feststellung, daß die Landesgeschichte<br />

und Heimatkunde Hohenzollerns von innen heraus betrieben<br />

werden müsse, da man von außen nichts erwarten kön-<br />

Anläßlich seines 80. Geburtstags veranstalteten der Hohenzollerische<br />

<strong>Geschichtsverein</strong> und der Sülchgauer Altertumsverein<br />

am 19. Januar 1989 in der Zehntscheuer in Rottenburg<br />

a. N. gemeinsam eine Feier, an der sich auch die Große Kreisstadt<br />

beteiligte. Den Höhepunkt der gelungenen Veranstaltung<br />

bildete die Überreichung der Ehrennadel des Landes<br />

Baden-Württemberg für Verdienste im Ehrenamt an das<br />

Geburtstagskind durch den amtierenden Oberbürgermeister<br />

Dr. Löffler. Mit diesem Akt fand nicht nur das Engagement<br />

von Dr. Stemmler für den Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong>,<br />

sondern auch dessen Wirken als langjähriges Vorstandsmitglied<br />

der Historischen Kommission in Baden-<br />

Württemberg und Ausschußmitglied im Sülchgauer Altertumsverein<br />

sowie als Vorsitzenden des Pfarrgemeinderats<br />

von St. Fidelis in Sigmaringen öffentliche Anerkennung.<br />

Die Beerdigung von Dr. Eugen Stemmler fand am 2. Dezember<br />

1996 im Kreise seiner Familie und einer zahlreichen<br />

Trauergemeinde auf dem Sülchenfriedhof in Rottenburg<br />

statt. Nach dem Trauergottesdienst im hohen Dom, der von<br />

dem mit der Familie Stemmler befreundeten Dekan Josef<br />

Reichart aus Stuttgart - Bad Cannstatt zelebriert wurde, hielt<br />

Dompfarrer Monsignore Franz Waldraff in der Sülchenkapelle<br />

einen Nachruf auf den Verstorbenen, in dem er vor allem<br />

auf dessen tief verwurzelte Religiosität einging. So habe<br />

Dr. Stemmler, selbst als er schon fast erblindet war, sonntags<br />

regelmäßig dem Gottesdienst im Dom beigewohnt. - Nachrufe<br />

sprachen ferner Präsident Prof. Dr. Wilfried Schöntag,<br />

Stuttgart, im Namen der staatlichen Archivverwaltung und<br />

der Historischen Kommission in Baden-Württemberg sowie<br />

der Verfasser als Vorsitzender des Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong>s.<br />

7


sei er Schulmeister im Dorfe gewesen, habe allen solennen<br />

(feierlichen) Gottesdiensten in der Pfarrkirche anwohnen, bei<br />

Amtern, Vespern usw. den Chor führen müssen, er sei 30 Jahre<br />

lang Schulmeister gewesen«. Schon zu dieser Zeit unterstützte<br />

die »Heiligenfabric«, wie man die Heiligenpflege damals<br />

nannte, die Schule. Laut Heiligenrechnung vom 10. Mai<br />

1644 wurde »für drei Dutzend Agnus Dei 1 und Bilder zur<br />

Kinderlehr« 1 Gulden 4 Kreuzer ausgegeben.<br />

Als 1774 im österreichischen Teil des Fürstentums die Schulpflicht<br />

eingeführt wurde, baute man in Bingen das »Neye<br />

Messmer Haus«, das heute noch steht, und richtete eine<br />

Schulstube ein. Uber die Kosten der Schulstube gibt es einen<br />

Vertrag zwischen der »Bingischen Heiligenfabric« und der<br />

»Ehrsamen Gemeind Bingen«.<br />

Die ärmeren Leute bekamen auch Schulgeld von der Heiligenpflege.<br />

In der Heiligenrechnung des Jahres 1769 erscheinen<br />

folgende Eintragungen: »Dem Schuell Maister vor die<br />

armen Kindter das Schuell gelt bezalt mit 7 Gulden 4 Kreuzer«.<br />

Auch Hitzkofen hatte damals schon eine Schule, und<br />

da Hitzkofen zur Pfarrei Bingen gehörte, bekamen auch die<br />

Hitzkofer Kinder Schulgeld, allerdings nur 30 Kreuzer.<br />

Nach der Einführung der Normalschule 1780 waren dann<br />

schon bestimmte Bücher für den Schulunterricht vorgeschrieben.<br />

So zum Beispiel Abc- oder Buchstabentäfelchen,<br />

für jedes anfangende Kind ein Exemplar, Namenbüchlein mit<br />

dem kleinen Katechismus für die Buchstabierenden. In der<br />

2. Klasse unterschied man zwischen guten und schlechten<br />

Schülern. Die »schlechten Leser« bekamen nur den 1. Teil des<br />

Lesebuches, während die »guten Leser« den 1. und 2. Teil des<br />

Lesebuches und das Evangelienbuch erhielten. Beim Rechnen<br />

war es ebenso. Der 1. Teil des Rechenbuches war den<br />

besten Schülern vorbehalten. Auch die Lehrer hatten ihre<br />

Vorschriften. Sie brauchten unter anderem die katechetische<br />

Tabelle, den Kern des Methodenbuches, die Anleitung zum<br />

Schönschreiben, eine Buchstabiertafel mit gedruckten Buchstaben<br />

und eine mit geschriebenen Buchstaben, sowie eine<br />

Anleitung für die Kunst zu fragen.<br />

Als im Jahre 1809 im Fürstentum Hohenzollern-Sigmaringen<br />

das Schulwesen neu organisiert wurde, führte man die<br />

Prüfung und Beurteilung der Schulen ein. In einem Bericht<br />

über abgehaltene Schulprüfungen im Jahre 1811 im Hochfürstlichen<br />

Oberamte Sigmaringen steht über die Schule in<br />

Bingen folgendes: »Bingen - dieser Schule - einige wenige<br />

Gebrechlichkeiten abgerechnet - gebühret Lob. Die Kinder<br />

OTTO H.BECKER<br />

haben mit einer solchen Pünktlichkeit und Geschwindigkeit<br />

aus ihren Büchern weggelesen, daß man es von erwachsenen<br />

Leuten nicht besser fordern kann. Sie wußten die Reden so<br />

geschickt aneinander zu hängen, daß es eine wahre Freude<br />

anzuhören war«. Weiter heißt es: »Die Handschriften der<br />

Kinder sind zwar nicht die besten, doch sind sie lesbar. In der<br />

Rechtschreibung und in der teutschen Sprachlehre ist auch<br />

da noch eine finstere Nacht. Dagegen aber wissen sie das<br />

Christenthum so gut, daß sie nicht nur die Glaubenslehren,<br />

sondern auch sehr viele biblische Geschichten herzusagen im<br />

Stande sind«.<br />

Als die »Schulstube« im Mesnerhaus zu klein geworden war,<br />

baute man im Jahre 1843 ein Schulhaus mit 2 großen Schulzimmern<br />

an der Stelle, an der das Schulhaus heute noch steht.<br />

Wie die Schulchronik berichtet, baute man 1906 das einstöckige<br />

Schulhaus um. Die Grundmauern blieben stehen,<br />

und es wurde ein weiteres Stockwerk mit einem 3. Klassenzimmer<br />

und einer Lehrerwohnung gebaut. 1920 wurde die<br />

Schule vierklassig, und da kein weiteres Klassenzimmer vorhanden<br />

war, mußte »die untere Klasse mit ihrer Lehrerin in<br />

den Saal des Schwesternheimes übersiedeln«. In der<br />

Schulchronik steht wörtlich: »Im Frühjahr 1922 wurde mit<br />

einem Neuanbau an das Schulhaus begonnen. Es wurde außer<br />

einem 4. Klassenzimmer ein Festsaal, eine kleine Turnhalle<br />

und eine 4. Lehrerwohnung angebaut. Die Baukosten wurden<br />

zu einer Viertelmillion veranschlagt, sollten aber durch<br />

die schnell fortschreitende Geldentwertung auf etwa 3 Millionen<br />

zu stehen kommen. Die Bauarbeiten wurden fast alle<br />

von hiesigen Handwerkern ausgeführt«. Nach dem Krieg, in<br />

den Jahren 1953-1957, wurde das Schulhaus von Grund auf<br />

renoviert und eine Heizung eingebaut. Nach dem Schulentwicklungsplan<br />

wurden die Klassen 5-9 der Hauptschule<br />

Sigmaringendorf zugeordnet. Seit 1968 besteht in Bingen nur<br />

noch eine Grundschule. Eine weitere gründliche Renovierung<br />

des Schulhauses erfolgte von 1983-1985.<br />

Stark ansteigende Schülerzahlen machten zu Beginn der<br />

neunziger Jahre einen weiteren großen Schulhausanbau notwendig.<br />

Anmerkung<br />

P. Ambrosius Langenstein von Hechingen (1847-1905)<br />

Am 12. Februar 1847, also vor nunmehr genau 150 Jahren,<br />

wurde in Hechingen der bedeutende Kapuzinerpater Ambrosius<br />

(Leopold) Langenstein der Rheinisch-Westfälischen<br />

Provinz geboren. Früh verwaist und in großer Armut aufgewachsen,<br />

erlernte er das Schuhmacherhandwerk und trat danach<br />

als Ausgeher in den Dienst der Kapuziner, die sich 1863<br />

im »Klösterle« in Hechingen niedergelassen hatten. Zusammen<br />

mit diesen verließ Leopold Langenstein ein Jahr später<br />

seine Vaterstadt und fand in der Ordensniederlassung der<br />

Kapuziner in Mainz sein Unterkommen. Dort erkannte man<br />

bald die Begabung des jungen Ausgehers und bot ihm die<br />

Möglichkeit, das Gymnasium zu besuchen.<br />

8<br />

1 Agnus Dei: Ovales Wachstäfelchen mit dem Bild des Gotteslammes<br />

und dem Namen des Papstes, der es in der Karwoche weiht<br />

(Der große Herder 1952).<br />

1871 trat Langenstein in das Noviziat der Kapuziner in Dieburg<br />

(Hessen) ein, studierte anschließend Theologie in Mainz<br />

und empfing 1875 von dem damaligen Speyerer Bischof von<br />

Haneberg die Priesterweihe. Noch im gleichen Jahr legte der<br />

Neupriester die feierliche Profeß ab. Wegen des Kulturkampfes<br />

blieb der nunmehrige P. Ambrosius Langenstein<br />

OFMCap. jedoch weiterhin im Kapuzinerkloster in Mainz.<br />

Nach dem Abflauen des Kulturkampfes verfolgte die Rheinisch-Westfälische<br />

Kapuzinerprovinz auf Initiative von<br />

Pfarrer Thomas Geiselhart (1811-1891) den Plan, in den leer<br />

stehenden Gebäuden des ehemaligen Klosters Gorheim eine<br />

Niederlassung ihres Ordens, ein Fideliskloster zu gründen.


Dort sollte ferner auch das Noviziat eingerichtet werden. Als<br />

Guardian des geplanten Klosters in Sigmaringen war P. Ambrosius<br />

Langenstein von Hechingen vorgesehen.<br />

Mit großer Zuversicht reiste der Kapuzinerpater 1887 in seine<br />

hohenzollerische Heimat. Die Pläne bezüglich Gorheim erwiesen<br />

sich jedoch bald als unrealistisch: Preußen war aus naheliegenden<br />

Gründen nicht willens, ein Kapuzinerkloster<br />

samt Noviziat in der Geburtsstadt des Ordensheiligen Fidelis<br />

zu dulden. Das vorgesehene Kapuzinerkloster kam vielmehr<br />

nach Sigolsheim bei Colmar, wo dem Orden aus dem<br />

Besitz des verstorbenen Straßburger Bischofs Andreas Raeß<br />

ein geeignetes Objekt hierfür zur Verfügung gestellt wurde.<br />

P. Ambrosius begab sich im Auftrag seines Ordens 1888 nach<br />

Sigolsheim in dem damaligen Reichsland Elsaß-Lothringen,<br />

um dort das frühere bischöfliche Schloß in ein Kapuzinerkloster<br />

umzuwandeln. Vor allem mußten ein Gebäude für<br />

das geplante Noviziat und eine Kirche errichtet werden. Ersteres<br />

wurde schon im Herbst 1889 fertiggestellt. Die Konsekration<br />

der Klosterkirche erfolgte im April 1890 zu Ehren<br />

des Heiligen Antonius von Padua.<br />

Der Ordensgeistliche aus Hohenzollern stieg in Sigolsheim<br />

zum Superior auf und war seit 1889 auch der erste Guardian<br />

des neuen Kapuzinerklosters im Elsaß. Diese Funktion hatte<br />

er mit Dispens bis zum Sommer 1894 inne. Noch in seiner<br />

Sigolsheimer Zeit wurde ihm ferner die Aufgabe übertragen,<br />

die seit 1892 in Straßburg-Königshofen provisorisch untergebrachte<br />

Niederlassung der Rheinisch-Westfälischen Kapuzinerprovinz<br />

auszubauen. Dort konnte bereits im Frühjahr<br />

1894 die neu erbaute Missionsschule bezogen werden. P. Ambrosius Langenstein<br />

K f W<br />

on jjfnbun,<br />

$atron bc8 S?apual!ier=Jt(rd)feln8 mtb =JiIoftcra in ©Iflotifjolni<br />

(Dber=ei(n6).<br />

r<br />

Nach der Beendigung seiner Tätigkeit in Sigolsheim wurde<br />

P. Ambrosius Langenstein von Hechingen sodann als Superior<br />

nach Straßburg-Königshofen versetzt, wo am 1. August<br />

1895 die neu errichtete Klosterkirche zu Ehren des Heiligen<br />

Fidelis von Sigmaringen geweiht werden konnte. Im Herbst<br />

desselben Jahres wurde P. Ambrosius auch zum ersten<br />

Guardian dieses zweiten Klosters der Rheinisch-Westfälischen<br />

Kapuzinerprovinz im Elsaß bestellt. Auf Bitten des<br />

Vorstehers schenkte Fürst Leopold von Hohenzollern der<br />

Klosterkirche St. Fidelis eine Fidelisreliquie.<br />

Von 1898 bis 1900 war P. Ambrosius dann Vikar in Straßburg-Königshofen.<br />

Als Superior wurde er anschließend nach<br />

Frankfurt a. M. geschickt, wo ihm die Kirche St. Antonius<br />

anvertraut wurde. Noch im Jahr 1900 kehrte er aber erneut<br />

als Guardian nach Straßburg-Königshofen zurück. Nach<br />

Ablauf des sogenannten Trienniums kam er dann für zwei<br />

Jahre als Vikar nach Mainz, um dann im Herbst 1904 als<br />

Guardian in das Kapuzinerkloster Koblenz-Ehrenbreitstein<br />

überzusiedeln.<br />

P. Ambrosius Langenstein war seit 1887 ferner abwechselnd<br />

einer der Definitoren der Rheinisch-Westfälischen Kapuzinerprovinz.<br />

Am 22. August 1899 wurde er vom Provinzialkapitel<br />

überdies zum zweiten Generalkustoden gewählt. In<br />

diesen Funktionen gehörte er dem Regiment der Ordensprovinz<br />

in Koblenz an.<br />

Der Ordensgeistliche zeichnete sich freilich nicht nur als Führerpersönlichkeit<br />

und als »Manager« in Ordensangelegenheiten<br />

aus. Er hatte sich vor allem auch einen Namen als<br />

Volksmissionar gemacht, insbesondere im Elsaß und in<br />

Baden. Diese Aufgabe nahm er selbt dann noch wahr, als er<br />

bereits stark unter Diabetes zu leiden hatte. Im Januar 1905<br />

vertrat er einen erkrankten Pater bei einer Mission in der Diözese<br />

Mainz, von der er dann selbst schwer erkrankt wieder<br />

nach Koblenz-Ehrenbreitstein zurückkehrte. Nach acht Tagen<br />

starb er dort am 15. Januar 1905.<br />

9


In der in Hechingen herausgegebenen Zeitung »Der Zoller«<br />

vom 18. Januar 1905 und in der Sigmaringer »Hohenzollerischen<br />

Volkszeitung« des folgenden Tages erschienen noch<br />

Nachrufe auf den Verstorbenen. Danach ist dieser bedeutende<br />

Ordensmann aber in seiner Heimat schlichtweg in Vergessenheit<br />

geraten.<br />

Literaturnachweis:<br />

Fr. Gratian von Linden O. C. M. N.: Die Kapuziner im Elsaß einst<br />

und jetzt. Bilder aus dem Kapuzinerleben, zur Erinnerung an die<br />

Consercration der Kapuzinerkirche in Sigolsheim. Freiburg i. Br.l 890<br />

CHRISTIAN H.FREITAG<br />

In memoriam Theodor Bilharz<br />

In Alt-Kairo am Rande des koptisch-christlichen Viertels<br />

liegt der deutsche Friedhof- eine Oase der Ruhe, abgeschirmt<br />

durch eine hohe Mauer vom Lärm und Staub des Handwerkerbasars.<br />

Wer den Friedhof durch eine kleine Säulenhalle betritt, blickt<br />

zunächst auf die vielen Reihen Soldatengräber, Gefallene des<br />

Ersten Weltkriegs. Links und rechts schließen sich mehrere<br />

hundert Grabstellen von Deutschen an, deren Schicksal aus<br />

dem einen oder anderen Grund in Ägypten endete, sicherlich<br />

nicht selten abenteuerliche Lebensläufe (»geb. 1876 in St. Petersburg<br />

- gest. 1924 in Kairo«).<br />

Hinten links an der Mauer, im Schatten eines alten Baumes,<br />

das Grab des 1825 in Sigmaringen geborenen Forschers und<br />

Arztes Theodor Bilharz (1825-1862). Nach einem breitangelegten<br />

Studium in Freiburg und Tübingen ging Bilharz als<br />

Assistent mit seinem Lehrer, dem Internisten Griesinger,<br />

nach Ägypten und arbeitete dort unter anderem am Aufbau<br />

eines modernen Gesundheitssystems mit.<br />

In diesem Zusammenhang entdeckte er den Erreger der dann<br />

nach ihm benannten Tropenkrankheit, der Bilharziosis. Bilharz<br />

eröffnete damit den Weg zu einer gezielten Bekämpfung<br />

dieser, wie er erkannte, durch parasitierende Pärchenegel hervorgerufenen<br />

Krankheit, einer in Afrika, namentlich in<br />

Ägypten, grassierenden Volksseuche.<br />

Auf seiner Forschungsreise ins Innere Ägyptens erkrankte er<br />

an Typhus und starb 1862 in Kairo. Zunächst war sein Grab<br />

nur mit einem schlichten Stein (»geb. den 23. März 1825 Sigmaringen<br />

- gest. den 9. Mai 1862 Alt-Cairo«) gekennzeichnet.<br />

Vor kurzem ist sein Grab von einer deutsch-ägyptischen<br />

Initiative in Marmor neu gefaßt worden. Dem erhaltenen<br />

ursprünglichen Grabstein ist jetzt ein großes Memento beigegeben,<br />

auf dem neben einem bronzenen Reliefporträt die<br />

Bedeutung dieses hervorragenden Mediziners in arabisch und<br />

deutsch beschrieben ist.<br />

Abschließend heißt es: »Ägypten und Deutschland gedenken<br />

seines Lebens und Wirkens in Dankbarkeit und Verehrung«.<br />

Ein großer Sigmaringer - requiescat in Cairo.<br />

10<br />

Analecta Ordinis Minorum Capuccinorum. Vol. XXI. Romae 1905.<br />

Totenbuch der Rheinisch-Westfälischen Kapuzinerprovinz. Koblenz-Ehrenbreitstein<br />

1933.<br />

50 Jahre Kapuziner im Elsaß. 1888-1938. [Straßburg-Königshofen<br />

1938],<br />

Gedenkbuch der Toten der Rheinisch-Westfälischen Kapuzinerprovinz<br />

1854-1919 [Koblenz 1955].<br />

Karl Mors: Zur Geschichte der Franziskaner in St. Luzen (SL). In:<br />

1200 Jahre Hechingen. Beiträge zur Geschichte, Kunst und Kultur<br />

der Stadt Hechingen. Hechingen 1987. S. 161-175.<br />

Otto H. Becker, Gebhard Füßler, Volker Trugenberger: St. Fidelis<br />

von Sigmaringen. Leben - Wirken - Verehrung. Begleitveröffentlichung<br />

zur Ausstellung im Staatsarchiv Sigmaringen (Separatdruck aus<br />

ZHG 32, 1996). Sigmaringen 1996.<br />

Das neue Grabdenkmal für Dr. Theodor Bilharz in Alt-Kairo. Foto<br />

Christian H. Freitag


JOHANN ADAM KRAUS t<br />

Die Seelsorger von Owingen<br />

2. Teil<br />

37) 1605-08 Mg. Melchior Seitz von Herbertshofen (b. Ehingen),<br />

studierte 1600 in Freiburg, ging nach 3 Jahren als Kanoniker<br />

nach Hechingen und wurde dort 1612 Stadtpfarrer<br />

(vgl. von hier an: »Heimatklänge 1935,62).<br />

38) 1608-12 Mg. Stephan Strobel aus Hechingen, war<br />

1588-1605 in Hechingen Kanoniker gewesen, ging 1612 nach<br />

Grosselfingen, f 1628.<br />

39) 1612-36 Johann Wanner aus Munderkingen, ging dann<br />

nach Oberhaigerloch, wo er als Pensionär noch 1671 lebte.<br />

40) 1636-39 Mg. Jakobus Knaus (nicht Kraus!) aus Veringendorf,<br />

bisher Pfr. in Benzingen, wurde 16.4. 36 präsentiert.<br />

Nach Riegger sei er in der Kriegszeit nach Haigerloch geflüchtet,<br />

wo er 24. 3. 39 starb und bei der Unterstadtkirche<br />

sein Grab fand.<br />

41) 1639-40 half Pfr. Rudolf Fries von Stetten b. Haig. aus.<br />

42) 1640-42 Magnus Segesser aus Weildorf, blieb nur 2 Jahre<br />

und ging nach Grosselfingen.<br />

43) 1642-68 Mg. Johann Michael Herzog aus Rottenburg,<br />

war 1634 in Glatt, 1637 in Stetten b. Haig., starb am 28. 3. 68<br />

und wurde in der Weilerkirche beigesetzt (Riegger). Bei der<br />

Visitation im J. 1651 gab der Pfarrer an: »Er sei 37 Jahre alt,<br />

Priester seit 9 Jahren, studierte in Würzburg und Ingolstadt,<br />

besitze auch die Frühmesspfründe, die seit langem mit der<br />

Pfarrpfründe verbunden sei. Er habe 160 Kommunikanten<br />

(über 14 J) wozu noch etwa 100 Kinder kommen. Es sind hier<br />

2 Kirchen: die Pfarrkirche außerhalb des Dorfes, gut im Stand<br />

und mit Paramenten versehen. Die Frühmeßkirche im Unter-Dorf<br />

ist gut im Bau der sei. Jungfrau Maria geweiht. Derzeit<br />

wird hier das Allerheiligste aufbewahrt; wegen der Andersgläubigen<br />

kann dieses und der Taufstein nicht in der<br />

Pfarrkirche sein. Im Bedarfsfall weiht der Pfarrer das Taufwasser,<br />

da auch im Dorf keines ist. Das Pfarrhaus steht bei<br />

der Pfarrkirche droben außerhalb des Dorfes, ist aber am Zusammenfallen.<br />

Dem Pfarrer ist unten ein Haus zugewiesen<br />

im Dorf, das obere steht leer. Ein Frühmeßhaus ist nicht mehr<br />

vorhanden. Nur im Sommer wird der Gottesdienst an Sonnund<br />

Feiertagen oben in der Pfarrkirche gehalten, sonst unten<br />

in der Frühmeßkirche. Christenlehre ist jeden Sonntag. Einen<br />

Schulmeister gibt es nicht, auch kein Ewiges Licht vor<br />

dem Tabernakel. Früher bestand im Dorf noch eine Hl.<br />

Kreuzkapelle, die längst zerstört ist. Spuren sieht man noch<br />

davon.« Im J. 1665 erfahren wir vom gleichen Pfarrer: die<br />

Pfarrkirche sei dem hl. Georg, die Frühmeßkirche dem hl. Jakobus<br />

geweiht (Maria also nur Ehrenpatronin). (»H. Heimat«<br />

1952,46)<br />

44) Bis 1661 f Aushelfer Hans Jörg Hoffmaister aus Rottenburg,<br />

war 1646 Pfr. in Boll, 1651 Verweser in Grosselfingen.<br />

Starb vor dem 20. 11.61, wo über seinen Nachlaß verhandelt<br />

wird.<br />

45) 1668-75 Franziskus Bürg (Bürck), Beamtensohn aus Hechingen,<br />

präs. 5. April, prokl. 21. 4., invest. 21. Juli 68. Seit<br />

1668 sind die Standesbücher erhalten. 1671 wird ein Owinger<br />

Neupriester Michael Koch erwähnt.<br />

46) 1675-1718 f Johann Michael Salzhuber aus Weilheim,<br />

geb. 1644, bisher Burladingen, hier seit 3. 4. 74 bis zum Tod 7.<br />

Okt. 1718. (Sein Bruder Joh. Heinrich war 1687-94 Pfr. in<br />

Gruol, ein Jakobus S. 1683 Kaplan in Haigerloch). Vom Bischof<br />

erhielt er die Erlaubnis zum Abbruch der Frühmeßkapelle<br />

und baute statt deren die neue Pfarrkirche St. Jakob 1697<br />

(Vgl. HH 1952,46). Im Anschluß an die Kirchweihe vom 26.<br />

Okt. 1707 gibt der Pfarrer an: »Die bisherige obere Kirche im<br />

Weiler hat 3 konsekrierte Altäre: Oberster Patron ist der hl.<br />

Märtyrer Georg. Kirchweih wird am Sonntag nach Georgi gefeiert.<br />

Der Hochaltar ist geweiht zur Ehre der allerseligsten<br />

Jungfrau Maria, des hl. Georg des Evang. Johannes u. d. hl.<br />

Konrad. Der rechte Seitenaltar zur Ehre des hl. Kreuzes (offenbar<br />

wegen der ehem. Kreuzkapelle) und der hl. Sebastian<br />

und Barbara, der linke Altar hat als Patrone St. Katharina josef<br />

und Antonius von Padua. (Heimatkl. 1935,63 u. 1936,17).<br />

46a) 1717 Vikar Jakob Bulach, gb. Hechingen 1690, später<br />

1730-53 t Pfar. in Rißtissen.<br />

47) 1718-31 f Carl Anton Sartori, gb. auf Burg Hohenzollern<br />

1693 als Sohn eines fürstl. Leutnants, bisher schon hier<br />

Vikar, präs. 15. Okt., invest 4. Novb. 18. Er starb mit nur 38<br />

Jahren am 8. Aug. 31, beerd. beim Marienaltar. Am 7. Novb.<br />

1728 starb der Hüter der Weilerkirche: Eremit Johannes Essig<br />

aus Leidringen.<br />

48) 1731 Verw. Pater Wendelins aus dem Kl. St. Luzen, half<br />

dem kranken Pfarrer aus, der die Jahre zuvor einen erbitterten<br />

Kampf mit der fürstl. Kanzlei um die Freiheit der Untertanen<br />

führte.<br />

49) 1731-42 'Y Franz Anton Berger, gb. Hechingen 1696. Hat<br />

die Weilerkirche renoviert 1739. Starb am 1. Juli 42; 1737 legte<br />

er einen neuen Friedhof bei der neuen Pfarrkirche im Dorf<br />

an. (Sein Bruder Markus war 1728-57 Pfr. in Stein, dann in<br />

Steinhofen).<br />

50) 1742-63 f Josef Anton Bröchin aus Rheinfelden<br />

(Schweiz), gb. 1685, hatte 1745: 441 Kommunikanten, 60<br />

Nichtkommunikanten, zus. 501 Seelen, in jenem Jahr 14 Taufen,<br />

3 Tote, 2 Hochzeiten.<br />

51) 1753-79 Franz Ernst Kegele aus Straßburg, gb. 5. 9. 36;<br />

wurde entlassen.<br />

52) 1780-1805 f Bernhard Buochmüller aus Jungingen, gb.<br />

24. 8. 44; gestorben 15. Mai 1805.<br />

53) 1805-08 Verw. Johann Nep. Schiroth aus Hechingen.<br />

54) 1808-09 Verw. Franz Anton Reiner aus Hechingen, gb.<br />

4.X. 1766, ord. 1791, war ab 1805 in Thanheim, 1809-48 Pfr.<br />

i. Steinhofen, f 18. 3. 48 dort.<br />

55) 1809-21 Sebastian Werner, geb. Hechingen 21. Nov.<br />

1748, ord. 1773, hier seit 2. Juni 09, resigniert 1821, starb in<br />

Hechingen 10. 1. 23.<br />

56) 1821-22 f Anton Haid aus Hechingen, bisher in Hausen<br />

i. K., hier seit 26. Nov. 21, starb 13. April 1822.<br />

57) 1822-29 Ferdinand Wolfgang Funk aus Hechingen, gb.<br />

21. 8. 1782, ord. 19. 9. 05, Franziskaner in Hechingen an<br />

St. Luzen, hier seit 18. Juni 1822, 1814 Kanoniker in Hechingen,<br />

1818 Pfr. in Thanheim, ging 1829 nach Burladingen, wo<br />

er 5. 12. 1845 starb (FDA 16,338).<br />

58) 1829-58 t Josef Anton Reiner aus Hechingen, gb. 5. 6.<br />

1795, ord. 1821; hier seit 19. 5. 29, gest. 14. 4. 58. Seit 1854<br />

Aushilfe durch Jesuiten aus Gorheim.<br />

59) 1858-59 Verw. Johann Langheinz aus der Diöz. Rottenburg.<br />

60) 1859-72 Paul Kohler aus Jungingen, gb. 25. 3. 1800, ord.<br />

1826, invest. 4. Aug. 59. War vorher in Grosselfingen, war<br />

zuletzt Dekan, verzichtete auf die Pfarrei am 4. Aug. 72, zog<br />

nach Jungingen, wo er starb.<br />

61) 1872 Verw .Johann Nep. Kohler aus Haigerloch, (lebte<br />

1839-1901: FDA 1916,18).<br />

62) 1872-88 Johann Nep. Winter aus Jungngingen, gb. 11. 3.<br />

1831, ord. 1856, invest. 24. 6. 73, starb in Ostrach 1. Nov. 1911<br />

(FDA 1916,16).<br />

11


63) 1888-1905 Franz Xav. Fecht aus Krauchenwies, gb. 11.<br />

Okt. 42, ord. 1879; invest. 30. 7. 88; war dann bis 1909 in Inneringen,<br />

wo er am 23. 4. starb. (FDA 1911,46).<br />

64) 1905-07 Karl Waldner aus Langenenslingen, gb. 4. 3. 74,<br />

ord. 4. 7. 99, vorher Kaplaneiverw. Gammertingen, in Owingen<br />

seit 19. 1. 05, kam 23. 5. 07 als Rektor ins Fidelishaus Sigmaringen,<br />

1920 Studienrat am dortigen Gymnasium als Dr.<br />

theol.; starb 10. 6. 1932 (FDA 1936,31).<br />

65) 1907 Mai 23: Verw. Franz Pohl, bish. Pfr. in Sigmaringendorf,<br />

gb. 29. 1. 79, ord. 1902, kam 1907 am 28. Nov. nach<br />

Jungingen, 1926 nach Langenenslingen, wo er 8. 10. 37 starb<br />

(FDA 1941,13).<br />

66) 1907-19 Viktor Ant. Uber, gb. Sigmaringen 23. 12. 73,<br />

WOLFGANG HERMANN<br />

Was bietet die Heimat ihren »Kindern«?<br />

Streifzug durch Glatt in preußischer Zeit im 19. Jahrhundert<br />

Am 25. Juni 1995 feierte der Musikverein Glatt seine Gründung<br />

vor 70 Jahren. Den Heimatabend gestalteten alle örtlichen<br />

Vereine mit eigenen Beiträgen, und die Gesellschaft<br />

Schloß Glatt leitete mit besinnlichen Gedanken zum Thema<br />

»Heimat« ein. Im Vordergrund stand das Schicksal einfacher<br />

Leute.<br />

Andererseits kann 1995 daran erinnert werden, daß der<br />

deutsch-französische Krieg nun 125 Jahre zurückliegt. Seit<br />

1872 feierte man im neuen Reich am 2. September jeweils in<br />

Folge den »Sedans-Tag«. An diese preußische Zeit in Hohenzollern<br />

erinnerte vor wenigen Wochen eine Ausstellung,<br />

die zu den baden-württembergischen Heimattagen in Sigmaringen<br />

geschaffen wurde.<br />

An dieser Stelle sei der Vortrag vom 25. Juni 1995 in Glatt in<br />

erweiterter und vertiefter Form wiedergegeben.<br />

Heimat haben bedeutet: Wiedererkennen können und sich<br />

dadurch am rechten Platz fühlen. Für jemand aus Glatt heißt<br />

das, die einprägsamen Baulichkeiten wie Kirche, Schloß,<br />

Pfarr- und Rathaus mit geschlossenen Augen vor sich zu sehen.<br />

Heimat heißt, die Erlebnisorte von Kindheit an im Inneren<br />

bewahrt zu haben. Das schließt ein die Nachbarn, deren<br />

Häuser und Wohnstätten; Heimat umfaßt die Wege, die<br />

man nach Sulz, auf den Priorberg oder entlang der Glatt mit<br />

dem Partner nach Hopfau oder Neckarhausen gegangen war.<br />

Die persönlichen und die allgemeinen Geschehnisse prägen<br />

sich ein und formen ein inneres Bild von der Heimat. Dieses<br />

wandelt sich von Generation zu Generation. Heimat 1925<br />

hieß es vielem anders als 1995. Sieben Jahre nach dem Ende<br />

des Kaiserreiches wurde mit dem neu gegründeten Musikverein<br />

ein weiterer Bezugspunkt in der Heimat geschaffen.<br />

JOHANN ADAM KRAUS +<br />

ord. 1897, invest. 12. Dez. 07; ging nach Magenbuch, resig.<br />

1934, starb Ostrach 2. 8. 40 (FDA 1941)<br />

67) 1919-60Josef Riegger aus Schlatt, gb. 11. 3. 86, ord. 1911,<br />

invest 24. Mai 1920; Ruhestand 1960 in Burladingen, starb in<br />

Melchingen anläßl. eines Besuches: 12. April 1971. Erfolgreicher<br />

Heimatforscher!<br />

68) 1960-61 Karl Schiehr aus B-Baden, gb. 9. 12. 27, ord,<br />

1954; später Pfr. in Mundelfingen 1965, starb 21. 8. 73.<br />

69) 1961-74 Günter Langlotz aus Donaueschingen, gb.<br />

13. 11. 04, ord. 1936 als Benediktiner in Beuron; invest 1964.<br />

Ruhestand 1974 in Sasbachwalden. Baute die moderne Kirche.<br />

70) 1974, seit 13. Februar: Verw .Josef Kovacs, gb. 5. Okt.<br />

1921 in Soroksar in Ungarn, ord. 1948.<br />

Das Liedgut dieses Jahres unterschied sich sicherlich in Teilen<br />

von dem des Jahres 1914, in dem 92 Männer aus Glatt<br />

hoffnungsvoll ausmarschiert waren. 16 von ihnen kehrten<br />

nicht zurück. Deren Namen waren auch bei den ersten Musikern<br />

und Sängern verbreitet. Die häufigsten 1914 waren die<br />

Hellstern, Hummel, Kek, Maier, Müller, Säer, Schwind,<br />

Traub und Umbrecht. Am weitesten zurück ins 16. Jahrhundert<br />

lassen sich die Namen Schwind, Traub und Müller<br />

verfolgen.<br />

Es gab in Glatt wenige, die als Bauern zu bezeichnen waren.<br />

1680 wohnten hier acht Bauern- und etwa 35 Tagelöhnerfamilien<br />

1. Viele betrieben nebenher ein Handwerk, waren aber<br />

auf die Arbeiten angewiesen, die die Herrschaft, die Gemeinde<br />

oder die Bauern vergeben konnten. Die Entlohnung<br />

gab den geringsten Teil zum Leben, der eigene Garten war<br />

unverzichtbar. Ein Tagelöhner mit Haus war schon reich.<br />

1680 - ein armseliges Jahr in Glatt - hieß es vom Schultheißen<br />

Michael Zimmermann, der zum Tagelöhner heruntergesunken<br />

war, er habe »ein alt baufälliges Haus«; von Georg Hafner<br />

hieß es, er habe ein Häusel, »so alle Stund einfallen könnt«.<br />

Von Zimmermann berichtet ein Zinsbuch von 1674, daß er<br />

»ein mittleres Vermögen« habe. 1674 gab es noch eine<br />

neuneckische Herrschaft und einen Schmied und Kleinbauern<br />

namens Heinrich Bach, der Schultheiß war 2. Dessen Sohn<br />

Paul konnte jedoch in der wirren Zeit der Herrschaftsnachfolge<br />

des Geschlechts von Neuneck zu Baron v. Landsee, das<br />

Schultheißenamt nicht weiterführen.<br />

Anmerkungen<br />

1 StAS, Dep. 39/DS 27, R 75/427.<br />

2 Ebd. (Fortsetzung folgt)<br />

Aus den Visitationsakten des ehemaligen Kapitels Trochtelfingen 1574-1709<br />

(Schluß)<br />

Salmendingen den. Aushelfen muß der Pfarrer vom nahen Melchingen, der<br />

Die Pfarrpfründe hat den Grafen zu Heiligenberg als Colla- auch die Einkünfte erhält, soweit sie eingehen. Sie belaufen<br />

tor und ist zur Zeit unbesetzt, weil kein Pfarrhaus vorhan- sich von hier und auswärts auf: Geld 35 fl, die jedoch derzeit<br />

12


meist ausbleiben; Frucht vom Collator 28 Scheffel, aus Lehen<br />

und bestimmten Ackern 13 Scheffel, doch sind die meisten<br />

derzeit nicht im Bau und liefern nichts (fol. 691). Der<br />

Novalzehnt ergab dieses Jahr 4 Säcke an Früchten aller Art.<br />

Den Kleinzehnten an Heu, Hanf, Linsen, Raps, Kraut und<br />

Obst hat er ganz und weil viele Wiesen jetzt mit Getreide bebaut<br />

sind, dessen Zehnt an die weltliche Behörde fällt, wurden<br />

ihm gewöhnlich als Ausgleich 13 Säcke Getreide gegeben.<br />

Der Blutzehnte von Tieren ergibt einige Gulden. Aus<br />

Lehen und andern Gütern hat er 16 Hühnchen, 7 Hühner und<br />

240 Eier. Eigengüter besitzt die Pfarrei: 24 V2 Jauchert Waldwiesen<br />

(silvestrium) die wüst sind; Acker 13 Jauchert ebenfalls<br />

wüst, und 1 Garten. Das Pfarrhaus wurde vor 2 Jahren<br />

ein Raub der Flammen und ist, weil kein Pfarrer da, noch<br />

nicht aufgebaut. Auch haben Gemeinde und Collator noch<br />

zu wenig über den Aufbau verhandelt, da dieser als Großzehntherr<br />

sich nur baupflichtig bekennen will, wenn die<br />

Pfarrkinder nichts mehr leisten können. Neulich boten diese<br />

sich zur Hilfe bereit, ein feiles Haus aus dem Nachbarort<br />

hierherzuversetzen, wenn der Zehntherr die Kosten des Aufund<br />

Ausbaus übernehme. Es wurde alles zugesagt, aber nichts<br />

Sicheres ausgemacht.<br />

Die Kirchenfabrik ist in gutem Stand. Außer der Kirche ist<br />

hier nicht weit vom Dorf (auf dem Kornbühl) eine Kapelle<br />

der hl. Anna, einst vom Volk mit großer Andacht zahlreich<br />

besucht, jetzt aber ist sie verwaist und des Altars beraubt. Bei<br />

nächster Gelegenheit soll sie instandgesetzt werden. Die Einkünfte<br />

dieser Fabriken betrugen an Geld gegen 43 fl und 15<br />

Sack Getreide, jetzt jedoch viel weniger. Pfleger sind zwei<br />

Bauern, die ihr Amt ordentlich verwalten und vor dem Pfarrer<br />

die Rechnung stellen.<br />

Ringingen (fol. 691a)<br />

Hier besteht eine Pfarrpfründe, deren Collator der Graf zu<br />

Heiligenberg und Inhaber Herr Jakobus Böler von Melchingen,<br />

ein Jubilar, ist.<br />

Einkommen: Geldzinsen gegen 9 Pfund, jetzt jedoch fast<br />

nichts. Für einige Jahrtage 3 fl, Getreide als fixum vom Collator<br />

63 Scheffel. Die Novalzehnten wurden ihm bisher verweigert.<br />

Aus Lehen erhält er 7 V2 Scheffel. Der Kleinzehnt an<br />

Heu, Hanf, Flachs, Linsen, Bohnen, Kraut und Obst wurde<br />

einst gegen 70 fl geschätzt. Jetzt aber ist er viel geringer wegen<br />

Mangel an Bebauung, auch sind viele Wiesen umgepflügt.<br />

Den Tierzehnten erhält er wie üblich, d. h. das zehnte Hühnchen<br />

und Schweinle, und an Geld etwa 4 fl. Pfarrgüter sind<br />

JOSEF SCHULER<br />

Junginger Dorfgeschichten<br />

Eintracht<br />

Wear ka-se heit no voarschdella, wia ma voar hundert, hunderfufzg<br />

Johr ema ächthundert-Seela-Doarf wia Junginga<br />

gleabt hot, aune Eisebah, aune Auto, Bus, Traktor, sogar aune<br />

Fahrrad, vo Telefo, Radio und Fernseher will e glei gar it<br />

schwätza. A Postkutsch isch au it grad fier de arma Leit gfahra.<br />

Isch ma sich do it wia uff-era Insel voarkumma, dia ma nu<br />

mit em Ruederboot vrlassa kaa? Wenn do it alle zimmahalted,<br />

Familia, Vrwandte, Nochber, Freundschafta und Kame-<br />

es etwa 40 Jauchert Äcker, doch sind nur gegen fünf im Bau.<br />

Auch hat er einige Wiesen, die zum Teil seit Jahren von seinen<br />

Angehörigen mit Getreide bebaut werden. Er hat auch<br />

ein eigenes Haus und Garten (am Schmitterain 106) und Wiesen,<br />

die er zu verpachten pflegt. Doch liegt das Haus in Trümmern,<br />

der Pfarrer nutzt den Garten selbst. Das Haus muß<br />

vom künftigen Pächter auf Kosten des Gutes wieder aufgebaut<br />

werden.<br />

Das Pfarrhaus, das oft von Soldaten verwüstet worden, hat<br />

bisher der Pfarrer repariert, was eigentlich, wie er sagt, zum<br />

Teil der Collator tun müßte als Großzehntherr. Dieser sei<br />

auch um Hilfe gebeten worden, habe aber noch nichts getan.<br />

Die anliegende Scheuer ist ebenso zerrissen und ruinös und<br />

sollte gleicherweise mit Hilfe des Collators wiederhergestellt<br />

werden.<br />

Die Pfarrkirche ist sehr reparaturbedürftig, was aus eigenen<br />

Mitteln geschehen muß. Sie hatte einst, und hätte noch, wenn<br />

bezahlt würde, gegen 100 fl Jahreszinsen, womit die drei Pflegen<br />

zu besorgen waren. Pfleger sind zwei Bauern, die sonst<br />

vor den weltlichen Beamten und dem Pfarrer abrechnen, aber<br />

seit 3 Jahren im Rückstand blieben. Auch sollen sie die kirchlichen<br />

Geschäfte nur lässig besorgen, obgleich sie derzeit wenig<br />

Arbeit damit hätten.<br />

Außer der Kirche sind zwei Kapellen im Ort, deren eine (sti.<br />

Galli) unversehrt, die andere aber (U. Lieben Frauen) von<br />

Soldaten verbrannt ist. Sie soll aber auf Kosten des Kirchenheiligen<br />

sofort im Frühjahr wiederhergestellt werden.<br />

Jungingen (fol. 692a)<br />

Zu dieser dürftigen Pfarrpfründe mit dem Fürsten von Zollern<br />

als Collator gehören die Dörfer Jungingen mit der Pfarrkirche<br />

und Schlatt mit der Filialkirche. Wegen Priestermangels<br />

ist kein Pfarrer da seit Jahren. Auch sind die Einkünfte<br />

beiderorts gering: Geldzinsen etwa 10 fl, Getreide vom Collator<br />

22 Säcke. Den Novalzehnten hat der Pfarrer drei Jahre<br />

lang von umgebrochenen Wiesen, nachher aber der Fürst.<br />

Großzehnten bezieht er aus 46 Jauchert, doch sind die meisten<br />

unbebaut. Aus einem Pfarrlehen kriegt er'/2 Sack Frucht.<br />

Den Kleinzehnten hat er beiderorts ganz, also vom Heu,<br />

Hanf, Hülsenfrüchten, Gemüse und Obst, auch den Tieren.<br />

Einst ergab dies gegen 30 fl. Da viele Wiesen umgepflügt sind,<br />

erhält er eine gewisse Entschädigung an Frucht oder Geld. Er<br />

besitzt einen Pfarrgarten, 2 V2 Jauchert Wiesen und 6 Jauchert<br />

Äcker, die entweder die Bauern bestellen, oder dafür 4 Pfund<br />

Heller zahlen, wenn er sie selber bebaut.<br />

rada, wenn it alle um a harmonisches mitanander bemüht sind,<br />

hand-se it grad s scheschd Leaba. Wa duet ma am Feierobed,<br />

was em Sunnteg, wenn-s so guet wia koanne Verei geit ? Schlägereia<br />

sind au it grad de beschd Unterhalting. Mo se 1863 da<br />

Gsangverei gründed hand, hot dear nur »Eintracht« hoaßa<br />

kenna und isch a wichtiger Kulturträger woara em Oat. Wenn<br />

ma am Samschdegzobed zwua Schdund probed hot und<br />

nohear no gmietleg bei-ma Bier zemmasitzt, no kama a ganze<br />

lange Woch davo zehra. Und am Sunnteg am Bierdisch hot<br />

ma pletzleg vierschdimmige Lieder gheirt.<br />

13


A wichtege Persoo em Doarf isch dr Herr Lehrer gsei, dear<br />

als Reschpektspersoo glei no-em Heirle kunnt. Zua seine Uffgaba<br />

hot au dr Meßmer- und Organischda-Dienschd und s<br />

Dirigenta-Amt em Gsangverei gheirt.<br />

Mei Vatter hot villmol vrzehlt, daß dr Gsangverei mit em Lehrer<br />

Vinzenz Grotz (1892-1913) a Glückslaus zogahot. Er isch<br />

it nu a graußer Musiker, sondern a beliebter Gsellschafter gsei.<br />

So sind se oamol wieder no dr Prob gmüetleg beim »Casse«<br />

gseassa. Do schdoht dr »Glex«, - s isch schau uff de zwoa zua<br />

ganga, - pietzleg uff und sait: »Herr Lehrer, i will a Red halta!:<br />

Aber dear sieht, daß do nu dr Alkohol schwätza will,<br />

druckt en wieder uff da Schduel na und sait. »Xavere, wenn<br />

da jabbes halta witt, no halts Maul«. Doch kaum isch dia<br />

Gefahr aagwendet, schdoht a vill graißere under dr Wietschaftsdier,<br />

nämleg sei jungs Weib, dera Miene nunz Guetes<br />

vrschbricht. Se isch amol wieder wia schau öfter schloflos e<br />

iehrem Bett gleaga und hot uff iehren Maa gwated. Do kummed<br />

warn allerhand Gedanka. Und se isch entschlossa, des<br />

Buchbesprechungen<br />

Kulturlandschaft, Erbe und Auftrag<br />

Freuen wir uns über die Natur in der freien Landschaft, so<br />

ist uns nur selten bewußt, daß diese Landschaft seit Jahrtausenden<br />

vom Menschen nach seinen Bedürfnissen gestaltet<br />

wurde. Es ist keine Natur- sondern eine Kulturlandschaft. Im<br />

Hinblick auf die lange Dauer der Erdgeschichte gibt es diese<br />

Kulturlandschaft erst seit ganz kurzer Zeit. Prof. Dr. Erwin<br />

Zillenbiller hat es unternommen, das Werden und die Entwicklung<br />

der Landschaft an einem kleinen Gebiet, den Markungen<br />

Veringenstadt, Veringendorf und Hermentingen<br />

aufzuzeigen.<br />

An Hand zahlreicher instruktiver, teilweise farbiger Karten,<br />

Zeichnungen und Tabellen, wird zunächst die Erdgeschichte<br />

und die Geologie des Gebietes erläutert.<br />

Im zweiten Kapitel werden mit einer Bildfolge die Veränderungen<br />

der Landschaft durch die Kräfte der Natur gezeigt.<br />

Vor fünf Millionen Jahren verlief die Ur-Lauchert in ungefähr<br />

800 Meter Meereshöhe. Sie grub sich im Lauf der Zeit<br />

ca. 200 Meter ins Kalkgebirge ein. Während der Rißeiszeit<br />

wurde die Lauchert zu einem See aufgestaut, der sich langsam<br />

wieder einen Weg zur Donau suchte. Vor ca. 80 000 Jahren<br />

lebten hier Neandertaler, die ihre Spuren in den Veringenstädter<br />

Höhlen hinterlassen haben. Die Alb hatte damals<br />

eine Tundravegetation, Oberschwaben war noch von Gletschern<br />

bedeckt. In der Mittel- und Jungsteinzeit war die<br />

Talausformung abgeschlossen und dichter Eichenmischwald<br />

bedeckte das Gebiet. Aus dem viele Jahrtausende langen Zeitraum<br />

gibt es nur wenige Spuren menschlicher Besiedlung.<br />

Das dritte Kapitel behandelt die Veränderung der Landschaft<br />

durch Einwirkung des Menschen. Der Mensch formte die<br />

Landschaft, um seine Grundbedürfnisse, Nahrung, Bekleidung<br />

und Behausung zu befriedigen. Die Veränderung<br />

beginnt in der Bronzezeit. Um Kulturpflanzen anzubauen,<br />

mußte der Wald gerodet werden. Auch zum Bau von Häusern<br />

und für die Metallschmelze wurde viel Holz gebraucht.<br />

Die Römer brachten eine fortgeschrittene Zivilisation ins<br />

Land. Seit dem dritten Jahrhundert n. Chr. drangen die<br />

Alemannen ein; ihre Siedlungen lagen vorwiegend im Tal. In<br />

späteren Jahrhunderten folgten Ausbausiedlungen, die wiederum<br />

Rodungen notwendig machten. Weiter wird über<br />

Nahrung, Landwirtschaft, Kleidung und Wohnverhältnisse<br />

14<br />

mues anders weara! Se zuht sich aa und goht zum »Casse«,<br />

um deanna Saufbrüeder amol d Moaning z-saga, um ihna quasi<br />

a moralische Aurafeig zua vrbassa. Aber die Kerle neammed-r<br />

glei da Wind aus da Segel: »Mr seine schau fäschd uff<br />

em Hoaweag und müese nu no zahla. Weand se it no en Augablick<br />

zua aus naasitza?« Und se schbieled Kavalier und schiebed-r<br />

en Schduel unders Fiedla.<br />

Uma Dru sait dr Lehrer beiläufeg, se häne doch eigentlich hoa<br />

wella. Aber sei Gattin hot nunz gheirt. Um halba feife setztr<br />

energisch sein Huat nuf und sait: »I gang jetz hoa, dussa<br />

dämmered dr jung Dag ruf, mr miese aus jo schimma, wenna-nes<br />

jabber sieht«. Do findet au sei Weible e-d Wirklichkeit<br />

zruck, umhalsed iehren Maa und bekennt: »Vinzenz, du<br />

kaaschd künfteg fottbleiba, solang du witt. Wenn-e gwißt<br />

hett, daß es bei ui so schee isch, hett-e-de nia gscholta«.<br />

Also, wenn dees koa Eintracht isch!<br />

Um 1910, aufgeschrieben 1995<br />

berichtet. Im 12./13. Jahrhundert entstanden die Städte im<br />

Laucherttal. Der Wald wurde noch weiter zurückgedrängt.<br />

Es herrschte ein ständiger Mangel an Holz, aber auch Nahrungsmittel<br />

waren knapp und häufig gab es Hungersnöte.<br />

Eine geregelte Forstwirtschaft setzte erst im 19. Jahrhundert<br />

ein. Die verbesserte Dreifelderwirtschaft, Stallfütterung und<br />

neue Energiequellen trugen zur Hebung der Lebensverhältnisse<br />

bei.<br />

Im vierten Kapitel macht der Autor Vorschläge, wie die Landschaft<br />

in ökologischer Mitverantwortung weiterentwickelt<br />

werden kann. Die Bevölkerung des mittleren Laucherttals hat<br />

sich in den letzten 50 Jahren mehr als verdoppelt. Die Verhältnisse<br />

in der Landwirtschaft haben sich völlig verändert.<br />

Dies blieb nicht ohne einschneidende Auswirkungen auf die<br />

Landschaft. Nicht nur ausufernde Siedlung, sondern auch<br />

planlose Aufforstungen beeinträchtigen das Klima und die<br />

Landschaft. Es kann nicht darum gehen, den jetzigen Zustand<br />

um jeden Preis zu erhalten. Die geänderten Verhältnisse bringen<br />

neue Aufgaben für die Zukunft. Die Planung sollte in<br />

breiter Übereinstimmung erfolgen, um allen Interessen gerecht<br />

zu werden.<br />

Dem hervorragend ausgestatteten Buch kann man nur eine<br />

weite Verbreitung in allen interessierten Kreisen wünschen.<br />

Erwin Zillenbiller, Kulturlandschaft, Erbe und Auftrag, Entwicklungsphasen<br />

von der Natur- zur Kulturlandschaft. Verlag<br />

Regionalkultur Ubstadt-Weiher. 127 Seiten mit zahlreichen,<br />

zum großen Teil farbigen Abbildungen.<br />

Expression und Glauben.<br />

Der Künstler und Kirchenmaler August Blepp (1885-1949)<br />

Katalog zu den geplanten Ausstellungen in Balingen, Rottenburg,<br />

Rottweil und Leutkirch. Konzeption von Dr. Andreas<br />

Zekorn und Andreas Zoller mit einem Beitrag von<br />

Wolfgang Urban.<br />

August Blepp wurde am 9. Januar 1885 als Kind katholischer<br />

Eltern in Weilen unter den Rinnen bei Schömberg geboren.<br />

Sein Vater Johann Georg Blepp war Bauer und Schultheiß in<br />

Weilen, die Mutter Elisabeth Koch stammte ebenfalls aus<br />

Weilen.


Nach der Volksschule machte August Blepp eine Malerlehre,<br />

die er 1902 mit der Gesellenprüfung abschloß. Nach<br />

Gesellen- und Wanderzeit konnte er 1904 in Stuttgart die<br />

kunstgewerbliche Schule besuchen. Seit 1908 war Blepp an<br />

der Königlich Württembergischen Akademie der Künste in<br />

Stuttgart. Von den Lehrern hatte Adolf Holzel den größten<br />

Einfluß auf seine Entwicklung. Nach der Teilnahme am<br />

Ersten Weltkrieg war Blepp 1919 in Heilbronn als Zeichenlehrer<br />

tätig, arbeitete jedoch bald als freischaffender Künstler.<br />

Seit 1920 bekam er Aufträge zur Ausmalung von Kirchen.<br />

Aufsehen erregte seine ungewohnte moderne Kunstrichtung.<br />

1923/24 machte Blepp eine Reise durch Italien, wo er zahlreiche<br />

Kirchen, Museen und Ausstellungen besuchte. Neben<br />

der Monumentalmalerei in Kirchen malte und zeichnete er in<br />

seiner Werkstätte im Elternhaus in Weilen Porträts, Landschaften<br />

und »Kleinwerk«. Als Kirchenmaler hatte er bald<br />

einen Namen und bekam im Lauf der Jahrzehnte zahlreiche<br />

Aufträge. 56 Kirchen steht die Arbeit an 13 Profanbauten gegenüber.<br />

Geographisch liegt der Schwerpunkt von Blepps<br />

Arbeiten im Zollernalbkreis und der Nachbarschaft, daneben<br />

auch einige Arbeiten in Oberschwaben und im Allgäu. Neben<br />

den »großen Werken« malte er am liebsten heimische<br />

Landschaften.<br />

1949 wurde August Blepp während der Arbeit an einem<br />

Kreuzweg von einer heimtückischen Krankheit befallen und<br />

starb innerhalb von zwei Wochen. Nach dem Tod der Ehefrau<br />

setzte sich die Nichte des Malers, Frau Hildegard Streifler,<br />

für den Erhalt des künstlerischen Nachlasses ein, den sie<br />

1995 dem Zollernalbkreis übergab.<br />

Neben der Biographie von Kreisarchivar Dr. Andreas Zekorn<br />

behandelt Andreas Zoller das künstlerische Werk von August<br />

Blepp und Wolfgang Urban beschreibt die stille Revolution<br />

in den Kirchenräumen, die Bedeutung von August<br />

Blepp für den Durchbruch der Moderne in der Diözese<br />

Rottenburg-Stuttgart.<br />

Der Band enthält ein Werk- und Ausstellungsverzeichnis und<br />

ca. 80 Abbildungen, darunter 30 in Farbe.<br />

Das Buch ist erhältlich beim Kreisarchiv Balingen zum Preis<br />

von DM 27,50. Nächste Ausstellung Juni/Juli <strong>1997</strong> im Diözesan-Museum<br />

Rottenburg.<br />

Sigmaringen und das obere Donautal<br />

Der hübsche kleine Bildband zeigt das obere Donautal von<br />

Beuron bis Mengen. Der Schwerpunkt bilden sehr schöne<br />

Farbaufnahmen der »Residenz« Sigmaringen. Neben der<br />

herrlichen Landschaft des Donautals erscheinen auch die<br />

sonst weniger bekannten Teilorte wie Unter- und Oberschmeien,<br />

Jungnau und Laiz im Bild. Auch Scheer und Mengen<br />

sind zu sehen. Der dreisprachige Text macht das Buch zu<br />

einem idealen Souvenir oder Mitbringsel.<br />

Sigmaringen und das obere Donautal! 48 Seiten, 48 Farbfotos,<br />

dreisprachige Texte, fester Einband, DM 19,80. Erschienen im<br />

Silberburg-Verlag Tübingen.<br />

Meinrad Häberle, Bei- und Hausnamen in Sigmaringendorf,<br />

Ein Beitrag zur Geschichte der Gemeinde, M. Liehners Hofbuchdruckerei<br />

GmbH & Co. Verlagsanstalt, Sigmaringen,<br />

136 S.,30 Abb., 15.-DM.<br />

Als »Beitrag zur Dorf- und Heimatgeschichte« und »Illustration<br />

zur Ortschronik« wurde am 29. Oktober im Rathaus<br />

von Sigmaringendorf das Buch Meinrad Häberles über Beiund<br />

Hausnamen in der Gemeinde der Öffentlichkeit vorge-<br />

stellt. Gleichzeitig veröffentlichte der ehemalige Kreiskämmerer<br />

des Landkreises Sigmaringen hiermit sein zweites<br />

Buchwerk. Der gebürtige Sigmaringendorfer hatte sich, nachdem<br />

er als intimer Kenner die Verwaltungsgeschichte des Altkreises<br />

Sigmaringen 1925-1972 aufgearbeitet hatte, schon seit<br />

Jahren vorgenommen, sein in langer, akribischer Arbeit erworbenes<br />

Wissen zu den Übernamen und den zugehörigen<br />

Personen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.<br />

Dies gelang nun endlich dank zahlreicher Sponsoren.<br />

Seine Informationen verdankt Häberle teils dem Ortschronisten,<br />

teils stammen sie aus amtlichen Unterlagen, ein Gutteil<br />

konnte er von anderen alteingesessenen, wie der Autor<br />

betagten »Dorfern«, erfahren. Der Großteil des Materials<br />

indes entstammt seiner eigenen Erinnerung, wurden die Menschen<br />

doch früher fast nie mit ihren Familiennamen angesprochen,<br />

sondern meistens mit dem Beinamen, der sich<br />

damit besser eingeprägt hat als der Nachname, zumal bei solchen,<br />

die in einem Ort gehäuft vorkommen. In alphabetisch<br />

nach Hausname geordneten, unterschiedlich lang und gehaltvollen<br />

Beiträgen stellt er die einzelnen Häuser bzw. Geschlechter<br />

vor. Er führt die Herkunft des Namens aus, erklärt<br />

die teilweise recht humorigen, manchmal jedoch gewiß auch<br />

als unangenehm empfundenen Bedeutungen. Er schildert,<br />

sofern es sich ermitteln ließ, die Charaktere der bedeutenderen<br />

Familienmitglieder, wobei er auch Unbequemes nicht<br />

vermeidet.<br />

Als Abschluß jedes Artikels werden die Familiendaten aufgeführt,<br />

so meist Geburts- und Sterbedaten sowie die berufliche<br />

Tätigkeit der männlichen Familienmitglieder. Auffällig<br />

ist, daß die Daten der weiblichen Familienmitglieder scheinbar<br />

manchmal nicht oder nur unvollständig zu ermitteln<br />

waren.<br />

Schade, daß Häberle nicht zu jedem Übernamen die Bedeutung<br />

erklärt, zumal ihm von allen Seiten noch umfangreiches<br />

Material angeboten worden sein soll. Auch Informationen<br />

über weitere Haus- und Beinamen, die nicht im Buch aufgeführt<br />

sind sowie Etliches zu Familien und Personen, die etwas<br />

knapp abgehandelt wurden, hätte ihm noch zugetragen<br />

werden können. Indessen weist er im Vorwort ausdrücklich<br />

darauf hin, daß sein Werk keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit<br />

erhebt.<br />

Trotzdem soll die Leistung des Autors keinesfalls geschmälert<br />

werden. Nur ein Einheimischer, der die Entwicklung<br />

des Dorfes hautnah miterlebt hat, kann ein solches Werk<br />

zu Papier bringen. Somit erfüllt das Bändchen allemal den<br />

Zweck, die Haus- und Beinamen, diesen wichtigen Teil Sigmaringendorfer<br />

Tradition, nicht mit der älteren Generation<br />

sterben zu lassen, sondern an die Jugend weiterzugeben. Sie<br />

wird das Angebot des Autors nicht allein des moderaten<br />

Buchpreises wegen sicher gerne annehmen, antwortet das<br />

Werk doch auf Fragen, die von den Großeltern teilweise<br />

schon gar nicht mehr beantwortet werden können. Außerdem<br />

ist es flüssig geschrieben und setzt keine historische Vorbildung,<br />

sondern lediglich ein gesundes Interesse an der<br />

Sigmaringendorfer Vergangenheit voraus.<br />

Auf ein besonderes »Schmankerl« des Buches möchte ich<br />

abschließend noch hinweisen. Aus irgendeiner Schatztruhe<br />

hat Häberle das Gedicht »Eine Schilderung über Sigmaringendorf.<br />

Nebst Beitrag zur Hebung des Fremdenverkehrs.«<br />

hervorgezaubert. Der Urheber des originellen Werkes ist leider<br />

nicht mehr exakt ermittelbar, aber Häberle mutmaßt, daß<br />

Bürgermeister Sebastian Bettinger, der von 1890-1901 der<br />

Gemeinde vorstand, sich als Dichter versuchte. Heraus kam<br />

ein vergnügliches Gedichtlein, das nicht nur die Alteingesessenen<br />

zum Schmunzeln bringen wird.<br />

Margret Maunz, Sigmaringen<br />

15


Verlag: <strong>Hohenzollerischer</strong> <strong>Geschichtsverein</strong><br />

Karlstraße 3, 72488 Sigmaringen<br />

M 3828<br />

Postvertriebsstück. Gebühr bezahlt.<br />

Register 1996<br />

Seite<br />

Achberg - Deutscher Orden - Hohenzollern 1<br />

Max Beck, Zum Tode des Inzigkofer Heimatforschers 55<br />

Beuron, Zwischen Geschäft und Kunst, Zur Geschichte<br />

der Fotografie in der Erzabtei Beuron 24<br />

Bingen, Zur Geschichte des Eulogiuskirchleins in<br />

Bingen und andere historische Fakten 43<br />

Buchbesprechungen:<br />

Von der Diktatur zur Besatzung, Das Kriegsende<br />

1945 im Gebiet des heutigen Landkreises<br />

Sigmaringen 13<br />

Hohenzollern, herausgeg. v. Fritz Kallenberg und<br />

Landeszentrale für politische Bildung 34<br />

Die Hohenzollern, Thomas Stumm-Kuhlmann 13<br />

Das Kriegsende 1945 im nördlichen Oberschwaben,<br />

Hans Willibold 14<br />

Im Ganzen gesehen -Mensch, Medizin und<br />

Umwelt um 1800, Franz Xaver Mezlers Medizinische<br />

Topographie von Sigmaringen, Herausgeg. von<br />

Hans-Burkhard Hess 63<br />

»Schönes Schwaben«, eine Zeitschrift über Land<br />

und Leute 31<br />

Zwischen Habsburg und Hohenzollern,<br />

Verfassungs- und Sozialgeschichte der Stadt<br />

Sigmaringen im 17. und 18. Jahrhundert,<br />

Andreas Zekorn 6<br />

Wer zu Späth kommt ..., Hans-Peter Mengele 15<br />

Karl Strölin - Stuttgarter Oberbürgermeister im<br />

»Führerstaat«, Walter Nachtmann 15<br />

Ensisheim, 900 Jahre Rittergut Ensisheim 9<br />

Ensisheim »Aktion Schlößlesmühle« 12<br />

Fidelisausstellung im Staatsarchiv Sigmaringen 18<br />

Haimburg, Die Herrschaft Haimburg im Spätmittelalter<br />

56<br />

Hohenfels, Ursula von Hohenfels, Mutter von zwei<br />

Deutschordenshochmeistern, Vortrag von C. Bumiller 18<br />

<strong>Hohenzollerischer</strong> <strong>Geschichtsverein</strong>, Mitgliederversammlung<br />

1996 19<br />

Hörschwag, Die Bewohner Hörschwags um 1544 38<br />

Junginger Dorfgeschichten - Konsequent 13<br />

Junginger Dorfgeschichten - Oha! 31<br />

HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />

herausgegeben vom Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong>.,<br />

Karlstraße 3, 72488 Sigmaringen<br />

ISSN 0018-3253<br />

Erscheint vierteljährlich.<br />

Die Zeitschrift »Hohenzollerische Heimat« ist eine<br />

heimatkundliche Zeitschrift. Sie will besonders<br />

die Bevölkerung im alten Land Hohenzollern und<br />

den angrenzenden Landesteilen mit der Geschichte<br />

ihrer Heimat vertraut machen. Sie bringt neben<br />

fachhistorischen auch populär gehaltene Beiträge.<br />

Bezugspreis:<br />

Für Mitglieder des Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong>s<br />

ist der Bezugspreis im Beitrag enthalten.<br />

Bezugspreis für Nichtmitglieder DM 13,00 jährlich.<br />

Abonnements und Einzelnummern (DM 3,25)<br />

können beim Hohenz. <strong>Geschichtsverein</strong> (s. o.) bestellt<br />

werden.<br />

16<br />

Die Autoren dieser Nummer:<br />

Seite<br />

Junginger Dorfgeschichten - Isch dees Dei Minsch? 45<br />

Jungingen, Wie kam das Abendmahl von Virgil Moll<br />

nach Jungingen? 29<br />

Klöster in und um Hohenzollern Hettingen (Stift) 50<br />

Inzigkofen 37<br />

Rangendingen 37<br />

Wald 50<br />

Die Königskerze - Symbolblume der Erntezeit und<br />

uralte Garten- und Heilpflanze 39<br />

Lutz, Lütz und Dopfer, Sigmaringer Maler und<br />

Lithographendes 19. Jahrhunderts 22<br />

Meßkirch, Wann wurde die Meßkircher Stadtmauer<br />

gebaut? 29<br />

Neufra, Zum Grabmal des Ritters Albrecht Speth in<br />

Neufra 28<br />

Neufra, Nochmals zum Grabmal des Ritters Albrecht<br />

Speth in Neufra 40<br />

Owingen, Die Seelsorger von Owingen 60<br />

Plettenberg, Die ehemalige Feste Plettenberg und das<br />

Schloß Dotternhausen 20<br />

Salmendingen, Die künstlerische Ausstattung der<br />

Pfarrkirche St. Michael in Salmendingen 40<br />

Simon Schweizer, Zum Werk des Baiinger Bildhauers 59<br />

Seewies. Die Bemühungen von P. Ferdinand della Scala<br />

um die Errichtung einer Pilgerstätte in Seewies 7<br />

Sigmaringen, Dauerausstellung zum ehemaligen<br />

Fürst-Carl-Landeskrankenhaus 33<br />

Sigmaringen, Zur Geschichte des Handels- und<br />

Gewerbevereins Sigmaringen 51<br />

Straßberg, 250 Jahre »Neues Schloß« 8<br />

Straßberg, Reich an Kultur und Geschichte, Exkursion<br />

des Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong>s nach<br />

Straßberg 32<br />

Straßberg, Der Bauhof - Ein »wohlerbautes Haus«<br />

in neuem Glanz - 57<br />

Trochtelfingen, Aus den Visitationsakten des Kapitels<br />

Trochtelfingen 1574-1709 30<br />

Trochtelfingen dito 46<br />

Dr. Hildegard Wegscheider-Ziegler, Die erste<br />

Abiturientin und ein verpaßtes Jubiläum 47<br />

Dazu Leserbrief 62<br />

Gerd Bantle<br />

Hedinger Straße 5, 72488 Sigmaringen<br />

Dr. Otto H. Becker<br />

Hedinger Straße 17, 72488 Sigmaringen<br />

Christian H. Freitag<br />

Mühlweg 15, Unterm Dorf Kalkofen<br />

78355 Hohenfels<br />

Wolfgang Hermann<br />

Dettenseer Straße 10/1;<br />

72186 Empfingen<br />

Thomas Jauch<br />

Lenauweg 36, 72379 Hechingen<br />

Josef Neuburger<br />

Egelfingerstraße 27, 72511 Bingen<br />

Josef Schuler<br />

Killertalstraße 55, 72417 Jungingen<br />

Druck:<br />

M. Liehners Hofbuchdruckerei GmbH &<br />

Co., Verlagsanstalt<br />

72488 Sigmaringen, Karlstraße 10<br />

Schriftleitung:<br />

Dr. med. Herbert Burkarth,<br />

Eichertstraße 6, 72501 Gammertingen<br />

Telefon 07574/4407<br />

Die mit Namen versehenen Artikel geben<br />

die persönliche Meinung der Verfasser wieder;<br />

diese zeichnen für den Inhalt der Beiträge<br />

verantwortlich. Mitteilungen der Schriftleitung<br />

sind als solche gekennzeichnet.<br />

Manuskripte und Besprechungsexemplare<br />

werden an die Adresse des Schriftleiters erbeten.<br />

Wir bitten unsere Leser, die »Hohenzollerische<br />

Heimat« weiter zu empfehlen.


HOHENZOLLERISCHE<br />

HEIMAT<br />

Herausgegeben vom<br />

M 3828 F<br />

Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong><br />

47. Jahrgang Nr. 2/Juni <strong>1997</strong><br />

Das Haus Nr. 22 in der Goldschmiedstraße mit der Firmenaufschrift »Elias Moos« war vormals das<br />

Haus des Hoffaktors Aaron Liebmann Foto Keidel, Hechingen<br />

Die Jahresversammlung des Hohenzollerischen<br />

<strong>Geschichtsverein</strong>s ist am 29. September, 18.30 Uhr<br />

(siehe S. 19)


OTTO WERNER<br />

Aaron Liebmann (1766'-1827) von Hechingen, kaiserlich königlicher Hoffaktor<br />

Inzwischen weiß man über Madame Kauila, die bedeutendste<br />

Hoffaktorin Deutschlands in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts,<br />

und die Hoffaktorenfamilie Kauila recht gut Bescheid.<br />

Erst kürzlich erschien wieder eine Kurzbiographie<br />

über Karoline Kaulla in dem von Fritz Kallenberg herausgegebenen<br />

Band Hohenzollern (Band 23 der Schriften zur politischen<br />

Landeskunde Baden-Württembergs hrsg. von der<br />

Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg).<br />

Hofjuden oder Hoffaktoren erhielten vom Landesherrn<br />

Schutz und Hoffreiheit verliehen, wenn er sie zur Versorgung<br />

und Finanzierung staatlicher (z. B. militärischer) und privater<br />

Belange heranzog. Es ist an der Zeit, auch andere Vertreter<br />

dieses Standes darzustellen, von denen bisher kaum mehr<br />

als der Name bekannt ist.<br />

Wir möchten dieses Mal den kaiserlich königlichen Hoffaktor<br />

Aaron Liebmann zu Hechingen herausgreifen. Dies ist<br />

ein schwieriges Unterfangen, wie der aufmerksame Leser<br />

wohl abzuschätzen wissen wird.<br />

Wie stießen wir auf Aaron Liebmann? Rabbiner Dr. Samuel<br />

Mayer schreibt in seiner »Geschichte der Israeliten in Hohenzollern-Hechingen«:<br />

»(Lob) Aach war, nachdem er die<br />

Schule des R. Ezechiel Landau in Prag verlassen hatte,<br />

(Anm.21) Caulla'scher Hauslehrer geworden. Er unterrichtete<br />

aber auch andere Jünglinge wie z. B. meinen Vater Wolf<br />

Mayer und Aron Liebmann, später k. k. östereich. Hoffactor,<br />

(Anm. 22) die er veranlaßte, zu Fuß auf die Hochschule<br />

nach Prag zu reisen (1783). Solche Umstände müssen hervorgehoben<br />

werden, um zu zeigen, mit welcher Genügsamkeit<br />

und Anstrengung unsre Väter dem Studium der Theologie<br />

sich ergeben haben« 2.<br />

Wenn Aaron Liebmann etwa gleichen Alters wie Wolf Mayer<br />

war, so wäre er um 1766 geboren. Als Jüngling war er also<br />

schon in Hechingen, bekam von Rabbiner Löb Aach Unterricht,<br />

studierte 1783 (und die folgenden Jahre) bei Rabbiner<br />

Ezechiel Landau 3 in Prag jüdische Theologie. Er war wohl -<br />

wie Wolf Mayer - ein Chawer 4, der auf der Talmudhochschule<br />

den höchsten Grad vor der Erteilung der Rabbinerwürde<br />

erreicht hatte. (Auf dem Grabstein seines Sohnes Salomon<br />

im jüdischen Friedhof Darmstadt steht Zeile 6-8: »der<br />

Jüngl(ing) Salomon, Sohn des Rabbi Aharon sel(igen)<br />

A(ndenkens) aus Hechingen« 5).<br />

Er verheiratete sich mit Henriette Regensburger 6. Henriettes<br />

Vater hieß Salomon Regensburger (gest. 1795) 7, ihre Mutter<br />

war Lea Jeanette Raphael, eine Schwester der Madame<br />

Kaulla.<br />

So wundert es uns nicht, daß Aaron Liebmann zunächst Geschäftsführer<br />

des Handelshauses Kaulla in Wien war. Im Jahre<br />

1807 wurde er zum Kaiserlich Königlichen Hoffaktor am<br />

Wiener Hof ernannt 8. Von den fünf Kindern des Aaron Liebmann<br />

und der Henriette geb. Regensburger kennen wir nicht<br />

viel mehr als die Namen: Elieser, der schon als Knabe starb 9,<br />

Josephine (genannt Peppy) 10, Hannah, Caroline, Rebecca 11<br />

und Salomon 12.<br />

Aaron Liebmann stiftete in das 1803 von Madame und Jakob<br />

Kaulla gegründete Lehrhaus 1804 einen Tora-Vorhang für<br />

das Wochenfest 13. (Nach Auflösung des Lehrhauses erhielt<br />

die jüdische Gemeinde Hechingen diesen Vorhang für den<br />

Tora-Schrein in ihre Synagoge in der Goldschmiedstraße.) -<br />

FOTO 1<br />

Im Jahre 1809 starb Madame Kaulla, 1810 auch ihr Bruder<br />

und Geschäftspartner Jakob Kaulla. Der Mann ihrer Nichte,<br />

18<br />

Aaron Liebmann, stieg wenige Jahre vorher zum eigenständigen<br />

kaiserlich-königlichen Hoffaktor am Wiener Hof auf<br />

und erlangte auch in der Hechinger Judenschaft eine führende<br />

Stellung: Der Schutzbrief von 1800 erwähnt einen »Judenschultheiß«<br />

und einen »Unterschultheiß«. Ersterer wurde<br />

vom Fürst ernannt, letzterer auf Vorschlag der Judenschaft<br />

vom Fürsten >erwählt< 14. Hoffaktor Aaron Liebmann war<br />

1808 der von der Judenschaft vorgeschlagene Vorsteher, der<br />

von Fürst Hermann Friedrich Otto von Hohenzollern<br />

Hechingen (1798-1810) zum »Mitvorsteher« ernannt wurde.<br />

Vorhang für den Tora-Schrein in der Synagoge, gestiftet von der<br />

Familie Aaron Liebmann im Jahre 1804<br />

Hohenzollerische Heimatbücherei, Repro Otto Werner<br />

Erhärtet wird dies durch das Schreiben der Regierung vom<br />

26. Mai 1808 an den Judenvorsteher Isaac Emanuel Levi. Es<br />

lautet: »Nachdem Seine Hochfürstliche Durchlaucht unser<br />

gnädigster Souverain nunmehr zum Mitvorsteher der hiesigen<br />

Judengemeinde den Schutzjuden Aaron Liebmann zu<br />

ernennen gnädigst geruht haben, so wird diese höchste Resolution<br />

dem Judenvorsteher Isaac Emanuel Levi, unter<br />

Beziehung auf die für beide Vorsteher zu ertheilende weitere<br />

Instruction, hiemit eröffnet, um der gesammten Judenschaft<br />

diese Ernennung des Mitvorstehers Aaron Liebmann<br />

gehörig zu publiciren« 15. Hauptaufgaben des Judenschultheißen<br />

waren, fremde Juden von der Stadt fernzuhalten bzw.


fonbe<br />

CETiittertungen au£ bcm ©efcf)tcf)iöoeretn<br />

Veranstaltungen im 3. Quartal <strong>1997</strong><br />

Sehr geehrte Damen und Herren,<br />

liebe Mitglieder des Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong>s,<br />

ich lade Sie herzlich zur Mitgliederversammlung des<br />

Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong>s am<br />

Montag, 29. September, um 18.30 Uhr<br />

im Spiegelsaal des Prinzenbaus (Staatsarchiv) in Sigmaringen,<br />

Karlstraße 3 ein.<br />

TAGESORDNUNG<br />

1) Begrüßung, Nachrufe<br />

2) Tätigkeitsbericht des Vorsitzenden<br />

3) Tätigkeitsbericht des Schatzmeisters und Rechnungsprüfungsbericht<br />

zum 31. Dezember 1996<br />

4) Wahlen des Vorsitzenden, des Vorstandes und des<br />

Beirates<br />

5) Anträge, Verschiedenes<br />

Anträge sind dem Vorsitzenden bitte rechtzeitig zuzusenden.<br />

An die Mitgliederversammlung schließt sich um 20.15<br />

Uhr ein öffentlicher Vortrag an:<br />

Dr. Edwin Ernst Weber, Sigmaringen:<br />

Der Abriß von Schloß Hornstein im Herbst 1873 - Vorgänge<br />

und Hintergründe<br />

Mit freundlichen Grüßen<br />

Ihr<br />

Dr. Otto Becker<br />

Vorsitzender<br />

die Regierung von deren Anwesenheit zu informieren, Vorschläge<br />

über die Verteilung der jüdischen Familien auf die<br />

Stadt und auf die Friedrichstraße zu machen sowie die<br />

Judengemeinde einzuberufen und herrschaftliche wie gemeindliche<br />

Verordnungen bekanntzugeben. Weiterhin überwachte<br />

er die Synagogenordnung, die Schule, die übrige Erziehung<br />

der Jugend sowie die Einhaltung von Zucht und<br />

religiösen Sitten. Ferner oblag ihm die Kontrolle von<br />

Finanzverwaltung, Erbteilungen, Waisengeldern und Vormundschaften.<br />

Der Unterschultheiß unterstützte ihn bei diesen<br />

Aufgaben 16. Am 24. April 1811 bestätigte auch Fürst Friedrich<br />

Hermann Otto von Hohenzollern-Hechingen<br />

(1810-1838) Isaac Emanuel Levi und Aaron Liebmann als<br />

Vorsteher 17. Ein Regentenwechsel hatte erneute >Ernennung<<br />

zur Folge. Isaac Emanuel Levi wurde am 20. März 1812 »von<br />

der bisher zu allgemeiner Zufriedenheit bekleideten Vorsteherstelle«<br />

auf seine Bitte entlassen 18. Aaron Liebmann war im<br />

Jahre 1818 noch Vorsteher 19.<br />

In Zusammenhang mit der Kontinentalsperre, der durch das<br />

Dekret von Berlin am 21. 11. 1806 von Napoleon verhängten<br />

Blockade Englands, stand folgende Begebenheit: »Der Oberzoller<br />

Jacob Pfister in Hechingen hatte eine Anzeige erstattet,<br />

wonach der Judenvorsteher Aaron Liebmann im Okto-<br />

ber 1810 einen Wagen mit Kolonialwaren heimlich eingeführt<br />

hätte. In der Untersuchung gab Liebmann an, er habe die<br />

Fuhre mit 58 Ctr. Kaffee bei seiner Ankunft vor dem Hotel<br />

Löwen in Hechingen alsbald dem Kammerdirektor Baur angezeigt,<br />

der die Weisung gegeben habe, die Fuhre ungehindert<br />

passieren zu lassen. Er habe auf Veranlassung der maßgebenden<br />

Stellen statt des tarifmäßigen Zolls von 90 Gulden<br />

je Ztr, nur 50 Gulden erlegen sollen - und die Summe von<br />

2.900 Gulden bereits bezahlt. Da die Vereinbarung ohne Vorwissen<br />

des leitenden Beamten Hofrats Haid erfolgt war, mußten<br />

noch 20 Gulden je Ztr. nachbezahlt werden, so daß statt<br />

der tarifmäßigen 90 Gulden nur 70 Gulden bezahlt wurden«<br />

20. Für die Fuhre Kaffee mußte Hoffaktor Aaron Liebmann<br />

also 4.060 Gulden bezahlen.<br />

In den Stadtprotokollen der Stadt Hechingen tritt Herr<br />

Aaron Liebmann nur in Erscheinung, als es darum ging, Ausstände<br />

einzuklagen. So schuldete Matheis Koch von Hechingen<br />

nach einer Abrechnung vom 12. Februar 1819 dem kaiserlichen<br />

Hofagenten Herrn Aaron Liebmann 73 Gulden und<br />

42 Kreuzer »für früher erkaufte Wollen«. Im Einverständnis<br />

mit dem Gläubiger wurden die (beträchtlichen) Schulden »bei<br />

denen obwaltenden Umständn des Schuldners« in verzinsliche<br />

Jahresziele 21 zu zehn Gulden (erstmals zahlbar am Georgitag<br />

1820) aufgeteilt. Sollten die Jahresziele und die Zinszahlungen<br />

nicht eingehalten werden, würde »das hintersezte<br />

Unterpfand 22 des Schuldners«, das Haus des Matheis Koch,<br />

»zu Gunsten des H(errn) Gläubigers angegrifen werden«.<br />

Weiter forderte Herr Aaron Liebmann von dem Zeugmacher<br />

Fa. Michael Koch »für früher erhaltene Wolle« 198 Gulden<br />

und 25 Kreuzer. Da es dem Schuldner unmöglich war, diese<br />

Summe sofort zu begleichen, willigte der Gläubiger auch in<br />

diesem Falle darin ein, daß Fa. Michael Koch »das aufhabende<br />

Kapital« in jährlichen Zielen zu 25 Gulden zurückzahlen<br />

konnte. Die Schuld sollte unter Verpfändung der Wohnung<br />

und einer Wiese des Schuldners »im Wadel« aus dem Hauptgut<br />

abgetragen werden.<br />

Weiterhin erhob der kaiserliche Hofagent Aaron Liebmann<br />

eine Forderung von 500 Gulden gegen H. Wilhelm Klingler<br />

als Bürge des inzwischen verstorbenen Pfarrers von Stetten<br />

unter Holstein, Herrn Alois Klingler. Weil die eine Hälfte<br />

der Schuld vergangene, die andere Hälfte künftige Weihnacht<br />

fällig war, bat Herr Aaron Liebmann das Stadtgericht, den<br />

Bürgen und nunmehrigen Schuldner zur Zahlung anzuhalten.<br />

Der vorberufene Wilhelm Klingler, Bruder des verstorbenen<br />

Pfarrers Alois Klingler, bestätigte zwar seine Unterschrift<br />

auf dem Schuldschein »als Bürg, Schuldner und Selbstzahler«,<br />

schützte dagegen seine Minderjährigkeit vor und<br />

meinte, seine Unterschrift sei nicht rechtskräftig, da er sie<br />

ohne rechtlichen Beistand geleistet habe. Der Gläubiger bewies<br />

jedoch »durch die vorgelegte Handschrift«, daß ein Ziel<br />

an der Forderung an Weihnachten 1817 fällig gewesen sei, zu<br />

einer Zeit also, da Wilhelm Klingler schon »seine Majoränität<br />

... gehabt« 23 (-wie aus einem pfarramtlichen Zeugnis hervorgehe,<br />

nachdem er am 9. September 1792 geboren sei). Wilhelm<br />

Klingler habe als Bürge, Schuldner und Selbstzahler<br />

unterschrieben, als er, der Kläger, seinen Schuldschein am<br />

23. Hornung 24 1818 in das »>H(och)fürstl(iche) Aud(ienz)<br />

Prot(okoll) habe eintragen lassen. Damit sei erwiesen, daß<br />

W. Klingler damals »maijorenn« gewesen. Aaron Liebmann<br />

habe nicht angenommen, daß ein volljähriger und unbescholtener<br />

Mann eines gerichtlichen Beistands zum Abschließen<br />

eines Vertrages bedürfe; er beharre auf der bürgschaftlichen<br />

Schuldforderung. Wilhelm Klingler beteuerte,<br />

daß er den Schuldschein seines inzwischen verstorbenen Bruders<br />

nicht gelesen und »nur obenhin unterzeichnet« habe,<br />

ohne zu wissen, »warum als Bürg, Schuldner und Selbstzahler<br />

unterschrieben« und daß der Schuldschein in der Kanzlei<br />

in das Audienzprotokoll eingetragen sei. Er bat, das Stadtgericht<br />

möge diese von einem Minderjährigen begangene<br />

19


Handlung annullieren und den Herrn Gläubiger zur Ruhe zu<br />

verweisen. Das Stadtgericht schlug einen gütlichen Vergleich<br />

vor. Der Gläubiger war auch bereit, darauf einzugehen, doch<br />

der Schuldner lehnte dies ab. So erkannte das Gericht, daß<br />

die Handlung der Bürgschaftsleistung gültig und rechtskräftig<br />

gewesen und Wilhelm Klingler somit schuldig sei, dem<br />

Gläubiger die ganze Schuld in Höhe von 500 Gulden zu bezahlen.<br />

Der Gläubiger wurde »bei denen dermaligen Umständen<br />

und Unvermögen« des Schuldners auf dessen künftiges<br />

elterliches Erbe (jedoch ohne Zinsforderung) verwiesen<br />

25. Wir können nicht ersehen, woraus die Schulden des<br />

Pfarrers von Stetten unter Holstein, Herrn Alois Klingler resultieren.<br />

Hatte er bei Aaron Liebmann Geld aufgenommen?<br />

Hatte er Waren bekommen? - An den beiden anderen Fällen,<br />

die vor dem Stadtgericht verhandelt wurden, wird jedoch<br />

deutlich, daß Aaron Liebmann sowohl dem Matheis Koch als<br />

auch dem Zeugmacher Fa. Michael Koch Wolle geliefert hatte.<br />

Der Handel mit Wolle scheint eine gewichtige Rolle im<br />

Geschäftsleben des Hoffaktors eingenommen zu haben, wie<br />

ein späterer Befund noch zeigen wird. Daß er große Mengen<br />

von Kaffee einführte, haben wir bereits erfahren.<br />

Die Chronik der Stadt Hechingen berichtet, daß Hoffaktor<br />

Aaron Liebmann am 1. November 1824 zum ausgewählten<br />

Kreis der 39 Hechinger Mitglieder der Museumsgesellschaft<br />

zählte 26. Andreas Zekorn schreibt: »Die Zusammensetzung<br />

der Museumsgesellschaft spiegelt die charakteristische Struktur<br />

der städtischen Oberschicht wider: an der Gründung<br />

waren neben den Angehörigen des fürstlichen Hauses 29 Beamte,<br />

8 Bürger, unter letzteren sind Apotheker, Kaufleute<br />

und Wirte zu verstehen, sowie - für Hechingen typisch - drei<br />

Angehörige der jüdischen Gemeinde beteiligt.« Und: »Bildung,<br />

gesellschaftlicher Rang und Besitz waren die Kriterien<br />

für die Zugehörigkeit« 27.<br />

Als es im Jahre 1825 um die Gründung einer öffentlichen israelitischen<br />

Volksschule ging, erklärte Aaron Liebmann, er<br />

wolle die vier ineinanderlaufenden Zimmer in seinem neben<br />

der Synagoge (in der Goldschmiedstraße) gelegenen Haus,<br />

»welche zu einem SchulLocal Raum genug darbieten«, drei<br />

Jahre lang unentgeldlich zur Verfügung stellen. Er knüpfte<br />

daran jedoch die Bedingung, daß die Stiftungsgelder, welche<br />

bislang zum Unterricht für arme Kinder, »die zum hohen Studium<br />

vorbereitet werden« 28, nicht zur Finanzierung der israelitischen<br />

Volksschule herangezogen werden sollten. -<br />

Außerdem vertraten er, Moses Bacher und I. E. Levy die Auffassung,<br />

daß die Gemeinde keinen Fremden (Ausländer) als<br />

Lehrer aufnehmen solle. Für die beiden benötigten Lehrer<br />

dürften nicht mehr als jährlich 600 Gulden zur Besoldung<br />

ausgesetzt werden. Dies genüge, wenn die Lehrer außerhalb<br />

ihres Dienstes noch Privatunterricht erteilten. Die Besoldung<br />

sei durch das Schulgeld zu decken; die jüdische Gemeinde habe<br />

dazu keinen Beitrag zu leisten, wohl aber zur Einrichtung<br />

der Schulzimmer, für die Anschaffung von Brennholz und<br />

für die Beleuchtung, für Schreibmaterial, Bücher etc. zu sorgen.<br />

- Insbesondere schlugen sie vor:<br />

1. daß die Einrichtung zum Studium des Talmuds und der damit<br />

in Zusammenhang stehenden weiteren Bücher, »durch<br />

welches Studium die Rabbiner gebildet werden(,) fortgesetzt<br />

und mit der anderen Schulanstalt 29 nicht verbunden(,) sondern<br />

ganz für sich bestehen« solle;<br />

2. Daß eine Lehrerbildungsanstalt (neu) errichtet »und einzig<br />

die israelit(ische) Religion darinn gelehrt(,) jedoch andern<br />

Wissenschaften und Weltkenntnissen verbunden werden«<br />

solle.<br />

Darüber wollten sie sich mit den drei Deputierten der Judenschaft<br />

ins Einvernehmen setzen, »um den Erfolg hiervon<br />

zur Höchstdero Entscheidung« vorzulegen 30.<br />

Aaron Liebmann begegnet uns hierbei als toratreuer und aufgeschlossener<br />

Jude, der darum besorgt war, daß die traditio-<br />

20<br />

nellen Inhalte der Bildungsanstalten weiterhin gepflegt und<br />

die neuen (aus der Aufklärung kommenden) hinzugefügt<br />

würden. Für die Realisierung seiner Überzeugungen war er<br />

bereit, auch persönliche Opfer zu bringen.<br />

Wenige Jahre später ist Aaron Liebmann gestorben. Bei dem<br />

Grab Nr. 350 auf dem jüdischen Friedhof in Hechingen handelt<br />

es sich um sein Grab. Der Grabstein befindet sich nicht<br />

mehr an der Stelle. In der Gräberliste ist dazu vermerkt:<br />

»Aron, Sohn des Lipmann«, auf hebräisch steht darunter:<br />

Aron, Sohn des Elieser, genannt Lipmann. Als Todesjahr ist<br />

angegeben: 1827. Die Frau des Aaron Liebmann starb im selben<br />

Jahr (Grab Nr. 351). Die Gräberliste gibt an: »Hendle,<br />

Frau des ARON« - »Von den letzten Nachkommen aus dem<br />

Hause Degschow 31. gest. 26. Nissan (5)587«, d. i. der 23. 04.<br />

1827. - Es ist anzunehmen, daß der als »der weise und verständige<br />

Vorstand und Führer« (als Nr. 752 der Gräberliste)<br />

aufgeführte »ELIESER genannt LIPMANN«, »Sohn des<br />

Jakob« sein Vater war. Als Todesjahr des Elieser ist 1795<br />

angegeben 32. Sein Großvater Jakob Liebmann träte demnach<br />

im Jahre 1765 als Deputierter der Hechinger Judenschaft hervor.<br />

Nachdem die Hechinger Juden von der Herrschaft die<br />

Erlaubnis erhalten hatten, ihre »Judengrabstätt« am Galgenrain<br />

zu umzäunen, unterbreiten die Deputierten Hirsch Auerbacher,<br />

Samuel Binzwanger und Lipmann Jacob der Stadt<br />

Hechingen das Angebot, dafür jährlich an Jacobi acht Gulden<br />

zu bezahlen. Dieses Anerbieten wurde von den Deputierten<br />

des Stadtgerichts Hechingen, den Bürgermeistern 33<br />

Freudenmann und Heyd, den Richtern 34 Zachäus Hurer, Anton<br />

Ruft und Gottfried Egler angenommen 35. - Ein älterer<br />

Bruder des Aaron Liebmann dürfte der 1828 auf dem jüdischen<br />

Friedhof in Harburg bestattete Jakob Moses, Sohn des<br />

Herrn Lippmann Hechingen sein. Zu dem dortigen Grab 53<br />

lautet die familiengeschichtliche Anmerkung: »JAKOB<br />

LIPPMANN HECHINGER (1758-1828) Aus Hechingen<br />

stammend, war er der letzte fürstliche Hoffaktor im Herrschaftsbereich<br />

Oettingen-Wallerstein vor Gründung des Königreichs<br />

Bayern. Sein Patent als Hoffaktor erhielt Jakob<br />

Lippmann Hechinger 1803 aufgrund der Tatsache, >daß er<br />

sich bei allen aufgetragenen Negocien (Verhandlungen) und<br />

Geschäften treu und eifrig verwendet habeHerr< ist dabei in jener Zeit ungewöhnlich,<br />

für einen Juden äußerst ungewöhnlich, und kommt wohl nur<br />

deshalb vor, weil Aaron Liebmann Hofagent, kaiserlich königlicher<br />

Hoffaktor und sehr angesehen war.<br />

1829 war Franz Xaver Ribler 40 »Curator (= Nachlaßverwalter)<br />

der Aaron Liebmannschen Verlassenschaft«. Am 16. Oktober<br />

1829 lud er im »Wochenblatt für das Fürstenthum Hohenzollern-Hechingen«<br />

zur Versteigerung eines »an die Mittelgasse<br />

und Eselwiesen« stoßenden Gartens ein 41. Lesens-


wert ist eine Garten-Verpachtung: »Der zu dem Aaron Liebmannschen<br />

Hause gehörige und daran gelegene Garten, welcher<br />

im besten Zustande ist. und in guten Jahrgängen nebst<br />

einem reichlichen Ertrag an Gemüßen, auch noch eine kleine<br />

Ausbeute an edlen Trauben, und eine verhältnißmäßig ergiebige<br />

Aerndte der vorzüglichsten Obstsorten von Zwergbäumen<br />

hoffen läßt, wird auf ein oder mehrere Jahre vermiethet«.<br />

42 Pachtverträge hatte Aaron Liebmann in Werenwaag<br />

auf längere Zeit abgeschlossen, die nunmehr weitere<br />

zehn Jahre an die Meistbietenden versteigert wurden: Es handelte<br />

sich um eine »Sommerung« (-Sommerweide) für<br />

600-700 Schafe, eine »Winterung« für 400-500 Stück und ein<br />

Bauerngut mit Ackerfeld und Wiesen. Es wird vermerkt, daß<br />

einige Äcker bisher »sehr vorteilhaft zum Anbau der Futterkräuter<br />

benutzt« wurden 43.<br />

Eine Tochter von Aron Liebmann heiratete 1821 Koppel/<br />

Karl 44, die Tochter Caroline 1827 Abraham, Söhne des Darmstädter<br />

Hoffaktors Feist Meyer. Am 26. Februar 1830 starb<br />

im Haus 45 dieses Hoffaktors, der 17jährige Salomon, Sohn<br />

des »verstorbenen Kaiserlich Königlich Oesterreichischen<br />

Hoffactors Aron Liebmann«, der in der Meyerschen Firma<br />

vermutlich eine Lehre absolvierte 46. Der Sohn des Harburger<br />

Hoffaktors Jakob Lippmann Hechinger, Lippmann Hechinger,<br />

erhielt 1826 die Heiratserlaubnis für Pepi (-Josephine<br />

genannt Peppy) Liebmann, Tochter des Hoffaktors Aaron<br />

Liebmann in Hechingen. Die Heirat zerschlug sich jedoch<br />

1828 wegen lebensgefährlicher Krankheit der Braut 47. Nach<br />

einem Verzeichnis der jüdischen Einwohner Hechingens bewohnen<br />

Aaron Liebmanns Töchter »Peppy« und »Rebecka«,<br />

die eine ca. 26, die andere ca. 19 Jahre alt, 1831 noch das Haus<br />

Nr. 185 in Hechingen 48. - Vor dem Verkauf des Hauses im<br />

Jahre 1833 sind sie vermutlich außerhalb des Fürstentums<br />

Hohenzollern-Hechingen gezogen. Rebecca Liebmann heiratete<br />

am 3. November 1835 den prakt. Arzt Isack Röder in<br />

Laupheim, der am 15. September 1835 das Bürgerrecht in Ulm<br />

erlangte. Sie haben die Kinder Adolph (geb. am 6. August<br />

1836) und Anna Helene (geb. am 20. August 1838) 49.<br />

Im Jahre 1833 stand das Haus aus »der Verlassenschaft des<br />

längst verstorbenen Hoffaktors Aron Liebmann« in der<br />

Goldschmiedstraße (links neben der Synagoge) mit dem zugehörigen<br />

Garten auf dem Kapf zum Verkauf. Es wurde wie<br />

folgt beschrieben:<br />

»Das Haus besteht aus drei Stockwerken, und befindet sich<br />

im untern Stock: 1 heizbares Wohnzimmer, 1 Nebenzimmer,<br />

eine sehr geräumige, helle Küche nebst Speisekammer,<br />

ein großer Holzbehälter, welcher auch zu einer Stallung<br />

benutzt werden könnte, eine Wagenremise, ein großer Keller<br />

nebst Gemüse-Keller; im zweiten Stock: 4 heizbare<br />

Wohnzimmer, ein Sallon, aus dem leicht zwei angenehme<br />

Wohnzimmer zu machen wären, zwei Nebenzimmer und<br />

eine Küche; im dritten Stock: 2 heizbare Wohnzimmer,<br />

zwei Nebenzimmer, eine Küche nebst Speisekammer, mehrere<br />

Dachzimmer und Bühnen«.<br />

Der herrschaftliche Baumeister Wiest stellte fest, daß sich das<br />

Haus »noch im besten Zustande« befinde 50. Das einstige<br />

Haus des Aaron Liebmann, das später den Gebrüdern Moos<br />

gehörte, ist das Haus Goldschmiedstraße 22 in Hechingen,<br />

in dem heute die Geschäftsstelle des Vereins Alte Synagoge<br />

untergebracht ist.<br />

Anmerkungen<br />

1 Geburtsdatum unsicher.<br />

2 In: Der Orient. Berichte, Studien und Kritiken für jüdische Geschichte<br />

und Literatur, Leipzig 1844, Spalte 524.<br />

3 Rabbiner und Gelehrter, leidenschaftlicher Eiferer gegen alle<br />

Neuerungen im Judentum; gest. 1793 in Prag.<br />

4 wörtl. übersetzt »Genosse«; Ehren-Titel.<br />

5 »Haus des ewigen Lebens - Beit Hachajim«. Der jüdische Friedhof<br />

in Darmstadt (1714-1848). Darmstadt 1988, Stein 179.<br />

6 Ihre Schwester >Kaule< Regensburger war ebenfalls mit einem Hechinger<br />

Juden, mit Abraham Weil, verheiratet. In der Gräberliste<br />

(Nr. 262) und im Toten-Register (Nr. 217) wird sie Hindle bzw.<br />

Helene genannt. Sie ist 1778 geboren und am 26. Oktober 1851 gestorben.<br />

7 Salomon Regensburger war - wie Madame und Jakob Kaulla -<br />

zunächst Hoffaktor am Hof in Donaueschingen. Siehe hierzu<br />

Berthold Rosenthal, Heimatgeschichte der badischen Juden. Bühl<br />

1927, S. 169-170, und Heinrich Schnee. Die Hoffaktoren-Familie<br />

Kaulla an süddeutschen Fürstenhöfen in: Zeitschrift für Württembergische<br />

Landesgeschichte. XX. Jahrgang 1961,2. Heft, Stuttgart<br />

1962, S. 241 f.<br />

8 Wiener Staatszeitung vom 9. Dezember 1807.<br />

' 1808. Siehe GL Nr. 533.<br />

10 Geb. ca. 1805.<br />

11 Geb. ca. 1812 oder (nach anderer Quelle) am 08.03.1817.<br />

Geb. ca. 1813.<br />

13 Siehe Otto Werner, Leon Schmalzbach (1882-1942) - Lehrer und<br />

Rabbinatsverweser in Hechingen. Zeitschrift für Hohenz. Geschichte<br />

16. Band - der ganzen Reihe 103. Band - 1980, S. 143 Nr. 2.<br />

14 Julius Cramer, Die Grafschaft Hohenzollern. Ein Bild süddeutscher<br />

Volkszustände. 1400-1850. Stuttgart 1873, S. 213.<br />

15 Lagerort des Schreibens: StAS Ho 6 Nr. 497.<br />

16 Vgl. Maren Kuhn-Rehfus, Die Juden in Hechingen. Rundfunkvortrag<br />

vom 13.03.1982. SF 2.<br />

17 Hochfürstlich Hohenzollerisch. Aud. Protoc. dat. 11 ten Juni 1811,<br />

Extractus, S. 12. - Lagerort: Staatsarchiv Sigmaringen (künftig:<br />

StAS) Ho 6 A 407. - Isaac Emanuel Levi war der Sohn des 1804<br />

verstorbenen Hoffaktors Emanuel Levi.<br />

18 Schreiben der Hochfürstlich Hohenzollerischen Regierung vom<br />

20. März 1812 an die Judenvorsteher dahier. - Lagerort: StAS Ho<br />

6 Nr. 273.<br />

19 Siehe Personalien des jüdischen Lehrers und Schächters Maier Löb<br />

Ellinger. - Lagerort: StAS Ho 6 A 283.<br />

20 Karl Brauns. Die Auswirkungen der Kontinentalsperre in Hohenzollern-Hechingen.<br />

In: Hohenzollerische Jahreshefte, 13. Band<br />

1953,S. 111.<br />

21 Jahresraten.<br />

22 Als Sicherheit.<br />

23 Volljährig (= 25 Jahre alt) war.<br />

24 Februar<br />

25 Lagerort der Protokolle: SAH; Stadtgerichtsprotokolle 1818-1831,<br />

Foliant A 17.<br />

26 Hechingen 1906, S. 236. - Folgende Juden waren ebenfalls Mitglieder:<br />

Hoffaktor Bacher, J. E. Levy.<br />

27 Andreas Zekorn, Ort bürgerlicher Kultur - Die Hechinger Lesegesellschaft<br />

»Museum« in: Zollernalb-Profile 2, S. 129.<br />

28 Zur Unterstützung solcher Kinder gab es in Hechingen eine Talmud-Tora-Bruderschaft.<br />

29 Gemeint ist die öffentliche israelitische Volksschule.<br />

30 Schreiben vom 22. Mai 1825 - Lagerort: StAS Ho 6 ZR Akten<br />

Nr. 284.<br />

31 »Degschow« ist völlig unklar. - Im Index der Gräberliste kommt<br />

zweimal der Name »Regschow« vor, und zwar bei Nr. 348 und<br />

351! (Degschow dürfte also verschrieben sein und Regschow<br />

heißen). - Aber auch »Regschow« bleibt noch unklar. Lesen wir<br />

die hebräischen Zeichen R G SCH W als R G S B, so klingt der<br />

Name >Regensburg(er)< an. Eine vage Vermutung.<br />

32 Gräberliste zum jüdischen Friedhof in Hechingen. - Lagerort einer<br />

Kopie: IRG Stuttgart, RSAJ 1379.<br />

33 Die »Bürgermeister« der Stadt Hechingen hatten damals die Stellung<br />

von Beigeordneten bzw. Stadtpflegern.<br />

34 »Richter« waren Stadtverordnete oder Stadträte.<br />

35 Actum den 19. Juli 1765. - Lagerort: Stadtarchiv Hechingen (künftig:<br />

SAH), Stadtgerichtsprotokolle 1762-1766, Foliant A 12, Blatt<br />

348.<br />

36 Meir (Mario) Jacoby / Ruth Litai Jacoby / Rolf Hofmann, Jüdischer<br />

Friedhof Harburg - Schwaben (Kurzdokumentation). Stuttgart<br />

1996, S. 9.<br />

37 Siehe Schreiben der Deputierten der jüdischen Gemeinde Hechingen<br />

vom 20. August 1827 an die Höchfürstl. Hochpr. Regierung.<br />

- Lagerort: StAS Ho 6 Akten ZR 287.<br />

38 Siehe Schreiben der Deputierten der jüdischen Gemeinde Hechingen<br />

vom 17. Februar 1830 an den Durchlaucht. Souverain. - Lagerort:<br />

StAS Ho 6 Akten ZR 287.<br />

21


' Besitzerbuch B 19. - Lagerort: SAH.<br />

40 Franz Xaver Ribler (geb. 1783 in Billenhausen/Bayern) war bis<br />

1807 Klosternovize, dann Handlungsgehilfe bei dem Kaufmann<br />

Katzenbeck. Er wurde an der Hechinger Stadtschule angestellt,<br />

nachdem er von der Hechinger Regierung im Seminar Rastatt zum<br />

Lehrer ausgebildet worden war. 1816 wurde er zum Schulinspektor<br />

ernannt. Das Bürgerrecht erhielt er 1817. Er gehörte als Mitglied<br />

der Museumsgesellschaft an. Im Jahre 1829 gründete er eine<br />

Buchdruckerei in Hechingen und gab das »Wochenblatt« heraus.<br />

Er avancierte zum Hofkammerrat. F. X. Ribler starb am 10. Januar<br />

1862.<br />

41 S. 9.<br />

42 S. 17.<br />

« S. 41 f.<br />

WALTER KEMPE UND HERMANN FRANK<br />

Kalkreute und seine Vergangenheit<br />

Lage<br />

Kalkreute ist ein kleiner, noch landwirtschaftlich geprägter<br />

Flecken mit heute 107 Einwohnern. Er liegt südlich des Forstes<br />

Magenbuch, beziehungsweise des »Großen Hau«, zwischen<br />

Ostrach und Pfullendorf. Von Ostrach ist er ca. 5 km<br />

entfernt. Im Hof- und Adreß-Handbuch des Fürstenthums<br />

Hohenzollern-Sigmaringen von 1844 heißt es: »Kalkreute ist<br />

vom Amtssitz Sigmaringen und vom Amtsverband gänzlich<br />

getrennt, da die Markung vom Oberamt Ostrach und vom<br />

badischen Bezirksamt Pfullendorf eingeschlossen wird. Es<br />

liegt auf einer von zwei Seiten von Waldungen umgebenen<br />

Anhöhe«.<br />

Name<br />

In den Urkunden finden wir für Kalkreute seit 1279 Namensformen<br />

von Calcruti über Galckreutty (1448), Kalkhrütin<br />

(1491), Galgkreuthe (1595) und Galckreute (1715) bis<br />

zur heutigen Form, um nur einen Teil der verschiedenen<br />

Schreibweisen anzuführen.<br />

Namensdeutung<br />

Nach Zingeler (1896) ist der Ursprung des Namens Kalkreute<br />

nicht klar. Fauler (1965) setzte es mit dem 1125 erwähnten<br />

»Rütin bei Ostrach« gleich. In seiner Burgweiler Urkunde<br />

von 1279 jedoch erwähnte Conrad von Gundelfingen nach<br />

der Ubergabe seiner verschiedenen Güter an das Kloster<br />

Salem, in dieser Gegend sowohl Calcruti als auch Ruti(n).<br />

Stehle findet es naheliegend, den ersten Teil des Wortes Kalkreute<br />

auf Kalk, den zweiten auf Rodung (= Reute, Gereute)<br />

zurückzuführen. Allein Kalkreute liegt nicht auf einem gerodeten<br />

Kalkboden. Er trennt deshalb den Namen in Kai und<br />

gereut (= kreut) und deutete es als Kahl = Rodung (Kahlhieb)<br />

der ersten Alemannen, die hier ihre Hütten bauten.<br />

Die verwaltungsmäßige Gliederung<br />

Die Landesherrschaft<br />

Das Schicksal Kalkreutes ist seit frühester Zeit mit dem<br />

Sigmaringens und seiner Ortschaften verbunden. Im 13. Jahrhundert<br />

waren hier als Landesherren die Grafen von Sigmaringen-Helfenstein<br />

zuständig. Mit Stadt und Herrschaft<br />

Sigmaringen gelangte Kalkreute über die Grafen von Montfort<br />

um 1290 an das Haus Habsburg und teilte nun dessen<br />

Interessen und die seiner österreichischen Lande. Im 14. Jahrhundert<br />

kam der Ort mit Sigmaringen an Württemberg, 1399<br />

22<br />

44 Es handelt sich vermutlich um die Tochter Hannah. (Tritt sie auch<br />

unter dem Namen Eleonore auf?).<br />

45 Rheinstraße 1.<br />

46 Kurzbiographie zu Stein 179. Wie Anm. 5.<br />

47 StA Augsburg, Herrschaftsgericht Harburg Akt 603.<br />

48 Verzeichniß aller israelitischen Einwohner Dahier und Friedrichstraße<br />

aufgenommen den 2ten January 1831. - Lagerort: IRG Stuttgart,<br />

RSAJ 1376.<br />

49 Jüdisches Standesregister Ulm. - Lagerort einer Kopie: IRG Stuttgart,<br />

RSA J 3078. - Die familiengeschichtlichen Anmerkungen zu<br />

den Kindern des Aaron Liebmann verdanke ich Herrn Rolf Hofmann,<br />

Harburg.<br />

50 Wochenblatt für das Fürstenthum Hohenzollern-Hechingen.<br />

Vierter Jahrgang 1833, S. 52, S. 57 u. S. 64.<br />

an die Grafen von Werdenberg und schließlich 1535 an die<br />

Grafen von Hohenzollern, die 1623 von Kaiser Ferdinand II.<br />

in den Fürstenstand erhoben wurden. Österreich beziehungsweise<br />

das Haus Habsburg blieb seit dem 14. Jahrhundert<br />

übergeordnete Instanz.<br />

Das vertragliche Verhältnis der jeweiligen Inhaber der für<br />

Kalkreute zuständigen Herrschaft beziehungsweise Grafschaft<br />

zu Österreich gestaltete sich jedoch im Laufe der Jahrhunderte<br />

recht kompliziert wegen der unterschiedlichen<br />

Stufen der Besitzrechte als Pfand, Eigentum auf Zeit oder<br />

übergeordnetes Lehen.<br />

In diesem Rahmen spielte nun der Ort Kalkreute eine besondere<br />

Rolle. So gibt uns Georg Weiß, Pfarrer von Ostrach,<br />

1593 in der Beschreibung seiner Pfarrei Aufschluß über die<br />

damaligen Verhältnisse in Kalkreute: Die niedere und hohe<br />

Obrigkeit (Gerichtsbarkeit) dieses Fleckens gehört meinem<br />

gnädigen Herrn Carl, Grafen zu Sigmaringen, aber das ganze<br />

Eigenthum (Grundbesitz) anderen Herrschaften. In diesem<br />

Flecken ist auch ein Filial-Kirchle der Pfarr Ostrach. Der<br />

Groß-Zehnt daselbst allenthalben gehört meinem gnädigen<br />

Herrn von Salem allein, der Klein-Zehnt dem Pfarrer zu<br />

Ostrach. Der Klein-Zehnt beträgt 24 Gulden 52 Kreuzer.<br />

Als 1611 alle, bisher Sigmaringen gehörende hohe, forstliche<br />

und geleitliche Obrigkeit im Amt Ostrach an das Kloster<br />

Salem verpfändet wurde, waren die nicht-salemischen Dörfer<br />

in diesem Vertrag nicht mit einbegriffen. So war Kalkreute<br />

schon 1604 aus seinen mit Ostrach gekoppelten Verpflichtungen,<br />

dem sogenannten Reisverhältnis, gelöst worden und<br />

bezahlte hierfür gesondert Abgaben in Höhe von 60 Gulden.<br />

Dieses Reisverhältnis hatte zuvor das Amt Ostrach zusammen<br />

mit Rosna und Kalkreute verpflichtet, im Kriegsfälle<br />

einen Reiswagen mit drei starken Rossen und Fuhrknechten<br />

zu stellen, sowie ein Reisgeld zu zahlen.<br />

Wie sorgfältig von den verschiedenen Parteien die Wahrung<br />

der ihnen zustehenden Rechte überwacht wurde, zeigt ein<br />

Vorfall aus dem Jahre 1672. Bei der Überführung der Leiche<br />

der Elisabetha Gremiich, aus dem bekannten Pfullendorfer<br />

Adelsgeschlecht der Gremiich, auf den Friedhof des Wilhelmitenklosters<br />

in Mengen, passierte der Kondukt auch<br />

Kalkreute. Der Fürst von Sigmaringen erhob im Nachhinein<br />

Protest, wahrscheinlich wegen der Geleitfrage, denn Kalkreute<br />

unterstand ja seiner Jurisdiktion.<br />

Im 18. Jahrhundert wurde dann Kalkreute als getrenntes<br />

Pfand- beziehungsweise Kaufobjekt gehandelt. So erhielt Abt<br />

Stephan von Salem um 1715 mit Einverständnis von Kaiser


Karl VI. unter anderem das zur österreichisch-lehnbaren<br />

Grafschaft Sigmaringen gehörige Dörfle Kalkreute, soviel<br />

daran Sigmaringen an verschiedenen Obrigkeitsrechten<br />

zustand. Österreich begab sich jedoch nicht jeglichen Einflusses<br />

und behielt sich das Steuerrecht (jus collectandi) vor.<br />

Das Haus Hohenzollern versuchte in den folgenden Jahren,<br />

Kalkreute wieder zurückzugewinnen, jedoch ohne Erfolg.<br />

Später datierte Lehensbriefe, wie der von Kaiserin Maria Theresia<br />

vom 24.5.1743 für Abt Constantin von Salem, führten<br />

Kalkreute neben dem Amt Ostrach auf. Trotz diesem wechselnden<br />

Einfluß durch Verpfändungen, Verkäufe von Rechten<br />

und gerichtliche Auseinandersetzungen, gelang es Österreich,<br />

in Kalkreute bis zum Ende des Heiligen Römischen<br />

Reiches Deutscher Nation im August 1806, Ansprüche geltend<br />

zu machen. Bei der Aufhebung der Klosterherrschaft<br />

Salem im Jahre 1803 und der Zuweisung der Herrschaft, beziehungsweise<br />

des Oberamtes Ostrach an den Fürsten von<br />

Thum und Taxis, beschlagnahmte Österreich den Ort Kalkreute<br />

aufgrund seiner noch verbliebenen sogenannten<br />

fiskalischen Heimfallrechte. Erst 1806 kam der Ort dann an<br />

das Fürstentum Hohenzollern-Sigmaringen.<br />

Im Jahre 1850 wurde Kalkreute mit Hohenzollern preußisch.<br />

Unter der preußischen Regierung in Sigmaringen erfolgte die<br />

Verwaltung Kalkreutes vom Oberamt Ostrach aus. Nach<br />

dessen Auflösung 1862 war wieder das Oberamt Sigmaringen<br />

zuständig. Schließlich kam es 1925 mit diesem zum Landkreis<br />

Sigmaringen, der bis 1945 preußisch blieb.<br />

Seit der Gemeindereform von 1974/75 zählt es ab 1.1.1975 als<br />

Teilort zur Gemeinde Ostrach im Landkreis Sigmaringen des<br />

Landes Baden-Württemberg.<br />

Das Wappen<br />

Kalkreute hatte früher kein eigenes Wappen. Das hier abgebildete<br />

wurde am 10.4.1958 durch das Innenministerium von<br />

Baden-Württemberg verliehen. Es zeigt im roten Feld einen<br />

goldenen Abtstab, um dessen Schaft der goldene Buchstabe<br />

»S« geschlungen ist und einen stehenden goldenen Hirsch.<br />

Der Abtstab mit dem Buchstaben S (=Salem) soll auf den<br />

Einfluß und die Rechte des Klosters Salem vom 13. Jahrhundert<br />

bis 1803 in Kalkreute hindeuten, der Hirsch auf die jahrhundertelange<br />

Zugehörigkeit zur Grafschaft Sigmaringen.<br />

Nach der Eingemeindung nach Ostrach ist nun das Ostracher<br />

Wappen gemeinsam, das 1978 vom Landratsamt Sigmaringen<br />

erneut verliehen wurde.<br />

Steuerliche Bestandsaufnahme im fahre 1682<br />

Für die vorderösterreichischen Gebiete, zu denen Sigmaringen<br />

und mit ihm Kalkreute gehörte, wurden die Steuerverpflichtungen<br />

in den Jahren 1573, 1588, 1591 und 1620 neu<br />

geregelt. Durch den Dreißigjährigen Krieg hatte sich jedoch<br />

so viel geändert, daß man 1680 die Grundlage für eine andere<br />

(neue!) Besteuerung schaffen mußte. Beim schwäbischen<br />

Kreistag in Ehingen/Donau wurde deshalb beschlossen,<br />

4 Kommissäre zu einer Bestandsaufnahme in die einzelnen<br />

Herrschaftsgebiete reiten zu lassen, genannt »Universalsteuerbereitung«.<br />

Die zuständigen Beamten und Vertreter der<br />

Gemeinden hatten 15 Fragen zu beantworten.<br />

Als am 29. Mai 1682 die Kommissäre nach Sigmaringen kamen,<br />

waren als Vertreter der Gemeinde Kalkreute der damalige<br />

Schultheiß Matthäus Hübschle und Joseph König anwesend.<br />

Nach ihren Angaben hatte Kalkreute damals 7 steuerpflichtige<br />

»ganze« Bauern und 5 Taglöhner ohne Bürgerrechte,<br />

darunter 1 Weber, 1 Schneider und 1 Schmied. Es sind<br />

12 Häuser, beziehungsweise Höfe registriert. Diese Höfe sind<br />

mit wenigen Ausnahmen Schupflehen, das heißt sie wurden<br />

von den Grundherren auf Lebenszeit vergeben. Es waren 11<br />

Pflüge vorhanden, die man jedoch nicht alle benötige. Bespannt<br />

werden die Pflüge mit je 4-5 Rossen. Ein guter Bauer<br />

bebaut 58-60 Jauchert (1 Jauchert = ca. 42,48 ar), der mittlere<br />

30-34 Jauchert, der geringere 14-26 Jauchert.<br />

In den drei Öschen gehören 203 Jauchert zu den Schupflehen<br />

und 68 Jauchert zu dem Eigengut. Hiervon wurden 30<br />

Jauchert von der Stadt Pfullendorf für je 11 Gulden 15 Kreuzer<br />

aufgekauft. Ein genaues (geeichtes) Maß ist in Kalkreute<br />

nicht vorhanden. Aus 100 Garben erhalten sie in guten Jahren<br />

4, in schlechten Jahren 3 Malter Frucht Pfullendorfer Maß<br />

(1 Pfullendorfer Malter = ca. 500 1). Die Gartenflächen betragen<br />

4 1/2 M. (M bedeutet wahrscheinlich Mannesmahd,<br />

ein dem Jauchert beziehungsweise Morgen entsprechendes<br />

Wappen von Kalkreute,<br />

1958 vom Innenministerium Baden-Württemberg verliehen.<br />

Flächenmaß dieser Zeit für Wiesen und Gärten), die einmähdigen<br />

Wiesen 77 M., alles Schupflehen. Nur 3 M. sind Privateigentum.<br />

Wie schon 100 Jahre zuvor, gehört 1682 der Zehnte dem<br />

Kloster Salem. Abzuliefern sind ca. 1000-1400 Garben, je<br />

nach Güte des Jahres.<br />

Nach weiteren Angaben über Ehrschatz (Kaution), Gülten,<br />

Pflichtfahrt zum Bodensee (Seefahrt genannt), Hofzins, Steuern,<br />

Frongeld und dergleichen, wird für die österreichische<br />

Steuer zugrunde gelegt: für 1 Jauchert Eigentum 4 Kreuzer,<br />

für 1 Jauchert Lehen 2 Kreuzer, ebenfalls für die Wiesen, Pferde<br />

und Zugtiere sind mit 4 Kreuzern zu bewerten.<br />

Der beste Bauer hat bis zu 16 Stück Vieh, der mittlere und<br />

kleine je 10 Stück. Insgesamt finden sich in Kalkreute 1682<br />

53 Stück Zugvieh und 35 Stück Milchvieh. Schulden hat die<br />

Gemeinde 280, die Privaten 510 Gulden, außerdem noch<br />

laufende Schulden. Von der Herrschaft erhalten sie das<br />

Brennholz. Als Weide steht die schlechte Waldweide der<br />

salemischen Wälder zur Verfügung.<br />

Die genaue Einwohnerzahl von Kalkreute in diesem Jahr<br />

1682 ist nicht angegeben. Wenn wir von den 12 Häusern, beziehungsweise<br />

Höfen und deren Besitzer, den 7 Bauern und<br />

5 Taglöhnern ausgehen und jeweils 3-5 Familienangehörige<br />

hinzurechnen, dürfte es sich um etwa 50-70 Einwohner gehandelt<br />

haben. 1844 jedenfalls waren es 95 Einwohner bei<br />

jetzt bereits 37 Gebäuden, 1875 125 Einwohner und 44 Gebäude,<br />

außerdem 46 Pferde, 228 Stück Rindvieh, 67 Schweine<br />

und 13 Ziegen. Auch Bienenzucht wurde eifrig betrieben,<br />

es gab 21 Bienenstöcke. Die Post wurde vom Landbriefträger<br />

in Ostrach zugestellt.<br />

Kalkreute im 18. und 19. Jahrhundert<br />

Wechselnde Zuständigkeiten, besonders im 18. Jahrhundert,<br />

machten bei vielen Ereignissen die Sonderstellung der Gemeinde<br />

deutlich. Sigmaringen beanspruchte 1701 die hohe<br />

23


Gerichtsbarkeit auf den Felder von Kalkreute »nur soweit der<br />

Zwing und Bann (die Markung) des Ortes ging«.<br />

Sigmaringen wollte 1709 den Einwohnern von Kalkreute nur<br />

erlauben, das Wild von ihren Feldern mit kleinen Hunden,<br />

nicht aber mit angelegten Prügeln wegzutreiben. Salem<br />

dagegen widersprach dem und berief sich auf die österreichische<br />

Forstordnung, nach der auch kleine Prügel erlaubt seien.<br />

Im Jahre 1733 wurde Kalkreute als vollkommen abgesonderte<br />

Gemeinde mit separatem Recht vom Beitrag zur Schießstatt<br />

(sie lag an der heutigen Schießstattstraße) in Ostrach befreit,<br />

ebenso von der Besoldung der Hebamme und den Kosten für<br />

das Feuerhaus. Da Kalkreute 1756 hiernach 100 Gulden für<br />

die vom salemischen Amt Ostrach gekaufte Feuerspritze zahlen<br />

sollte, suchte man Hilfe bei Sigmaringen, wurde aber von<br />

Salem, das jetzt zuständig war, gestraft und gab seinen Fehler<br />

zu. Salem hatte hier seit 1743 wieder für einige Zeit größere<br />

Rechte erhalten. Nach österreichischer Verfügung sollten<br />

die Kalkreuter 1766 bei der österreichischen Feuerversicherung<br />

versichert werden. Nach einer weiteren österreichischen<br />

Verfügung von 1770 konnten die Sigmaringer Mediat-Orte,<br />

zu denen Kalkreute zählte, nur an österreichische Gerichte<br />

appellieren. Diese Verfügung wurde vom Sigmaringer Kassier<br />

der Gemeinde übersandt und vom salemischen Oberamtmann<br />

zu Ostrach bestätigt.<br />

Wie es nach der Schlacht bei Ostrach 1799, bei der ein österreichisches<br />

Heer am 21. März unter Erzherzog Karl im zweiten<br />

Koalitionskrieg gegen eine französische Armee unter dem<br />

General Jourdan kämpfte, in Kalkreute ausgesehen hat, erfahren<br />

wir aus dem Tagebuch des Salemer Conventualen<br />

Pater Karl Wächter, damals salemischer Beauftragter in<br />

Ostrach. Nachdem er am 8. Mai 1799 mit Michael Kohlhund<br />

von Ostrach nach Pfullendorf gefahren war, um dort die kläglichen<br />

Reste Früchte (Getreide) vom Pfleghof zu holen, kam<br />

er um 12 Uhr nach Kalkreute. Hier hielt er Rat mit den Verantwortlichen<br />

der Gemeinde. Durchmarschierende Truppen<br />

und Einquartierungen hatten im Ort allerhand Schaden angerichtet.<br />

Es herrschte eine große Unordnung, zu der auch<br />

der neue Marschkommissär in Pfullendorf beigetragen hatte.<br />

Zwei Tage später fuhr Pater Wächter zu den Herren Hofräten<br />

nach Sigmaringen und wurde wegen der Probleme in<br />

Kalkreute vorstellig. Über das Ergebnis wird von ihm allerdings<br />

nichts gesagt. Am 23. Mai war er wieder in der<br />

Gemeinde Kalkreute und erbot sich, Rücksprache bei den<br />

Heiligenberger Herren zu nehmen, die für die Burgweiler<br />

Lehenswiesen zuständig waren. Offenbar machte man den<br />

Bewohnern Schwierigkeiten bei der Nutzung dieser außerhalb<br />

ihrer Markierung liegenden Wiesen. Pater Wächter<br />

besichtigte dann am 26. Mai die Wiesen mit dem Kalkreuter<br />

Gemeindeausschuß und einigen Bauern aus Spöck.<br />

Die Kalkreuter Einwohner wurden auch weiterhin in Atem<br />

gehalten, als man im August dieses Jahres 1799 russische<br />

Truppen zur Einquartierung ansagte. Nach Kalkreute sollte<br />

1 Escadron, deren 2 nach Spöck kommen. Auch hier setzte<br />

sich Pater Wächter ein. Er ging sofort nach Spöck und Kalkreute,<br />

wo er die Russen »ausbot« was vermutlich bedeutet,<br />

daß er sie zum Weiterziehen veranlassen konnte.<br />

Wenige Jahre später führte Napoleon auf der Höhe seiner<br />

Macht die sogenannte »Flurbereinigung« durch. Drei Staatsgrenzen<br />

entstanden 1806 in unserem Gebiet durch die Bildung<br />

der drei souveränen Staaten Fürstentum Hohenzollern-<br />

Sigmaringen, Großherzogtum Baden und Königreich Württemberg.<br />

Kalkreute gehörte nach wie vor zu Hohenzollern-<br />

Sigmaringen.<br />

Die Kriegszeiten, sie dauerten bis ins Jahr 1815 und die anschließenden<br />

Hungerjahre Jahre 1816 und 1817, hatten viel<br />

Not und Elend gebracht. Jetzt nahmen sich Diebesbanden<br />

Entwurzelter ein Beispiel am ungezügelten Leben der durch-<br />

24<br />

ziehendenen Soldaten und machten ganz Oberschwaben<br />

unsicher.<br />

Um 1818 trat die bekannte Bande des Xaver Hohenleiter, genannt<br />

der Schwarze Vere, besonders in Erscheinung und<br />

nahm häufig Quartier im Pfullendorfer Wald. Hier konnten<br />

sie schnell über die kaum kontrollierten Staatsgrenzen wechseln<br />

und sich so der Verfolgung entziehen. Treffpunkte waren<br />

das alte Wirtshaus von Spöck und der Schlößlehof. 1819 hielten<br />

sich einige Mitglieder der Bande auch in Kalkreute auf.<br />

Am 16.4.1819 gelang es dem Forstpraktikanten Heinrich<br />

Langen aus Königseggwald in der Nähe der Laubbacher<br />

Mühle den schwarzen Vere und einige Mitglieder seiner Bande<br />

festzunehmen. Heute erinnert eine Tafel an dieser Stelle<br />

daran. Die übrigen Bandenmitglieder wurden nach und nach<br />

gefaßt. Danach stabilisierten sich die Verhältnisse wieder. Der<br />

Schwarze Vere verlor durch einen Blitzschlag im Ehinger<br />

Turm in Biberach am 20. Juli 1819 sein Leben. Die übrigen<br />

wurden zu Zuchthausstrafen verurteilt. Sie waren Räuber,<br />

aber keine Mörder. Als letzter von ihnen starb am 16. Januar<br />

1878 Joseph Anton Jung, in der Bande als der »Condeer«<br />

bekannt. Seine lebenslängliche Strafe war ihm anläßlich des<br />

25jährigen Thronjubiläums von Württemberg nach 23 Jahren<br />

Haft erlassen worden.<br />

Straftaten Einzelner wurden in den nächsten Jahrzehnten im<br />

Fürstlichen Oberamt Sigmaringen durch das Fürstliche Hofgericht<br />

geahnet. Als höhere Instanz sprach bei Einsprüchen<br />

das Königlich Württembergische, durch Staatsvertrag gleichzeitig<br />

Fürstlich Sigmaringische Obertribunal in Stuttgart, das<br />

Urteil.<br />

Noch 1838 wurden Todesurteile durch Enthauptung mit dem<br />

Schwert ausgesprochen, jedoch nicht vollzogen. Bekanntlich<br />

wohnte der letzte Scharfrichter Hohenzollerns in Lausheim,<br />

der in solchen Fällen das Urteil zu vollstrecken hatte.<br />

Die Grundherren und ihre Güter in Kalkreute<br />

Eine wesentliche Rolle im Alltag der Einwohner spielten die<br />

Grundherren als Eigentümer der Höfe. Sie verfügten oft auch<br />

über die richterliche Gewalt bei ihren Untertanen, die sogenannte<br />

niedere Gerichtsbarkeit. Die hohe Gerichtsbarkeit,<br />

besonders über Leben und Tod, war, wie wir sahen, dem Landesherrn<br />

vorbehalten.<br />

Die meist nicht in Kalkreute lebenden Eigentümer gaben ihre<br />

Güter als Lehen zur Bewirtschaftung an abhängige Bauern<br />

oder Söldner. Die Söldner (auch Seidner oder Häußler)<br />

betrieben oft noch ein Handwerk, zum Beispiel als Weber,<br />

Schneider, Schmied, Wagner oder sie waren Holzhauer oder<br />

Erntearbeiter, kurz Taglöhner.<br />

Im Laufe der Jahrhunderte konnten die Untertanen auch<br />

einen gewissen Eigenbesitz nebenher erwerben, selbst außerhalb<br />

der Gemarkung, wie zum Beispiel als Einwohner Kalkreutes<br />

auf der Markung Burgweiler. Hier wurden sie in den<br />

Grundbüchern, den sogenannten Urbaren, als Fremde geführt.<br />

In der Zeit des wirtschaftlichen und politischen Niedergangs<br />

des Adels, besonders in der2. Hälfte des 13. und in der 1. Hälfte<br />

des 14. Jahrhunderts, erwarb das aufstrebende Kloster<br />

Salem eine Reihe von Besitzungen in Kalkreute. Verkäufer<br />

waren meist Ritter oder sonstige Adelige und Freie. Neben<br />

dem Kauf spielten auch Schenkungen an das Kloster »um des<br />

Seelenheils willen« eine Rolle.<br />

Grundeigentümer in vorsalemischer Zeit<br />

Falls Kalkreute identisch ist mit »Rütin« bei Ostrach, einiges<br />

spricht dafür, dürfte dort ein Hezelo schon 1125 sein Gut im<br />

Tausch an das Kloster Reichenau übergeben haben. Es wäre<br />

dann die erste urkundliche Erwähnung des Ortes.


Um 1279 besaß Ritter Conrad von Gundelfingen die Burg in<br />

Burgweiler mit vielen Ländereien im Einzugsbereich. Darunter<br />

waren auch Güter in Kalkreute. Einen Teil davon hielt<br />

er als Lehen des Klosters Zwiefalten, das schon vorher, wie<br />

zum Beispiel in Ostrach um 1137, Besitz von Adeligen und<br />

Freien erworben hatte. Durch die Hand des Bischofs von<br />

Konstanz gingen Rechte und Interessen, ebenso wie bei Conrad<br />

von Gundelfingen, an das Kloster Salem über.<br />

Ritter Heinrich von Dettingen besaß 2 Güter in Kalkreute,<br />

die 1290 von seinen Eigenleuten Konrad von der Vurholzen<br />

und der Familie Hermann Abelin bewirtschaftet wurden.<br />

Auch der Ostracher Ortsadelige Eggehard von Ostrach hatte<br />

vor 1298 Lehensbesitz in Kalkreute, den er mit Einverständnis<br />

seines Lehensherrn, Ritter Ulrich von Bodman, an<br />

Salem verkaufte. Die mit Eggehard verwandten Gebrüder<br />

Swende, verzichteten 1312 auf ein Kalkreuter Gut zugunsten<br />

des Klosters Salem. Conradus, Kirchherr von Magenbuch<br />

schenkte 1327 seine Rechte an Gütern und dem Zehnten zu<br />

Kalkreute dem Kloster. Schließlich verkaufte auch Ritter<br />

Heinrich von Beuren den Mönchen sein Gut zu Kalkreute,<br />

das Konrad Kaltinger zu Lehen hatte.<br />

Weitere Grundherren außer dem Kloster Salem<br />

Auch andere kirchliche Einrichtungen, vor allem solche der<br />

Freien Reichsstadt Pfullendorf hatten Besitz und Rechte in<br />

Kalkreute. Als Eigentümer von Leib- und Schupflehensgütern<br />

in Kalkreute finden wir von den 16 kirchlichen Pfründen<br />

beziehungsweise Beneficien Pfullendorfs unter anderem<br />

1382 die Altarpfründe St. Peter und Paul, 1383 das Spital<br />

selbst, 1423-1785 die St. Jodokus-Pfründe, 1665 das Bodmer'sche<br />

Beneficium zu Maria Schray, 1757 die Priesterschaft<br />

Pfullendorf und 1767-1785 die Klosterfrauen zu Pfullendorf.<br />

Mit letzteren sind wohl die Dominikanerinnen des »löblichen<br />

Gottshaus Maria der Englen« gemeint. Als Klosterfrau dieses<br />

Ordens wurde aus Kalkreute Fr. M. Maria Hübschle genannt.<br />

Außer diesen Pfullendorfer Eigentümern erhielt zum Beispiel<br />

1490 die Frühmeßpfründe Ostrach Besitz in Kalkreute, 1727<br />

gehörte hier der halbe Hof des Michel Hübschle dem Kapellenfonds<br />

Mariahof bei Illwangen.<br />

Die Straßennamen und die drei Salemer Güter im Jahre 1465<br />

Aus der Güterbeschreibung der 3 Höfe, die 1465 dem Kloster<br />

ganz gehörten, erfahren wir, daß es in Kalkreute schon<br />

Straßennamen gab. Die Dorfgasse, auch Pflastergasse und<br />

1860 Ortsweg genannt, hieß in Richtung Magenbuch die<br />

Buchgasse, in Richtung Arnoldsberg-Ostrach die Ostrachgasse<br />

und in Richtung Burgweiler Wasachgasse. Letztere<br />

führte an den Wasenäckern vorbei. Auch einen Marktweg<br />

und einen Totenweg gab es auf Kalkreuter Gemarkung.<br />

Etwa 400 Jahre später, 1860, führten durch die Markung 4 Gemeindewege,<br />

Vizinalwege genannt und 7 Feldwege, die alle<br />

zu betreuen waren. Bereits um 1841/43 scheint der Vizinalweg<br />

nach Magenbuch erneuert worden zu sein. Dabei wurden<br />

zwei Lehensäcker der Witwe Franziska Fetscher zerschnitten,<br />

die dem Bodmer'schen Beneficium zu Pfullendorf<br />

gehörten. Obwohl es einen Verlust von X Morgen guten<br />

Ackerlandes bedeutete, hatte die Gemeinde vorher weder den<br />

Lehensherrn noch die Bäuerin über die geplante Straßenführung<br />

informiert.<br />

Auf die stark beanspruchte Straße nach Ostrach ließ 1862<br />

Bürgermeister Senn 200 »Last« gewaschenen Kies aufbringen.<br />

Die Straße von Kalkreute nach Spöck bei Haus Nr. 32<br />

dürfte erst im 20. Jahrhundert ausgebaut worden sein. Geplant<br />

war zwar schon 1852 ein Weg, der mitten durch den<br />

Meßner-Acker des Mattheus Kordeuter führte.<br />

Der große Salemer Hof bestand 1465 aus einem Wohnhaus,<br />

einer Scheuer und einem Garten. Er lag an der Wasachgasse<br />

oben im Dorf. Bewirtschaftet wurde er zunächst von Electa<br />

Yll, sodann von Georg Zenkher und von Hans Schwelling<br />

dem Jüngeren. Der Hof dürfte im Bereich des späteren Hofes<br />

Nr. 22 gelegen haben.<br />

Nach den Aufzeichnungen in den Lehensbüchern Salems aus<br />

dem 16. Jahrhundert könnte es sich bei dem Hof, der 1573<br />

Caspar Fencher (Fenkher) und seiner Frau Anna Räuchlin als<br />

Leiblehen verliehen wurde, um diesen »großen Salemer Hof«<br />

gehandelt haben. Auf diesem Hof hatten sie schon etliche Jahre<br />

gesessen. Im Lehensvertrag wurde unter anderem festgehalten,<br />

daß Anna Räuchlin samt ihren Kindern dem salemischen<br />

Gotteshaus leibeigen ist.<br />

Einige Jahre später, um 1595, beantragten Caspar Fencher, seine<br />

Frau und sein Sohn Martin die Entlassung des Martin aus<br />

25


der Leibeigenschaft. Er suchte sein Glück in einem anderen<br />

Ort außerhalb des salemischen Herrschaftsbereiches. Die Gewährung<br />

dieser Bitte war vom Wohlwollen der Herrschaft abhängig<br />

und mit viel Aufwand verbunden. Als dann Abt Petrus<br />

von Salem, er war als Peter Müller ehemals Leiter der salemischen<br />

Pfleg Pfullendorf, am 16. Mai 1595 - vor nunmehr<br />

400 Jahren - seine Entscheidung getroffen hatte, ließ er, wie<br />

damals üblich, eine Manumissionsbrief genannte Urkunde<br />

ausfertigen. Zu dieser Zeit war Martins Mutter bereits tot. Die<br />

Niederschrift dieser Amtshandlung ist uns noch erhalten.<br />

Der zweite Hof gehörte zunächst zu den Pfarrpfründen<br />

Ostrachs als Widdum-Gut. Auf diesem beim Brunnen gelegenen<br />

Hof wirtschafteten Conrad Fenkher und Sima Hornstein.<br />

Inmitten des Dorfes lag am Brunnen der dritte Hof mit einer<br />

Scheuer und einem Baindt (einem eingefriedeten Grundstück)<br />

an der Buchgasse. Hier waren zu dieser Zeit Byl<br />

Schwelling und Hans Schwenli tätig.<br />

EDWIN ERNST WEBER<br />

Familiennamen<br />

Demokratischer Neubeginn in den Landkreisen vor 50 Jahren<br />

Wie in den übrigen Landkreisen in der südlichen Hälfte Baden-Württembergs<br />

konnte auch im Landkreis Sigmaringen<br />

der Kreistag Ende Oktober 1996 seinen 50. Geburtstag begehen.<br />

Am Dienstag, 29. Oktober 1946, traten im hohenzollerischen<br />

Sigmaringen, im württembergischen Saulgau und in<br />

den beiden badischen Kreisstädten Stockach und Überlingen<br />

die zwei Wochen zuvor, am 13. Oktober, gewählten Kreisversammlungen<br />

zu ihren konstituierenden Sitzungen zusammen.<br />

Nach einer Unterbrechung von mehr als 13 Jahren<br />

durch die nationalsozialistische Gewaltherrschaft und die<br />

französische Besatzung bestanden damit auch in den Landkreisen<br />

wieder demokratisch legitimierte Volksvertretungen.<br />

Zusammen mit den Gemeinderats- und Bürgermeisterwahlen<br />

einen Monat zuvor in den Städten und Gemeinden<br />

markieren die Kreisversammlungswahlen den Beginn des<br />

demokratischen Wiederaufbaus in der französischen Besatzungszone.<br />

Der demokratische Neuanfang geht in der französischen<br />

wie auch der benachbarten amerikanischen Besatzungszone<br />

von »unten«, von der kommunalen Ebene aus und<br />

erreicht erst in einer nachfolgenden, zweiten Stufe mit den<br />

Landtagswahlen den staatlichen Bereich.<br />

Für die Bevölkerung zumindest der württembergischen Kreise<br />

stellte die unmittelbare Volkswahl der Kreisversammlungen<br />

im Oktober 1946 eine Neuheit dar. Die Mitglieder der<br />

württembergischen Amtsversammlungen vor 1933 waren<br />

durch die Gemeinderäte der der jeweiligen Amtskörperschaft<br />

angehörigen Kommunen bestimmt worden. In Baden war<br />

erst 1939 die für Württemberg von jeher typische und seit<br />

1873 auch in Hohenzollern praktizierte Verknüpfung der<br />

Selbstverwaltung mit dem Bezirk der unteren staatlichen Verwaltungsbehörde<br />

eingeführt worden. Gänzlich unabhängig<br />

voneinander bestanden hier zuvor die rein staatlichen Bezirksämter<br />

und die kommunalen Großkreise, deren Kreisversamlungen<br />

seit 1919 unmittelbar durch das Volk gewählt<br />

worden waren. In den beiden preußisch-hohenzollerischen<br />

Kreisen Sigmaringen und Hechingen war 1925 die Wahl der<br />

Amtsversammlungs-Abgeordneten durch die Gemeindevertretungen<br />

von der direkten Volkswahl der Kreistage abgelöst<br />

worden. Alle diese Vertretungsgremien waren gleich im ersten<br />

Jahr der NS-Diktatur 1933 aufgelöst bzw. faktisch aus-<br />

26<br />

Auch Lehensträger beziehungsweise Bauern und Söldner der<br />

anderen Höfe sind uns aus verschiedenen Quellen überliefert,<br />

so daß wir einen Überblick haben über die meisten vor<br />

und nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) in Kalkreute,<br />

oft als Leibeigene ihrer Herren lebenden Familien.<br />

Durch die 1846 von Geometer Schwenk und »Publikationskommissär«<br />

F. Bauer neu erstellte Flächenmaßtabelle, die zugleich<br />

als Primärkataster für die Grundsteuer diente, gelang<br />

uns für diesen Zeitpunkt eine Zuordnung der Besitzer zu den<br />

entsprechenden Hof- beziehungsweise Gebäude-Nummern<br />

und ihre Lage.<br />

In den letzten 150 Jahren wechselte auf gar manchem Hof<br />

und manchem Einzelhaus mit dem neuen Besitzer auch der<br />

Familienname. Die Darstellung der einzelnen Häuserschicksale<br />

für diese Zeit würde über den Rahmen der heutigen Ausführungen<br />

hinausgehen.<br />

geschaltet worden und ihre Zuständigkeiten in Vollzug des<br />

Führerprinzips in der Folge vom jeweiligen Landrat in Abstimmung<br />

mit dem NSDAP-Kreisleiter wahrgenommen<br />

worden.<br />

Der demokratische Neubeginn in der französischen Besatzungszone<br />

im Herbst 1946 zeichnet sich in erster Linie durch<br />

seine Verspätung aus. Vorreiter bei der Redemokratisierung<br />

des geschlagenen Deutschland waren die Amerikaner, in deren<br />

Besatzungsgebiet in Nordwürttemberg-Nordbaden bereits<br />

im Januar 1946 die ersten Gemeinderatswahlen und Ende<br />

April sodann auch Kreistagswahlen abgehalten worden<br />

waren. Vom amerikanischen Besatzungsbereich gingen neben<br />

dem zeitlichen Anstoß vor allem aber die entscheidenden<br />

inhaltlichen Impulse für die Fortentwicklung des Kreisverfassungsrechts<br />

im deutschen Südwesten aus. Die im März<br />

1946 in Württemberg-Baden erlassene Kreisordnung brachte<br />

eine vollständige Kommunalisierung der Landratsämter<br />

mit der Volkswahl der Kreistage, der Umfunktionierung des<br />

bisher staatlichen Landrats zum kommunalen Zeitbeamten,<br />

dessen Wahl durch den Kreistag ohne jegliche staatliche Mitwirkung<br />

erfolgt, und nicht zuletzt der Umgestaltung der<br />

Landratsämter zu reinen Kreisbehörden, die neben ihren eigenen<br />

Angelegenheiten die Aufgaben der unteren staatlichen<br />

Verwaltungsbehörde wahrnehmen. Der Landkreis wird aus<br />

einem »Gemeindeverband« zu einer Gebietskörperschaft mit<br />

unmittelbarem Bezug zum Bürger. In den beiden französischen<br />

Besatzungsgebieten Württemberg-Hohenzollern und<br />

(Süd-)Baden behält demgegenüber die staatliche Prägung der<br />

Landratsämter Bestand: Hier bleibt es beim staatlichen Landrat,<br />

bei dessen Ernennung oder Abberufung durch den Staatspräsidenten<br />

der Kreistag lediglich ein unverbindliches Äußerungsrecht<br />

besitzt; und das Landratsamt präsentiert sich als<br />

Doppelbehörde, deren staatliche und kommunale Zuständigkeit<br />

streng getrennt waren und lediglich durch den gewissermaßen<br />

in Personalunion beiden Bereichen vorstehenden<br />

Landrat zusammengehalten wurden. Die 1955 erlassene<br />

baden-württembergische Landkreisordnung ist als Kompromiß<br />

zwischen beiden Positionen anzusehen: Das Landratsamt<br />

ist Behörde des Landkreises für seine kreiskommunalen<br />

Aufgaben und zugleich untere staatliche Verwaltungsbehör-


de, bei der Wahl des kommunalen Landrats durch den Kreistag<br />

steht dem Innenministerium ein Mitwirkungsrecht zu, die<br />

direkte Volkswahl des Kreistags behält Bestand.<br />

Solche grundsätzlichen Erwägungen in Bezug auf »ihren«<br />

Kreis standen der wahlberechtigten Bevölkerung unseres Gebietes<br />

vermutlich herzlich fern, als sie am 13. Oktober 1946<br />

bereits zum zweiten Mal binnen eines Monats zu den Wahlurnen<br />

gerufen wurde. Gegenüber den Gemeindewahlen vom<br />

September, als im Kreis Stockach 84,3 Prozent und im Kreis<br />

Saulgau sogar 87 Prozent der Wahlberechtigten abgestimmt<br />

hatten, ging die Wahlbeteiligung bei den Kreisversammlungswahlen<br />

etwas zurück, lag mit 62,58 Prozent im Kreis<br />

Überlingen, 65,9 Prozent im Kreis Stockach, 68,7 Prozent im<br />

Kreis Sigmaringen und 70,2 Prozent im Kreis Saulgau allerdings<br />

noch immer in Bereichen, die sich heutzutage bei isoliert<br />

abgehaltenen Kreistagswahlen wohl nur schwerlich erreichen<br />

ließen. Von der Teilnahme an den Gemeinde- wie den<br />

Landkreiswahlen waren zahlreiche frühere Mitglieder von<br />

NS-Organisationen ausgeschlossen. Im Unterschied zu den<br />

Gemeindewahlen durften sich an den Kreisversammlungswahlen<br />

nur die vier von der französischen Besatzungsmacht<br />

offiziell zugelassenen politischen Parteien beteiligen - CDU,<br />

SPD, KPD und die liberale Deutsche Volkspartei -, freie<br />

Wählergruppen, die bei den Kommunalwahlen etwa im Kreis<br />

Stockach einen Anteil von immerhin 37,9 Prozent errungen<br />

hatten, waren dagegen ausgeschlossen.<br />

Die Wahlen vom 13. Oktober 1946 endeten in Württemberg-<br />

Hohenzollern wie in (Süd-)Baden mit einem haushohen Sieg<br />

der damals noch jungen CDU bzw. ihrer badischen Schwesterpartei,<br />

der Christlich Sozialen Volkspartei. Mit diesem<br />

Erfolg, der in unseren vier Landkreisen Sigmaringen, Saulgau,<br />

Stockach und Überlingen mit Werten zwischen 63 Prozent<br />

im Kreis Stockach und fast 86 Prozent im Kreis Saulgau<br />

noch deutlich über den jeweiligen Landesmitteln lag, traten<br />

die Christdemokraten die Nachfolge der katholischen Zentrumspartei<br />

an, die in der Zwischenkriegszeit eine ähnlich<br />

dominierende Position in der politischen Landschaft unseres<br />

Raumes besessen hatte. Die anderen drei Parteien folgten den<br />

Christdemokraten weit abgeschlagen nach: Die SPD erreichte<br />

Resultate zwischen kargen 5,7 Prozent im Kreis Saulgau<br />

und 12,8 Prozent im Kreis Überlingen, die Liberalen schafften<br />

ihr bestes Ergebnis mit 16,7 Prozent im Kreis Stockach,<br />

wo ehedem besonders der Meßkircher Raum eine Bastion des<br />

badischen, antirömischen Liberalismus gebildet hatte, und<br />

die Kommunisten brachten es auf Stimmenanteile zwischen<br />

2,44 Prozent im Kreis Saulgau und immerhin 8,3 Prozent im<br />

Kreis Stockach. Entsprechend einseitig fiel die Sitzverteilung<br />

in den neugewählten Kreisversammlungen aus: In Sigmaringen<br />

saßen 15 Christdemokraten zwei Sozialdemokraten und<br />

einem Kommunisten gegenüber - übrigens dem einzigen, der<br />

in der hohenzollerischen Kreisstadt jemals ein Mandat errungen<br />

hatte; in Saulgau verteilten sich 20 Sitze auf 19 Christund<br />

einen Sozialdemokraten, in Stockach rückte die Badische<br />

Christlich Soziale Volkspartei mit 12 Vertretern, die in (Süd-)<br />

Baden als Sozialistische Partei firmierende SPD mit zwei, die<br />

liberale Demokratische Partei mit drei und die KPD mit<br />

einem Vertreter in die Kreisversammlung ein, und die Überlinger<br />

Kreisversammlung setzte sich aus 13 Vertretern der<br />

CSV, jeweils zwei von SP und DP sowie einem Kommunisten<br />

zusammen.<br />

Den neugewählten Kreisversammlungen gehörten in den vier<br />

Landkreisen folgende Mitglieder an:<br />

Kreis Sigmaringen: CDU - Georg Gauggel, Schreinermeister,<br />

Sigmaringen, Karl Diesch, Landwirt und Mühlenbesitzer,<br />

Vilsingen-Dietfurt, Marquart Spohn, Kaufmann und<br />

Bürgermeister, Gammertingen, Gottfried Göggel, Metzgermeister<br />

und Landwirt, Veringenstadt, Anton Zeiler, Landwirt<br />

und Bürgermeister, Steinhilben, Anton Martin, Kaufmann<br />

und Landwirt, Liggersdorf, Johann Guide, kauf-<br />

Die Ergebnisse der Kreisversammlungswahlen vom 13. Oktober<br />

1946:<br />

CDU/CSV SPD/SP DVP/DP KPD<br />

LandkreisSigmaringen 80,19 % 12,48 % 3,58 % 3,75 %<br />

Landkreis Saulgau 85,77 % 5,76 % 6,12 % 2,44 %<br />

Landkreis Stockach 63,2 % 11,7 % 16,76 % 8,3 %<br />

Landkreis Uberlingen 68,20 % 12,77 % 13,38 % 5,65 %<br />

Wiirtt.-Hohenzollern 62,5 % 19,9 % 10,4 % 6,9 %<br />

(Süd-)Baden 60,38 % 17,57 % 14,38 % 7,67 %<br />

männischer Angestellter, Sigmaringendorf, Franz Gog,<br />

Oberamtsrichter, Sigmaringen, Kasimir Kromer, Schreinermeister<br />

und Landwirt, Harthausen a. d. Sch., Emil Straub,<br />

Bauer, Otterswang, Josef Locher, Bankvorstand und Bürgermeister,<br />

Ostrach, Albert Bantle, Bauer, Inneringen, Karl<br />

Heinzler, Arbeiter, Straßberg, Albert Reis, Landwirt, Spöck,<br />

Josef Hospach, Landwirt, Benzingen; SPD - Adolf Waldner,<br />

Bürgermeister, Langenenslingen, Felix Gerster, Lagerverwalter,<br />

Sigmaringen; KPD - Gustav Mühl, Kraftfahrer, Sigmaringendorf.<br />

Kreis Saulgau: CDU - August Reichert, Bürgermeister,<br />

Saulgau, Ludwig Walz, Kaufmann, Riedlingen, Franz<br />

Schanz, Kaufmann, Mengen, Engelbert Wild, Bürgermeister<br />

und Bauer, Kappel bei Buchau, Anton Nassal, Bürgermeister<br />

und Bauer, Hoßkirch, Georg Truckenmüller, Hofrat, Altshausen,<br />

Thaddäus Mayer, Amtsgerichtsrat, Riedlingen, Josef<br />

Low, Sägewerksbesitzer, Mengen-Ennetach, August Staub,<br />

Kaufmann, Saulgau, Anton Koch, Bürgermeister, Ertingen,<br />

Josef Lock, Kreisinnungsobermeister, Saulgau, Rochus Reck,<br />

Bauer, Hohentengen-Riedmühle, Gustav Blersch, Getreidekaufmann,<br />

Riedlingen, Josef Karlmann Brechenmacher,<br />

Oberstudiendirektor, Saulgau, Alfons Dörr, Möbelfabrikant,<br />

Saulgau, Vinzent Baur, Wirker, Riedlingen, Dr. med. Max<br />

Stiegele, Saulgau, Ernst Götz, Brauereibesitzer, Scheer, Martin<br />

Merk, Bauer und Anwalt, Uttenweiler-Minderreuti; SPD<br />

- Alois Müsch, Buchdruckerei-Geschäftsführer, Mengen.<br />

Kreis Stockach: CSV - Wilhelm Winter, Gutspächter, Buchheim,<br />

Ferdinand Stemmer, Landwirt, Orsingen, Josef Stroppel,<br />

Former, Zizenhausen-Windegg, Konrad Reinauer, Zimmermeister,<br />

Meßkirch, Dr. Alois Deufel, Bürgermeister,<br />

Stockach, Johann Siber, Landwirt und Ratschreiber, Schwenningen,<br />

Eugen Heberle, Hauptlehrer, Winterspüren, Willi<br />

Kleinfelder, Kaufmann, Meßkirch, Max Forster, Prokurist,<br />

Stockach, Hermann Muffler, Seilermeister, Stockach, Alfred<br />

Münzer, Gemeinderechner, Volkertshausen, Josef Epple, Betriebsleiter,<br />

Zizenhausen; SP - Josef von Briel, Modellschlosser,<br />

Stockach, Dominik Gallus, Bürgermeister, Stetten<br />

a. k. M.; DP - Paul Weber, Obstzüchter, Bodman, Leopold<br />

Bächler, Landwirt, Eigeltingen, Dr. Paul Wollheim, Arzt,<br />

Steißlingen; KP - August Schmidt, Angestellter, Stockach.<br />

Kreis Überlingen: CSV - August Schmid, Justizoberinspektor,<br />

Überlingen, Gebhard Hügle, Bauer und Bürgermeister,<br />

Homberg, Ewald Ney,Kaufmann, Überlingen, Alois Schilling,<br />

Kaufmann, Pfullendorf, Johann Langenstein, Landwirt<br />

und Bürgermeister, Immenstaad, Leopold Schweizer, landwirtschaftlicher<br />

Gehilfe, Leustetten, Leo Ott, Ziegeleibesitzer,<br />

Bermatingen, Albert Nammer, Landwirt und Bürgermeister,<br />

Wittenhofen-Harresheim, Thorwald Risler, Kaufmann<br />

und Lehrer, Meersburg, Leo Frank, Justizrat, Pfullendorf,<br />

Kilian Keller, Bauunternehmer, Überlingen, Heinrich<br />

Raither, Landwirt, Neufrach, Eugen Amann, Gast- und<br />

Landwirt, Burgweiler; SP - Karl Löhle, Metzgermeister,<br />

Überlingen, Friedrich Baiker, Elektroingenieur, Unteruhl-<br />

27


dingen; DP - Wilhelm Dörr, Diplomingenieur, Überlingen,<br />

Georg Baumann, Landwirt, Untersiggingen; KP - Willi<br />

Rahner, Automechaniker, Markdorf.<br />

Die auf zwei Jahre gewählten Kreisversammlungen treten offenbar<br />

überall am Dienstag, 29. Oktober 1946, in feierlichem<br />

Rahmen unter dem Vorsitz des jeweiligen Landrats zu ihren<br />

konstituierenden Sitzungen zusammen. Zumindest in Sigmaringen<br />

und Saulgau sind dabei auch die französischen<br />

Kreisgouverneure zugegen, die eigentlichen Machthaber in<br />

den Landkreisen, die in gesetzten Worten auf die hohe Verantwortung<br />

der Kreisversammlungsabgeordneten bei der<br />

nunmehr beginnenden Demokratisierung des Landes verweisen.<br />

Der wohl wichtigste Akte der konstituierenden Sitzungen<br />

war die Bestimmung des sog. Kreisversammlungsausschusses,<br />

eines mit dem späteren, bis zur Kreisreform von<br />

1972 bestehenden Kreisrat vergleichbaren ständigen Ausschusses.<br />

Bei dessen Besetzung fällt allenthalben das<br />

Bemühen um die Einbindung auch der kleineren Parteien auf.<br />

In Sigmaringen wird in den fünfköpfigen Ausschuß auch ein<br />

SPD-Vertreter, der Sigmaringer Lagerverwalter Felix Gerster,<br />

gewählt, und unter den Stellvertretern findet sich der einzige<br />

KPD-Abgeordnete, der Kraftfahrer Gustav Mühl aus<br />

Sigmaringendorf. In Stockach verzichtet die CSV freiwillig<br />

auf einen der ihr nach ihrem Kräfteanteil zustehenden vier<br />

Sitze und ermöglicht damit jeweils einem Vertreter der Liberalen<br />

und der Sozialdemokraten das Einrücken in den Ausschuß.<br />

In Saulgau schließlich, wo die CDU zunächst die fünf<br />

Ausschuß-Sitze zur Gänze für sich reserviert hatte, ist man<br />

nach einem Protest der Sozialdemokraten bereit, einen Platz<br />

zugunsten des einzigen SPD-Vertreters, des Buchdruckerei-<br />

Geschäftsführers Alois Müsch aus Mengen, zu räumen.<br />

Die Protokolle und Zeitungsberichte dieser ersten Kreisversammlungs-Sitzungen<br />

machen deutlich, daß der demokratische<br />

Neubeginn in den Landkreisen 1946 in einer wirtschaftlich<br />

nahezu hoffnungslosen Lage stattfindet. An nahezu<br />

allem herrschte Mangel, bei dessen Verwaltung den Landratsämtern<br />

und den dort bestehenden Wirtschaft- und<br />

Ernährungsämtern eine ebenso wichtige wie undankbare<br />

Schlüsselrolle zukam. In der Saulgauer Sitzung beispielsweise<br />

wird über die schlechte Verkehrslage im Kreis geklagt, da<br />

lediglich eine Eisenbahnlinie intakt sei und der Mangel an<br />

Benzin, Reifen und Ersatzteilen den Einsatz von Kraftfahrzeugen<br />

behindere. Gänzlich unzureichend sei die erfolgte Zuteilung<br />

von Schuhen und von Arbeits- und Straßenbekleidung<br />

für den Landkreis. Der Mangel an Kohle habe zu starken<br />

Abholzungen in den Wäldern geführt, im Torfwerk Sattenbeuren<br />

bei Schussenried seien dankenswerterweise an etwa<br />

500 Familien aus dem Kreis Torfstiche zur Selbstversorgung<br />

eingeteilt worden. »Alles im Leben, Politik und Arbeit, Kultur<br />

und Volksstimmung (geht) von der Magenfrage aus«, beschreibt<br />

der Saulgauer Landrat Dr. Hans Eisele die Lage. In<br />

ULRICH FELDHAHN/STEFAN SCHMIDT-LAWRENZ<br />

Stockach sorgt man sich um eine ausreichende Kartoffelbelieferung<br />

für die Bevölkerung angesichts des zu erwartenden<br />

schweren Winters und klagt über den Mangel an Teer, der<br />

dringend notwendige Straßenarbeiten verhindere. Die Saulgauer<br />

<strong>Ausgabe</strong> der Schwäbischen Zeitung hatte in ihrem<br />

Wahlbericht vom 15. Oktober zu Recht ebenso nüchtern wie<br />

realistisch prophezeit, daß die zweijährige Amtszeit der neugewählten<br />

Kreisversammlung »angesichts der beispiellosen<br />

Katastrophe unseres Volkes mit viel Schwierigkeiten und<br />

einem Berg von Sorgen angefüllt sein wird«. Der Saulgauer<br />

Landrat Dr. Eisele umreißt wohl die Stimmung der Mehrzahl<br />

dieser Kreisräte der ersten Stunde, wenn er zum Abschluß<br />

seiner Eröffnungsrede ausführt: »Wir arbeiten ja alle nicht für<br />

uns, nicht bloss um des Geldes willen, das wir heute erhalten<br />

und das vielleicht morgen wertlos ist, sondern wir arbeiten,<br />

weil wir aufbauen helfen wollen, wie in der Gemeinde so im<br />

Kreis und so im Staat aufbauen wollen, geistig und materiell,<br />

damit unser Volk wieder einmal glücklichere Zeiten sehen<br />

wird und seinen Platz an der Sonnenseite der Völker einnehmen<br />

kann.«<br />

Leicht überarbeitete und erweiterte Fassung eines Vortrags<br />

vor dem Sigmaringer Kreistag am 4. November 1996 in Leibertingen-Thalheim<br />

Herangezogene Quellen und Literatur<br />

Saulgauer Kreisversammlungsprotokolle 1946-1948 (KAS III—1991/1<br />

Nr. 49).<br />

Sigmaringer Kreisversammlungsprotokolle 1946-1948 (KAS 11-1991/2<br />

Nr. 363).<br />

Schwäbische Zeitung, Lokalausgabe Saulgau, J. 1946.<br />

Schwäbische Zeitung, Lokalausgabe Sigmaringen,]. 1946.<br />

Südkurier, <strong>Ausgabe</strong> Stockach/Meßkirch, J. 1946.<br />

Südkurier, <strong>Ausgabe</strong> Uberlingen/Pfullendorf, J. 1946.<br />

Eugen Frick, 40 Jahre kommunale Selbstverwaltung der baden-württembergischen<br />

Landkreise. In: Beiträge zur Geschichte der Landkreise<br />

in Baden und Württemberg. Festschrift zum 20jährigen<br />

Landratsjubiläum von Landrat Dr. Wilhelm Bühler, Alb-Donau-<br />

Kreis, am 11. März 1987. Hg. v. Landkreistag Baden-Würtemberg.<br />

Stuttgart 1987, S. 75-85.<br />

Kurt Gerhardt, Vogt-Oberamtmann - Landrat. Zur Geschichte des<br />

Hauptverwaltungsbeamten in Württemberg. In: Beiträge zur Geschichte<br />

der Landkreise (wie oben), S. 60-74.<br />

Meinrad Häberle, Der Landkreis Sigmaringen 1925-1972. Ein Beitrag<br />

zu seiner Geschichte. Sigmaringen 1985.<br />

Albert Neckenauer, Von den altbadischen Kreisen bis zur Kreisreform<br />

1803<br />

1973. In: Beiträge zur Geschichte der Landkreise (wie oben), S. 27-59.<br />

Konrad Frh. von Rotberg, Die Entwicklung des Kreisrechts in Baden-Württemberg.<br />

50 Jahre neues Landkreisrecht in Württemberg<br />

und Baden - 40 Jahre Landkreisordnung für Baden-Württemberg.<br />

In: Landkreis-Nachrichten Baden-Württemberg 35. J. (1996)<br />

Heft 3, S. 67-70.<br />

Eugenie von Hohenzollern-Hechingen - eine Fürstin in der Zeit des Biedermeier<br />

Als in Mailand am Tag vor Heiligabend des Jahres 1808 dem<br />

italienischen Vizekönig Eugène de Beauharnais und seiner<br />

Gemahlin Auguste von Bayern eine Tochter geboren wurde,<br />

stand der Stern Napoleons I. im Zenit. Niemand hätte damals<br />

ahnen können, daß seine auf den Namen Eugenie getaufte<br />

Stiefenkelin nur 39 Jahre später im schwäbischen Hechingen<br />

als letzte Fürstin des Hauses Hohenzollern-Hechingen zu<br />

28<br />

Grabe getragen werde würde. Dazwischen lag ein wechselvolles<br />

Leben, das gleichermaßen von Glanz und Elend jener<br />

Epoche geprägt war. Der Weg führte von Mailand über München<br />

und Eichstätt in das kleine Fürstentum Hechingen, wo<br />

ihr über zwei Jahrzehnte währendes soziales Engagement<br />

unvergessen bleiben sollte. Noch heute erinnern in der ehemaligen<br />

Residenzstadt am Fuß der Burg Hohenzollern zahl-


eiche Namen und Orte an die schon zu Lebzeiten zur<br />

Legende stilisierten Frauengestalt, deren Todestag sich in diesem<br />

Jahr zum 150. Mal jährt.<br />

Die Stadt Hechingen nimmt dieses Datum zum Anlaß in einer<br />

Gedächtnisausstellung in den Räumen der Hohenzollerischen<br />

Landessammlungen/Städtisches Museum im Alten<br />

Schloß an die Fürstin Eugenie zu erinnern.<br />

Napoleon Bonaparte hatte im Jahre 1796 die schöne und ehrgeizige<br />

Joséphine Tascher de la Pagerie, verwitwete Vicomtesse<br />

de Beauharnais geheiratet. Aus ihrer ersten Ehe mit<br />

Alexandre de Beauharnais, der zwei Jahre zuvor seinen Tod<br />

auf der Guillotine gefunden hatte, entstammten zwei Kinder:<br />

der 1781 geborene Sohn Eugène und seine zwei Jahre jüngere<br />

Schwester Hortense. Napoleon forderte und erhielt absolute<br />

Loyalität von seinen Stiefkindern und wußte sie im<br />

Hinblick auf seine eigene Karriere geschickt einzusetzen.<br />

Hortense verheiratete er mit seinem jüngeren Bruder Louis,<br />

den er zum König von Holland erklärt hatte, während für<br />

Eugène die Verbindung mit einer Angehörigen des europäischen<br />

Hochadels angestrebt wurde - eine Methode, mit der<br />

sich der inzwischen zum »Kaiser der Franzosen« gekrönte,<br />

aber immer noch von seinen europäischen »Kollegen« als<br />

Emporkömmling verachtete Korse Zugang zur alteingesessenen<br />

Aristokratie und dadurch Legitimation verschaffen<br />

wollte.<br />

Die Wahl fiel auf Auguste Amalie, Tochter des bayerischen<br />

Kurfürsten Maximilian Joseph, dem als Gegenleistung für<br />

diese Liaison eine Erhebung Bayerns zum Königreich in Aussicht<br />

gestellt wurde. Die attraktive und standesbewußte Wittelsbacherin<br />

war bereits mit dem badischen Erbprinzen verlobt<br />

und verhielt sich zunächst ablehnend, fügte sich aber<br />

letztlich der Staatsräson und heiratete 1806 den ihr bis dahin<br />

unbekannten Stiefsohn Napoleons in der Residenz zu München.<br />

Eugène Beauharnais, mittlerweile zum Vizekönig von Italien<br />

ernannt und im Jahr darauf offiziell von Napoleon adoptiert,<br />

führte mit Auguste wider Erwarten eine durchaus glückliche<br />

Ehe, aus der sieben Kinder hervorgehen sollten. Seine<br />

Stellung in Mailand war jedoch ausschließlich repräsentativer<br />

Natur, da sich Napoleon das italienische Thronrecht für<br />

etwaige eigene Nachkommen vorbehielt.<br />

Nach der Niederlage Napoleons in der Völkerschlacht bei<br />

Leipzig (1813) war das Schicksal Eugènes in Italien endgültig<br />

besiegelt. Er floh mit seiner Familie zu seinem Schwiegervater<br />

nach München und erhoffte sich bei der Neuordnung<br />

Europas auf dem Wiener Kongreß 1814/15 die Zuteilung<br />

eines neuen Herrschaftsgebiets. Trotz Fürsprache des<br />

russischen Zaren scheiterte Eugène aber als »Napoleonide«<br />

aus naheliegenden Gründen.<br />

Immer noch außerordentlich wohlhabend erwarb er Schloß<br />

Ismaning bei München. Während Eugène in seinem Schwager,<br />

dem bayerischen Kronprinzen Ludwig, einen erbitterten<br />

Gegner fand, der eine ausgeprägte Aversion gegen alles<br />

Französische hegte, zeigte sich sein Schwiegervater König<br />

Max I. entgegenkommend. Dieser ernannte ihn 1817 zum<br />

»Herzog von Leuchtenberg, Fürsten zu Eichstätt« und verschaffte<br />

ihm so einen neuen Aufgabenbereich. In der Residenz<br />

Eichstätt und in Ismaning verbrachte die Familie fortan<br />

die wärmere Jahreszeit, während man im Winter in dem 1821<br />

fertiggestellten »Palais Leuchtenberg« am Münchener<br />

Odeonsplatz residierte und glanzvolle Feste gab.<br />

Das Glück war für Eugène nur von kurzer Dauer; durch die<br />

Strapazen der napoleonischen Kriege körperlich verbraucht,<br />

erlitt er 1823 zwei Schlaganfälle. Sein Tod im Frühjahr 1824<br />

wurde von Goethe mit den Worten »Er war einer von den<br />

großen Charakteren, die immer seltener werden, und die Welt<br />

ist abermals um einen bedeutenden Mann ärmer« kommentiert.<br />

Fürstin Eugenie von Hohenzollern-Hechingen. Kreidelithographie<br />

von L. S. Troendlin (um 1850)<br />

Die mit 36 Jahren Witwe gewordene Auguste bemühte sich<br />

nun, ihren Kindern möglichst »gute Partien« zu verschaffen,<br />

was ihr im Fall der ältesten Tochter Josephine, die 1823 den<br />

schwedischen Kronprinzen Oskar geheiratet hatte, bereits<br />

gelungen war. Auch für die inzwischen 16-jährige, zu einer<br />

charmanten jungen Dame herangewachsenen Eugenie fanden<br />

sich bald Bewerber ein, die jedoch der wählerischen, Mitglieder<br />

regierender Herrscherhäuser bevorzugenden Mutter<br />

größtenteils mißfielen. Als im Sommer des Jahres 1825 Erbprinz<br />

Friedrich Wilhelm Constantin von Hohenzollern-Hechingen<br />

erschien, notierte sie in ihr Tagebuch: »Er ist dick<br />

und nicht schön. Seine Manieren sind einfach und man ist mit<br />

ihm nicht verlegen«. Obwohl im Eugenie zunächst keine besondere<br />

Aufmerksamkeit schenkte, hielt er nach weiteren Besuchen<br />

um ihre Hand an und wurde akzeptiert. Auch wenn<br />

sein Außeres zu wünschen übrig ließ und sein kleines Fürstentum<br />

nur etwa 18000 Untertanen aufweisen konnte, würde<br />

er doch einmal souveräner Herrscher sein und entstammte<br />

zudem einer alten, mit dem preußischen Königshaus verwandten<br />

Dynastie. Allerdings wurde in dem vor der Heirat<br />

aufgesetzten Ehevertag festgesetzt, daß Eugenie als Gläubigerin<br />

des Fürstenhauses dessen gesamter Besitz verpfändet<br />

wurde.<br />

Nach der Hochzeit im Mai 1826 im Dom zu Eichstätt reiste<br />

das junge Paar nach Hechingen, dessen Bevölkerung die neue<br />

Erbprinzessin bereits voller Neugierde erwartete und euphorisch<br />

empfing. Die Mutter des Erbprinzen, Pauline von Kurland,<br />

hatte sich schon kurz nach seiner Geburt von ihrem<br />

Mann getrennt, so daß die Rolle der »Landesmutter« seit Jahren<br />

unbesetzt gewesen war. Das kleine Fürstentum mit seiner<br />

ungefähr 3000 Einwohner zählenden »Hauptstadt« unterhalb<br />

der damals ruinösen Burg Hohenzollern befand sich in einem<br />

bedauernwerten Zustand. Während sich das benachbarte Fürstentum<br />

Hohenzollern-Sigmaringen als vergleichsweise sta-


Die Villa Eugenie in Hechingen.<br />

Federlithographie von J. Ling<br />

(um 1835)<br />

biler Duodezstaat behaupten konnte, waren die Verhältnisse<br />

im immer noch vom Krieg gezeichneten, wirtschaftlich wenig<br />

entwickelten Hechingen durchweg ärmlich.<br />

Das Erbprinzenpaar nahm seinen Wohnsitz zunächst im<br />

außerhalb gelegenen Jagdschloß Lindich, einer im Spätbarock<br />

entstandenen Anlage inmitten eines sternförmig angelegten<br />

Gartens mit Kavaliershäusern und Wasserspielen. Fürst<br />

Friedrich, der Vater Constantins, bewohnte damals das »Alte<br />

Schloß« in Hechingen, nachdem das teilweise eingestürzte<br />

Stadtschloß 1814 abgebrochen und das an seiner Stelle errichtete<br />

»Neue Schloß« aufgrund akuten Geldmangels im Innern<br />

nie fertiggestellt worden war.<br />

Obwohl die Ehe von Constantin und Eugenie nicht sehr harmonisch<br />

verlief, dem Erbprinzen lassen sich zahlreiche außereheliche<br />

Nachkommen nachweisen, verband die beiden u. a.<br />

ein großes Interesse für Musik. Constantin sang selbstkomponierte<br />

Lieder, seine Gemahlin begleitete ihn auf dem Klavier.<br />

Es wurden Musiker aus München zum Wiederaufbau<br />

der Hofkapelle herangezogen und eine Singschule für Kinder<br />

eingerichtet. In dieser Zeit entstand der Begriff vom<br />

»orpheischen Hechingen«, in dem große Musiker und Komponisten<br />

wie Franz Liszt, Hector Berlioz oder Louis Spohr<br />

vielbeachtete Gastspiele gaben.<br />

Dennoch darf die biedermeierliche Idylle des kleinen Musenhofes<br />

nicht über die desolaten Zustände hinwegtäuschen,<br />

in denen ein Teil der sich mühsam von Landwirtschaft und<br />

bescheidenem Handel ernährenden Bevölkerung lebte. Hier<br />

sollte Eugenie ihre neue Aufgabe und eigentliche Berufung<br />

finden. Durch eine streng katholische Erziehung schon früh<br />

der Nächstenliebe verpflichtet, galt ihre Fürsorge vor allem<br />

Alten, Kranken und Kindern, die sie regelmäßig besuchte und<br />

für die sie spezielle Einrichtungen schuf. So gründete sie z. B.<br />

1839 die »Kinderbewahranstalt«, eine der ersten ihrer Art in<br />

Süddeutschland, in welcher Kinder aus sozial schwachen<br />

Familien unterrichtet und verköstigt wurden.<br />

Das Hechinger Hofleben erlebte durch die Besuche der<br />

Geschwister und Verwandten Eugenies lange vermißte<br />

Höhepunkte. Ihre Schwester Amelie hatte inzwischen Kaiser<br />

Dom Pedro I. von Brasilien geheiratet, Theodolinde war<br />

als Gemahlin des Grafen Wilhelm von Württemberg in das<br />

nahegelegene Schloß Lichtenstein bei Reutlingen eingezogen<br />

30<br />

und der jüngste Bruder Maximilian war Schwiegersohn des<br />

russischen Zaren geworden.<br />

Die Jahre 1833/34 verbrachte Eugenie größtenteils in Italien,<br />

wo sie in Begleitung ihrer Familie bis nach Neapel gelangte.<br />

In der Zwischenzeit wurde ein im Hechinger Fürstengarten<br />

gelegenes »Lustgartenhaus« durch seitliche Anbauten zur<br />

»Villa Eugenia« ausgebaut. Den umliegenden Park im englischen<br />

Stil erweiterte man um einen als Billardhäuschen dienenden<br />

dorischen Tempel und die zum Sommer- und Gästehaus<br />

umgebaute »Villa Silberburg«.<br />

Im Jahr 1836 reiste sie in Begleitung ihrer Mutter nach Stockholm,<br />

um ihre Schwester Kronprinzessin Josephine von<br />

Schweden zu besuchen. Nach einer stürmischen Uberfahrt<br />

und einem strapaziösen Fest- und Besichtigungsprogramm<br />

führte die Reise über Berlin und Dresden nach München, wo<br />

sich im Frühjahr 1837 erste Anzeichen einer Erkrankung bemerkbar<br />

machten. Wieder in Hechingen, widmete sie sich unermüdlich<br />

ihren fürsorglichen Tätigkeiten, doch gab ihr geschwächter<br />

Zustand bald Anlaß zur Besorgnis. Die damals<br />

weitverbreitete medizinisch noch unzureichend erforschte<br />

Lungentuberkulose, »Schwindsucht« genannt, versuchte<br />

man mit heute absonderlich anmutenden Methoden zu<br />

bekämpfen: In einem Nebengebäude der Villa Eugenia wurden<br />

die Ausdünstungen von fünf Rindern in den Aufenthaltsraum<br />

der Fürstin geleitet und eine sogenannte »Moxakur«,<br />

d. h. das Verbrennen von Flachs, Feuerschwamm u. a.<br />

auf dem Körper der Erkrankten, durchgeführt. Die sich ihrem<br />

Schicksal durch einen tiefverwurzelten Glauben fügende Eugenie<br />

verbrachte den Sommer 1847 zur Kur in Badenweiler<br />

und Baden-Baden und verstarb am 1. September auf der<br />

Rückreise inFreudenstadt, ohne ihre geliebte Hechinger Heimat<br />

noch einmal gesehen zu haben.<br />

Unter großer Anteilnahme der Bevölkerung wurde die schon<br />

bald zur »Hl. Elisabeth des Hohenzollernlandes« verklärte<br />

Fürstin in der Gruft der Hechinger Stiftskirche beigesetzt. In<br />

ihrem Testament vermachte sie die beträchtliche Summe von<br />

273.000 Gulden für wohltätige Zwecke, darunter Mittel zum<br />

Bau und Unterhalt eines Spitals, sowie für einen Stipendienfonds<br />

zugunsten katholischer Theologiestudenten.<br />

Kurz nach ihrem Tod sollte für Hohenzollern-Hechingen ein<br />

weiteres historisches Kapitel zu Ende gehen; als Reaktion auf


die 1848er Revolution dankte Fürst Constantin ab und zog<br />

sich auf seine schlesischen Güter zurück. Hechingen wurde<br />

preußisch und als sinnfälligen Ausdruck dieser neuen Ära ließ<br />

König Friedrich Wilhelm IV. den Stammsitz der Hohenzollern<br />

ab 1850 im neugotischen Stil wiederaufbauen. Bald darauf<br />

gelangte in Frankreich Eugenies gleichaltriger Cousin als<br />

Kaiser Napoleon III. an die Macht - die Bonapartes waren<br />

zurückgekehrt ...<br />

Die Ausstellung im Alten Schloß in Hechingen ist vom<br />

31. August bis 2. November jeweils Di-So zwischen 11 und<br />

16 h geöffnet.<br />

WOLFGANG HERMANN<br />

Was bietet die Heimat ihren »Kindern«?<br />

\<br />

Wer in solchen Verhältnissen aufwuchs, dem prägte sich Heimat<br />

als Not ein, verklärter wurde sie jenen Bauern, die über<br />

Roß und Wagen verfügten und die Arbeitsfolge in den Zeigen<br />

bestimmten. Die 50er Jahre des 19. Jahrhunderts trieben<br />

viele zur Flucht aus Glatt. 1853 wanderten Heinrich Jung und<br />

Catharina Müller mit unbekanntem Ziel aus, ihnen gleich taten<br />

der Wagner Anton Becht, der Schuster Andreas Deger,<br />

Eleonore Kuner mit dem Kind Marianne Deger. 1854 erreichten<br />

Katharina Becht mit ihrem Kinde Paulina Maier und<br />

die ledige Liberata Kohler vielleicht Amerika. Ein Bernhard<br />

Kummer nahm mit ihnen diese Reise auf sich 3.<br />

Dieser Schritt in die Ferne, durch den die ganze menschliche<br />

Existenz in Frage gestellt wurde, hätte für uns heute lange<br />

nicht mehr diese Gefahr des Scheiterns. Die Technik in Verkehr<br />

und Arbeitswelt hat uns Zuwanderung und Abwanderung<br />

in reichem Maße ermöglicht. Bis 1925 noch bestimmte<br />

der Fuß, das Fuhrwerk oder das Fahrradpedal den Umkreis<br />

des Lebens. Und so blieb man zum Wohnen und Arbeiten<br />

am Ort. Glatt zählte von 1871 bis 1939 um die 400 Einwohner,<br />

1961 etwa 530 und 1993 an die 710 Einwohner. Dettingen,<br />

jenseits des Priorberges gelegen, hatte immer mindestens<br />

die doppelte Einwohnerzahl.<br />

Die übrigen Orte aus dem damaligen Oberamt Glatt hatten<br />

1871 nachfolgende Einwohnerzahlen: Dettensee 376, Dehlingen<br />

297, Dießen 529, Fischingen 429 und Betra mit Nekkarhausen<br />

853. Trillfingen, auf das noch gesondert eingegangen<br />

wird und in ein anderes Oberamt gehörte, hatte damals<br />

864 Einwohner 4.<br />

Zwischen dem Priorberg und dem »Müllers Grund« auf der<br />

Sulzer Anhöhe spielte sich das Arbeitsleben ab. Viele kleine<br />

Buchbesprechungen<br />

Im Silberburg-Verlag Tübingen sind die folgenden drei<br />

Bücher erschienen, die, in schwäbischer Mundart verfaßt,<br />

manch Besinnliches, vor allem aber viel Witz enthalten:<br />

Unter dem Titel »Die schwäbische Weihnacht« (ISBN 3-<br />

87407-218-5; 56 Seiten, fest gebunden, 19,80 DM) hat der<br />

Ulmer Autor Manfred Eichhorn die Geschichte von der Ge-<br />

Literatur:<br />

A. Prinz von Bayern, Die Herzen der Leuchtenberg. München. 1963.<br />

A. H. Buckenmaier. Eugenie Fürstin von Hohenzollern-Hechingen.<br />

Menschen und Mächte um eine Stiefenkelin Napoleons I. In: Zeitschr.<br />

f. Hohenzollerische Geschichte, 88, 1965, 1 ff<br />

L. Heck, Fürstin Eugenie von Hohenzollern-Hechingen. In: Hohenzollerische<br />

Heimat 3, 1969, 33 ff.<br />

E. Mager, Vor 145 Jahren: Die Eichstätter Fürstenhochzeit. In: Historische<br />

Blätter für Stadt und Landkreis Eichstätt. 4, 1971, 13 ff.<br />

E. M. Haller. H. Lehmbuch. G. Mann, Palais Leuchtenberg. Die Geschichte<br />

eines Münchner Adelspalais und seines Bauherren. München<br />

1987.<br />

Plätze wurden Heimat: da, wo man im Schatten des Hölzchens<br />

auf dem »Zwerchstaigle« Vesper hielt, dort, auf den<br />

Galgenäckern, wo man als Kind noch in der Dunkelheit mit<br />

Schaudern auf die Mutter warten mußte. Man hoffte zur<br />

Winterzeit, daß die Micke nicht versagte, wenn Holz auf der<br />

langen Staige vom »Theilwald« heruntergefahren werden<br />

mußte.<br />

Beschäftigen wir uns nun mit dem Raum, der den Glattem<br />

Heimat war.<br />

Während sich die Gärten, die Gänsewiese und die Nachtweide<br />

für die Zugtiere auf dem Talboden in 420 m Höhe befanden,<br />

lagen die Getreidefelder der Glatter Bauern auf den<br />

Hochflächen zu beiden Seiten des Baches. Die Hochfläche<br />

zwischen der Stadt Sulz und dem Dorf Glatt erhebt sich auf<br />

einer Höhe von 520 m ü.M., jene zwischen Glatt und dem<br />

Priorberg auf eine höhere Meterzahl. Der Priorberg mißt<br />

knapp 582 m und stellt einen markanten Grenzpunkt zwischen<br />

Dettingen und Glatt dar. Muschelkalkböden bilden die<br />

Grundlage des Ackerbaus auf den Hochflächen. Auf diesen<br />

lagen die wichtigsten Ösche bzw. Zeigen 5.<br />

Anmerkungen<br />

3 Friedrich R. Wollmershauser, Auswanderer aus hohenz. Amtsblättern,<br />

1992, Bd. 1, Signatur im StAS B 105-1.<br />

1 Der Kreis Hechingen, Reihe Heimat und Arbeit, Aalen 1962, S. 16.<br />

5 Siehe dazu auch Walter Keinath, Flurnamen in Württemberg, S. 88f.<br />

(Fortsetzung folgt)<br />

burt Christi auf die Alb verlegt. Für Auflockerung im Text<br />

der spielerischen Handlung sorgen Lieder, und Uli Gleis hat<br />

das Buch mit Zeichnungen versehen.<br />

Wer sich nicht nur am Reim erfreuen will, sondern auch an<br />

farbigen Bildern, der sei auf den Band »Em Gärtie« hingewiesen<br />

(ISBN 3-87407-232-0; 71 Seiten, 29,80 DM). Der in<br />

31


Verlag: <strong>Hohenzollerischer</strong> <strong>Geschichtsverein</strong><br />

Karlstraße 3, 72488 Sigmaringen<br />

M 3828<br />

Postvertriebsstück. Gebühr bezahlt.<br />

Wurmlingen lebende Autor Fritz Schray besingt in 39 schwäbischen<br />

Gedichten vor allem ländliches Brauchtum und ländliche<br />

Idylle, und der Tuttlinger Maler Rolf Schöndienst, der<br />

auch den Buchumschlag mit einem ansprechenden Gartenbild<br />

gestaltet hat, bereichert den zudem mit vielen schwarzweiß-Zeichnungen<br />

versehenen Band mit 33 pastellfarbenen,<br />

blumigen Aquarellen.<br />

Mit viel Gespür für die Volksseele, mit Humor und in kerniger<br />

Sprache, die nirgendwo gekünstelt klingt, präsentiert<br />

der Ehinger Bankdirektor Albin Beck im Buche »'s Hemmed<br />

ischt hinta und vorna« schwäbische Geschichten und<br />

Glossen. Uli Gleis hat den Band zeichnerisch illustriert<br />

(ISBN 3-87407-241-X; 116 Seiten, 19,80 DM).<br />

»Heimlich, still und fleißig?« lautet der Titel eines im Silberburg-Verlag<br />

Tübingen erschienenen Buchs, das sich mit der<br />

Frauenarbeit seit dem 18. Jahrhundert befaßt (ISBN 3-87407-<br />

216-9; 254 Seiten, versehen mit Schwarz-weiß-Fotos und<br />

»Jungnau in den letzten hundert Jahren«<br />

Heimatgeschichtliche Ausstellung in Jungnau<br />

In Jungnau ist zum Ausklang des Jahrtausends die Veröffentlichung<br />

eines Bildbandes geplant. In diesem Bildband soll<br />

das Leben im Dorf Jungnau vor allem in den letzten 100 Jahren<br />

in Wort und Bild dokumentiert werden. Die bisher gesammelten<br />

Bildbeiträge werden vorab in einer Ausstellung<br />

vom 26. 7. - 3. 8. <strong>1997</strong> in der Schloßgartenhalle in Jungnau<br />

präsentiert. Im Rahmen der Erarbeitung des geplanten Bildbandes<br />

wurde auch die Chronik, die bis 1956 geführt war, mit<br />

neueren Fakten ergänzt.<br />

HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />

herausgegeben vom Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong>.,<br />

Karlstraße 3, 72488 Sigmaringen<br />

ISSN 0018-3253<br />

Erscheint vierteljährlich.<br />

Die Zeitschrift »Hohenzollerische Heimat« ist eine<br />

heimatkundliche Zeitschrift. Sie will besonders<br />

die Bevölkerung im alten Land Hohenzollern und<br />

den angrenzenden Landesteilen mit der Geschichte<br />

ihrer Heimat vertraut machen. Sie bringt neben<br />

fachhistorischen auch populär gehaltene Beiträge.<br />

Bezugspreis:<br />

Für Mitglieder des Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong>s<br />

ist der Bezugspreis im Beitrag enthalten.<br />

Bezugspreis für Nichtmitglieder DM 13,00 jährlich.<br />

Abonnements und Einzelnummern (DM 3,25)<br />

können beim Hohenz. <strong>Geschichtsverein</strong> (s. o.) bestellt<br />

werden.<br />

32<br />

Die Autoren dieser Nummer:<br />

Zeichnungen; 24,80 DM). Zwar beziehen sich die Darlegungen<br />

hauptsächlich auf die Region Stuttgart, doch sind sie in<br />

vielem durchaus vergleichbar mit den Verhältnissen in der<br />

hohenzollerischen Gegend. Beim Blick in die Vergangenheit<br />

werden nicht nur die Benachteiligungen von Frauen offenbar,<br />

sondern auch ihre Begabungen und Fähigkeiten und die<br />

langsamen Wandlungen auf dem steinigen Weg zur immer<br />

noch nicht vollständigen Gleichberechtigung. Ein eigenes<br />

Kapitel ist einer bedeutenden Frauengestalt aus unserer Region<br />

gewidmet: der Hof-Faktorin Karoline Kaulla aus Hechingen,<br />

deren Vater schon dafür gesorgt hatte, daß Geld in<br />

die Kassen der Fürstenhäuser in Hechingen und Sigmaringen<br />

floß. Karoline Kaulla war zuletzt gar württembergische und<br />

kaiserliche Kriegslieferantin, und als Teilhaberin der Württembergischen<br />

Hofbank wurde das Vermögen ihrer Firma<br />

höher eingeschätzt als jenes der Frankfurter Familie Rothschild.<br />

Gerd Bantle<br />

Es waren vor allem zwei Gesetze, die das Jungnau der letzten<br />

Jahrzehnte durch deren Umsetzung nachhaltig prägten.<br />

Zum einen das Gesetz zur »Vereinheitlichung und Ordnung<br />

des Schulwesens« zum anderen die Gemeindereform.<br />

Es soll durch die Veröffentlichung der Umsetzung dieser beiden<br />

Gesetze in Jungnau, geschildert werden, wie neben dem<br />

Verlust der Autarkie, sukzessive auch die Selbständigkeit in<br />

der Kultur- und Kommunalpolitik auf dem Dorf verloren<br />

ging. Anton Fetscher, Ortsvorsteher<br />

Gerd Bantle<br />

Hedinger Straße 5, 72488 Sigmaringen<br />

Anton Fetscher<br />

Ortsverwaltung Jungnau,<br />

72488 Sigmaringen<br />

Dr. Hermann Frank<br />

Im Wägner 24, 72070 Unterjesingen<br />

Wolfgang Hermann<br />

Dettenseer Straße 10/1,<br />

72186 Empfingen<br />

Walter Kempe<br />

Silcherstraße 11, 88356 Ostrach<br />

Dr. Stefan Schmidt Lawrenz<br />

Landstraße 2, 72379 Hechingen-Stein<br />

Dr. Edwin Ernst Weber<br />

Leopoldstraße 4, 72488 Sigmaringen<br />

Otto Werner<br />

Joseph-Wilhelm-Weg 6, 72379 Hechingen<br />

Druck:<br />

M. Liehners Hofbuchdruckerei GmbH &<br />

Co., Verlagsanstalt<br />

72488 Sigmaringen, Karlstraße 10<br />

Schriftleitung:<br />

Dr. med. Herbert Burkarth,<br />

Eichertstraße 6, 72501 Gammertingen<br />

Telefon 07574/4407<br />

Die mit Namen versehenen Artikel geben<br />

die persönliche Meinung der Verfasser wieder;<br />

diese zeichnen für den Inhalt der Beiträge<br />

verantwortlich. Mitteilungen der Schriftleitung<br />

sind als solche gekennzeichnet.<br />

Manuskripte und Besprechungsexemplare<br />

werden an die Adresse des Schriftleiters erbeten.<br />

Wir bitten unsere Leser, die »Hohenzollerische<br />

Heimat« weiter zu empfehlen.


HOHEN ZOLLERISCHE<br />

HEIMAT<br />

Herausgegeben vom<br />

M 3828 F<br />

Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong><br />

47. Jahrgang Nr. 3/September <strong>1997</strong><br />

Der vordere Leopoldplatz mit der Baueinrichtung für das Gebäude der Hohenzollerischen Landesbank im August <strong>1997</strong> (Foto H. Burkarth)<br />

FRANZ SEVERIN GASSLER<br />

Der Sigmaringer Leopoldplatz - Notizen zu seiner Geschichte, Gestalt und Funktion<br />

Teil 1: Die Zeit des souveränen Fürstentums Hohenzollern-Sigmaringen<br />

Wieder einmal wird darüber nachgedacht, die Funktion des<br />

Sigmaringer Leopoldplatzes zu ändern 1. Die jetzt geplante<br />

Änderung stellt einen schwerwiegenden Eingriff in die bisherige<br />

Platzgestalt, in die vorhandene Ordnung dar. Doch ist<br />

die gegenwärtige Platzgestalt nicht die ursprüngliche. Sie<br />

wurde bereits zweimal grundlegend verändert 2. Diese Tatsa-<br />

IN MEMORIAM FRANZ GÄSSLER (22. 4. 1919 - 6. 6. <strong>1997</strong>)<br />

che zeigt uns: Der stetige Veränderungsprozeß der Gesellschaft<br />

offenbart sich in der Stadt augenscheinlich im Wandel<br />

von Funktion und baulicher Gestalt. Welche Funktion und<br />

welche Gestalt dem jeweiligen Ort zukommt, was an Information<br />

in die Entscheidungsprozesse eingebracht wird und<br />

welche Präferenzen wo gesetzt werden, ist letztlich Geistes-<br />

33


haltung und Willensausdruck derjenigen, die Planende und<br />

gemeindliche Entscheidungsträger sind.<br />

In welcher Zeit dem Platz die jeweilige Funktion und Gestalt<br />

gegeben wurde, ob nun nur planerisch oder tatsächlich<br />

realisiert, wird in vier Teilen aufgezeigt. Diese Teile<br />

stehen gleichzeitig für unterschiedliche Epochen: Die Zeit<br />

des souveränen Fürstentums Hohenzollern-Sigmaringen<br />

(1806-1850), der darauffolgenden Epoche, bis zum Ende des<br />

Kaiserreichs (1850-1918), der Nachkriegsmoderne um 1970,<br />

und der Postmoderne um 1990.<br />

Das Stadtbild 1823<br />

1848 - fast 150 Jahre sind es her - war die Platzrandbebauung<br />

des Leopoldplatzes, des damals Carlsplatz genannten Ensembles<br />

vollendet 3. In einem völlig anderen Bild zeigte sich<br />

dieser Ort, der südöstliche Altstadtbereich und die angrenzende<br />

Umgebung, über Jahrhunderte hinweg bis fast 1838,<br />

wie dies die Darstellung für das Jahr 1823 (Abb. 1) und der<br />

zugehörige Stadtgrundriß (Abb. 2) wiedergeben: Auf einem<br />

Sattel zwischen dem zur Donau hin jäh abfallenden Schloßfelsen<br />

im Norden und dem Josephsberg im Süden erstreckte<br />

sich die kleine Residenzstadt, ungefähr acht Meter über der<br />

Talaue liegend, auf einer Fläche von annähernd drei Hektar.<br />

Im Westen wie im Osten führte die einzige Hauptstraße über<br />

das Stadttor in kurzen, steilen Steigungen zu den Donaubrücken.<br />

Außerhalb der Stadt verlief im Süden eine Ringstraße<br />

von Stadttor zu Stadttor parallel zu Stadtgraben und<br />

Stadtmauer. Jenseits dieser Ringstraße lag seit 1744 der Friedhof,<br />

eingezwängt zwischen der steil aufsteigenden Straße<br />

nach Krauchenwies und dem Fußweg nach Hedingen. Abweisend<br />

gegen die Landschaft, hinter der Mauer sich bergend,<br />

lag die Stadt da. Dicht gereiht standen die Häuser in ihr, giebelständig<br />

zu den Gassen hin und steile Satteldächer tragend.<br />

Giebelständig lehnten sich die Häuser auch an die Stadtmauer<br />

und bekränzten diese mit ihren Dächern. Die größeren Gebäude<br />

waren entlang der Hauptgasse, der heutigen Fürst-Wilhelm-Straße,<br />

zu finden, die kleineren Gebäude, eher unregelmäßig<br />

gestellt, im südlichen Stadtbereich. Die Bebauung<br />

vor der ummauerten Stadt suchte bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts<br />

die unmittelbare Nähe zu ihr und den direkten Anschluß<br />

an die Stadttore. Ab 1812 versuchte sich die Stadt über<br />

die Ringstraße - die in der heutigen Antonstraße noch teilweise<br />

weiterexistiert - hinweg gemächlich und in kleinen<br />

Schritten, Haus für Haus zu erweitern. Giebelständiges Bauen<br />

war nun des Brandschutzes wegen nicht mehr gestattet.<br />

Traufständig sollten die Häuser zur Straße hin gestellt werden,<br />

und zum Nachbargebäude war ein Mindestabstand einzuhalten.<br />

Im Osten wurde an der Straße nach Riedlingen ab<br />

1817 der Bauhof errichtet und im Südosten ließ Fürst Anton<br />

Aloys für seine Frau, die getrennt von ihm lebte, 1822 ein<br />

kleines Palais, das sog. »Schlößle« errichten, das später den<br />

Namen »Alter Prinzenbau« erhielt. Noch war die Altstadt<br />

klar ablesbar. Doch hob sich die in der nachnapoleonischen<br />

Ära erfolgte Bebauung aufgrund der andersartigen Struktur<br />

deutlich vom alten Bestand ab. Dies war die Ausgangssituation,<br />

bevor sich das Stadtbild während eines Dezeniums im<br />

südlichen Bereich völlig veränderte.<br />

Das Stadtbild 1850<br />

1848, nach einem Jahrzehnt raumausgreifender Bautätigkeit,<br />

war der Carlsplatz das Herzstück, das Zentrum der Hauptund<br />

Residenzstadt geworden, wie dies das Schaubild für das<br />

Jahr 1850 (Abb. 3) und der zugehörige Stadtgrundriß<br />

(Abb. 4) zeigen. Verschwunden sind Friedhof, Fahr- und<br />

Fußweg nach Hedingen und die bürgerlichen Gemüsegärten,<br />

nicht mehr aufzufinden der Stadtgraben, ein Teil der alten<br />

Bebauung und die Stadtmauer auf einer Länge von mehr als<br />

120 Meter. An ihrer Stelle erstreckt sich nun der Carlsplatz,<br />

34<br />

der heutige Leopoldplatz, längsrechteckig geformt und die<br />

Fläche des Platzes vor dem Rathaus um das Fünffache überragend.<br />

Auf der östlichen Seite tangiert ihn die Carlsstraße,<br />

auf der westlichen die Straße nach Krauchenwies, die nun bis<br />

in die Altstadt hineinführt, und auf der südlichen die Antonstraße.<br />

Mit den zwei neu geschaffenen Straßendurchbrüchen<br />

nördlich des Leopoldplatzes in die Altstadt hinein war diese<br />

durchlässiger geworden und hatte das dortige Quartier seine<br />

Abgeschiedenheit und seine Hinterhofqualität verloren. Auf<br />

der südöstlichen Platzseite, die achsensymmetrisch aufgebaut<br />

ist, stehen die drei zwischen 1837 und 1841 errichteten Privathäuser<br />

nach sämtlichen Seiten hin frei da, mit unterschiedlicher<br />

Traufhöhe und Dachform. Auf der nordöstlichen<br />

Platzfront ist das »Schlößle« zum »Prinzenbau« für die<br />

erbprinzliche Hofhaltung erweitert worden. Sie zeigt ebenfalls<br />

drei Gebäude, »Alter Prinzenbau«, Zwischentrakt und<br />

»Neuer Prinzenbau«, deren Fassaden völlig unterschiedlich<br />

gestaltet sind. Dort sind die Gebäude ohne Zwischenraum<br />

aneinandergefügt. Auf der gegenüberliegenden Seite sind die<br />

beiden funktional getrennten Privathäuser bei unterschiedlicher<br />

Fassadengestaltung mittels einheitlicher Trauf- und<br />

Firsthöhe strukturell zusammengefaßt. Schließlich vereint<br />

die nordwestliche Platzrandbebauung, in der heute die hohenzollerische<br />

Landesbank ihren Sitz hat, drei funktional unabhängige<br />

Bauten unter einem Dach und hinter einer Fassade.<br />

Das Ständehaus war im Mittelbau, Spar- und Leihkasse,<br />

Landeskasse, Steuerrevision, Landesvermessung und Landwirtschaftliche<br />

Zentralstelle waren in den beiden Flügelbauten<br />

untergebracht. Während die bürgerlichen Wohnhäuser<br />

fast ausnahmslos Satteldächer tragen, zeigen die herrschaftlichen<br />

Gebäude als markantes Unterscheidungsmerkmal<br />

Flachdächer und gedrückte Giebel über dem Mittelrisalit.<br />

Die politischen Voraussetzungen<br />

Welche Rahmenbedingungen und Voraussetzungen haben<br />

zu diesem herausragenden, überregional bedeutenden Resultat<br />

geführt, wer war bestimmend bei der Planung und Durchführung,<br />

und mit welcher Intention wurde dieser Platz geschaffen?<br />

1806 war die hohenzollerische Residenzstadt Sigmaringen<br />

Hauptstadt des souveränen Fürstentums Hohenzollern-Sigmaringen<br />

geworden, dessen Gebietsfläche innerhalb weniger<br />

Jahre aufgrund der Säkularisation und der Mediatisierung auf<br />

mehr als das Doppelte angewachsen war. Der Wiener Kongreß<br />

und die Bundesakte 1815 sicherten die Souveränität und<br />

den Fortbestand dieses kleinen Fürstentums. Erst 1833, unter<br />

Fürst Carl (1785-1853), hatte es eine Verfassung bekommen.<br />

Den Anstoß dazu hatte die Juli-Revolution von 1830<br />

gegeben. Die Revolution von 1848 schließlich leitete das Ende<br />

dieses Fürstentums und des benachbarten der Hohenzollern-Hechingen<br />

ein. Durch dieses Ereignis enttäuscht verzichtete<br />

Fürst Carl zu Gunsten seines Sohnes Carl Anton<br />

(1811-1885), der nach langwierigen Verhandlungen und nicht<br />

gerade zu seinem Nachteil die Souveränitätsrechte 1850 an<br />

die Krone von Preußen abtrat.<br />

Die planerischen und rechtlichen Voraussetzungen<br />

Bereits 1825 hatten höhere Beamte schriftlich darauf hingewiesen,<br />

daß sich der Status der Residenzstadt verändert hatte,<br />

seitdem sie Hauptstadt eines souveränen Fürstentums geworden<br />

war. Diese Tatsache sollte ihrer Meinung nach auch<br />

im Stadtbild Ausdruck finden, in einer angemessenen baulichen<br />

und städtebaulichen Gestalt. Doch erst im Dezember<br />

1832 lag, abgestimmt mit dem Verfassungsentwurf, ein Bauplan-Entwurf<br />

für die Residenzstadt vor. Oberst von Hövel,<br />

damals Referent in Bausachen bei der Landesregierung, hatte<br />

diesen Plan entworfen. Zuvor hatte er die Struktur der Alt-


öoljcruoUcnfdjc tonbc<br />

Dfttteitungen auö bem ©efci)tcf)tgt>eretn<br />

Veranstaltungen im 4. Quartal <strong>1997</strong><br />

1. Exkursion<br />

Der <strong>Geschichtsverein</strong> veranstaltet am \\.l\2. Oktober<br />

<strong>1997</strong> eine zweitägige Studienfahrt in die Schweiz und nach<br />

Vorarlberg. Die erste Station ist die berühmte Barockkirche<br />

der ehemaligen<br />

Abtei Muri im Kanton Aargau,<br />

deren Herrschaft Glatt am oberen Neckar 1802 an Hohenzollern-Sigmaringen<br />

fiel.<br />

Die weiteren Stationen der Exkursion sind Wirkungsstätten<br />

des<br />

Heiligen Fidelis von Sigmaringen,<br />

des Patrons von Hohenzollern, im Kanton Graubünden<br />

und in Vorarlberg gewidmet. In Chur - wo auch übernachtet<br />

wird - werden die Kathedrale mit der Krypta, in<br />

der die Gebeine des Heiligen aufgebahrt sind, und der<br />

Domschatz besichtigt. Am Sonntag wird dann der Ort<br />

Seewis im Prättigau besucht, wo St. Fidelis am 24. April<br />

1622 das Martyrium erlitt. Die Reise geht weiter nach<br />

Feldkirch, der Sigmaringer Partnerstadt. Dort ist eine<br />

Führung durch die Stadt mit dem Besuch der Schattenburg,<br />

dem ehemaligen Sitz der Grafen von Montfort, vorgesehen.<br />

Anschließend werden dann die Kapelle, wo die<br />

Hauptreliquie von St. Fidelis verwahrt wird, und das dazugehörige<br />

Kapuzinerkloster besichtigt.<br />

Die Besichtigungen in Muri, Chur und Feldkirch werden<br />

jeweils unter der Leitung von örtlichen Führern durchgeführt.<br />

Die Führung in Seewis wird Dr. Becker übernehmen.<br />

Die Exkursion wird auf 40 Teilnehmer be-<br />

Stadt analysiert. Er war zu dem Ergebnis gekommen, daß sich<br />

die Altstadtbebauung auf einen Ursprungsplan zurückführen<br />

läßt, dessen Grundstruktur vorgegeben war in zwei parallel<br />

laufenden, ost-west-gerichteten Gassen, die von drei weiteren<br />

Gassen rechtwinklig gekreuzt werden. Den vorgefundenen<br />

Bestand interpretierte er als Abweichung von diesem<br />

Plan. Ziel seines Entwurfes war die Rückführung in den vermeintlich<br />

ursprünglichen Zustand mit Hilfe von Baulinien<br />

und die Fortsetzung dieses Grundrißmusters über die Stadtmauer<br />

hinaus in die angrenzenden Erweiterungsgebiete.<br />

Noch vier Jahre sollten vergehen, bis der sogenannte Stadtbauplan,<br />

der jetzt nicht nur die Altstadt und den Ringstraßenbereich,<br />

sondern auch die weitere Umgebung miteinbezog,<br />

im Februar 1837 Bestandteil der »Vorschriften für die<br />

Bauungen in der Residenzstadt Sigmaringen« wurde. Wesentliche<br />

Merkmale dieses Planes und der Bauordnung waren<br />

die rasterförmige Grundrißstruktur, ausgewiesen durch<br />

Baulinien, die in Anlehnung an die Struktur der Altstadt kleine<br />

Quartiere bildete, die Pflicht traufständig und nicht unter<br />

zwei Geschossen zu bauen, sowie Mindestlängen und -höhen<br />

einzuhalten und die Gebäude zu verblenden. Im selben Jahr<br />

beauftragte die Geheime Conferenz die Landesregierung,<br />

schränkt. Bei sehr großem Interesse kann die Studienfahrt<br />

im Frühling 1998 wiederholt werden.<br />

Abfahrt 11. Okt.:<br />

Hechingen 6.00 Uhr (Obertorplatz)<br />

Sigmaringen 7.00 Uhr (Haltestelle gegenüber der<br />

früheren EZS).<br />

Rückkehr 12. Okt.:<br />

Sigmaringen um ca. 19.00 Uhr<br />

Hechingen um ca. 20.00 Uhr.<br />

Anmeldungen sind bis spätestens 7. Oktober <strong>1997</strong> zu<br />

richten an:<br />

Teilnehmer aus dem Bereich Hechingen:<br />

an Herrn Dr. Vees (Tel. 07471/9381-0)<br />

Teilnehmer aus dem Bereich Sigmaringen:<br />

an Frau Liebhaber (Tel. 07571/101-558)<br />

2. Vorträge<br />

Oberarchivrat a. D. Dr. Herbert Natale, Stuttgart:<br />

Die Grafen von Zollern und die Herrschaft Rhäzüns: Deren<br />

Tausch gegen die Herrschaft Haigerloch 1497. Zur<br />

500. Wiederkehr dieses Ereignisses.<br />

Montag, 27. Oktober, um 20.00 Uhr im Bürgerhaus in<br />

Haigerloch<br />

Montag, 10. November, um 20.00 Uhr im Spiegelsaal des<br />

Prinzenbaus (Staatsarchiv) in Sigmaringen.<br />

Michael Hakenmüller M. A., Hechingen:<br />

Die Sehnsucht nach dem Süden. Goethes Reise durch das<br />

Schwabenland und Hohenzollern vor 200 Jahren.<br />

Dienstag, 4. November, um 20.00 Uhr im Spiegelsaal des<br />

Prinzenbaus (Staatsarchiv) in Sigmaringen.<br />

(Diese Veranstaltung fand bereits am 22. September in<br />

Hechingen statt.)<br />

Vorschläge zur Verschönerung der Stadt ausarbeiten zu lassen<br />

mit der Bestimmung, der Stadt für Verschönerungsmaßnahmen<br />

jährlich eine Summe zur Verfügung zu stellen. Silvester<br />

1839 unterbreitete die Landesregierung ihren Katalog,<br />

der u. a. die Herstellung eines regelmäßigen Platzes beim<br />

»Schlößle« enthielt. Zwei Wochen zuvor hatte Hofgerichtsrat<br />

von Sallwürk in einem Schreiben, das an Fürst und Erbprinz<br />

gerichtet war, präzise und weiterreichende Vorschläge<br />

zur Stadtverschönerung und speziell für den Platz vor dem<br />

»Schlößle« unterbreitet. Dort, in die Mitte des regelmäßig zu<br />

gestaltenden Platzes, sollte ein »einfaches Denkmal« gestellt<br />

werden, eine ungefähr acht Meter hohe, auf einem Sockel stehende<br />

Pyramide, die von runden, mit Ketten untereinander<br />

verbundenen Abweichsteinen umgeben ist. Damit könne sich<br />

der fürstliche Spender verewigen schrieb Sallwürk. Die Idee,<br />

eine Pyramide als Denkmal mitten auf den Platz zu stellen,<br />

war nicht neu. 1825 war die Pyramide auf dem Karlsruher<br />

Marktplatz, von Weinbrenner entworfen, mit einer Höhe von<br />

sechseinhalb Meter vollendet worden. Mit ihr war die Gruft<br />

überbaut worden, in der der badische Markgraf Carl Wilhelm,<br />

der Gründer von Karlsruhe, 1738 begraben worden<br />

war 4.<br />

35


36<br />

WO A3) jnon<br />

Abb. 1 (oben):<br />

Südöstlicher Bereich der Sigmaringer Altstadt im Jahre 1823 (isometrische<br />

Darstellung), M. 1:2000. Rechts oben, im Nordosten, sind der<br />

östliche Stadteingang, Teile des Hofgartens und des Fürstlichen Bauhofs<br />

zu sehen, rechts unten der seit 1824 aufgelassene Friedhof. Dazwischen<br />

steht das »Schlößle«, aus dem der heutige »Alte Prinzenbau«<br />

hervorgegangen ist. Hermetisch riegelt die Stadtmauer die Altstadt<br />

nach außen hin ab. In der Stadt stehen die Häuser noch dicht<br />

gereiht und giebelständig.<br />

Abb. 2 (links):<br />

Sigmaringer Stadtgrundriß im Jahr 1823,M. 1:15000. Dargestellt sind<br />

das Straßennetz und die überbauten Flächen. Die ummauerte Altstadt<br />

liegt eingezwängt auf einem Sattel zwischen Laizer Brücke bei der<br />

Donauschleife im Westen und dem Hofgarten im Osten, an dessen<br />

östlichem Ende seit 1823 die sogenannte Bauhofbrücke die Donau<br />

quert. Außerhalb der Mauer liegen im Norden, zur Donau hin , auf<br />

östlicher und westlicher Seite der Altstadt die beiden kleinen Vorstädte<br />

und entlang der südlichen Ringstraße, die neuen Baugebiete.


N 100 ZO« IOOM<br />

Abb. 3 (oben):<br />

Südöstlicher Bereich der Sigmaringer Altstadt im Jahr 1823 (isometrische<br />

Darstellung), M. 1:2000. In der Mitte ist der Carlsplatz, der<br />

heutige Leopoldplatz zu sehen, von Altem und Neuem Prinzenbau<br />

im Osten (links) begrenzt, und im Norden (oben) vom Ständehaus.<br />

An der östlichen Peripherie des Carlsplatzes führt die Carlsstraße<br />

schnurgerade und beidseitig bebaut nach Südosten. In die südwestliche<br />

Platzecke mündet die nun zweizeilig bebaute Antonstraße. Deutlich<br />

hebt sich die Stadterweiterung mit den traufständig stehenden<br />

Gebäuden von der Altstadt ab.<br />

Abb. 4 (links):<br />

Sigmaringer Stadtgrundriß im Jahr 1850, M. 1:15 000. Dargestellt sind<br />

das Straßennetz und die überbauten Flächen. Gegenüber dem Jahr<br />

1823 hat sich der Stadtgrundriß besonders im südöstlichen Bereich<br />

einschneidend verändert. Die ehemals geschlossene Stadtmauer ist<br />

mehrfach durchbrochen oder abgebrochen und verschwindet hinter<br />

Neubauten. Neue Stadteingänge, neue Straßen und Straßenkorrekturen<br />

prägen nun den Stadtgrundriß.<br />

37


Die Stadtverschönerungskommission<br />

Zu Beginn des Jahres 1840 verfügte die Geheime Conferenz<br />

die Bildung einer Verschönerungskommission, deren Vorsitz<br />

Erbprinz Carl Anton führen sollte. 5000 Gulden betrug die<br />

jährliche Dotation für Verschönerungsmaßnahmen, die aus<br />

der Hofkammerkasse bereitgestellt wurde. Die gestalterischen<br />

Richtlinien sowohl für den Platzgrundriß als auch für<br />

die Fassadengestaltung der nordwestlichen und der nordöstlichen<br />

Seite hatte diese Kommission vorgegeben. Sie hatte die<br />

notwendigen Maßnahmen zur Platzherstellung - Abbruch<br />

von Stadtmauer und neuen Gebäuden sowie Planierung des<br />

Platzes - organisatorische und finanziell abgewickelt. Seit den<br />

Revolutionsereignissen 1848 blieb die alljährliche Dotation<br />

aus.<br />

Die Bitten der Stadt um einen Beitrag zur restlichen Planierung<br />

und zur Gestaltung des Platzes wurde ablehnend beschieden.<br />

Die Kosten hierfür mußte die Stadt selber aufbringen.<br />

Die Initiative zur Namensgebung ging von der Stadtverschönerungskommission<br />

aus. Erbprinz Carl Anton hatte<br />

im Juli 1841 die Namen festgelegt für den neuen Platz und<br />

die beiden Hauptstaßen der Stadterweiterung: Carlsplatz,<br />

Carlsstraße und Antonstraße. 1851 schließlich wurdedie Verschönerungskommission<br />

aufgelöst.<br />

Funktion und Ergebnis<br />

Das Jahr 1848 zeigte, daß dieser Platz - sicher entgegen der<br />

ursprünglichen Absicht - auch anderen Zwecken dienen<br />

konnte. Tausende von Menschen hatten sich am 26. September<br />

1848 auf dem Carlsplatz zu einer Volksversammlung eingefunden,<br />

zu der der Advokat Würth am Vortag aufgerufen<br />

hatte. Hier wurde der Aufstellung eines Sicherheitsausschusses<br />

und der Entwaffnung des Militärs zugestimmt. Und hier,<br />

vor den Augen der erbprinzlichen Hofhaltung, hatte der sogenannte<br />

Septemberaufstand seinen Höhepunkt gefunden,<br />

OTTO H. BECKER<br />

der mit dieser Demonstration seiner Macht nachhaltigen Eindruck<br />

sowohl beim fürstlichen Hof als auch bei der Landesregierung<br />

hinterlassen hatte 5.<br />

Angelegt und bebaut innerhalb der Dekadevon 1838 bis 1848<br />

spiegelt der Carlsplatz zusammen mit der Carlsstraße nicht<br />

nur die rasante städtebauliche Entwickung und den Ausbau<br />

zu einer modernen Residenz- und Landeshauptstadt in diesem<br />

goldenen Jahrzehnt wider, sondern er steht auch zeichenhaft<br />

für diese Landeshauptstadt. Nichts verkörperte diesen<br />

Anspruch Landeshauptstadt zu sein besser, als diese<br />

große, regelmäßige Platzfläche mit den bürgerlichen und<br />

herrschaftlichen Gebäuden, vor allem aber dem Ständehaus<br />

im Zentrum der nordöstlichen Platzseite.<br />

Anmerkungen<br />

1 Vgl. Schwäbische Zeitung Nr. 114, 21.5.97, Ml/Sl; Nr. 115,<br />

22.5.97, M2/S2, Nr. 116, 23.5.97, S2/M2.<br />

2 Im Jahr 1869 war das Fürst Carl Denkmal auf Initiative Fürst Carl<br />

Antons mitten auf dem Carlsplatz errichtet und der Platz zu einer<br />

Grünanlage umgestaltet worden (vgl. St AS, Dep. 39, NVA 1565).<br />

Bereits 1909 mußte dieses Denkmal der Neugestaltung dieses Platzes<br />

weichen, die für die Aufstellung des Reiterdenkmals für den<br />

Fürsten Leopold erforderlich war (vgl. StAS, HO 199, Bd. 1, Akten<br />

Nr. 72 und StAS, Dep. 39, NVA 18072).<br />

3 Soweit nicht anders angemerkt wird als Quelle des Teil 1 dieses<br />

Aufsatzes ausschließlich herangezogen: Franz-Severin Gäßler,<br />

Carlsplatz und Carlsstraße in Sigmaringen. Stadterweiterungen in<br />

der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Teil 1, in : ZHG 29, 1993,<br />

S. 165-197; Teil 2, in: ZHG 30/31, 1994/95, S. 283-360.<br />

4 Vgl. Arthur Valdenaire, Friedrich Weinbrenner. Sein Leben und<br />

seine Bauten. Karlsruhe 4. Aufl. 1985, S. 104ff.<br />

5 Vgl. Eberhard Gönner, Die Revolution von 1848/49 in den Hohenzollerischen<br />

Fürstentümern und der Ubergang an Preußen. In:<br />

Hohenzollern. Hrsg. von Fritz Kallenberg. Stuttgart, Berlin, Köln<br />

1996 (Schriften zur politischen Landeskunde Baden-Württembergs;<br />

Bd. 23), S. 283-306. S. 298.<br />

Sigmaringer Monumente zwischen Rüstungsbedarf und Denkmalschutz<br />

im Zweiten Weltkrieg<br />

Infolge der Diskussion über die Neugestaltung des Leopoldplatzes<br />

und der dabei aufgeworfenen Frage nach einer<br />

möglichen Versetzung des Fürst-Leopold-Denkmals sind<br />

unversehens die in der zweiten Hälfte des 19. und zu Beginn<br />

des 20. Jahrhunderts geschaffenen Monumente zu Ehren der<br />

Fürsten von Hohenzollern-Sigmaringen im Zentrum von<br />

Sigmaringen insgesamt in das öffentliche Interesse getreten,<br />

wie der Schwäbischen Zeitung, <strong>Ausgabe</strong>n Sigmaringen-<br />

Meßkirch vom 23. Mai sowie vom 7., 14. und 16. Juni <strong>1997</strong>,<br />

zu entnehmen ist. In diesem Zusammenhang entbehrt es freilich<br />

nicht einer gewissen Pikanterie, daß diese einzigartigen<br />

Zeugnisse des Residenzstadtcharakters von Sigmaringen aus<br />

Bronze im Dritten Reich selbst von dem Zugriff der angeordneten<br />

»Ablieferung der Denkmäler zur Verstärkung der<br />

Rüstungsreserve« bewahrt werden konnten.<br />

38<br />

Diese Maßnahme beruhte auf einem Erlaß des Reichsinnenministeriums<br />

vom 3. Mai 1942. Danach sollten alle Denkmäler<br />

aus Kupfer und Bronze auf öffentlichen Straßen und<br />

Plätzen eingezogen werden, »die sich im Eigentum der Gemeinden«<br />

befanden. Ausgenommen wurden in dem Erlaß<br />

»Denkmäler, die wegen ihrer besonderen künstlerischen und<br />

geschichtlichen Bedeutung erhalten werden« sollten. Abzugeben<br />

waren jedoch ausdrücklich auch Kriegerdenkmäler.<br />

Die Ablieferung der Monumente sollte nach der Anordnung<br />

im Zeitraum vom 10. Mai bis 30. Juni 1942 erfolgen. Die Federführung<br />

der Aktion oblag der Reichsstelle für Metalle in<br />

Berlin.<br />

Bereits unterm 5. Juni 1940 hatte der Deutsche Städtetag die<br />

Gemeinden im Reich aufgefordert, Meldebögen über alle<br />

Denkmäler für die Metallspende anzufertigen und einzurei-


chen. Am 10. Februar 1941 meldete die Stadtverwaltung Sigmaringen<br />

die folgenden Objekte: Das Fürst-Leopold-Denkmal<br />

auf dem Leopoldplatz, das Fürst-Karl-Denkmal in der<br />

Anlage gegenüber dem Marstall, das Kaiser-Wilhelm I.-<br />

Denkmal an der Ecke Fürst-Wilhelm-Straße/Bahnhofstraße,<br />

das Denkmal der Fürstin Josefine von Hohenzollern<br />

geb. Prinzessin von Baden vor dem Josefinenstift an der<br />

Josefinenstraße und das Kriegerdenkmal auf dem Brenzkoferberg.<br />

Nach der Auffassung der Stadtverwaltung von Sigmaringen<br />

sollten die von Fürst Leopold von der Kunst- und Bronzegießerei<br />

Gladenbeck in Berlin gekaufte und 1897 aufgestellte<br />

Büste Kaiser Wilhelms »des Großen« sowie das von dem<br />

aus Sigmaringen stammenden und in München wirkenden<br />

Bildhauer Prof. Alois Stehle (1854-1932) geschaffene und<br />

1913 enthüllte Denkmal der Fürstin Josefine abgeliefert werden.<br />

Gegen eine Ablieferung der Denkmäler der Fürsten Karl<br />

(1785-1853), Karl Anton (1811-1885) und Leopold<br />

(1835-1905) wurden historische und künstlerische Argumente<br />

vorgebracht. Der Erhalt des 1873 errichteten Kriegerdenkmals<br />

auf dem Brenzkoferberg wurde damit begründet,<br />

»weil dasselbe vom Lande Hohenzollern seinen gefallenen<br />

Helden des Krieges 1870/71 errichtet wurde, und deshalb<br />

großen heimatlichen Wert hat«.<br />

In Gutachten vom 6. Juni 1942 plädierte der Landeskonservator<br />

Walther Genzmer (1890-1983) für den Erhalt der<br />

Denkmäler der Fürsten Karl, Karl Anton und Leopold. Wohl<br />

aus taktischen Gründen gab der Gutachter freilich zu bedenken:<br />

»Von den drei in Sigmaringen stehenden Denkmälern<br />

hohenzollerischer Fürsten ... könnte jedoch das<br />

Denkmal des Fürsten Leopold noch am ehesten verschmerzt<br />

werden«.<br />

Mit Schreiben vom gleichen Tage an das evangelische Stadtpfarramt<br />

Sigmaringen führte die Stadtverwaltung aus: »Soweit<br />

die Denkmäler auf öffentlichen Straßen und Plätzen<br />

nicht im Eigentum der Gemeinden stehen, erwartet der Herr<br />

Reichsminister, daß die Eigentümer oder sonst Verfügungsberechtigten<br />

sich der Notwendigkeit, auch diese Denkmäler<br />

in die Ablieferung einzubeziehen, nicht verschließen werden.<br />

Die Gemeinden sind beauftragt, etwa erforderliche Verhandlungen<br />

zu führen«. Derart autorisiert, führte der amtierende<br />

Bürgermeister Staudinger weiter aus: »Da auch das<br />

Kriegerdenkmal an der evangelischen Kirche über 5 kg wiegt,<br />

so gestatte ich mir die Anfrage, ob dieses Denkmal ebenfalls<br />

freiwillig zur Verfügung gestellt wird. Eine Entschädigung<br />

wird nicht gezahlt«.<br />

In einem weiteren Schreiben der Stadtverwaltung vom 6. Juni<br />

d. J. an das Bauunternehmen Emil Steidle werden zur Ablieferung<br />

darüber hinaus noch folgende Objekte genannt: Die<br />

Tafel mit den Namen der im Ersten Weltkrieg gefallenen Sigmaringer<br />

an der westlichen Ecke des Rathauses unter der Statue<br />

des Sigmar, die Gedenktafel der Gebrüder Theodor<br />

(1825-1862) und Alfons (1836-1925) Bilharz, die Gedenktafel<br />

des Hofmalers Richard Lauchert (1823-1868) an dem damaligen<br />

Gasthaus »Zum Erbprinzen«, heute Sitz der Südwestbank<br />

AG in der Fürst-Wilhelm-Straße, und der Hirsch<br />

auf dem Hirschsprung am Mühlberg.<br />

In dem Bericht von Bürgermeister Staudinger vom 9. Juni<br />

1942 an den Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und<br />

Volksbildung werden von den insgesamt 9 Objekten die<br />

Denkmäler der Fürsten Karl und Karl Anton als unbedingt<br />

erhaltenswert bezeichnet. Ferner wurde in dem Schreiben um<br />

Prüfung gebeten, ob auch das Fürst-Leopold-Denkmal an<br />

seinem Platz belassen werden könnte.<br />

Der Reichsminister kam den Forderungen des Sigmaringer<br />

Bürgermeisters großzügig entgegen, was beweist, daß in den<br />

Ministerien damals auch noch Leute wirkten, die Augenmaß<br />

an den Tag legten. In dem Erlaß vom 17. Juni 1942 heißt es<br />

nämlich: »Von den insgesamt neun ... hier gemeldeten Bronzedenkmälern<br />

werden von der Ablieferung ausgenommen:<br />

Denkmal des Fürsten Karl Anton ..., Büste des Fürsten Karl<br />

... Zurückgestellt wird die Ablieferung des Denkmals des<br />

Fürsten Leopold, d. h. dieses Denkmal ist jetzt nicht abzuliefern,<br />

doch muß im Falle weiteren unabweisbaren Metallbedarfs<br />

vorbehalten bleiben, es in Anspruch zu nehmen,<br />

worüber rechtzeitig Bescheid ergehen würde. Die übrigen<br />

6 Denkmäler sind abzuliefern«.<br />

Die Zahl der abzugebenden Gegenstände konnte sogar noch<br />

vermindert werden. So wurde das Kriegerdenkmal in der<br />

Vorhalle der evangelischen Stadtpfarrkirche in der Karlstraße<br />

wegen zu geringem Bronzegehalts und wegen seines Standortes<br />

auf kircheneigenem Gelände von der Ablieferung ausgenommen.<br />

Zu geringer Metallgehalt war wohl auch der<br />

Grund dafür, daß die Tafeln zum Andenken an die Brüder<br />

Theodor und Alfons Bilharz am Bilharzhaus und zum Gedenken<br />

an den Hofmaler Lauchert am Gasthof »Zum Erbprinzen«<br />

in der Fürst-Wilhelm-Straße belassen wurden.<br />

Auch von der Abgabe des Hirsches auf dem Pantelstein war<br />

danach keine Rede mehr.<br />

Mit Schreiben vom 5. August 1942 wurde von der Reichsstelle<br />

für Metalle in Berlin die Abgabe der folgenden Objekte<br />

angefordert: Die Germania-Statue und die vier Gedenktafeln<br />

vom Kriegerdenkmal auf dem Brenzkoferberg, das Kaiser-Wilhelm<br />

I.-Denkmal, die Kriegergedenktafel am Rathaus<br />

und - wovon vorher nie die Rede war - ein Christuskreuz<br />

vom Hedinger Friedhof. Das Gesamtgewicht des Metalls<br />

wurde mit 1003 kg angegeben.<br />

Die abzuliefernden Stücke aus Erz wurden in Magazinräumen<br />

des Reichsnährstandes im Fruchtkasten an der Fürst-<br />

Wilhelm-Straße zusammengeführt und dann im Zeitraum<br />

vom Dezember 1942 bis Februar 1943 in mehreren Fuhren<br />

zur Schrotthandlung Ludwig Gminder am Güterbahnhof in<br />

Reutlingen transportiert. Das weitere Schicksal dieser Objekte<br />

konnte anhand der im Stadtarchiv Sigmaringen verwahrten<br />

Unterlagen nicht ermittelt werden.<br />

Das Fürst-Leopold-Denkmal wurde, obwohl es mit einem<br />

Metallgewicht von ca. 2000 kg sicherlich ein lohnendes Objekt<br />

für die Kriegswirtschaft darstellte, bekanntlich auch in<br />

der Endphase des Krieges nicht angetastet und blieb an seinem<br />

angestammten Platz gegenüber dem Prinzenbau. Anstelle<br />

der abgenommenen Büste Kaiser Wilhelms I. am Eingang<br />

zur Allee ließ Fürst Friedrich 1964 von dem aus Laiz<br />

stammenden Bildhauer Prof. Josef Henselmann (1898-1987)<br />

seinem Vater, dem Fürsten Wilhelm von Hohenzollern, zu<br />

dessen 100. Geburtstag ein Denkmal errichten. Im gleichen<br />

Jahr wurde auf dem Platz des 1942 ausgeplünderten Kriegerdenkmals<br />

auf dem Brenzkoferberg von der Stadt Sigmaringen<br />

das ebenfalls von Prof. Henselmann geschaffene Kriegerehrenmal<br />

seiner Bestimmung übergeben.<br />

Die Tafel zu Ehren von Richard Lauchert ist heute noch an<br />

der ursprünglichen Stelle zu sehen. Die Gedenktafel der Gebrüder<br />

Theodor und Alfons Bilharz hingegen wurde bei der<br />

Aufstockung des Bilharzhauses vor einigen Jahren entfernt.<br />

Es wäre sehr zu begrüßen, wenn diese bald wieder am Gebäude<br />

angebracht werden würde.<br />

Quellennachweis: StA Sigmaringen Dep. 1 (Stadtarchiv Sigmaringen)<br />

Bd. 9 Nr. 463<br />

39


Hermann Anton Bande: Pilatus verurteilt Jesus zum Tode; Dunninger Kreuzweg-Station. Foto: G. Paukert<br />

GERD BANTLE<br />

Straßberger Ausstellung bescherte völlig neue Einblicke<br />

Hermann Anton Bantle war mehr als »nur« Maler religiöser Motive<br />

Schade! Nur drei Tage lang war in der Straßberger Schmeienhalle<br />

anläßlich des 125. Geburtstags des Kunstmalers Hermann<br />

Anton Bantle (1872 bis 1930) eine Jubiläumsausstellung<br />

zu sehen, die völlig neue Einblicke in das Leben und<br />

Schaffen des Straßbergers vermittelte.<br />

Allein schon der rege Besucherandrang (Interessenten kamen<br />

aus ganz Hohenzollern und weit darüber hinaus) und das<br />

überdurchschnittliche Medienecho hätten gezeigt, daß die<br />

über einjährige Forschungs- und Vorbereitungsarbeit der Initiatoren<br />

der Ausstellung, des Straßberger Arbeitskreises »Jan<br />

von Werth« und der Gemeindeverwaltung, nicht vergebens<br />

war. Doch die weitgehend positiv beurteilte Ausstellung bewirkte<br />

mehr als nur die Auffrischung von Erinnerungen an<br />

einen berühmten Heimatsohn, der bis dato vor allem als mit<br />

der katholischen Kirche eng verwurzelter Fresco- und<br />

Kreuzwegmaler mehr oder weniger bekannt war.<br />

Zum einen konnten Leben und Schaffen Bantles in einem<br />

Ausmaß gezeigt werden, wie es bislang noch nie der Fall gewesen<br />

war. Intensives hartnäckiges, manchmal detektivisch<br />

anmutendes Nachforschen des Arbeitskreises und großzügiges<br />

Entgegenkommen vieler Leihgeber machten dies möglich.<br />

Nicht nur zahlreiche Kunstwerke Bantles konnten erstmals<br />

der Öffentlichkeit präsentiert werden, sondern auch etliche<br />

aufschlußreiche persönliche Dokumente (Fotos, Briefe<br />

und Urkunden zum Beispiel), die der Künstler und seine Angehörigen<br />

hinterlassen haben. Sie bescherten etwa neue Einblicke<br />

in die Kinder- und Jugendzeit des Straßbergers, in sein<br />

40<br />

Suchen, Ringen, Reifen und Wachsen, in sein fruchtbringendes<br />

Schaffen während mehrerer Italienaufenthalte und nicht<br />

zuletzt in seinen Kampf um das tägliche Brot. Beseelt von hohen<br />

Idealvorstellungen, suchte er unermüdlich nach Aufträgen,<br />

arbeitete er emsig bis an den Rand der Erschöpfung in<br />

einer Zeit allgemeiner Geldnot, unter der auch er zu leiden<br />

hatte, zudem gesundheitlich angeschlagen.<br />

Ein zweites Plus der Straßberger Ausstellung war, daß noch<br />

bis zum Schluß neue Erkenntnisse und bis dahin unbekannte<br />

Bilder Bantles auftauchten, so daß das Verzeichnis seiner<br />

Werke, von denen ohnehin viele den Kriegsfolgen und Zeitläuften<br />

zum Opfer gefallen waren, ergänzt werden konnte.<br />

Neue Spuren zeigten sich, denen nachzugehen sich lohnen<br />

würde. So wurde ein zweites Tagebuch ausfindig gemacht,<br />

das der wissenschaftlichen Auswertung harrt.<br />

Dies alles offenbarte auch, daß noch viel Dunkles erhellt werden<br />

könnte. Manches ist ungeklärt oder nur bruchstückhaft<br />

bekannt: etwa die Oblatenzeit Bantles in Beuron, seine Ausbildung<br />

in St. Gallen und vor allem in München oder seine<br />

Beziehungen zur bildhübschen Marietta in Italien, einer Frau,<br />

die er immer wieder gemalt hat. Der Arbeitskreis »Jan von<br />

Werth« hofft daher nicht nur, daß der Bantle-Nachlaß zusammengeführt<br />

und geordnet, sondern daß er auch profund<br />

wissenschaftlich aufgearbeitet wird. Die Weichen sind gestellt.<br />

Ein weiterer positiver Aspekt der Jubiläums-Ausstellung war<br />

die Erkenntnis, daß die Urteile über den Kunstmaler Her-


mann Anton Bantle schon jetzt neu geschrieben werden müssen.<br />

In ihm allein den Frescomaler und Meister kirchlicher<br />

Monumentalkunst zu sehen, wäre einseitig. Die in Straßberg<br />

zur Schau gestellten Bilder wiesen ihn auch als hervorragenden<br />

Portraitisten und Landschaftsmaler aus. Der Außenseiter<br />

Bantle hat bedeutende Werke hinterlassen.<br />

Dr.Adolf Smitmans, Leiter der Städtischen Galerie Albstadt,<br />

urteilte bei Eröffnung der Straßberger Präsentation unter anderem:<br />

»Es gibt diese Ausstellung uns das Glück, bedeutende<br />

Werke zu sehen: Landschaften, die zugleich emotionale<br />

HERBERT RÄDLE<br />

und geistig-existentielle Bilder sind; Glück über die Schönheit<br />

der begegnenden Menschen, der Frau. Wir sehen auch<br />

Bilder des Glaubens, so vollkommen das nur geht, Ausdruck<br />

von Hingabe und einer großen Zuversicht. Und es zeigt sich<br />

diese Glaubensbedeutung ... nicht durch einen vorgegebenen<br />

Stil, sondern aus dem persönlichen Wagnis des Künstlerischen,<br />

aus der Bewegung des Herzens, der Hineingabe des<br />

Selbst in die Farbe. Eine Analyse der wichtigsten Bilder ist<br />

durchaus in der Lage, diese ihre besondere Qualität anschaulich<br />

zu machen«.<br />

Eine spätgotische Figur des Hl. Konrad in Fulgenstadt. Herkunft und Datierung<br />

Das Dorf Fulgenstadt bei Saulgau, um 1090 erstmals erwähnt,<br />

kam 1299 mit der Vogtei Saulgau an Osterreich und zählte<br />

zur Grafschaft Friedberg-Scheer. Schon früh hatte das<br />

Kloster Weingarten hier Besitz, ihm wurde die Fulgenstädter<br />

Kirche 1358 inkorporiert. Unter dem Weingartener Abt<br />

Hartmann von Burgau (1491-1520) wurde ein neues Chor-<br />

Retabel angeschafft. In dem dreifigurigen Schrein kamen die<br />

Schutzheiligen der Kirche, Ulrich und Konrad, zur Aufstellung.<br />

Beide Figuren sind heute noch in der Fulgenstädter<br />

Kirche (wir zeigen die Figur des Hl. Konrad in Abb. 1),<br />

während die Zentralfigur, wahrscheinlich eine Madonna, verschollen<br />

ist.<br />

Manfred Hermann 1 schreibt die beiden Bischofsfiguren - beide<br />

tragen Krummstab und Mitra-einem »schwäbischen Bildhauer<br />

(Michel Erhart, Ulm?)« zu und datiert »um 1500/10«.<br />

Diese Angaben sind jedoch zu revidieren beziehungsweise zu<br />

präzisieren, was im folgenden durch einen Vergleich der<br />

Fulgenstädter Konradsfigur mit einer Madonnenfigur aus<br />

Ochsenhausen geschehen soll, die zwischen 1496 und 1499<br />

in der Ulmer Weckmann-Werkstatt geschaffen wurde<br />

(Abb. 3). Die leicht vergleichbaren Figuren in Abb. 2 und 3<br />

tragen zunächst beide ein Untergewand, das in langen, geraden<br />

Falten niederfällt und sich auf dem Boden staut. Bei der<br />

Konradfigur ist es über dem vorgestellten Fuß des »Spielbeins«<br />

zurückgeschlagen, bei der Madonna überlappt es mit<br />

seinem Rand die Mondsichel, wodurch in beiden Fällen der<br />

Eindruck räumlicher Tiefe verstärkt wird.<br />

Der Hl. Konrad trägt über dem Untergewand eine Art Chorhemd<br />

und darüber ein geschlossenes Meßgewand, eine sogenannte<br />

Kasel, deren Zipfel vorne in Kniehöhe des Standbeins<br />

aufflattert und die Innenseite zeigt.<br />

Über Brust und Leib des Heiligen wirft die Kasel ein ähnliches<br />

- wenn auch weniger tief geschnittenes - Faltenrelief,<br />

wie es beim Mantel der Madonna (unterhalb des Jesuskindes)<br />

der Fall ist. Besonders diese wichtige Gewandpartie weist mit<br />

ihrer auffallend ähnlichen Gestaltung ganz die Formensprache<br />

2 auf, die für die Ulmer Weckmann-Werkstatt im letzten<br />

Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts kennzeichnend war 3.<br />

Fürdas damalige Formenrepertoire in der Weckmann-Werkstatt<br />

ferner typisch ist das Detail vom Wind hingewehter<br />

Gewandteile 4. Sowohl die Konradfigur als auch die Ochsenhausener<br />

Madonna weisen dieses Detail gleich mehrfach auf.<br />

Beim Hl. Konrad wurde bereits der aufflatternde Zipfel der<br />

Kasel und der umgeschlagene Gewandsaum über dem linken<br />

Fuß erwähnt. Bei der Madonna ist im Vergleich dazu zu beachten,<br />

wie rechts über der Mondsichel der Mantelsaum nach<br />

oben umschlägt, während - in Korrespondenz dazu - links<br />

unter ihrer rechten Hand der niederfallende Mantelzipfel sich<br />

dreht 5.<br />

Abb. 1: Hl. Stephanus. Holzfigur am Westportal des Ulmer Münsters.<br />

Vor 1500. Weckmann-Werkstatt. Bildnachweis: wie Anm. 3,<br />

S. 91<br />

41


Abb. 2: Hl. Konrad. Am Chorbogen der Pfarrkirche St. Ulrich und<br />

Konrad in Saulgau-Fulgenstadt. Lindenholz, hinten ausgehöhlt, neue<br />

Fassung. Höhe 111 cm. Bildnachweis: Hermann, wie Anm. 1.<br />

Diese stilistischen Übereinstimmungen sprechen klar dafür,<br />

daß auch die Fulgenstädter Figur in der Weckmann-Werkstatt<br />

geschaffen wurde, und zwar wohl in der Zeit kurz vor<br />

1500.<br />

Auf ebendiese Zeit weist auch der historische Kontext. Uberliefert<br />

ist, daß der Abt des Klosters Weingarten, Hartmann<br />

von Burgau (Regierungszeit 1491-1520), den Fulgenstädter<br />

Altar anschaffen ließ (vgl. Hermann, wie Anm. 1). Eine ge-<br />

42<br />

Abb. 3: Madonna aus dem Ochsenhausener Retabel von 1496/99.<br />

Bildhauer Nikiaus Weckmann. Heute in der kath. Pfarrkirche Bellamont/Gemeinde<br />

Steinhausen a. d. Rottum, Lkr. Biberach. Zustand<br />

um 1930. Eichenholz, vollrund geschnitzt. Kopf und Körper hinten<br />

ausgehöhlt und mit Verschlußbrett wieder geschlossen. Farbig gefaßt.<br />

H. 193 cm, B. 72 cm, T. 50 cm. Bildnachweis: Ausst. Kat. wie<br />

Anm. 3, S. 9.<br />

naue Jahreszahl ist in den Quellen nicht genannt. Hingegen<br />

wissen wir, daß der genannte Abt 1493 im Kloster Weingarten<br />

einen »mächtigen Flügelaltar« (Hermann, a. a. O.)


aufstellen ließ. Vor diesem Hintergrund spricht, denke ich,<br />

nichts gegen die Annahme, daß der Abt, in den darauffolgenden<br />

Jahren, vielleicht noch vor der Jahrhundertwende,<br />

auch die neuen Altarfiguren von Fulgenstadt (von denen<br />

neben dem Hl. Konrad auch ein sehr ähnlicher Hl. Ulrich<br />

erhalten ist) in Auftrag gab. Und warum sollte er den Auftrag<br />

nicht jener Werkstatt erteilt haben, die damals die produktivste<br />

in Ulm war und »Süddeutschland mit ihren Arbeiten<br />

geradezu überschwemmte« 6. Der Stil der Fulgenstädter<br />

Figuren spricht jedenfalls deutlich für diese Annahme. Im<br />

übrigen scheint auch die in Abb. 1 gezeigte Figur des Hl. Stephanus<br />

vom Westportal des Ulmer Münsters, die ebenfalls in<br />

der Weckmann-Werkstatt kurz vor 1500 geschaffen wurde,<br />

aufgrund ihrer Ähnlichkeit in Umriß und Gesamteindruck<br />

XAVER PFAFF<br />

Beuron 1097-<strong>1997</strong><br />

Die älteste Urkunde des Staatsarchivs Sigmaringen, eine vor<br />

900 Jahren ausgestellte Bulle Papst Urbans II., als erstes authentisches<br />

Zeugnis über eine Chorherrenstiftung in loco qui<br />

Eueron dicitur.<br />

Als Säkularisationsgut in den lehensfreien Besitz der beiden<br />

hohenzollerischen Fürstenhäuser gelangt, bildeten die<br />

Archivalien der aufgehobenen Klöster Hohenzollerns im<br />

Verlauf ihrer zunehmenden Erschließung für die Geschichtsforschung<br />

einen wachsend wertvollen Fundus, der<br />

heute größtenteils in den Räumen des Staatsarchivs Sigmaringen<br />

verwahrt wird. Am Beispiel von Beuron zeigte Otto<br />

H. Becker im einzelnen auf, daß Klosterarchiv und -bibliothek<br />

des damaligen Augustiner-Chorherrenstiftes, dem bei<br />

seiner Auflösung 16 Kapitulare mit 511 Untertanen angehörten,<br />

durchaus nicht in geschlossener Form den Besitzer<br />

wechselten. Vieles, was dort die verlustreiche Zeit bis zum<br />

Ende des dreißigjährigen Krieges überdauern konnte, wurde<br />

Darstellung der Gründungslegende:<br />

Die Jungfrau Maria erscheint dem<br />

jagenden Peregrin. Ölgemälde,<br />

Mitte 17. Jahrhundert, Kreuzgang<br />

Kloster Beuron<br />

unsere These zu bestätigen, daß der Fulgenstädter Hl. Konrad<br />

in der Weckmann-Werkstatt geschnitzt wurde.<br />

Anmerkungen<br />

1 M. Hermann, Kunst im Landkreis Sigmaringen, 1986, S. 108.<br />

2 Mit »Brücken«, »Rollen«, »Dreiecken« und »Hakenfortsätzen«:<br />

vgl. Gertrud Otto, Die Ulmer Plastik der Spätgotik, 1927, S. 121 ff.<br />

3 Vgl. Ausstellungskatalog Württ. Landesmus. Stuttgart, 1993, S. 91,<br />

Abb. 100. S. 90 mit Abb. 384. Diese Faltenformen entstanden durch<br />

eine bestimmte Handhabung von Hohl- und Stecheisen verschiedener<br />

Breiten.<br />

4 Vgl. Ausstellungskatalog 1993, S. 80, Abb. 77.<br />

5 Ähnliches ist bei der Figur des Hl. Petrus aus dem Ochsenhausener<br />

Altar der Fall. Abb. Ausstellungskatalog 1993, S. 87.<br />

6 Volker Himmelein im Vorwort des Ausstellungskatalogs 1993.<br />

in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts während des<br />

jahrzehntelangen Übergabeprozesses an die zuständige Sigmaringer<br />

Regierung laienhaft ausgesondert, ohne Käufernachweis<br />

veräußert oder kam aus kaum gesicherten Räumen<br />

abhanden.<br />

Unter den erhaltenen Beuroner Beständen befinden sich auch<br />

gefälschte Urkunden bzw. überarbeitete Abschriften und<br />

darauf fußende chronikalische Aufzeichnungen, die ursprünglich<br />

in vielen Fällen einer Beschneidung der klösterlichen<br />

Privilegien entgegenwirken sollten. Grund dazu hatte<br />

der Konvent zu fast jedem Zeitpunkt seines langen Bestehens<br />

im anhaltenden und letztendlich erfolglosen Bemühen, seine<br />

Ansprüche vor allem gegenüber den weltlichen Territorialherren<br />

zu behaupten. Schon 1131 garantierten Papst Innozenz<br />

II. und König Lothar III., der nach der Zimmerischen<br />

Chronik 1125 im closter zu Beuron an der Tonow gewest und<br />

der dahin ain schönen beschlagenen (hölzernen) köpf geben<br />

mit seiner contrafactur, in einer gemeinsam ausgestellten<br />

ÜIIMS H/K LIIIIJNUAM.TOII"'I


Urkunde dem Beuroner Konvent, seinen Schirmvogt selbst<br />

wählen und bei eigenem Verlangen absetzen zu können. Immer<br />

wieder angefochtene Herrschaftsrechte übten dennoch<br />

in Folge oder gemeinsam u. a. die Grafen von Nellenburg,<br />

Zollern und Hohenberg aus, seit dem 15. Jahrhundert unter<br />

besonderen Spannungen die Herren von Enzberg, die nach<br />

Angaben des Konvents 1591 zur Sicherung ihrer Autorität<br />

als Kastenvögte sogar Urkunden und Dokumente aus dem<br />

Klosterarchiv raubten. 1687 von Papst Innozenz XI. zur Abtei<br />

erhoben, erhielt das Kloster zwar fortan eine stärkere Unabhängigkeit<br />

vom Konstanzer Bischof. Die volle Reichsunmittelbarkeit<br />

konnte es jedoch nicht durchsetzen. Zu gering<br />

war der territoriale Besitz Beurons, das von 1615 an, nunmehr<br />

unter der Vogtei des Erzhauses Osterreich stehend, bis<br />

zum Ende des Alten Reiches dessen Lehenträger blieb.<br />

Neugestiftet von Fürstin Katharina von Hohenzollern-Sigmaringen,<br />

wurde Beuron 1863 unter dem Benediktinerprior<br />

und späteren Erzabt Maurus Wolter wiederbesiedelt. Lediglich<br />

unterbrochen vom zwölfjährigen Exil während der Zeit<br />

des Kulturkampfs, besteht der Benediktinerkonvent dort bis<br />

heute. Den römischen Titel »Erzabtei« erhielt Beuron 1887<br />

als Oberhaupt der »Beuroner Kongregation«, welche derzeit<br />

siebzehn Benediktinerabteien im In- und Ausland umfaßt.<br />

Die 1738 vom Riedlinger Maler Joseph Ignaz Wegscheider<br />

ausgestaltete Konventskirche ist seit ihrer Rebarockisierung<br />

ein weithin geschätzter künstlerischer Anziehungspunkt. Internationales<br />

Ansehen erlangte das Kloster nach dem Aufblühen<br />

der von altägyptischer Kunst beeinflußten »Beuroner<br />

Kunstschule« zur Jahrhundertwende hauptsächlich durch<br />

das 1951 geschaffene »Vetus Latina-Institut«, das altlateinische<br />

Bibelübersetzungen aus der griechischen Septuaginta<br />

sammelt und herausgibt.<br />

Die auf uns gekommene älteste Nachricht über das Bestehen<br />

Beurons stellt gleichzeitig das älteste urkundliche Zeugnis der<br />

gesamten Sigmaringer Archivbestände dar. Es ist dies eine<br />

vom päpstlichen Vizekanzler Lanfrancus im Lateran ausgefertigte<br />

Originalurkunde aus dem Jahr 1097, in der Papst Urban<br />

II. den zu einer Martinskirche gehörenden Beuroner<br />

Konvent in seinen Schutz nimmt und ihm die freie Propstwahl<br />

zusichert. Nach dem Wortlaut der Bulle stiftet dazu<br />

Peregrinus eine andere Kirche, die der Jungfrau und Gottesmutter<br />

Maria geweiht und auf seinem Grund errichtet ist, an<br />

den Heiligen Stuhl (... ecclesiam beute dei genitricis et Semper<br />

virginis Marie, qamfilius noster Peregrinus in proprio fundo<br />

constructam beato Petro eiusque sancte Romane ecclesie in<br />

alodiumproprium obtulit...). Der aufgeführte Stifter, von der<br />

klösterlichen Tradition zum »dux Alemaniae« (Herzog Alemanniens)<br />

erhoben, wurde vom ehemaligen Hofarchivar Karl<br />

Th. Zingeler, inzwischen durch weitere Quellen gestützt, als<br />

Edelfreier von Hoßkirch identifiziert. Über die Ordenszugehörigkeit<br />

der regulierten Chorherren, die spätestens ab<br />

1146 nach der Regel des hl. Augustinus lebten, wird explizit<br />

nichts ausgesagt. Die wohlerhaltene Pergamenturkunde (0,61<br />

1, 0,39 br) mit angebundenem päpstlichen Bleisiegel, von der<br />

noch eine erweiterte, nicht autorisierte Fassung angelegt wurde,<br />

hat für die Stiftungsumstände folgende interessante Einleitung:<br />

Urbanus episcopus servus servorum dei dilecto filio Bertaldo<br />

preposito eiusque fratribus in ecclesia qui vocabulum est beati<br />

Martini que consecranda est in honore beate Marie virginis<br />

in loco qui Bueron dicitur inter duos montes super ripamfluminis<br />

Danubii in territorio Constantiensi...<br />

Bischof Urban, Diener der Diener Gottes, an seinen Sohn<br />

Berthold, gewählten Vorsteher (Propst) ebenso an die Mitbrüder<br />

in der Kirche, die nach dem seligen Martin benannt ist<br />

und noch zu Ehren der seligen Jungfrau Maria zu weihen ist,<br />

an einem Ort, der Beuron genannt wird, gelegen zwischen<br />

zwei Felsen über dem Ufer des Flusses Donau auf dem Gebiet<br />

des (Bistums) Konstanz ...<br />

44<br />

In dieser Einleitung fällt das Verlangen Roms auf, daß der<br />

Beuroner Martinskirche zusätzlich ein Marienpatrozinium<br />

übertragen werden müsse, worauf bereits Edmund Bercker<br />

hingewiesen hat. Diese Aufforderung taucht ein zweites Mal<br />

auf, und zwar mit der für die Stiftungskirche identischen Ergänzung<br />

»dei genitricis«, in einer von Papst Honorius II.<br />

stammenden Urkunde, irrtümlich datiert auf das Jahr 1124<br />

(recte 1125). Auch nach der Texteinführung dieses erhaltenen<br />

Schriftzeugnisses, einer in den wesentlichen Teilen überarbeiteten<br />

Abschrift der in jener Zeit noch existierenden Originalbulle,<br />

die Papst Eugen III. 1146 zur Grundlage einer<br />

erneuten Privilegierung machte, konnte damit nur das Patrozinium<br />

der von Peregrin gestifteten Marienkirche gemeint<br />

sein. Nämlich in beiden päpstlichen Schutzbriefen wird die<br />

auf Eigengrund erbaute Stiftungskirche nur als Marienkirche<br />

bezeichnet. Urkundlich wird die Übernahme des Doppelpatroziniums<br />

für die Konventskirche erst 1131 bestätigt<br />

(...ecclesiam beate dei genitricis et Semper virginis Marie et<br />

sancti Martini Peregrinus in proprio fundo constructam ...),<br />

ausdrücklich für die von Peregrin auf eigenem Grund errichtete<br />

und gestiftete Kirche. Demzufolge ist davon auszugehen,<br />

daß Stiftungs- und Konventskirche räumlich und patroziniumsrechtlich<br />

bis um das Jahr 1130 getrennt waren. Zu<br />

dieser Zeit müssen die Rechte der offenbar aufgegebenen<br />

Konventskirche auf die gestiftete Marienkirche übergegangen<br />

sein.<br />

Die ursprünglich anderslautende römische Forderung war in<br />

der Phase vor der Vereinigung eine juristisch notwendige<br />

Formulierung, denn im Mittelalter galt der Schutzheilige<br />

einer Kirche als Rechtssubjekt, dem das mit der Kirche verbundene<br />

Vermögen anvertraut war. Erst unter der Voraussetzung<br />

der Patroziniumsanbindung, seinerzeit wohl einer<br />

bewußt angestrebten Interimslösung, wurde die Beuroner<br />

Konventskirche Bestandteil jener der Jungfrau Maria unterstellten<br />

Stiftungsabsicht. Allgemeine Rechtsgrundlage für ein<br />

Patronat waren außerdem nicht das uneingeschränkte<br />

Eigentum an einem Gotteshaus, sondern die Bewilligung der<br />

für die Stiftung dankbaren Kirche. Eine herrschaftsrechtliche<br />

Trennungslinie zwischen Martins- und Marienkirche konnten<br />

demnach der Grund gewesen sein, warum Peregrin, sichtlich<br />

zum Stiftungszeitpunkt nicht Eigenkirchenherr der Martinskirche,<br />

nicht in der Lage war, dem Konvent die freie Vogtwahl<br />

zuzusichern. Dieses Recht erhielt der Konvent in der<br />

Tat, wenn auch nur für kurze Zeit, im Jahre 1131 nach der<br />

erfolgten Übersiedelung.<br />

Es erstaunt, daß sich der Beuroner Propst Friedrich nach Erwirkung<br />

der Bulle von 1125 und der außerordentlichen königlich-päpstlichen<br />

Privilegierung von 1131 schon vor 1146<br />

wieder veranlaßt sieht, die Prozedur zur Erlangung eines<br />

päpstlichen Schutzbriefes einzuleiten. Eben in jener von Eugen<br />

III. bewilligten Bestätigung, von der eine Abschrift erhalten<br />

ist, wird ohne weiteren Zusatz nur die Martinskirche<br />

erwähnt, unmißverständlich als Gabe, nicht als Erschaffung<br />

des (Neu)gründers. (... Friderico preposito ecclesie beati Martini<br />

de Buron eiusque fratribus... ex dono bone memorie Peregrini<br />

nobilis viri fundatore loci vestri...). Das verwundert<br />

umso mehr, weil die Rangfolge der Schutzheiligen der Konventskirche<br />

die (Erst)nennung Marias erfordert hätte. Eine<br />

schlüssige Erklärung dafür könnte darin bestehen, daß sich<br />

der Papst im Versäumnis der Patroziniumsergänzung für diese<br />

neue Bestätigung ausschließlich auf die Bulle von Honorius<br />

II. beruft (...predecessoris nostrifelicis memorie P. P. Honoriivestigiis...),<br />

ohne Erwähnung der sechs Jahre später von<br />

Innozenz II. mitbeglaubigten Freiheitsgarantie, da 1125 die<br />

Patroziniumsübertragung auf die alte Konventskirche, wie<br />

oben erläutert, tatsächlich noch nicht vollzogen war. Viel<br />

wahrscheinlicher ist aber, daß die römische Kanzlei bewußt<br />

nur die alte Konventskirche ansprach und somit von den Bedingungen<br />

vor dem Ortswechsel ausging. Es liegt auf der


Phantastische Darstellung von<br />

Alt-Beuron auf der Höhe mit<br />

seinem Schutzpatron Martin von<br />

Tours. Detail aus einem Ölgemälde<br />

im Kreuzgang von Kloster Beuron<br />

(nach Schefold 1738 ?)<br />

Hand, daß Rom seinerzeit die Existenz des jüngeren Schutzbriefes<br />

von 1131 ignorierte, in dem König und Papst gleichzeitig<br />

als Schutzherren der neu bezogenen Niederlassung auftraten.<br />

Denn Propst Friedrich hat diese Urkunde als Argumentationshilfe<br />

offensichtlich nicht nutzen können.<br />

Lothar III., der sich im Streit zwischen Papst Innozenz II.<br />

(gest. 1143) und dem Gegenpapst Anacletus II. auf die Seite<br />

von Innozenz stellte und von diesem 1133 zum Kaiser gekrönt<br />

wurde, geriet selbst durch seinen Feldzug gegen die<br />

Normannen in Süditalien am Ende seines Lebens (gest. 1137)<br />

in massiven Konflikt mit dem Kirchenstaat. Immerhin könnte<br />

in Beuron die lange Zeitdauer bis zur endgültigen Übersiedelung<br />

auf Schwierigkeiten in der inneren, d. h. reformwilligen<br />

und damit romtreuen Entwicklung des Konvents<br />

hinweisen, was nach dem Tode Peregrins (... bone memorie<br />

Peregrini ...) als dem bisherigen Garanten der Reformbemühungen<br />

mit einer vorübergehenden, eventuell erzwungenen<br />

Aufgabe des neubezogenen Stiftungsgrundes verbunden<br />

sein konnte. Jedenfalls wurde das Zugeständnis der freien<br />

Vogtwahl seit dem Privileg vom 29. März 1131 nicht mehr<br />

erneuert. Der römische Einwand: quoniam sine vere cultu religionis<br />

nec karitatis unitas potest subsistere nec deo gratum<br />

exhibere servicium, expedit apostolice auctoritati religiosas<br />

personas... Nachdem ohne wirkliche Pflege der Gottesfurcht<br />

und der christlichen Liebe die Einheit aufhört, noch eine<br />

dankbare Dienstbarkeit für Gott ermöglicht und die Religiösen<br />

(durch Gelübde gebundene Mitglieder einer Klostergemeinschaft)<br />

von der apostolischen Autorität trennt... in derselben<br />

Bulle von Eugen III. sollte ebenso als begründete Mahnung<br />

an den Beuroner Konvent verstanden werden.<br />

Da der Name Beuron 1253 erstmals auf eine einzige Kirche,<br />

nämlich die neue Konventskirche bezogen wurde (... ecclesie<br />

sancte virginis Marie et sancti Martini in Burron ordinis<br />

sancti Augustini.,.), konnten beide Standorte nicht weit auseinandergelegen<br />

haben. Ungewöhnlich in der oben zitierten<br />

Texteinleitung der Bulle Urbans II. ist die Exaktheit der Ortsbestimmung<br />

der Martinskirche, die nach der vollzogenen<br />

Zusammenlegung in der für Beuron so wichtigen Königsurkunde<br />

von 1131 gänzlich fehlt und in den unmittelbar folgenden<br />

päpstlichen Freiheitsbriefen nur noch auf die Namensnennung<br />

beschränkt wird. Auch dies deutet auf die bis<br />

dahin vorhandene Sorge um den noch ungeklärten Standort<br />

der Chorherrenniederlassung hin. Übersetzt man, wie oben<br />

geschehen, »mons« mit der gleichfalls zutreffenden Wortbedeutung<br />

»Felsen«, was ja gerade im oberen Donautal naheliegt,<br />

ergibt sich für die vormalige Lage der 1097 angesprochenen<br />

Konventskirche eher ein Gelände auf der Hochfläche<br />

unmittelbar am Talabbruch.<br />

Am Ausgang des 11. Jahrhunderts stand vor allem der Süden<br />

des Reiches unter den Auswirkungen des Investiturstreites.<br />

Papst Gregor VII. (1073-1085) wollte durch das »Dictatus<br />

Papae« (Herrschaft des Papstes) die Kirche vom Einfluß der<br />

Laien befreien, was einen abrupten Riß in der kirchlich geprägten<br />

Gesellschaft verursachte. Adel und Klerus waren in<br />

königs- und papsttreue Parteien gespalten. Dies führte u. a.<br />

zu Doppelbesetzungen der Bistümer oder in vielen Klöstern,<br />

wie z. B. St. Gallen, zur gleichzeitigen Amtierung von zwei<br />

Äbten. Indes betrieb Gregor auch die innerkirchliche Reform.<br />

Die Fastensynoden von 1074/75 verdammten die<br />

Simonie (Kauf von kirchlichen Ämtern), verboten den Pfründenhandel<br />

(Einkünfte aus einer Klerikerstelle) und verlangten<br />

von den Priestern ein zölibatäres Leben. Sein Nachfolger<br />

Urban II. (1088-1099), selbst einstiger Prior des Reformklosters<br />

Cluny, sorgte vor allem für die geistige Erneuerung<br />

der Klöster und deren Ausbreitung. So entstand unter seinem<br />

Pontifikat der Zisterzienserorden. Für Rom waren Klostergründungen<br />

als Ausstrahlungszentren in der Zeit ein mächtiges<br />

Mittel zur Durchsetzung der allgemeinen Kirchenreform,<br />

weshalb seit der Synode von Nimes (1096) die römische<br />

Praxis einsetzte, den Kirchenbesitz neuer bzw. erneuerter<br />

Klöster und Stifte zu bestätigen. Dabei sah man in einer<br />

erneuerten kanonischen Lebensweise nach der Regel der<br />

Väter eine sehr geeignete Hilfe.<br />

Von nun an bildeten reformwillige Kanoniker vielerorts neue<br />

regulierte Chorherrenstifte. Daß Beuron am Ausgang des<br />

11 .Jahrhunderts nicht nur die erste Chorherrenniederlassung<br />

im Bistum Konstanz war, sondern eines der frühesten Reformklöster<br />

überhaupt, unterstreicht einerseits den unschätzbaren<br />

Wert der Bulle Ubans II. als kirchengeschichtliches<br />

Dokument. Andererseits wirft es ein Licht auf die<br />

herausragende Bedeutung des Stifters Peregrin als Mitglied<br />

der Reformpartei. Da er seine Stiftung der Jungfrau Maria unterstellte,<br />

darf man davon ausgehen, daß die Beuroner Chorherren<br />

wohl von Anfang an nach der Regel des hl. Augustinus<br />

lebten oder zumindest nach dem Willen Peregrins danach<br />

leben sollten. Denn im Westen redete erstmals der Kirchen-<br />

45


lehrer Augustinus Maria an, und zwar durch seine Lehre ihrer<br />

Jungfräulichkeit. Seit dem 4. Jahrhundert tauchte dann im<br />

westlichen Raum das Marienpatrozinium auf.<br />

Die Chorherren-Neugründungen erfolgten teilweise an Orten<br />

älterer Einsiedeleien oder kleinerer Klöster, wie z. B. in<br />

St. Pölten. Nachdem die oben erwähnten Urkunden von 1097<br />

und 1125 von einer vorhandenen Konventskirche und einer<br />

neugestifteten Kirche sprechen, die schließlich in die Zusammenlegung<br />

mit einem Doppelpatrozinium mündeten, mußte<br />

dies auch in Beuron der Fall gewesen sein. Zweifellos war<br />

die Martinskirche als bisherige Konventskirche Mutterkirche<br />

der gestifteten Marienkirche, die im rechtlichen Verhältnis einer<br />

Filialkirche stand. Allgemein entstanden Filialkirchen<br />

durch Fundation aus Einkünften einer großen Pfarrei, durch<br />

die Vereinigung zweier Pfarreien oder, wie in Beuron, aus<br />

Stiftungen. Als Filialkirche erhielt die Marienkirche dieselben<br />

Privilegien wie die Martinskirche. Desgleichen erlangten<br />

die Kleriker, deren die Martinskirche als Mutterkirche übertragen<br />

war, ohne weiteres auch die Filialkirche und übernahmen<br />

deren Verbindlichkeiten. Jedoch waren rechtlich die<br />

Vermögensmassen beider Kirchen getrennt, was Rom und<br />

zuvor sicherlich auch den Stifter damals ja zur Forderung<br />

einer Patroziniumsergänzung veranlaßten.<br />

Daß die römische Kurie 1097 bereit war, die Neugründung<br />

Beurons unter diesen offenen Voraussetzungen zu akzeptieren,<br />

wird allein mit dem unbedingten Primat der Reformdurchsetzung<br />

und der bedeutungsvollen Stellung Peregrins<br />

zu erklären sein.<br />

Der Patron der alten Beuroner Konventskirche, Martin von<br />

Tours, war schon der merowingische und seit etwa 700 der<br />

karolingische Königs- und Reichsheilige. Seit dem 8. Jahrhundert<br />

bildeten die dem hl. Martin geweihten Kirchen an<br />

Altstaßen gelegene Linien,die von den fränkischen Königshöfen<br />

ausgingen. Deshalb war das Martinspatrozinium kein<br />

Missionspatrozinium, sondern ein politisches Patrozinium,<br />

das die Ausdehnung der fränkischen Königsherrschaft beschrieb.<br />

Auch die Martinspatrozinien in unserem Raum<br />

lassen sich Altwegen zuordnen, die von Norden kommend<br />

das Neckargebiet mit dem Lauf der Donau verbanden. Die<br />

Martinskirchen wurden unter den Franken fast ausnahmslos<br />

auf Königsgut errichtet, aber nicht als Leut- und Taufkirchen,<br />

sondern als Eigenkirchen. Dies läßt den Schluß zu,<br />

daß in oder um Beuron wahrscheinlich eine ältere vorklösterliche<br />

Martinskirche als königliche Eigenkirche vorhanden<br />

war.<br />

Nach der klösterlichen Schrifttradition, verdichtet im 17. und<br />

18. Jahrhundert anzutreffen, deren Ursache und Ausbildung<br />

Wilfried Schöntag nachgegangen ist, wurde Beuron schon in<br />

der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts von Graf Gerold, dem<br />

berühmten Schwager Karls des Großen, gegründet und vom<br />

König selbst bestätigt. Entsprechend haben sich um beide<br />

Gründungsdarstellungen Legenden gebildet, die sich in Abbildungen<br />

und idealisierenden Dichtungen niederschlugen.<br />

So hatte »Gerold vom Bussen, der kühne Held« bei einem<br />

Jagdunfall die Vision, an jener Stelle »ein herrliches Kloster«<br />

zu erbauen. In der anderen Version erscheint dem jagenden<br />

Peregrin die Jungfrau Maria mit dem Prospekt des zu erbauenden<br />

Klosters. Eine Untersuchung darüber, welche der beiden<br />

Gründungslegenden als die ältere angesehen werden<br />

kann, steht bisher noch aus.<br />

Die im 17. und 18. Jahrhundert auffallende Konzentration<br />

der Schriftdokumente, die für Beuron eine ältere Tradition<br />

glaubhaft machen wollen, wie etwa die auf Karl den Großen<br />

gefälschte Gründungsurkunde, müssen zweifellos im Zusammenhang<br />

der damaligen Auseinandersetzungen mit dem<br />

Hause Österreich gesehen werden. Dies trifft aber nur eine<br />

später einsetzende Richtung der Beweggründe der Chronisten,<br />

denn die Spuren jener Schrifttradition, an denen die Vor-<br />

46<br />

verlegung der Klostergründung festgemacht wird, lassen sich<br />

in Beuron bis zum 16. Jahrhundert zurückverfolgen.<br />

Wenn Beat R. Jenny der erstmals die Verfasserschaft der Zimmerischen<br />

Chronik glaubhaft dargestellt hat, nachweist, daß<br />

das aufkommende Gedankengut des Humanismus im<br />

16. Jahrhundert eine »Herkommensseuche« heraufbeschwört<br />

hat, die neben Adel und städtischem Bürgertum besonders<br />

die Klöster zu einem regelrechten Wetteifer im Verfassen<br />

von Chroniken veranlaßte, konnte davon auch Beuron<br />

nicht unberührt geblieben sein. Wie andernorts war dort<br />

von nun an die lückenlose Herstellung von Klosterstiftungen<br />

und Abtreihen, die dem Bedürfnis nach einem eigenen guten<br />

Herkommen entsprang, mehr Selbstzweck als bloßes Nebenprodukt<br />

klösterlicher Selbstverteidigung. Die neue humanistische<br />

Chronistik beschränkte sich nicht auf historische<br />

Spekulationen oder den alleinigen Rückbezug auf die Antike,<br />

sondern suchte von der eigenen Gegenwart ausgehend<br />

nach wissenschaftlich vertretbaren Anknüpfungspunkten.<br />

Deshalb setzte überall der Drang ein, Quellen zur eigenen<br />

Vergangenheit zu sammeln und auszuwerten. Das setzt<br />

zwangsläufig auch einen systematischen Rückgriff der Beuroner<br />

Chronisten des 16. Jahrhunderts auf frühere Quellen<br />

zu einer älteren Existenz voraus.<br />

Der Verfasser der Zimmerischen Chronik, der auf Burg<br />

Wildenstein ansässige Graf Froben Christoph von Zimmern,<br />

mußte das benachbarte Beuroner Archiv öfters aufgesucht<br />

haben. Zu den Anfängen von Beuron weiß er: Das Kloster ist<br />

darvor anno domini 1077 von ainem herzogen, genannt Peregrinus,<br />

gestift worden. Wer er aber von seinem Geschlecht<br />

gewest, waisst man nit gründtlich, dann in derfundation allain<br />

»dux Peregrinus« geschriben steet; iedoch vermaint man, es<br />

sei ain herzog von Schwaben gewest und hab Bilgerin gehaisen,<br />

ußer der ursach, das noch zu unser Zeiten das closter die<br />

meisten giilten im Mengew (Mengen) und umb den Bussen<br />

hat, welche landtsart vor jaren merertails denen herzogen von<br />

Schwaben hat zugehert. Exakter spricht er zuvor schon von<br />

der gestifteten »bropstei Beuron«. Die älteren authentischen<br />

Urkunden, die sich bis heute erhalten haben, konnte Froben<br />

für diese Erkenntnis nicht verwertet haben, denn darin wird<br />

Peregrin ohne Jahresangabe seiner Stiftung allenfalls als Edler<br />

bezeichnet. Vielsagend dazu bemerkt Froben wenig später:<br />

Bermelt (erwähntes) gotzhaus in Beuren het deren alten<br />

brieflin noch viel, darin die alten geschlechter benamset, der<br />

namen, schildt und heim bei unsern Zeiten unbekannt und in<br />

vergess kommen. Dadurch kennzeichnet er eine für ihn unübersehbare<br />

Fülle an historischen Quellenmaterial, das zum<br />

Zeitpunkt seiner Nachforschungen in Beuron vorhanden<br />

war. Darüber hinaus beschreibt er seine Resignation bei der<br />

Rekonstruktion der Vorzeit, von der folglich auch die Beuroner<br />

Anstrengungen um Selbstdarstellung betroffen waren.<br />

(Interessenten können eine Kopie des Manuskripts mit zahlreichen<br />

Anmerkungen und Literaturangaben bei der Schriftleitung anfordern<br />

- bitte DM 3,00 Porto beilegen)


WOLFGANG HERMANN<br />

Was bietet die Heimat ihren »Kindern«?<br />

Größte Zeige auf eigener Gemarkungsfläche war für Glatt<br />

diese »auf dem Priorberg«, in deren Zentrum der Glatter<br />

Oberhof noch heute liegt. Zwischen diese Zeige und der<br />

Zwing- und Banngrenze nach Dettingen schob sich ein breiter<br />

Streifen Waldes, der teilweise Allmende, teils herrschaftlicher,<br />

bzw. Wald des »Heiligen« war. Die Höhenlinie markiert<br />

dort einen Wert von 590 bis 600 m. Zur Zeige gen Priorberg<br />

gelangte man damals wie heute über die »Lange Steig«<br />

oder über die »Allerheiligensteige« 6.<br />

Die Wirtschaftsfläche, die um 1840 von den Bewohnern<br />

Glatts genutzt wurde, hat sich im Verlaufe der zwei Jahrhunderte<br />

zwischen 1500 und 1700 allmählich durch einen »inneren<br />

Ausbau« der Herrschaft auf eine Größe von 1826 J im<br />

alten Glatter Feldmaß, oder von 2313 1/2 Morgen bzw. 728<br />

1/2 Hektar (1847) hinentwickelt 7. Rechnet man von diesem<br />

Wert die Flächen für Hofanlagen, Ödungen, Gewässer,<br />

Straßen und Wege ab so kommt man auf einen Morgenwert<br />

von 2105, der mit der Nutzfläche vom 17./18. Jahrhundert in<br />

Beziehung zu setzen ist. Das wären einerseits 1662 J (1 Morgen<br />

= 1,26 J 8) andererseits 652,5 ha.<br />

JOSEF SCHULER<br />

Junginger Dorfgeschichten<br />

No da graußa Ferien geits e älla Schuala en Schdandard-Uffsatz:<br />

Mein schönstes Ferien-Erlebnis. Und d Kinder schildered<br />

mit vill Fantasie, was se fier en tolla Urlaub vrleabt hand.<br />

Se schreibed ieber Griechenland und vo Mallorca. Wenn oas<br />

aber no vom Bodasee berichta kaa, no wuud-s ausglached.<br />

Kinder kenned grausam sei.<br />

Do mues ie a mei oagene Jugend deeka: S isch ana 1921 e-dr<br />

Mittelschduf gsei, mo dr Lehrer Riester amol gfroged hot:<br />

»Wer war noch nie in Hechingen?« Druff hot dr zehajähreg<br />

»Bruiles-Seppel« d Haad gschdreckt. (Er isch dr Jüngschd under<br />

nei Gschwischder gsei und no nia Zug gfahra.)<br />

No isch dr Lehrer ama scheena Mittag mit-em en Dampfzug<br />

neigseatza und ge Hechinga na dampfed. R hot-em s Schdättle<br />

zeiged, isch sogar eigkehrt mit-m und hot-m a Limo<br />

schbendiert.<br />

I glaub heit, dr Seppel isch a seallem Mittag weiter gsei, als no<br />

en Mallorca.<br />

Buchbesprechungen<br />

Spurensucbe in Baden-Württemberg, Klöster Stifte Klausen<br />

Zwei Jahre war Wolfgang Willig aus Balingen in Baden-<br />

Württemberg unterwegs auf der Suche nach Klöstern und<br />

klosterähnlichen Einrichtungen. Das Ergebnis liegt nun vor,<br />

ein Band mit 500 Seiten.<br />

Der Autor fand die Spuren von rund 400 Ordenseinrichtungen<br />

und Stiften. Ordensgeschichtliche Begriffe und eine Dar-<br />

Geht man 1848 von der landwirtschaftlichen Nutzfläche von<br />

2105 Morgen aus, so verteilten sich die Nutzungsweisen wie<br />

folgt v.H.:<br />

Gärten 4,6<br />

Acker n. Öschen 24,9<br />

willkürlich 0,2<br />

Wiesen 13,4<br />

Weiden 0,4<br />

Waldungen 49,2<br />

Anmerkungen<br />

6 Die Flurbezeichnungen und die Gemarkungsgrenze können nachgesehen<br />

werden in der Arbeit des Verfassers über die rechtlichen<br />

Verhältnisse in der Herrschaft Glatt in der ZHG 1988/89, S. 44 und<br />

45.<br />

7 Primärkataster Glatt von 1847, Vermessungsamt Rottweil.<br />

8 /. A. Kraus, Ehemalige Maße und Gewichte im heutigen Hohenzollern,<br />

HJH 1936, S. 144 (Fortsetzung folgt)<br />

Brief an die Schriftleitung<br />

Anmerkungen zur Veröffentlichung in der Hohenzollerischen<br />

Heimat 1996 S. 56: Hans Peter Müller, Die Herrschaft<br />

Heimburg im Spätmittelalter.<br />

Herr Müller schreibt, daß die Haimburg als Lehen des Grafen<br />

Berthold von Sulz um 1315 erwähnt worden sei und beruft<br />

sich auf die Veröffentlichung von Karl Otto Müller<br />

(ZWLG 1942 S. 90). Hier wird aber der um 1325 entstandene<br />

Lehenrodel dem Grafen Rudolf I von Hohenberg zugeschrieben.<br />

Zu der Lage zweier Lehen, die in diesem Rodel aufgeführt<br />

sind, noch einige Anmerkungen: Schöwenloch (Ziff. 20) wird<br />

als Schopfloch OA Freudenstadt gedeutet. In Owingen finden<br />

wir heute noch den Flurnamen Schopfloch (Flurkarte SW<br />

1715) ob nicht hier das Lehen lag? Ebenso finden wir das Ouwenloch<br />

(Ziff. 39) als Auenloch in Haigerloch auf der Flurkarte<br />

SW 1617.<br />

Hedwig Maurer, Stettengasse 25, 79540 Lörrach<br />

stellung der Ordensgeschichte in Baden-Württemberg bilden<br />

die Einführung. Die Geschichte der religiösen Orden ist ein<br />

Teil der kulturhistorischen Entwickung, deshalb sind auch<br />

die Schöpfungen der Neuzeit, Kongregationen und Diakonissenanstalten<br />

beschrieben. Natürlich sind die großen Klosteranlagen<br />

von Maulbronn bis Salem bekannt. Aber es gibt<br />

im Lande auch zahlreiche kleine und kleinste Klöster, Stifte<br />

und andere Einrichtungen, die fast vergessen und oft bis auf<br />

47


Verlag: <strong>Hohenzollerischer</strong> <strong>Geschichtsverein</strong><br />

Karlstraße 3, 72488 Sigmaringen<br />

M 3828<br />

Postvertriebsstück. Gebühr bezahlt.<br />

geringe Reste verschwunden sind. Alle genannten Einrichtungen<br />

werden historisch und kunsthistorisch vorgestellt und<br />

beschrieben. Im Text findet man 215 Farbfotos. Abgerundet<br />

wird die Darstellung durch allgemeine Literaturangaben und<br />

die zu den Einzelobjekten gehörige spezielle Literatur. Ein<br />

Ortsverzeichnis erleichtert das Auffinden, wie z. B. Heiligkreuztal<br />

unter Altheim.<br />

Für alle geschichtlich und kunstgeschichtlich Interessierten,<br />

ist das Buch ein wirklicher Gewinn.<br />

Wolfgang Willig, Spurensuche in Baden-Württemberg, Klöster<br />

Stifte Klausen, ein kulturhistorischer Führer mit 500 Seiten<br />

und 215 Farbfotos, zum Preis von 48,00 DM im Buchhandel<br />

erhältlich. B.<br />

Sechs Neuerscheinungen aus dem Silberburg-Verlag Tübingen,<br />

verfaßt für Heimatfreunde und Liebhaber schwäbischer<br />

Mundart, enthalten Beschauliches, Hintergründiges, Humorvolles,<br />

Religiöses und Wissenswertes.<br />

22 schwäbische Sketsche, witzig und zum Teil recht deftig,<br />

einfach zu spielende, zehn bis 20 Minuten dauernde Mundartstücke<br />

für zwei bis sechs Laienspieler bietet der Ulmer Autor<br />

Manfred Eichhorn, ein Kenner schwäbischer Mentalität<br />

und selbst Regisseur einer Theatergruppe, im Band »Versprecba<br />

ond versprocba« (ISBN: 3-87407-245-2; 160 Seiten,<br />

fester Einband, 32 DM).<br />

Immer wieder tief auf den Zahn fühlt der Reutlinger Sven-<br />

Erik Sonntag den Zeitgenossen in seinen Gedichten, Aphorismen<br />

und Kurz-Dialogen. »Fläggaräädsch« lautet der Titel<br />

des Büchleins. Die Schreibweise des schwäbischen Dialekts<br />

(»Gallaschdoe« =Gallensteine; »Wäddrkombiuudr« = Wetter-Computer),<br />

die sich mehr am Klang als am Ursprungswort<br />

orientiert, macht dem Leser das Verstehen allerdings<br />

HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />

herausgegeben vom Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong>.,<br />

Karlstraße 3, 72488 Sigmaringen<br />

ISSN 0018-3253<br />

Erscheint vierteljährlich.<br />

Die Zeitschrift »Hohenzollerische Heimat« ist eine<br />

heimatkundliche Zeitschrift. Sie will besonders<br />

die Bevölkerung im alten Land Hohenzollern und<br />

den angrenzenden Landesteilen mit der Geschichte<br />

ihrer Heimat vertraut machen. Sie bringt neben<br />

fachhistorischen auch populär gehaltene Beiträge.<br />

Bezugspreis:<br />

Für Mitglieder des Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong>s<br />

ist der Bezugspreis im Beitrag enthalten.<br />

Bezugspreis für Nichtmitglieder DM 13,00 jährlich.<br />

Abonnements und Einzelnummern (DM 3,25)<br />

können beim Hohenz. <strong>Geschichtsverein</strong> (s. o.) bestellt<br />

werden.<br />

48<br />

Die Autoren dieser Nummer:<br />

nicht einfach (ISBN: 3-87407-242-8; 96 Seiten, fester Einband,<br />

19,80 DM).<br />

»A bsonders Guetsle« für Literaturfreunde ist das 128seitige<br />

Buch »Viecher und andere Schwaben« (ISBN: 3-87407-246-0;<br />

fester Einband, 29,80 DM). Die Stuttgarterin Ursula Kirchner<br />

hat tierische Texte bekannter Dichter aus dem Württembergischen<br />

zusammengetragen und sie mit eigenen reizvollen<br />

Scherenschnitten illustriert. Ein »tierisch gutes« Brevier zum<br />

Schmöckern, Genießen, Schmunzeln und Vorlesen.<br />

Pfarrer i. R. Rudolf Paul hat sich der Mühe unterzogen, das<br />

Johannes-Evangelium ins Schwäbische zu übertragen, überzeugt,<br />

so im Dienst Gottes in Schichten der Seele vordringen<br />

zu können, die das Heimatgefühl ansprechen. Er möchte die<br />

Wahrheiten der Bibel den Mitmenschen auf »heimelige« Art<br />

nahebringen, »s Johannes -Evangeliom« in der Reihe »D Bibel<br />

für Schwoba«; 128 Seiten, fester Einband, 19,80 DM;<br />

ISBN: 3-87407-247-9.<br />

Wer biblische Texte lieber hört als liest, weil er sich mit dem<br />

Lesen des Schwäbischen vielleicht schwer tut, der sei auf die<br />

CD von Pfarrer Rudolf Paul »D Ur-Gschichta« hingewiesen.<br />

Er liest seine Übersetzungen aus dem 1. Buch Moses (1-11),<br />

und die Harfenistin Petra Edelmann setzt dazu passende musikalische<br />

Akzente (Spieldauer: 49 Minuten; ISBN: 3-87407-<br />

248-7; 29,80 DM).<br />

Anläßlich der Ausstellung »Stuttgart - Von der Residenz zur<br />

modernen Großstadt« gab es eine fachkundige Vortragsreihe,<br />

die nun zur Herausgabe (Dr. Andreas Brunold) eines reich<br />

illustrierten »Lesebuchs«: »Stuttgart - Stadt im Wandel -<br />

Vom 19. ins 21. Jahrhundert« führte. Städtebaulich Interessierten<br />

wird hier ein qualifizierter Einblick in die vielfältigen<br />

Aspekte geboten (ISBN: 3-87407-199-5; 256 Seiten, kartoniert,<br />

39,80 DM).<br />

Gerd Bantle<br />

Hedinger Straße 5, 72488 Sigmaringen<br />

Dr. Otto H. Becker<br />

Hedinger Straße 17, 72488 Sigmaringen<br />

Franz Severin Gäßler<br />

Regierungsbaumeister, Bauoberrat (f)<br />

Wolfgang Hermann<br />

Dettenseer Straße 10/1,<br />

72186 Empfingen<br />

Hedwig Maurer<br />

Stettengasse 25, 79540 Lörrach<br />

Xaver Pf äff<br />

Dr. Kayser-Straße 40,<br />

72488 Sigmaringen<br />

Dr. Herbert Rädle<br />

Veit-Jung-Straße 13a, 92318 Neumarkt<br />

Josef Schuler<br />

Killertalstraße 55, 72417 Jungingen<br />

Druck:<br />

Gerd Bantle<br />

M. Liehners Hofbuchdruckerei GmbH &<br />

Co., Verlagsanstalt<br />

72488 Sigmaringen, Karlstraße 10<br />

Schriftleitung:<br />

Dr. med. Herbert Burkarth,<br />

Eichertstraße 6, 72501 Gammertingen<br />

Telefon 07574/4407<br />

Die mit Namen versehenen Artikel geben<br />

die persönliche Meinung der Verfasser wieder;<br />

diese zeichnen für den Inhalt der Beiträge<br />

verantwortlich. Mitteilungen der Schriftleitung<br />

sind als solche gekennzeichnet.<br />

Manuskripte und Besprechungsexemplare<br />

werden an die Adresse des Schriftleiters erbeten.<br />

Wir bitten unsere Leser, die »Hohenzollerische<br />

Heimat« weiter zu empfehlen.


HOHENZOLLERISCHE<br />

HEIMAT<br />

Statue des hl. Nepomuk auf der Donaubrücke in Sigmaringen<br />

Herausgegeben vom<br />

M 3828<br />

Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong><br />

47. Jahrgang Nr. 4 / Dezember <strong>1997</strong>


HEDWIG MAURER<br />

Michael Singele, ein Handelsmann aus Hausen im Killertal<br />

Nro. 849 Reisepaß gültig auf ein Jahr. »Alle Civil= und Militär=Behörden<br />

werden ersucht, Vorzeiger dieses Passes ungehindert<br />

hin und her reisen zu lassen, mit Namen Michael<br />

Singele, verheirathet, welcher mit Seide= Wolle= und Baumwollwaaren<br />

handelt, gebürtigt von Hausen (Schlatt) wohnhaft<br />

zu Hausen reisend in die deutschen Bundesstaaten, auch<br />

ihm nöthigenfalls Schutz und Hülfe zu leisten«.<br />

Beschreibung:<br />

Alter 44 Jahre, Größe 5 Fuß<br />

Haare graue Stirne niedere<br />

Augen braune Nase spitzig<br />

Mund mittlem Zähne gut<br />

Angesicht länglicht Zeichen: ohne besondere<br />

Hechingen den 16. October 1839<br />

Fürstlich=Hohenzollernsches Oberamt.<br />

Nach dieser Beschreibung müßte Michael Singele im Jahre<br />

1795 geboren sein. In seinem Heiratsvertrag steht, daß er in<br />

Schlatt geboren ist. Sein Vater hatte 1802 die Weilertalmühle<br />

gepachtet und so wuchs Michael mit seiner Schwester Katharina<br />

und seinen Brüdern Ignaz und Fidele in der Weilertalmühle<br />

bei Hausen auf. Ignaz scheint mit dem Vater die<br />

Mühle betrieben zu haben. Wann Michael mit dem Handel<br />

begann, läßt sich nicht genau feststellen. In seinem Nachlaß<br />

fanden sich Waren-Rechnungen von 1820 bis 1837. In den ersten<br />

Jahren betrieb er den Handel zusammen mit seinem<br />

Schwager Augustin Ruf, später gingen die Rechnungen an ihn<br />

und Fidele.<br />

Die Waren wurden von den Fabrikanten an die Marktorte geschickt.<br />

Absteigequartier waren u. a. der »Römische Kaiser«<br />

in Offenburg, die »Sonne«, in Oberkirch und der »Ochsen«<br />

in Oppenau. Von dort wurden Höfe und Märkte besucht. Die<br />

Handelswaren, die Michael Singele und seine Mitarbeiter aus<br />

Hausen vertrieben, bestanden (wie schon oben erwähnt) aus<br />

Seide- Woll- u. Baumwollware. Für schwarze Seidentücher<br />

in verschiedenen Größen mit roten Streifen bezahlte er für<br />

das Dutzend zwischen 9 und 22 Gulden. Außer seidenen<br />

Halstücher mit Streifen und Kanten vertrieb er Baumwolltücher<br />

und »Carmison«-Tücher, Strümpfe, Hosenträger und<br />

Kurzwaren. Aus dem Schreibbuch geht auch hervor, daß er<br />

in diesen Jahren alleiniger Bezieher der Ware war und Augustin<br />

Ruf und sein Bruder Fidele die Ware von ihm bezogen.<br />

Die Waren wurden während des ganzen Jahres bestellt<br />

und so läßt sich nur aus den noch erhaltenen Briefen ermitteln,<br />

in welcher Zeit Michael Singele »Z'Märkt« war. Die Ware<br />

kam meist aus dem badischen Gebiet. Aber auch die Firma<br />

David Mautte aus Ebingen war ein guter Handelspartner.<br />

Das Vertrauen in den Handelsmann Michael Singele war so<br />

groß, daß die Firma Mautte ihn 1825 zu ihrem Anwalt im<br />

»Badischen« bestellte, »vor allen großherzoglichen Justiz-<br />

Stellen anhängigen Schuld = Sachen betreffend den Herrn<br />

Michael Singele Handelsmann von Hausen im<br />

Heching'schen zu unserem bevollmächtigten Anwalt erwählt;<br />

und demselben vollkommene Gewalt aufgetragen habe<br />

...«<br />

Auch aus Frankreich und der Schweiz wurden Waren geliefert.<br />

Egal, woher die Waren kamen, mußte ein »Ursprungs-<br />

Zeugnis« geliefert werden, das von der Ortsbehörde bestätigt<br />

und mit Siegel versehen wurde. So lautet das Zeugnis der Firma<br />

Bleuler aus Schwarzach am Rhein: »Endes Unterzeichneter<br />

bezeuget hiermit, bei seinen bürgerlichen Pflichten, daß<br />

Michael Singele von Hausen seid mehreren Jahren Seidene<br />

Halstücher nach Mailänder Art bei mir kaufte, und heute wie-<br />

50<br />

der ein Sortiment von mir bezogen hat, daß demnach diese<br />

Waare als inländische Fabrikate anzusehen ist.<br />

Schwarzach am Rhein den 9. September 1823 Joh. Heinrich<br />

Bleuler Seidenfabrikant« darunter befindet sich die Bestätigung<br />

des Großherzoglichen Amtes Bühl.<br />

An den Marktorten, die er besuchte, mußte er sich den Zollkontrollstempel<br />

auf der Ortsbehörde holen. So gibt es<br />

Schriftstücke mit 5 und mehr Zollstempeln (Gengenbach,<br />

Haslach, Appenweyer, Harmersbach, Ulm u. a.). Ein aus der<br />

Schweiz stammendes Attest lautet: »Wir Ammann und Rath<br />

der Gemeinde Kappel, Bezirk Ober-Toggenburg Kanton St.<br />

Gallen, bescheinigt hiermit: daß diejenige Baumwollen Ware,<br />

nämlich Nastücher 1 Ballöllchen No. 4 T. R., welche der<br />

hiesige Fabrikant Jakob Looser, durch Tobias Hurler & Sohn<br />

in Schaffhausen, nach Haslach im Kinzinger Tal zu senden<br />

bestimmt hat, wirkliche hießige Fabrikate sind.<br />

Da diese Waaren wirklich hierorts fabriciert worden, haben<br />

wir dies mit amtlichem Siegel und Unterschrift versehene<br />

Zeugniß ausgefertigt Kappel, Datum 11. Juli 1825 Der Gemeind<br />

Ammann: H. Schällibaum. Im Namen des Gemeinderaths<br />

der Schreiber: Felder. Die Ächtheit der obigen Angaben,<br />

Unterschriften & Siegel wird an gleichem Ort und Dato<br />

mit Aufdruckung des Kreisamtlichen Siegels bestättigt. der<br />

Kreisammamm: Erlemann«.<br />

Die geschäftlichen Verbindungen zur Schweiz wurden über<br />

Hausener Bürger, die in die Schweiz ausgewandert, waren<br />

aufrecht erhalten. Dazu ein Blick in die verwandtschaftlichen<br />

Verhältnisse: Michael Singele heiratete 1825 die Witwe Anna<br />

Maria Haiberin aus Hausen. Sie hatte 1822 im Alter von 23<br />

Jahren den gleichaltrigen Georg Flad geheiratet, der schon im<br />

März 1824 starb.<br />

Aus der Ehe ging die Tochter Ursula hervor, die 1842 Michael<br />

Blickle aus Hausen heiratete. Ein Bruder der Anna Maria<br />

(Caspar Haiber) war in die Schweiz ausgewandert, ebenso<br />

Verwandte der Familien Flad und Blickle. Anna Singele verdingte<br />

sich vermutlich in der Schweiz als Magd und heiratete<br />

den schweizer Bäcker Fritz Kurz, mit dem sie eine Bäckerei<br />

in La Chaux de Fonds betrieb. Ihr Bruder (oder Vetter?)<br />

Karl folgte ihr dorthin. Nachkommen von ihm leben noch<br />

heute dort.<br />

Am 17.Juli 1825 hatten Michael Singele und Anna Maria Haiber<br />

geheiratet. Ihre »Heyratsabrede« blieb erhalten: »Mit<br />

Oberheitlichen Conszenz verheirathet sich Michael Singele,<br />

ledig von Schlatt mit Anna Maria Haibrin Wittwe von Hausen.<br />

Die Hochzeitrin bringt als Hayratsgut in diese Ehe ihres<br />

volkommens Vermögen als:<br />

1 Virtl wissen auf dem Briel an Matheis Rädle Tax - 100 fl<br />

1 Krautland in Binsenberg an Martin From 40 fl<br />

2 Virtl wissen auf dem Briel an Georg Haris 160 fl<br />

1 Vi Virtl wissen in den Brunnenwisen an Franz Kaus 100 fl<br />

I/2 Virtl ohngefert mit baimen im bihl an Remigi<br />

Burckhart und Tomas Flad 100 fl<br />

1 Gärtie hinter dem Pfarrgarten an alt<br />

Donisi Kraus Äcker 20 fl<br />

2 Virtl auf dem unteren altebnat an Leo Renz<br />

und dem Vatter selbst 15 fl<br />

2 Virtl unter der Straß in Enck an Vogt Blickle 20 fl<br />

2 Virtl auf Schlichten gegen Feldsteig an<br />

Georg Rädle Seger 50 fl<br />

2 Virtl in Bellentall an Fridolin Lorch 36 fl


^Jiitteilungen aug bcm ©cfc^ic^töDcrctn<br />

Veranstaltungen im 1. Quartal 1998<br />

Vorträge<br />

Privatdozent Dr. Tilman Allert, Tübingen:<br />

Eugenie und die Klugheit des Herzens. Zur Geschichte<br />

einer fürstlichen Erziehung.<br />

Dienstag, 20. Januar, um 20 Uhr im Spiegelsaal des<br />

Staatsarchivs Sigmaringen.<br />

Dieser Vortrag zur Biographie der Fürstin Eugenie von<br />

Hohenzollern-Hechingen wurde bereits in Hechingen<br />

gehalten.<br />

Andreas Günter M.A., Reutlingen:<br />

Die Kirchenbauten Pierre Michel d'Ixnards in<br />

Hechingen, St. Blasien und Buchau (mit Dias).<br />

Montag, 2. Februar, um 20 Uhr im Hohenzollernsaal der<br />

Kreissparkasse in Hechingen.<br />

Dienstag, 10. Februar, um 20 Uhr im Spiegelsaal des<br />

Staatsarchivs in Sigmaringen.<br />

Dr. Frank Raberg M.A., Stuttgart:<br />

Carlo Schmid, Regierungschef im Land des „Zufalls".<br />

Montag, 16. März, um 20 Uhr im Hohenzollernsaal<br />

Kreissparkasse in Hechingen.<br />

Dienstag, 17. März, um 20 Uhr im Spiegelsaal des<br />

Staatsarchivs in Sigmaringen.<br />

Dr. Andreas Zekorn, Balingen:<br />

Revolutionäre Staatsbeamte? Das Verhalten der<br />

Oberamtmänner in Balingen, Haigerloch und<br />

Hechingen in der Revolution 1848/49.<br />

Montag, 30. März, um 20 Uhr im Hohenzollernsaal der<br />

Kreissparkasse in Hechingen.<br />

Vorankündigungen<br />

(Nähere Informationen sind den „Mitteilungen aus dem<br />

<strong>Geschichtsverein</strong>" in Heft 1 der Hohenzollerischen<br />

Heimat 1998 zu entnehmen.)<br />

Graf Albrecht II. und die Grafschaft Hohenberg.<br />

Vortragsveranstaltung anläßlich des 700. Todestages des<br />

in Kirchberg beigesetzten Grafen Albrecht II. von<br />

Hohenberg am Samstag, 25 April 1998, im Kloster<br />

Kirchberg.<br />

2 Virtl auf Schlichten gegen Feldsteig an Eugeni Rädle 50 fl<br />

2 Virtl in Enk Burladinger Bahn an Moriz Blickle 20 fl<br />

2 Virtl auf Gretles Graben an Leo Renz 20 fl<br />

den vierten theil von Georg Fladen Selig<br />

Waldungen und berg acckern 10 fl<br />

An Haus Gretschaft nebst ein SV?? 100 fl<br />

An ausstehenden Capitall 350 fl<br />

Im Mittelpunkt stehen die folgenden Vorträge:<br />

14.00 Uhr Dr. Casimir Bumiller, Bollschweil:<br />

Die Grafen von Hohenberg in der Tradition<br />

der Herren von Haigerloch-Wiesneck.<br />

16.30 Uhr Prof. Dr. Wilfried Schöntag, Stuttgart:<br />

Die Reitersiegel der Grafen von Hohenberg<br />

als Zeichen des Selbstverständnisses.<br />

20.00 Uhr Prof. Dr. Franz Quarthai, Stuttgart:<br />

Graf Albrecht II. von Hohenberg.<br />

Exkursion nach Fribourg und Neuchätel in der<br />

Westschweiz unter der Leitung von Herrn Wolfgang<br />

Willig, Balingen, mit örtlichen Führern vom 30. April -<br />

3. Mai <strong>1997</strong> (Mindestteilnehmerzahl 25, Maximalteilnehmerzahl<br />

45).<br />

Fahrtkosten: ca. 700 DM (Fahrt, Übernachtungen<br />

mit Halbpension, Eintrittsgelder).<br />

Anmeldungen zu dieser Fahrt u.a. in das ehemals<br />

preußische Neuchätel sind bis spätestens 1. April 1998<br />

zu richten an: Frau Liebhaber (Tel. 07571/101-558).<br />

Das Kreisarchiv Sigmaringen wird im April/Mai 1998 mit<br />

dem Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong> Vorträge über<br />

die Revolution 1848/49 in den hohenzollerischen Städten<br />

Gammertingen und Sigmaringen anbieten. Für Juli 1998<br />

ist außerdem eine Fahrt zur Ausstellung des Bad.<br />

Landesmuseums Karlsruhe „1848/49. Revolution der<br />

deutschen Demokraten in Baden" geplant. Die genauen<br />

Termine dieser Veranstaltungen werden in der<br />

Hohenzollerischen Heimat Heft 1, 1998 bekanntgegeben.<br />

Hinweise<br />

Die Stadt Hechingen zeigt vom 12. März - 19. April 1998<br />

im Alten Schloß in Hechingen die Ausstellung<br />

„Die Revolution 1848/49 im Fürstentum Hohenzollern-Hechingen".<br />

Öffnungszeiten:<br />

Dienstag - Samstag: 13 - 17 Uhr, Sonntags: 11-17 Uhr.<br />

Die Neuerscheinung<br />

Stefan Uhl - Edwin Ernst Weber (Hrgg.): Hornstein.<br />

Beiträge zur Geschichte von Burg, Familie und<br />

Herrschaft. Sigmaringen <strong>1997</strong>. 430 S. mit 130 Abb.<br />

kann von den Mitgliedern des <strong>Geschichtsverein</strong>s statt<br />

zum Preis von 39,50 DM zum ermäßigten Preis von 35<br />

DM erworben werden. Bestellungen nimmt Frau<br />

Elisabeth Volk, Vorsitzende des Fördervereins Burg<br />

Hornstein e.V., entgegen (Tel. 07571/52050).<br />

gez.<br />

Dr. Otto Becker<br />

Vorsitzender<br />

Der Hochzeiter widerlegt es ebenfals mit seinem<br />

Hayrathgut von seinen Eltern. An baarem gelt laut<br />

dem Verkauf Grundstück in Schlatt 600 fl<br />

2 Virtl acker auf Schlichte gegen den Wagenrain<br />

an Mathis Flad 30 fl<br />

an selbst erspartes Geld 300 fl<br />

Total: 2121 fl<br />

51


Es ist aus Erster Ehe ein Kind vorhanden namens Ursula Fladen,<br />

es wird denselbigen von vorn angefirten Grundstücken<br />

als vattlichen Voraus verschrieben 1 1/4 Virtl wissen in denen<br />

Brunnenwisse an Franz Kraus 1 Gartenblatz hinter dem<br />

Pfarrgarten an alt Donisi Kraus. An barem Geld: ein Hundert<br />

Gulden lOOfl<br />

Sölten Kinder aus gegenwärtiger Ehe Erzeigt werden, so soll<br />

es by Pabstelung ?? mit abzug dem Voraus einbind und Erbschaft<br />

sein ??? Im Fall das keine Kinder in dieser Ehe erzeugt<br />

werden, berufen sich beide Hochzeitsleite auf die Hech. Landesordnug.<br />

Der (Hochzeiter) hat das 30. Jahr hinterlegt und wird in der<br />

Gemeinde Hausen verbürgert, und hat Bürgergeld zu bezahlen<br />

an gnädigste Herrschaft 30 fl und so vill an die Gemeinde<br />

mit 30 fl.<br />

Das sämtliche Vermögen mit Abzug dem Voraus und Bürgergeld<br />

belauft sich auf 1912 fl<br />

Hausen den 17ten Juli 1825<br />

August ? Kilber? Vogt von Schlatt J. Blickle Vogt<br />

Johannes Haiber Vatter, Beistand Fidele Singele, Augustin<br />

Ruf Beystant, Raymund Flad als beystand der Hochzeiterin<br />

und des Kinds Johann Haiber als beystand, als Gette<br />

dem Kind, Georg Stoll als bey standt, Michael Singele Hochzeiter.«<br />

Wenige Wochen nach der Hochzeit ging Michael wieder seinen<br />

Geschäften im Schwarzwald nach. Aus den noch vorhandenen<br />

Briefen, Rechnungen und Urkunden versuchen wir<br />

seinen weiteren Lebenslauf aufzuzeichnen.<br />

Im September schrieb ihm Maria Anna nach Oberkirch:<br />

Geliebter Ehman Hausen 14. September 1825<br />

Seyd wir den betrübten Abschied miteinander genommen so<br />

hab ich mich im Vielen aufgehalten zudem wir gleich nach<br />

unser Hochzeit haben uns trennen müßen und ich jetzt wie<br />

zuvor allein sein müß, nur muß ich mir alle diese gedanken<br />

aus dem Sinn schlagen, und mich getrösten, daß uns der allerhöchste<br />

in bälde wieder gesund zusammen kommen lassen<br />

wird, für solches ich töglich beten thue, was uns belangt,<br />

seind wir alle gesund. Allein das Uschele ist kranklich gewesen<br />

aber gott sei dank jetzt wieder gesund ist. Im übrigen habe<br />

ich alles gut heim gebracht bis deine Gersten. Grundbieren<br />

ist noch im Feld, auch hat es noch ordentlich Emt geben.<br />

Die jungen Schweinle habe ich alle bis auf eins verkauft und<br />

für jedes 1 fl. bekommen. Ich habe jetzt einen halben Pferch<br />

gekauft auf den Grundbieren Aker, welchen ich mit Korn ansehen<br />

will. Dein Bruder hat den Rokenaker von meinem Vater<br />

nicht behalten, wan dir recht wäre, so wollten wir übernehmen,<br />

ich glaube das wir solche etwas wohlfeiler bekomen,<br />

wan du solchen wilst so must gleich wenigstens 3 Luidor geld<br />

heim schicken, auch sollest meinen Eltern Vi Centner ohngemachten<br />

Hanpf überschiken. Indeßen bist du wie auch dein<br />

Bruder vielmahl von mir und unser Tochter gegrüßt, wie auch<br />

von unser ganzen Haushaltung. Ich verbleibe dein getreues<br />

Eheweib Ana Maria Haiberin<br />

Auch einen Gruß von eurer Mutter. Sie hat täglich viel<br />

Bekümmernis wegen Euren sonsten sind sie in der Mühle<br />

wohl zufrieden.<br />

Viellgeliebtes Weib Offenburg 22. September 1825<br />

Dein schreiben vom 14. hab ich erhalten und darin ersehen<br />

das du und meine Familie alles gesund ist, was mich sehr erfreut<br />

und ich diese nachricht schon länger wünschte. Gott sei<br />

Dank seit wir von Haus - sind wir gesund und wohl auf und<br />

sind auch nach wirglichem Zeitpunkt mit unsern Geschäften<br />

zufrieden - Du kannst leicht dänkgen das der Abschied von<br />

Dir mir sehr schwär gefallen ist, aber ich muste es bei mir behalten,<br />

und kannst auch leicht dänkgen wen es meine geschähen<br />

erlauben däte das ich gern zu hauß wäre. Ich hoffe<br />

52<br />

mit gottes hilf wird die zeit auch wider komen das wir einander<br />

im besten wohl sein andrefen werden. Wir wollen unsern<br />

sorgen dem Schöpfer überlasen und in täglich darum bitten,<br />

das wir sie ertragen kenen - Du schreibst mir wegen Deines<br />

Vatter ager. Wan er uns für 77 fl geben will, so kanst du<br />

ihn einschreiben lassen und zugleich mit Korn ansehen lassen,<br />

hir hast 16 Kronen Thaller und kanst den halbscheid bezallen<br />

und mir zugleich schreiben das ich das andere gelt heim<br />

schikgen kann - und wie ich gesagt hab wo ich zu hauß bin<br />

das du dis spätjahr ein Kälble zu dem unsern kaufen dust -<br />

besorge alles so gut du kanst Ich grüße auch alle herzlich sämtlich<br />

im ganzen haus - auch ein Gruß an meine Mutter und<br />

Brüder und geschwech und schwäster und Kinder<br />

Michael Singele<br />

Geliebtes Weib Freiburg den 21. Nov. 1825<br />

Dein beiden Schreiben vom vorigen Monat erhielte ich und<br />

darin ersehen das ihr alle gesund und wohlauf sind welches<br />

mich von Herzen freut, und darin ersehe das in unser Haushaltung<br />

alles gut besorgt ist welches mich sehr freut. Aber ich<br />

muß von fremden Leuthen hören, das es in der Mühle so unfriedlich<br />

zugeht und du mir darvon gar nichts schreiben duts<br />

welches mir auffalend ist, und ich eh ich von haus an weg bin,<br />

so hab ich dir gesagt du solst mir imer auch schreiben wie es<br />

in der Mühle gehen dut, und mit der Handelschaft geht es den<br />

mittleren weg. man muß bey wirglicher Zeit zu frieden sein.<br />

Du schreibst mir wir sollen auch schreiben wan mir heim<br />

kommen. Mir komen nicht auf weynachten auch nicht auf<br />

das Neue Jahr, wan mir gesund bleiben so kommen mir auf<br />

Faßnacht heim oder die Handelschaft müßte so schlecht gehen<br />

oder etwas anderes vorfallen. Besorge alles so gut du kanst<br />

ich will bey meinem Schwager dir Geld heim schigen. er komt<br />

heim biß weynacht. Du wirst so gut sein und meiner Schwester<br />

sagen sie soll samen richten wie die bestalung ist 2 Pf.<br />

frühen Kohl, 3 Pf. mittlem Kohl, 1 Pf. später Kohl, 1 Pf. Kraut<br />

samen, 1/4 Pf. winter räthig, 1/4 Pf. somer räthig. sie soll so<br />

bald als möglich die bestälung betreiben. Ich erwarte eine<br />

Antwort so bald als möglich nach ober kirch. Grüße Euch alle<br />

samtenlich im ganzen Haus. Michael Singele auch ein Gruß<br />

an meine Mutter, auch ein Gruß an euch von Fidele und an<br />

unser Mutter. Ein Gruß an unser Bruder und geschweg sie<br />

solln auch beser zu frieden sein bis dahin<br />

Geliebter Ehmann Hausen den 7. Dezember 1825<br />

Dein Schreiben vom 21. Nov. wie auch den neuen Thaller<br />

und dem Ursula ein Halstuch habe ich richtig erhalten, ich<br />

ersehe darin das du wie auch Schwager gesund seind welches<br />

uns alle herzlich erfreut, was uns anbelangt so sind wir desgleichen<br />

alle gesund. Ich habe auch durch den Truchtelfinger<br />

fuhrman den Hampf erhalten mit welchem ich ser zufrieden<br />

bin und ersehe auch aus deinem Schreiben das du auf Weihnachten<br />

nicht nach Hauß komst sondern erst auf die Faßnacht<br />

es freut mich wan du etwas verdienen kanst, ich werde auch<br />

in unser Haushaltung in allem gut besorgt sein. Ich hab auch<br />

ein Fueter Stroh gekauft um 8 fl. Du schreibst mir auch das<br />

du vernommen habest das in der Mühle nicht gut und friedlich<br />

zugehe, dieses aber nur schlechte leute seind die ob anderen<br />

Haushaltungen reden und soviel Neid weil alles friedlich<br />

zugeht. Es kommen zu verschiedene Leute in die Mühle,<br />

die gutes und böses reden. Man kan aber den Leuten nicht<br />

vor die Mäuler stehen. Indeßen bist du wie auch Schwäger<br />

vielmahl von mir und unser Tochter wie auch von unserm<br />

ganzen Haus gegrüßt Ich verbleibe Eheweib Anna Maria<br />

Haiberin<br />

Auch ein Gruß von eure Mutter und sie bekümmert sich täglich<br />

um Euch. Auch bettet sie auch täglich für Euch um damit<br />

ihr gesund wieder nach Hauß kommen sollt. Auch einen<br />

Gruß von Andreas Heck Schneider.


Im Sommer 1826 teilte Anna Maria ihrem Mann mit, daß sie<br />

das Haus aus seiner Erbschaft in Schlatt verkauft habe. Im<br />

Herbst beauftragte er sie in Hausen das Haus von Sebastian<br />

Rädle in der Schmidgasse zu kaufen wenn sie es um 850 Gulden<br />

bekommen könne. Im Oktober erwarb sie das Haus.<br />

»Mit Hochfürstlich gnädigster Herrschaftserlaubniß verkauffet<br />

Sebastian Rädle in Hausen gegen Michael Singele allda<br />

ein Haus, Scheuer, Hofraite nebst Garten mitten im Dorf in<br />

der Schmidgaßen. Stoßt vorn an Jung Joseph Burckhard,<br />

Adam Fischer und Joseph Lorch Wittwer, hinten dem Ehrhaften<br />

Gäßle zwischet Georg Rädle Jeger, Lorenz Weith und<br />

Alt Joseph Rädle Anderseits der Landstraße, um 852 Gulden<br />

zahlbar in vier Terminen, Ersten baar, die übrigen auf Galle<br />

1827, 1828 und 1829 mit Zins. Zinset der gnädigsten Herrschaft<br />

8 Kreuzer Hausen den 18 October 1826«<br />

Bei der Kaufabsprache hatte Anna Maria 22 Gulden an Sebastian<br />

Rädle bezahlt. Am 22 November bezahlte sie 2 78 Gulden<br />

an Vogt Blickle. Sebastian Rädle scheint hoch verschuldet<br />

gewesen zu sein, denn von dem restlichen Geld vom<br />

Hauskauf erhielt er nur 17 Gulden. 334,5 Gulden gingen an<br />

Michael und Elisabetha Diebold in Hechingen und Johann<br />

Seit, Kronenwirt in Hausen bekam 200 Gulden.<br />

Ende Januar 1827 schrieb Michael Singele auf, was er für das<br />

Haus in der Schmidgasse bezahlt hatte:<br />

Ankauf 852 fl<br />

zwey Halstücher und ein SagTuch 5 fl<br />

Einschreiben in Hechingen 10 fl 21 x<br />

Weinkauf 7 fl 24 x<br />

Die Geschäfte scheinen zu jener Zeit gut gegangen zu sein,<br />

OTTO H. BECKER<br />

denn wenige Tage später traf er eine Vereinbarung um ein<br />

neues Haus zu bauen.<br />

»Hausen den 2. Febris 1827<br />

Unter dem Heittigen Dattum hat Michael Singele mit Josef<br />

Pflum et Rafel Rädle Zimmermeister einen acord geschlossen<br />

vor ein 2 Stöcktes Haus. Welches in der Linge sein muß<br />

57 Schu und die Breite 33 Schu (1 Schu etwa 35 cm).« Dann<br />

folgen die genauen Maße für die einzelnen Räume. Nach seinen<br />

Aufzeichnungen, die bis Februar 1829 gehen, dürfte das<br />

Haus mit Nebenkosten mehr als doppelt so teuer wie das<br />

Haus in der Schmidgasse gekommen sein.<br />

Im Frühjahr 1828 scheinen die Geschäfte schlecht gegangen<br />

zu sein, denn er schreibt »das die Handelschaft so schlecht<br />

geht, das man jedenTag lesen dut das man (nur kauft) was<br />

man zur größten Noth - brauchen dut«. Der Herbstmarkt<br />

scheint besser gelaufen zu sein, denn da schickte er genügend<br />

Geld, damit Anna Maria die fälligen Schulden auf Gallentag<br />

bezahlen konnte.<br />

Von den folgenden Jahren sind nur noch wenig Briefe erhalten,<br />

aber die noch vorhandenen Rechnungen über Warenlieferungen<br />

bestätigen, daß er bis 1839 Handel betrieben hat.<br />

Im Jahre 1837 mußte er die elterliche Mühle übernehmen<br />

»nachdem der bisherige Mühl=Beständer Ignaz Singele nicht<br />

mehr im Stande ist, die Mühlpacht weiter fortzuführen«.<br />

Damit endet die Aufzeichnung über den Handelsmann Michael<br />

Singele. Als »Herrschaftlicher Bestands=Müller« führte<br />

er nun die Weilertalmühle. 1845 kaufte er die Mühle in Rangendingen.<br />

Zur Geschichte der Statue des Heiligen Nepomuk auf der Donaubrücke in Sigmaringen<br />

Am 25. Juni <strong>1997</strong> wurde das Standbild des Heiligen<br />

Johannes von Nepomuk auf seinem ursprünglichen Platz<br />

auf dem Mittelpfeiler der alten Donaubrücke beim ehemaligen<br />

Bauhof in Sigmaringen wiederaufgestellt und drei Tage<br />

später von Stadtpfarrer Walter Eckert zusammen mit dem<br />

Brückenkomplex in einer schlichten Zeremonie geweiht.<br />

Darüber wurde in der Lokalpresse eingehend berichtet. Im<br />

folgenden soll deshalb nicht dieses Ereignis, sondern die<br />

bemerkenswerte Geschichte der Nepomukstatue im<br />

Mittelpunkt stehen, die in der erwähnten Berichterstattung<br />

keine Würdigung erfahren hat.<br />

Seine Entstehung verdankt das Standbild auf der ehemaligen<br />

Bauhofbrücke in Sigmaringen dem Willen des Fürsten<br />

Wilhelm von Hohenzollern, den im Verlauf des Ersten<br />

Weltkrieges in Not geratenen heimischen Künstlern Lohn<br />

und Brot zu verschaffen. Warum der Fürst, der übrigens vor<br />

70 Jahren am 22. Oktober 1927 gestorben ist, gerade die<br />

Figur dieses Heiligen in Auftrag gegeben hat, ist aus den<br />

vorliegenden Quellen nicht zu entnehmen. Da Sigmaringen<br />

aber fast regelmäßig bis in die jüngste Vergangenheit im<br />

Frühjahr von Überschwemmungen heimgesucht wurde, war<br />

es naheliegend, die Stadt mit dem Standbild unter den<br />

Schutz von St. Nepomuk als Patron gegen Wassergefahren<br />

zu stellen.<br />

Mit der Gestaltung der Nepomukfigur beauftragte der<br />

Kunstmäzen Fürst Wilhelm den in seiner Residenzstadt<br />

Sigmaringen geborenen Hofbildhauer Alois Stehle (1854 -<br />

1932), der in München lebte und arbeitete. Die Ausführung<br />

der Plastik aber oblag dem aus Vilsingen in Hohenzollern<br />

stammenden Bildhauer Fidelis Enderle (1854 - 1932), der<br />

wie der gleichaltrige Hofbildbauer in der bayerischen<br />

Landeshauptstadt seinen Wohnsitz genommen hatte.<br />

Nach dem unterm 18. November 1917 ausgefertigten<br />

Kostenvoranschlag berechnete der Bildhauer Enderle für die<br />

Ausführung der Brückenfigur mit einer Höhe von 2,60 m,<br />

einer Breite von 1,50 m und einer Tiefe von 0,90 m in<br />

Kirchheimer Muschelkalk aus dem Bruch des<br />

Hofsteinmetzmeisters Schilling die Summe von 4.080 M.<br />

Die Kosten für den Transport der Steine vom Bahnhof im<br />

München zum Atelier Luisenstraße 62 werden in dem<br />

Voranschlag mit 265 M angegeben. Für die Verpackung der<br />

fertigen Figur und die Fahrt zum Bahnhof inkl. Einladen in<br />

den Waggon wurden weitere 385 M veranschlagt. Für die<br />

Ausführung des Untersockels inkl. Zufuhr der Rohsteine<br />

und den Transport der fertigen Arbeit zum Bahnhof berechnete<br />

Enderle 590 Mark, also insgesamt 5.320 M.<br />

Hinzu kamen noch Kosten, die Hofbildhauer Alois Stehle in<br />

Rechnung stellte. Dieser berechnete für die Rohsteine der<br />

Figur und des Barockpostaments noch einmal 1.510 M. Der<br />

Nimbus für das Haupt des Heiligen, der Gipsguß der Skizze<br />

und des großen Modells sollten insgesamt 220 M kosten. Für<br />

Reisekosten waren 200 M vorgesehen. Für eigene Arbeiten<br />

stellte dieser die folgenden Berechnungen an: Anfertigung<br />

von drei Skizzen (180 M) und des Originalmodells in halber<br />

Größe (1.500 M) und Überwachung und Korrektur der<br />

Steinausführung (200 M), also insgesamt noch einmal 3.810<br />

M in Anschlag.<br />

In der Gesamtsumme des Kostenvoranschlags der Bildhauer<br />

53


Enderle und Stehle in Höhe von 9.130 M waren freilich die<br />

Bahnfracht von München und die Aufstellung der<br />

Nepomukfigur in Sigmaringen noch nicht inbegriffen. Für<br />

die Höhe der Kosten machte der Hofbildhauer in seinem<br />

Schreiben vom 25. November an den Hofmarschall<br />

Freiherrn von Wangenheim in erster Linie "Die<br />

Zeitverhältnisse" verantwortlich, "wo jetzt Alles das<br />

Doppelte und Dreifache kostet gegen früher".<br />

Uber das unmittelbar anschließende Procedere sind wir<br />

nicht unterrichtet. Erst in einem Schreiben des Fürstl.<br />

Hofmarschallamtes vom 26. August 1919 erfahren wir, daß<br />

die in Auftrag gegebene Brückenfigur in der Zwischenzeit<br />

fertiggestellt worden war und nunmehr auf dem<br />

Mittelpfeiler der Bauhofbrücke aufgestellt werden sollte. In<br />

dem Schreiben wurde die Fürstl. Hofkammer, in deren baulichen<br />

Verwaltung die Bauhofbrücke damals stand, um die<br />

Genehmigung gebeten, die für die Aufstellung der<br />

Heiligenfigur erforderlichen Baumaßnahmen ausführen zu<br />

dürfen; diese wurde mit Schreiben vom 28. August d. J. dann<br />

auch erteilt.<br />

In der Hohenzollerischen Volkszeitung vom 8. April 1920<br />

lesen wir sodann, daß die Vorarbeiten für die Aufstellung<br />

der Nepomukfigur auf der Bauhofbrücke im Gange waren.<br />

In der <strong>Ausgabe</strong> dieser Tageszeitung vom 6. Mai 1920 wird<br />

berichtet: "Seit einigen Tagen ziert die Donaubrücke an der<br />

Bingerstraße eine Statue des hl. Johannes von Nepomuk, die<br />

der Bildhauer Alois Stehle, ein gebürtiger Sigmaringer,<br />

geschaffen hat; die Ausführung oblag dem Bildhauer<br />

Enderle, geborener Vilsinger. Beide Künstler sind in<br />

München tätig. Das Werk hat, ohne den Sockel, eine Höhe<br />

von 2,60 m. Das Material, Kirchheimer Muschelkalk, hilft<br />

mit seiner kräftigen Bildung und seiner edlen, silbergrauen<br />

Farbe zur Erreichung des monumentalen Zweckes und einer<br />

überaus vornehmen Wirkung, während das in der<br />

Komposition sich aussprechende tief ernste, künstlerische<br />

und religiöse Empfinden die Vorübergehenden zu Gefühlen<br />

der Andacht stimmt".<br />

In der Beschreibung des Bildnisses heißt es weiter: „Dem<br />

Stile nach schließt sich das Werk dem warmherzigen,<br />

schwungvollen süddeutschen Barock an. Lebhaft ist die<br />

Zeichnung und doch ruhig und feierlich der Eindruck des<br />

Ganzen. Hoch aufgerichtet und zum Himmel blickend,<br />

schreitet der Heilige vorwärts, der Wind spielt in den priesterlichen<br />

Gewändern, schafft malerische Faltenwürfe und<br />

schönes wechselvolles Hell und Dunkel. Im rechten Arm<br />

des Heiligen ruht ein Kruzifix, die linke Hand liegt mit<br />

bedeckter Geberde(!) auf der Brust. Die obere Hälfte des<br />

Körpers hebt sich kraftvoll von dem ausgebreiteten Mantel<br />

ab. Ungemein schön ist der Ausdruck des Kopfes, der mit<br />

dem kurzen Barte und dem sanft lockigen Haar an den<br />

Christustyp erinnert".<br />

Die meisterliche Beschreibung der Plastik schließt mit den<br />

folgenden Sätzen: "Im stillen Antlitz des hl. Johannes prägt<br />

sich die Ergebung in den Willen Gottes aus, der ihn zum<br />

Tode des Bekenners auserwählt hat. Nicht minder ausdrucksvoll<br />

wie das Gesicht sind die Hände. Technisch vorzüglich<br />

gelungen ist die Darstellung der verschiedenen<br />

Gewandtstoffe, zumal des Pelzwerks und der Stickereien<br />

des Chorrocks. Demnach hält sich bei aller Sorgfalt der<br />

Ausführung das Werk frei von Kleinlichkeit. Die hervorragend<br />

wertvolle, vom Geiste bester deutscher Heimkunst<br />

durchwehte Schöpfung wirkt an Ort und Stelle, im Rahmen<br />

des schönen Natur- und Ortsbildes ausgezeichnet dekorativ<br />

und bereitet den beiden Künstlern dauernd Ehre. Das Werk<br />

ist eine Stiftung unseres als Kenner und Förderer der Künste<br />

verdienstvollen Fürsten Wilhelm".<br />

Die 1823/24 von der Fürstl. Verwaltung erstellte dreijochige<br />

Holzbrücke auf Steinpfeilern war für den Pferdefuhrwerksverkehr<br />

konzipiert und genügte dem gestiegenen<br />

Kraftwagenverkehr in der Mitte der dreißiger Jahre nicht<br />

54<br />

mehr. Vornehmlich infolge der spitzwinkeligen Eingangskurven<br />

und der geringen Fahrbreite von 4,30 m mehrten sich<br />

Verkehrsunfälle bei und auf der Brücke. Damit steigerten<br />

sich auch die Aufwendungen für den Unterhalt des<br />

Bauwerks. Eine Änderung dieser unhaltbaren Zustände war<br />

unumgänglich.<br />

Das Fürstl. Rentamt Sigmaringen erklärte sich in einem<br />

Schreiben vom 7. November 1936 an den Regierungspräsidenten<br />

in Sigmaringen bereit, sich an dem Bau einer dem<br />

aktuellen Verkehr entsprechenden Brücke zu beteiligen,<br />

sofern ein solcher Beitrag gleichfalls als Ablösung der<br />

Bauunterhaltungspflicht der Fürstl. Verwaltung anerkannt<br />

werden sollte. In einer Vereinbarung vom 10. Februar 1937<br />

wurde als Ablösungsbetrag der Fürstl. Verwaltung die<br />

Summe von 12.000 RM festgelegt, das waren ein Drittel der<br />

für den Brückenbau veranschlagten Kosten. Nach dem<br />

Vertrag sollte vom Tage der Fertigstellung der Bauarbeiten<br />

an die Unterhaltung der Bauhofbrücke an den Hohenzollerischen<br />

Landeskommunalverband übergehen.<br />

Bei den im Sommer 1937 begonnenen Bauarbeiten wurden<br />

der hölzerne Uberbau der Bauhofbrücke abgebrochen und<br />

durch einen Eisenbetonüberbau ersetzt. Da die Fahrbahnbreite<br />

gegenüber dem Vorgängerbau eine Verdoppelung<br />

erfuhr, war für die von Fürst Wilhelm gestiftete Figur des<br />

Brückenheiligen Nepomuk kein Platz mehr vorhanden. Das<br />

Standbild wurde im Oktober 1937 von seinem Platz auf dem<br />

Mittelpfeiler der Bauhofbrücke entfernt und bekam auf<br />

einem mächtigen Steinpostament stadtauswärts rechts<br />

unmittelbar an der Brückenauffahrt ein neuer Standort<br />

zugewiesen. Die Arbeiten an der Bauhofbrücke konnten im<br />

Hochsommer 1938 dann abgeschlossen werden.<br />

Das Bauwerk im Eingangsbereich des Zentrums der Stadt<br />

Sigmaringen, dessen Sprengung im Unterschied zu der<br />

Laizer Brücke beim Gasthof Donau und der Sägebrücke<br />

beim ehemaligen FürstCarlLandeskrankenhaus unmittelbar<br />

vor dem Einmarsch der Franzosen am 22. April 1945 vereitelt<br />

werden konnte, war dem in den sechziger und siebziger<br />

Jahren aufkommenden Massenkraftwagenverkehr nicht<br />

mehr gewachsen. Vor allem wegen einer fehlenden Spur für<br />

Linksabbieger bildeten sich allabendlich lange Schlangen an<br />

dem Einmündungsbereich der Fürst-Wilhelm-Straße in die<br />

Mühlbergstraße.<br />

Ernsthafte Überlegungen zur Beseitigung des Verkehrsengpasses<br />

kamen erst 1981 in Gang, nachdem die seit 1973 in<br />

staatlicher Baulast stehende Brücke, für die sich spätestens<br />

nach dem Abbruch des Bauhofs um 1960 die Bezeichnung<br />

Nepomukbrücke durchgesetzt hatte, 1981 infolge des Baus<br />

der Umgehungsstraße in die Bauunterhaltung der Stadt<br />

Sigmaringen gekommen war. Zunächst verfolgte man den<br />

Plan, die Nepomukbrücke um eine dritte Fahrspur zu verbreitern,<br />

was jedoch aus statischen Gründen zurückgewiesen<br />

wurde. Der Beschluß des Stadtrats, die Brücke um einen<br />

Anbau zu verbreitern, scheiterte an der Auflage des<br />

Landesdenkmalamtes, wonach die Steinpfeiler nicht beseitigt<br />

werden durften.<br />

1991 billigten die Sigmaringer Stadtväter schließlich den<br />

Vorschlag des Ulmer Architekten Frei Hochstrasser, unmittelbar<br />

neben der Nepomukbrücke flußaufwärts eine neue<br />

Brücke für den Autoverkehr zu errichten und auf den<br />

Pfeilern der alten Brücke einen hölzernen Aufbau für<br />

Fußgänger und Radfahrer zu schaffen. Der im September<br />

1994 in Angriff genommene Bau der Autobrücke konnte am<br />

26. Juli 1996 von Verkehrsminister Hermann Schaufler seiner<br />

Bestimmung übergeben werden. Die Überführung für<br />

die Fußgänger und Radfahrer wurde von Bürgermeister<br />

Wolfgang Gerstner am 20. Dezember desselben Jahres eröffnet.<br />

Die Nepomukstatue hatte im Zusammenhang mit den<br />

Brückenbauarbeiten erneut ihren Platz räumen müssen und<br />

blickte, von der Witterung schwer gekennzeichnet und vor-


nehmlich durch Autoabgase geschwärzt, in einer Ecke des<br />

städtischen Bauhofs an der Badstraße einer ungewissen<br />

Zukunft entgegen.<br />

Die Sigmaringer Stadtväter waren sich ihrer Verantwortung<br />

gegenüber der von weiland Fürst Wilhelm von Hohenzollern<br />

gestifteten und von den beiden heimischen Künstlern<br />

Enderle und Stehle geschaffenen Plastik jedoch bewußt: Der<br />

Stadtrat beschloß in seiner denkwürdigen Sitzung am 5.<br />

März <strong>1997</strong>, die Nepomukfigur wieder an ihrem ursprünglichen<br />

Platz auf der nunmehr alten Donaubrücke zu installie-<br />

Quellennachweis:<br />

StAS Dep. FAS DS 122 Bd. 1 Nr. 423; ebd. NVA 12.019.<br />

Hohenzollerische Volkszeitung Nr. 82 vom 9.4.1920<br />

(Entstehung der Nepomukfigur); dies. Nr. 104 vom 6.5.1920<br />

(Aufstellung der Statue); dies. Nr. 199 vom 30.8.1937<br />

(Umbau der Bauhofbrücke; dies. Nr. 207 vom 8.9.1937<br />

(Verbreiterung der Fahrspur); dies. Nr. 237 vom 13.10.1937<br />

(Versetzung der Heiligenfigur); dies. Nr. 141 vom 21. Juni<br />

1938 (letzte Arbeiten an der Brücke). Schwäbische Zeitung,<br />

<strong>Ausgabe</strong> Sigmaringen - Meßkirch, vom 30.3.1991 ( „Stadtrat<br />

will keinen Rebsam-Steg mehr und billigt neue<br />

Donaubrückenkonzeption"); dies. vom 27.6.<strong>1997</strong><br />

(Aufstellung der Nepomukstatue mit Foto); dies, vom<br />

30.6.<strong>1997</strong> („Nepomuk auf altem Platz"); Sigmaringer Stadt-<br />

Spiegel Nr. 14 vom 3.7.<strong>1997</strong>, S. 4 ( „Nepomuk steht wieder<br />

auf ursprünglichem Platz"); nach frdl. Auskunft des<br />

Stadtarchivs München vom 5.6.<strong>1997</strong> wurde der Bildhauer<br />

Fidelis Enderle am 11.4.1854 in Vilsingen geboren und starb<br />

HERBERT RÄDLE<br />

ren, und bewilligte trotz angespannter Finanzlage die für die<br />

Errichtung des Sockels und die Restaurierung der<br />

Heiligenstatue erforderlichen Mittel in Höhe von rund<br />

50.000 DM (Brückenbaukosten betrugen ca. 8 Mio. DM).<br />

Diese Arbeiten erledigten das Bauunternehmen Steidle und<br />

die Steinbildhauerei Emil Stauß in Sigmaringen.<br />

Seit dem 25. Juni <strong>1997</strong> erstrahlt die Plastik von St. Nepomuk<br />

nunmehr wieder in neuem Glänze an ihrem alten Platz über<br />

der Donau zur Zierde der Stadt und zum Schutze ihrer<br />

Bürger vor Überschwemmungen.<br />

am 5.6.1932 in München; weitere Werke dieses Künstlers<br />

sind nicht bekannt.<br />

Literaturnachweis:<br />

Die Heiligkreuztaler St.-Georgs-Wappenscheibe von 1532<br />

Der Heilige Georg war jahrhundertelang in ganz Europa<br />

einer der bekanntesten und beliebtesten Heiligen. Im<br />

Mittelalter und in der frühen Neuzeit wurde er insbesondere<br />

in Kreisen des Adels und der Ritterschaft verehrt. Damals<br />

ließen sich Adelige nicht selten im Gewände des Hl. Georg<br />

darstellen, so etwa Gottfried Werner Freiherr von Zimmern<br />

auf einem Seitenflügel des Falkensteiner Altars (um 1530,<br />

heute in der Stuttgarter Staatsgalerie) '.<br />

Der Hl. Georg war nach der Legende ein christlicher<br />

Offizier, der unter Kaiser Diokletian den Märtyrertod erlitt.<br />

Seit dem 11. Jh. verschmolz seine Gestalt mit der mythischen<br />

Figur des Drachentöters, der die schöne<br />

Königstochter von dem Ungetüm rettete. Nach der Legenda<br />

aurea hauste in einem See vor der libyschen Stadt Gilena ein<br />

Drache, dem - nach anderen Tier- und Menschenopfern -<br />

auch die durch das Los bestimmte Königstochter zugeführt<br />

werden sollte. Der Ritter Georg besiegt aber den Drachen<br />

durch das Kreuzzeichen und durchbohrt ihn mit der Lanze.<br />

Die Königstochter kann dem Untier ihren Gürtel als<br />

Halstand umlegen und es in die Stadt führen, wo Georg es<br />

mit dem Schwert tötet.<br />

Seit dem 12. bis ins 16. Jh. findet man den Hl. Georg oft stehend<br />

in zeitgenössischer Rüstung mit Schild, Schwert und<br />

Lanze und dem Kreuz auf Schild und Fahne. Zu seinen<br />

Füßen liegt meist als Attribut der getötete Drache (vgl. auch<br />

J. Weißkopf, Johannes von Nepomuk, in: Lexikon für<br />

Theologie und Kirche, Bd. 5, 10. Aufl., Freiburg 1933 , S.<br />

519 f.<br />

Willy Baur, Die Bauhofbrücke in Sigmaringen. Ein<br />

geschichtlicher Rückblick, in: Hohenzollerische Volkszeitung<br />

Nr. 18 vom 22.1.1938.<br />

Josef Mühlebach, Alois Stehle. Bildhauer, Professor, in: 900<br />

Jahre Sigmaringen 1077 - 1977, hrsg. von der Stadt<br />

Sigmaringen, Sigmaringen 1977, S. 119 f.<br />

Abb. 1). Daß Georg gerade im 16. Jh. zum Adelsheiligen par<br />

eccellence wurde, hängt vielleicht mit der Existenz jenes St.-<br />

Georgs-Ordens zusammen, der von Kaiser Maximilian, dem<br />

"letzten Ritter", gestiftet worden war und in dessen Tracht<br />

sich der Kaiser 1519 beisetzen ließ 2.<br />

Beschreibung und Einordnung der Scheibe<br />

Die in Abb. 1 gezeigte Scheibe von 1532 gehört zu insgesamt<br />

sechs erhaltenen Fensterfeldern aus der Kirche des ehemaligen<br />

Zisterzienserinnenklosters Heiligkreuztal. Von dort<br />

gelangte sie 1870 in die Königliche Altertümersammlung<br />

nach Stuttgart. Leo Balet (1912) nennt die Scheiben "letzte<br />

Erzeugnisse der schwäbischen Monumentalmalerei". Als<br />

Zeichner der Vorlagen (Kartons) für die Glasgemälde nennt<br />

Balet den Meister von Meßkirch, dem ja auch die gleichzeitig<br />

ausgeführten Gewölbemalereien der Kirche zugeschrieben<br />

werden (vgl. Salm, 1956, S. 29-47). Salm ist jedoch der<br />

Ansicht, daß die stereotype Wiederholung mancher Details<br />

gegen die Erfindung der ganzen Reihe durch einen namhaften<br />

Künstler spreche. Doch ist nach Salms Meinung die<br />

Möglichkeit, daß stark abgeänderte Entwürfe des Meisters<br />

von Meßkirch für diese sechs Wappenfenster vorlagen, nicht<br />

auszuschließen.<br />

Die Komposition unserer Scheibe wirkt trotz des individuellen<br />

Kopfes des Ritters altertümlich. Die Darstellung ist<br />

gerahmt von zwei Renaissancesäulen und einem spätgoti-<br />

55


sehen Maßwerkbogen. Fast die gesamte untere Hälfte des<br />

Bildfeldes wird vom Wappenschild mit dem roten St.-<br />

Georgs-Kreuz auf weißem Damastgrund eingenommen.<br />

Auch der obere Teil der Fläche ist mit - blauem - Damast<br />

hinterlegt. Georg, mit goldenem Heiligenschein und goldverzierter,<br />

prächtiger Rüstung, hält mit der linken Hand den<br />

Schild und mit der rechten eine Fahne, die ebenso wie der<br />

Schild das rote Georgskreuz auf weißem Grund zeigt. Den<br />

rechten Fuß hat der Ritter auf den Leib des leblos daliegenden<br />

Drachens gesetzt.<br />

Salm (1950) sieht in dieser Wappenscheibe ein besonderes<br />

Bekenntnis der damaligen Heiligkreuztaler Äbtissin<br />

Veronika von Rietheim (1472-1551) zum St.Georgs-Orden<br />

und damit zum altgläubigen, antireformatorisch gesinnten<br />

Kaiser "in einer Zeit, in der durch die Auflösung des<br />

Schwäbischen Bundes gerade auch in Schwaben die<br />

Grundlagen der bisherigen Ordnung ins Wanken gerieten"<br />

(S. 16).<br />

In der Tat war auch Heiligkreuztal den Angriffen der<br />

Reformation ausgesetzt. Als 1535 die Biberacher<br />

Reformatoren das Kloster massiv bedrängten, konnte nur<br />

durch Zahlung einer Summe von 3000 Gulden in bar eine<br />

Plünderung abgewendet werden 3. Dennoch gelang es der<br />

Äbtissin und dem Konvent, die Reformation letztendlich<br />

von Heiligkreuztal fernzuhalten.<br />

Anmerkungen<br />

Vgl. C. Grimm und B. Konrad, Die Füstenberg-Sammlungen<br />

Donaueschingen, München 1990, S. 212, S. 86 mit Abb.<br />

1 Erneuert wurde der Georgs-Orden 1729 durch Kurfürst Karl<br />

Albrecht von Bayern, der übrigens auch den Fürsten Josef<br />

Friedrich von Hohenzollern-Sigmaringen in den kleinen Kreis<br />

der hochadeligen Ordensmitglieder aufnahm. Vgl. H.A. Oehler,<br />

Zeitschr. f. Hohenz. Geschichte 1992, S. 151f.<br />

3 Vgl. G. Pape, in: Alfons Bacher, Heiligkreuztal Geschichte und<br />

Gegenwart, Heiligkreuztal 1982, S. 39. Weitere Literatur: Chr.<br />

Salm, Der Meister von Meßkirch, Diss. Freiburg 1950. Derselbe,<br />

Die Wand- und Gewölbemalereien des M.v.M. in Heiligkreuztal,<br />

in: Heilige Kunst, Stuttgart 1956, 29-47.<br />

150 Jahre Anstalt Mariaberg<br />

Sankt Georgs Wappenscheibe aus Heiligkreuztal, 1532, Hüttenglas,<br />

Schwarzlot, Silbergelb, Eisenrot. Höhe 81 cm, Breite 46 cm.<br />

Stuttgart "Württ. Landesmuseum, Inv. Nr. 1098 b. Ursprünglicher<br />

Standort wohl im Frauenchor der Heiligkreuztaler Klosterkirche.<br />

Bildnachweis: Katalog der Ausstellung Die Renaissance, Karlsruhe<br />

1JVV,-11- 1 ~S. 257.<br />

Die Mariaberger Heime, älteste Einrichtung für geistig Behinderte, feiern <strong>1997</strong> ihr 150jähriges Bestehen<br />

Zur Vorgeschichte<br />

Das ehemalige Benediktinerinnenkloster Mariaberg mit dem<br />

Dorf Bronnen war eng mit der Herrschaft Gammertingen<br />

verbunden. Die jeweiligen Herrschaftsinhaber waren seit<br />

dem Mittelalter Schutzvögte des Klosters. Im September 1802<br />

wurden Dorf und Kloster von Württemberg besetzt und das<br />

Kloster säkularisiert. Die Herrschaften Gammertingen und<br />

Trochtelfingen kamen 1806 zum Fürstentum Hohenzollern-<br />

Sigmaringen. Mariaberg und Bronnen blieben jedoch ein Teil<br />

der württembergischen Enklave Mägerkingen-Hausen. Das<br />

ehemalige Klostergut wurde württembergische Staatsdomäne.<br />

Nachdem 1837 die letzte Klosterfrau weggezogen war,<br />

stand das Klostergebäude leer.<br />

Pläne für eine Schwachsinnigen-Anstalt.<br />

1841 eröffnete der Schweizer Arzt Dr. Guggenbühl auf dem<br />

56<br />

Abendberg bei Interlaken eine Kretinen-Anstalt, die große<br />

Beachtung fand. Im gleichen Jahr führte der Unteramtsarzt<br />

Dr. Karl Heinrich Rösch in Schwenningen a. N. eine Untersuchung<br />

durch, um die Zahl der Kretinen im Lande festzustellen.<br />

Das Ergebnis veröffentlichte er 1844 in seiner Schrift<br />

»Untersuchungen über den Kretinismus in Württemberg«.<br />

Danach gab es im Lande etwa 5000 Kretins. Allerdings hatte<br />

Rösch den Ausdruck Kretin als Sammelbegriff für sämtliche<br />

Arten von Schwachsinn benützt.<br />

Die große Zahl geistig Behinderter beeindruckte auch die Öffentlichkeit<br />

und man begann die Gründung einer Anstalt vorzubereiten.<br />

Besonders aktiv war Dr. Rösch selbst, inzwischen<br />

Oberamtsarzt in Urach.<br />

Auf der Suche nach einem geeigneten Platz kam man schließlich<br />

auf das leerstehende ehemalige Benediktinerinnenkloster


Mariaberg. In Reutlingen fand am 30. Dezember 1846 die<br />

konstituierende Versammlung des künftigen Trägervereins<br />

statt. Sie wählte einen Ausschuß, der die Statuten der Anstalt<br />

aufstellte und die notwendigen Bauarbeiten in die Wege leitete;<br />

Dr. Rösch wurde zum Vorstand gewählt.<br />

Die Heil- und Erziehungsanstalt Mariaberg<br />

Die Anstalt nahm am 1. Mai 1847 die ersten 13 Zöglinge auf.<br />

Zehn von ihnen kamen aus Wildberg bei Nagold. Dort hatte<br />

schon 1837 Pfarrer Haldenwang, ganz auf sich allein gestellt,<br />

eine Erziehungs- und Unterrichtsanstalt für schwachsinnige,<br />

taubstumme und sonst gebrechliche Kinder gegründet.<br />

In Mariaberg selbst war als Leiter der Arzt Dr. Schüßler.<br />

Hausvater war der Lehrer Heinrich Helferich, der von Dr.<br />

Guggenbühl auf dem Abendberg kam. Der Schwerpunkt der<br />

Arbeit lag auf der medizinischen Forschung und Behandlung.<br />

Dr. Rösch gründete eine Zeitschrift: »Beobachtungen über<br />

den Kretinismus, herausgegeben von den Ärzten der Heilanstalt<br />

Mariaberg«. Dr. Schüßler und Lehrer Helferich lebten<br />

jedoch in ständigem Streit und beide mußten Mariaberg<br />

nach einiger Zeit verlassen.<br />

Eine Wende trat erst ein, als 1850 Dr. Karl Zimmer Direktor<br />

wurde. »Mit ihm zog auch der Geist der Liebe, des Friedens<br />

und der Eintracht ein,« so hieß es später in einem Jahresbericht.<br />

Als Lehrer kam Kraft Philipp Rall, ein begabter Pädagoge<br />

nach Mariaberg.<br />

Dr. Rösch war 1850 wegen seiner Betätigung während der<br />

Revolution von 1848/49 von Urach nach Gaildorf strafversetzt<br />

worden und konnte sich nur noch wenig um Mariaberg<br />

kümmern. Er begann seine Auswanderung nach Amerika<br />

vorzubereiten, die 1853 erfolgte. In Mariaberg mehrten sich<br />

die Aufnahmegesuche. Obwohl man viele Jugendliche gebessert<br />

entlassen konnte, wuchs die Zahl der Zöglinge, die<br />

dauernder Pflege und Beschäftigung bedurften.<br />

Heil- und Pflegeanstalt Mariaberg<br />

Kronprinzessin Olga von Württemberg stiftete 1853 ein Kapitel<br />

von 10 000 Gulden für Einrichtung einer Pflege- und Beschäftigungsanstalt<br />

in Mariaberg. Da die Anstalt zunächst nur<br />

einen Teil des Klosters benützte, konnte man sich noch ausdehnen,<br />

indem man weitere Räume des Klostergebäudes herrichtete.<br />

Durch die vorbildliche Arbeit von Dr. Zimmer und<br />

Lehrer Rall bekam das Haus einen sehr guten Ruf. Auch die<br />

Nachbargemeinden und ihre Bevölkerung pflegten zur Anstalt<br />

ein gutes Verhältnis. 1869 ist Dr. Zimmer verstorben. Es<br />

war gar keine Frage, daß Rall zum Nachfolger gewählt wurde.<br />

Da sich gezeigt hatte, daß mit medizinischen Mitteln nur<br />

wenig auszurichten war, verlegte man sich ganz auf die<br />

pädagogische Arbeit. Rall hat hier vieles geleistet, was auch<br />

außerhalb von Mariaberg beispielgebend war. 1872 bei der<br />

Feier 25jährigen Bestehens hatte Mariaberg 72 Betreute. Das<br />

Personal bestand aus drei Lehrern und 24 Wärtern und sonstigen<br />

Bediensteten. Anstaltsarzt war Physikus Dr. Schmid<br />

aus Gammertingen.<br />

Räumlich war die Anstalt durch die Staatsdomäne ziemlich<br />

eingeengt. 1875 gelang es der Anstaltsleitung, die 60 Hektar<br />

große Staatsdomäne zu pachten. Man konnte sich nun selbst<br />

versorgen und hatte die Möglichkeit, viele Zöglinge ihren<br />

Kräften entsprechend zu beschäftigen. Zur gleichen Zeit bot<br />

sich die Gelegenheit, die bisherige Klosterbrauerei zu kaufen,<br />

die zu einer Pflegeanstalt für 30 Personen umgebaut wurde.<br />

Laufend wurde an den veralteten Wirtschaftsgebäuden<br />

gebaut. Westlich der Zufahrtsstraße wurden Anlagen und<br />

Spielplätze hergerichtet. 1890 wurde ein - damals - moderner<br />

Bau, das »Knabenhaus« mit 40 Plätzen errichtet. Die<br />

frühere Klosterbrauerei wurde zum »Mädchenhaus«. Das<br />

Knabenhaus wurde 1904 zum Olga-Wera-Bau erweitert, in<br />

dem auch die Webschule untergebracht war. Das Gebäude<br />

wurde nach der württembergischen Kronprinzessin Olga<br />

(1822-1892, seit 1864 Königin) benannt, die von Anfang an<br />

eine große Wohltäterin für Mariaberg war. Wera (1854-1912)<br />

war ihre Nichte, Witwe des Herzogs Wilhelm Eugen.<br />

Direktor Rall ist 1897, im 50. Anstaltsjahr gestorben. Nachfolger<br />

wurde Inspektor Rominger, der schon unter Rall in der<br />

Anstalt gearbeitet hatte. Unter seiner Leitung gingen die baulichen<br />

Verbesserungen weiter. Die Landwirtschaft hatte im<br />

Jahr 1900 50 Rinder, darunter 30 Milchkühe, 9 Pferde, 40<br />

Schweine und 100 Hühner. Dank der eigenen Landwirtschaft<br />

blieb die Anstalt im Ersten Weltkrieg von der allgemeinen<br />

Hungersnot verschont. Nachfolger von Direktor Rominger<br />

wurde Karl Wacker, der schon Jahrzehnte lang als Lehrer und<br />

Oberlehrer in Mariaberg war. Die Schule hatte inzwischen 70<br />

Schüler und fünf Lehrkräfte. Die Schwerstbehinderten wurden<br />

aufopfernd gepflegt von Pflegerinnen und Wärtern, von<br />

denen manche ihr ganzes Leben in Mariaberg verbrachten.<br />

Jeder und jede Betreute hatten ihren Platz, den sie mit ihren<br />

Kräften und Fähigkeiten ausfüllen konnten, in der Landwirtschaft,<br />

im Hausgeschäft, in der Korbmacherei, in der<br />

Webschule usw.<br />

1937 wurde bewußt das 90. Anstalts-Jubiläum, statt des 1947<br />

fälligen 100. gefeiert. Ein großer Teil der seit Jahren hier Beschäftigten,<br />

einschließlich Direktor Wacker, ging damals in<br />

Pension. Aber es war nicht nur das, ein allgemeines Unbehagen<br />

hatte sich verbreitet. Der Sinn der Arbeit für die Kranken<br />

und Schwachen wurde vom damaligen Regime in Frage<br />

gestellt; die hier Tätigen, mußten ständig den Nutzen ihrer<br />

Arbeit für die Volksgemeinschaft betonen.<br />

Nachfolger von Direktor Wacker wurde, wie es schon Tradition<br />

war, Oberlehrer Erich Kraft. 1940 war ein Teil des Anstaltsgebäudes<br />

mit Verwundeten vom Reservelazarett Gammertingen<br />

belegt. Die meisten männlichen Mitarbeiter waren<br />

zur Wehrmacht einberufen. Man behalf sich, so gut es ging.<br />

61 Heimbewohner wurden ermordet<br />

Im Oktober 1939 hatte die Anstaltsleitung Meldebogen bekommen,<br />

auf denen verschiedene Fragen über die einzelnen<br />

Heimbewohner zu beantworten waren, u. a. zur Arbeitsfähigkeit.<br />

Man vermutete, daß es um einen eventuellen Einsatz<br />

in der Rüstungsindustrie gehe. Im November 1939 wurde<br />

mitgeteilt, daß Verlegungen vorgesehen seien und daß keine<br />

Entlassung ohne behördliche Genehmigung erfolgen dürfe.<br />

Am 1. September 1940 traf die erste Liste von Behinderten<br />

ein, die verlegt werden sollten. Eine Benachrichtigung der<br />

Angehörigen wurde verboten. Inzwischen gab es Gerüchte<br />

über Tötung von Geisteskranken. Direktor Kraft fuhr mit<br />

dem Vorstand Schulrat Wittmann und Gutsverwalter Vollmer<br />

ins Innenministerium nach Stuttgart, um die Verlegungen<br />

zu verhindern. Dies wurde abgelehnt, aber sie bekamen<br />

drei Stunden Zeit, um die Arbeitsfähigkeit auf den Meldebogen<br />

neu zu bewerten. So erreichten sie, daß 21 Betreute von<br />

der Liste gestrichen wurden.<br />

Am 1. Oktober 1940 trafen graue Busse mit zugestrichenen<br />

Fenstern in Mariaberg ein. In Verhandlungen mit dem Transportleiter<br />

gelang es, weitere 15 Heimbewohner frei zu bekommen.<br />

Wenige Tage später kamen die Kleidungsstücke der<br />

»Verlegten« zurück. Jetzt war man sicher, daß sie nicht mehr<br />

lebten. Die Angehörigen bekamen nach einiger Zeit eine kurze<br />

Nachricht mit der Mitteilung einer fadenscheinigen Todesursache.<br />

Am 1. Dezember 1940 traf eine zweite Verlegungsliste mit<br />

den Namen von 30 Heimbewohnern ein; schon am nächsten<br />

Morgen standen die Busse im Klosterhof. Durch Verhand-<br />

57


lungen mit dem Transportleiter gelang es 10 Menschen zu retten.<br />

Im März 1941 mußten vier Betreute nach Weinsberg verlegt<br />

werden. Einer ist dort gestorben, die drei anderen kamen<br />

nach einigen Wochen wieder zurück. Wegen des verheerenden<br />

Eindruckes auf die Bevölkerung im ganzen Reichsgebiet<br />

wurde die Tötungs-Aktion abgebrochen. Aber das wußte<br />

niemand und so blieb die ständige Angst. Erst 1945 konnte<br />

man über die Vorgänge sprechen.<br />

Heilerziehungsheim Mariaberg<br />

Der Bedarf an Heimplätzen hatte sich während des Krieges<br />

angestaut, die Nachfrage war entsprechend groß. Mariaberg<br />

sah seine Aufgabe in erster Linie in der Heilpädagogik. Man<br />

nahm keine reinen Pflegefälle mehr auf, sondern bemühte<br />

sich, Bildungsfähige zu fördern und Arbeitsfähige zu beschäftigen.<br />

Die Bezeichnung Heil- und Pflegeanstalt wurde<br />

in »Heilerziehungsheim Mariaberg« geändert. Die Mariaberger<br />

Schule war seit der Gründung im Klostergebäude gewesen.<br />

Als erstes wurde nach dem Krieg eine moderne Schule<br />

gebaut. Es folgte der Bau neuer Wohnheime für kleinere<br />

Gruppen. Das erste Hallenbad der ganzen Umgebung entstand<br />

in Mariaberg. Angesichts fehlender Plätze für alle Gra-<br />

GERNOT PAUKERT<br />

Der Abbruch des 75 Jahre alten Sägewerks in Straßberg / Hohenzollern<br />

Was gestern noch war, ist heute Vergangenheit und morgen<br />

schon Geschichte. Tagtäglich erlebt man es hautnah, wenn<br />

uns vertraute, alte Gebäude weichen müssen und sich das<br />

Ortsbild wandelt. So auch in der Schmeiental-Gemeinde<br />

Straßberg.<br />

Noch ragte der Backstein-Schornstein weithin sichtbar in<br />

die Höhe, als Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr am 7.<br />

Juni <strong>1997</strong> damit begannen, die 75 Jahre alte "Säge", wie sie<br />

in Straßberg genannt wird, abzubrechen. Die Arbeiten wurden<br />

an den darauffolgenden drei Wochenenden fortgesetzt.<br />

Dabei waren 41 Feuerwehrkameraden der aktiven, Altersund<br />

Jugend-Abteilung insgesamt 1102 Stunden im Einsatz.<br />

Schnell hatte sich in der Gemeinde herumgesprochen, daß<br />

der Schornstein gesprengt werden soll. Am Abbruchobjekt<br />

fanden sich am 18. Juli <strong>1997</strong> gegen 16.00 Uhr zahlreiche<br />

Zuschauer ein, um der Sprengung des Schornsteins als letztem<br />

Akt des Abbruchs beizuwohnen. Um den steinernen<br />

Riesen zu Fall zu bringen, benötigte Sprengmeister Konrad<br />

Fink aus Pfullingen insgesamt 2,31 Kilogramm Ammongelit,<br />

33 Bohrlöcher mit jeweils 70 Gramm Sprengstoff. Gegen<br />

17.00 Uhr betätigte Sprengmeister Fink den Zündmechanismus,<br />

ein kurzer Knall und der 32 m hohe Schornstein<br />

stürzte donnernd ein. Schlamm spritzte auf und beschmutzte<br />

die Fassade eines angrenzenden Wohnhauses erheblich.<br />

Nach Beendigung der Abbruch- und Aufräumarbeiten sollen<br />

hier im Baugebiet "Hinter der Säge westlich der Bahnlinie<br />

Sigmaringen - Tübingen Einzel-, Doppel- und Reihenhäuser<br />

entstehen. Dann erinnert nur noch der Name des<br />

Baugebiets "Hinter der Säge" an das ehemalige Sägewerk.<br />

Im Jahre 1922 erstellte die Firma Friedrich Knecht oHG aus<br />

Ebingen einen Sägewerk Neubau. Der Neubau war ausgelegt<br />

für 18 Beschäftigte, wovon 12 außerhalb des Gebäudes,<br />

58<br />

de geistig und mehrfach Behinderter, verstärkte sich der<br />

Druck auf Mariaberg, die Anstalt zu vergrößern und das Angebot<br />

an Hilfen zu erweitern.<br />

Mariaberger Heime<br />

Seit 1966 erfolgte eine ständige Erweiterung der Anstalt, deren<br />

breit gefächertes Angebot in der Bezeichnung »Mariaberger<br />

Heime« seinen Ausdruck fand. Geprägt wurde diese<br />

Zeit von Direktor Karl Rudolf Eder, der die Einrichtung über<br />

30 Jahre lang leitete. Auf dem »Sonnigen Plätzle«, oberhalb<br />

der Klosteranlage, entstanden Häuser für Wohngruppen,<br />

Personalbauten, ein neues Hallenbad, Behindertenwerkstätten,<br />

ein großes Wirtschaftsgebäude und ein Krankenhaus.<br />

Für die Betreuten, deren Zahl inzwischen auf etwa 500 angewachsen<br />

ist, wurden individuelle Förderungskonzepte entwickelt.<br />

Kurzzeitaufnahmen und ambulante Betreuung er- :<br />

weiterten die Möglichkeiten. In vielen Außengruppen führen<br />

Behinderte ein »Leben wie alle Leut« in den Gemeinden. All<br />

dies bewirkte eine starke Vernetzung mit der Region. Durch<br />

viele Veranstaltungen wird die Behindertenarbeit der Öffentlichkeit<br />

nahegebracht. B.<br />

Sprengung des Schornsteins


Tägliche Arbeit im Sägewerk<br />

Knecht, Inh. Maute, in der Mitte<br />

mit Wilhelm Hotz und Josef Ruf<br />

(links).<br />

also im Freien, ihren Arbeitsplatz finden sollten. Im gleichen<br />

Jahr noch erfolgte die Aufstellung eines feststehenden<br />

Dampfkessels mit 135 qm Heizfläche. 1924 wurde ein<br />

Nebengebäude zur Holzdämpfung sowie ein Trockenschuppen<br />

erstellt. Die Überdachung des Holzlagerplatzes<br />

erfolgte im Jahre 1926. Für den Holzan- und abtransport<br />

verfügte das Sägewerk über einen eigenen Gleisanschluß an<br />

der Bahnstation Straßberg / Winterlingen.<br />

Nach über 40jährigem Bestehen gab die Firma Friedrich<br />

Knecht, Inh. Fritz Maute, den Betrieb zum 31.12.1963 auf.<br />

Das bestehende Sägewerk erwarb Wilhelm Strobel käuflich<br />

und nahm den Betrieb am 2. Januar 1964 auf. Neben dem<br />

Sägewerk wurde auch ein Zimmergeschäft, Treppen- und<br />

Geländerbau sowie eine Bauschreinerei betrieben. Nach<br />

JOSEF NEUBURGER<br />

Das Sühnekreuz von Bingen.<br />

dem Tode von Wilhelm Strobel am 11. September 1975<br />

wurde das Sägewerk am 31. Januar 1976 stillgelegt.<br />

Über 50 Jahre gab die "Säge" vielen Straßbergern einen oft<br />

harten und mühsamen, aber auch sicheren Arbeitsplatz und<br />

damit das tägliche Brot.<br />

Nach dem Erwerb des "Säge"-Areals durch Brigitte<br />

Schneider erfolgte im Jahre 1979 der Umbau der „Säge" zu<br />

einer Reitsportanlage. Die Reitsportanlage wurde im Jahre<br />

1990 aufgegeben.<br />

Quellennachweis: Bauakten der Gemeinde Straßberg, Gewerbeakten<br />

der Gemeinde Straßberg, Freundl. Auskünfte Straßberger<br />

Bürger, Freundl. Auskünfte der Freiw. Feuerwehr' Abtlg. Straßberg<br />

Vor der spätgotischen Kirche "Mariä Himmelfahrt" in<br />

Bingen steht ein altes Sühnekreuz. Das Kreuz hat ungefähr<br />

die Form eines Deutschordensritterkreuzes (eisernen<br />

Kreuzes) und ist aus Rohrschacher Sandstein wie die Fialen<br />

(gotische Ziertürmchen) auf dem Kirchturm. Nach Ansicht<br />

von Fachleuten ist das Kreuz etwa 500 Jahre alt, so alt wie<br />

die Kirche. Solche Kreuze wurden zu jener Zeit zur Sühne<br />

für schwere Schuld aufgestellt.<br />

Das Sühnekreuz entdeckte man 1976 bei Erdarbeiten an der<br />

Straße nach Sigmaringen im Gebiet "Uristritt". Dieser<br />

Flurname hieß früher „St. Ulrichs Tritt". Hier am<br />

Ortsausgang befand sich im Mittelalter ein kleines<br />

Heiligtum, das dem hl. Ulrich, Bischof von Augsburg,<br />

geweiht war (1460 - St. Ulrichen). Um 1620 wurde das<br />

Ulrichs-Heiligtum nach Bittelschieß verlegt. Die<br />

Bittelschießer Kapelle war bis 1694 dem hl. Ulrich geweiht.<br />

Danach wurde sie durch Bernhard von Hornstein renoviert<br />

und im Jahre 1696 der Muttergottes geweiht. Seit dieser Zeit<br />

findet jedes Jahr am Fest Maria Geburt (8. September) in<br />

der Bittelschießer Kapelle ein Wallfahrtsgottesdienst statt.<br />

Die Figur des hl. Ulrich wurde schon Vorjahren gestohlen. Sühnekreuz in Bingen<br />

59


HERBERT RÄDLE<br />

Die Muttergottes in der Hettinger Kirche - Herkunft und Datierung<br />

1. Der Stifter<br />

Die am Fuß des Schloßbergs gelegene Hettinger Kirche<br />

wurde 1499 von Hans Caspar von Bubenhofen, den man<br />

wegen seines Reichtums auch den "Goldenen Ritter" nannte,<br />

erbaut. Sie sollte ihm und seiner Familie als Grablege dienen<br />

- ein Wunsch, der nicht in Erfüllung gehen sollte, wie<br />

wir sehen werden.<br />

Hans Caspar von Bubenhofen, Besitzer der Herrschaft<br />

Gammertingen-Hettingen seit 1481, ließ die Hettinger<br />

Kirche, die 1503 vom Konstanzer Bischof zur Stiftskirche<br />

erhoben wurde, mit Kunstwerken würdig ausstatten. Dem<br />

Repräsentationsbedürfnis des ehrgeizigen Ritters, der in<br />

württembergischen Diensten hohe Ämter bekleidete, verdankt<br />

es die Kirche, daß sie heute "eines der bedeutendsten<br />

Kunstdenkmäler des Laucherttales" darstellt (Burkarth, wie<br />

Anm. 1, S. 72).<br />

2. Herkunft der Madonnenfigur<br />

Die spätgotischen Steinmetzarbeiten in der Kirche - der<br />

reichprofilierte Lettner (der ehemals Chor und<br />

Kirchenschiff trennte), die schönen Gewölbeschlußsteine<br />

und das aufwendige Sakramentshaus - könnten nach<br />

Meinung Burkarths das Werk vor Reutlinger Meistern sein<br />

(S. 72).<br />

Auch der prächtige Flügelaltar aus Holz, den der Ritter im<br />

Chor der Kirche aufstellen ließ und aus dem die hier zu<br />

besprechende Muttergottes stammt 1, dürfte in Reutlingen<br />

entstanden sein. Die Hettinger Muttergottes (Abb. 1) hat<br />

nämlich große Ähnlichkeit mit zwei Madonnen aus dem<br />

heutigen Kreis Reutlingen: der Rübgartener Madonna (Abb.<br />

2, datiert 1519) und der Ohmenhausener Madonna (Abb.3,<br />

datiert 1521), welche beide Altären zugehörig sind, die der<br />

in Reutlingen ansässige Maler Hans Syrer geliefert hat 2.<br />

3. Gemeinsankeiten der drei Figuren<br />

Die drei genannten Madonnen weisen untereinander große<br />

Ähnlichkeiten auf. Sie haben runde, fast kugelige Köpfe mit<br />

dicken, bis zur Kinnhöhe frei fallenden Haaren, schmalen<br />

Augen und vollen Lippen. Sie halten das nackte Kind mit<br />

beiden Händen schräg vor ihrer Brust, wobei eine Hand<br />

jeweils den Mantel so über den Körper zieht, daß er vorn<br />

über dem vorgebogenen Knie knittrige Falten bildet. Die<br />

Saumlinie des Mantels fällt in schrägem Bogen nieder; zu<br />

Füßen der Figuren liegt jeweils die Mondsichel mit einem<br />

Männergesicht (bei der Rübgartener Madonna vom Mantel<br />

verdeckt). Die Hettinger Madonna ist mit 133 cm Höhe die<br />

größte (gegenüber 103 cm bei der Rübgartener und 97 cm<br />

bei der. Ohmenhausener Madonna) ihr Gewandschema entspricht<br />

deutlicher dem der Rübgartener Figur. Die Ohmenhausener<br />

Figur ist spiegelbildlich angelegt, ihr Gewand in<br />

einigen Details reduziert. Trotz unterschiedlicher Gestaltung<br />

im Detail - die Gesichter der drei Figuren weisen große<br />

"Familienähnlichkeit" auf.<br />

60<br />

Hettinger Muttergottes (Abb. 1). An der linken Stirnwand des<br />

Langhauses der Pfarrkirche steht diese spätgotische Muttergottes.<br />

Lindenholz, hinten ausgehöhlt, alte Fassung freigelegt. Krone<br />

modern ergänzt. Höhe 133 cm. Wohl aus der Ulmer Weckmann-<br />

Werkstatt, um 1520. Bildnachweis: Hermann, wie Anm. 4.<br />

4. Datierung<br />

Was die Datierung der Hettinger Madonna betrifft, so setzt<br />

sie Genzmer in den Kunstdenkmälern' auf "um 1490" an,<br />

was aber deutlich zu früh ist. Hermann 4, der auf das<br />

Erbauungsdatum der Kirche (1499) und deren Erhebung zur


Abb. 3: Ohmenhausener Muttergottes, datiert 1521. Provenienz:<br />

1864 vom Kirchenstiftungsrat in Ohmenhausen (Lkr. Reutlingen)<br />

erworben. Herstellung der Skulptur: Weckenmann-Werkstatt (?).<br />

Malerei Werkstatt Hans Syrer. Heute im Württ. Landesmuseum,<br />

Stuttgart. Höhe 97 cm. Lindenholz, hinten ausgehöhlt, mit<br />

Spechtlöchern. Farbig gefaßt. Bildnachweis wie Abb. 2.<br />

Stiftskirche (1503) eingeht, schlägt mit besserem Recht "um<br />

1505" vor. Um diese Zeit erwartet man in der Tat die<br />

Aufstellung des Hochaltars. Aber könnte nicht zunächst -<br />

aus Ersparnisgründen - noch der Altar der alten, von Hans<br />

Caspar von Bubenhofen abgebrochenen 5 Kirche weiterhin<br />

Verwendung gefunden haben? Die große Ähnlichkeit der<br />

drei in den Abb. 1 bis 3 gezeigten Madonnenfiguren legt<br />

jedenfalls eine ungefähr gleichzeitige Entstehung - d.h. etwa<br />

erst um 1520 - nahe.<br />

Abb. 2 Rübgartener Muttergottes, datiert 1519. Aus Pliezhausen-<br />

Rübgarten Lkr. Reutlingen, ev. Kirchengemeinde. Herstellung der<br />

Skulptur: Ulmer Weckmann-Werkstatt. Malerei Werkstatt Hans<br />

Syrer. Höhe 103 cm. Originalfassung mit Glanzvergoldung.<br />

Bildnachweis: Katalog wie Anm. 2, S. 22.<br />

5. Das weitere Schicksal des Stifters und des Altars<br />

Geht man davon aus, daß auch die Hettinger Madonna wohl<br />

nur wenig vor 1520 entstanden ist, so fällt die Anschaffung<br />

des Altars, in dem sie stand, interessanterweise in eine Zeit,<br />

in der die Vermögensverhältnisse des "Goldenen Ritters"<br />

bereits überaus prekär geworden waren. Er hatte offenbar<br />

zuviel des Aufwands getrieben. Im Jahr 1520 wurde jedenfalls<br />

in Riedlingen ein Vertrag geschlossen, in dem Hans<br />

Caspar zugunsten der Gläubiger (vertreten durch die


Reichsritterschaft) auf seinen Besitz verzichten mußte''. 1524<br />

fand man in dem Freiherrn Dietrich Speth von Zwiefalten<br />

einen Käufer für die Herrschaft Gammertingen-Hettingen.<br />

In den Besitz Speths ging damals auch die Hettinger Kirche<br />

samt ihrer Ausstattung über. Als jedoch Herzog Ulrich von<br />

Württemberg 1531 im Zuge der Reformation dem Dietrich<br />

Speth seine Herrschaft wegnahm, entfernte er im sogenannten<br />

Bildersturm auch den spätgotischen Hochaltar aus der<br />

Hettinger Kirche. Nur die Figuren der Madonna und einer<br />

heiligen Ottilie (vgl. Anm. 1) entgingen der Verbrennung.<br />

Anmerkungen<br />

1. Nur die Madonna ist noch in der Hettinger Kirche; die übrigen<br />

Figuren des Altars und die Flügelgemälde fielen dem Bildersturm<br />

von 1531 zum Opfer mit Ausnahme einer hl. Ottilie, die sich<br />

heute in der Friedhofskapelle befindet. Die Mutter Hans Caspars<br />

hieß Ottilie. Vgl. H. Burkarth, Geschichte der Herrschaft<br />

(Fortsetzung)<br />

WOLFGANG HERMANN<br />

Was bietet die Heimat ihren »Kindern«?<br />

Im Juli 1807 betrug die Glatter Nutzungsfläche auf dem »Sulzer<br />

Berg« nach Angaben von Pfarrer Köhler von Sulz 142<br />

württembergische Morgen 9. Das wären ungefähr 180 hohenzollerische<br />

Morgen gewesen.<br />

Diese Nutzungsfläche der Glatter Bauern hatte sich jedenfalls<br />

bis gegen 1848 erheblich erweitert. Man kann vereinfacht<br />

sagen, daß ein zusätzliches Drittel der Glatter Gemarkung<br />

auf Sulzer Territorium lag. Der hohe Bedarf an solchen<br />

Flächen lag daran, daß das fürstliche Haus mit den Höfen<br />

»Glatter Schloßhof« und »Glatter Oberhof« mehr als 256<br />

Jauchert oder 325 Morgen Ackerland bewirtschaften ließen.<br />

Die Werte für die beiden Höfe sind zunächst nur Übernahmen<br />

von den murischen Hofgrößen aus dem Jahre 1706, als<br />

Baron v. Landsee vom Kloster aufgekauft wurde. Selbstverständlich<br />

lagen auch viele Acker der genannten Höfe auf der<br />

Sulzer Gemarkung 10.<br />

Da nun in der Dorfgemarkung Glatts nur wenig freies Ackerland<br />

zur Verfügung stand, mußten die einfachen Leute auch<br />

auf der württembergischen Seite Flächen pachten. Hauptsächlich<br />

Ackerparzellen waren es, die gebraucht wurden.<br />

Etwa 950 kleinste Parzellen, die sich über die Flurstücke<br />

»Breite«, »Ramshalde« »Schlinckhalde«, »Maihalde«, »Glatter<br />

Feld« zum »Riesterlocher Weg« und zu »Müllers Grund«<br />

erstreckten, waren in den verschiedensten Glatter Händen.<br />

Größter Besitzer dort war 1847, als das neue Kataster erstellt<br />

wurde, der Fürst von Hohenzollern-Sigmaringen.<br />

Zur Maienhalde und auf »Birken am Wasen« gelangte man<br />

von Glatt aus über eine alte Römerstraße oder auf der »Galgensteige«.<br />

Nach Süden zu, etwa in der Mitte der Zwing- und<br />

Bannlinie baucht sich das Glatter Gebiet in Richtung Sulz<br />

aus. Dort durchzieht, bogenförmig und sich einschneidend,<br />

ein schmales Rinnsal die Ausbauchung und fließt dem Dorfmittelpunkt<br />

zu. Diesem Wasserlauf entlang, es ist der Kirchbach,<br />

verläuft ein schöner Weg nach Sulz im »Glatter Täle«.<br />

Der Hang zwischen der Glatt und der südlichen Hochfläche<br />

steigt unterschiedlich stark an. Er ist mit Wald bestanden, wobei<br />

der westliche Wald den Namen Buchhalde, der östliche<br />

den Namen Meileshalde seit langem trägt.<br />

Alle Wälder, außer den Allmandwäldern, wiesen eine große<br />

Zersplitterung auf. Waldanteile besaßen neben der Gemein-<br />

62<br />

Gammertingen-Hettingen, Sigmaringen 1983, S. 211, mit Anm.<br />

101.<br />

2. Syrer wirkte, soviel man weiß, als "Altarverleger". Die Figuren<br />

wurden nicht in seiner Werkstatt geschnitzt, sondern nur gefaßt<br />

(bemalt). Die Figuren stammen aus der Tradition der Ulmer<br />

Weckmann-Werkstatt. Vielleicht hatte in oder bei Reutlingen ein<br />

Bildschnitzer, der bei Weckmann gelernt hatte, eine eigene<br />

Werkstatt eröffnet. Vgl. den Ausstellungskatalog "Meisterwerke<br />

massenhaft" hrsg. vom Württ. Landesmus. Stuttgart, 1993, S. 22.<br />

S. 461.<br />

3. Vgl. W. Genzmer, Kunstdenkmäler des Kreises Sigmaringen,<br />

Stuttgart 1948, S. 159.<br />

4. M. Hermann, Kunst im Landkreis Sigmaringen, 1986, S. 110.<br />

5. Hans Caspar ließ die alte Kirche abreißen. In ihr waren zuletzt<br />

die Grafen von Veringen beigesetzt. Burkarth S. 72. Vgl. ebenda<br />

Abb. 31 (Grabstein des Grafen Heinrich von Veringen in der<br />

Hettinger Kirche mit der Inschrift Anno Domini M CCC IXVI<br />

obiit comes Hainricus de Veringen VIII Kalendas Aprilis.<br />

Todestag also der 25. März 1366).<br />

6. Uber das weitere Schicksal des "Goldenen Ritters", der 1537<br />

imKloster Bebenhausen starb, vgl. Burkarth, S. 73.<br />

de die Herren von Neuneck beider Linien (1500-1670), entsprechend<br />

später deren Nachfolger wie das Kloster Muri;<br />

weiter der Ortsheilige St. Gallus und die Bauern; letztere zumeist<br />

als Lehen.<br />

Gelangt man von Sulz her auf die frühere Gemarkungsgrenze,<br />

trifft man auf die Gewannteile »Ramshalde«, »Breite«, den<br />

Hangeinschnitt des Glatter Tälchens, die »Schlinckhalde«<br />

und die »Maienhalde« (Benennung in West-Ost-Erstreckung).<br />

Im »Fischinger Hölzle« stießen die Gemarkungen der Stadt<br />

und der Flecken Glatt und Fischingen aufeinander.<br />

Kommt man von Sulz her zu dieser früheren Gemarkungsgrenze,<br />

so durchschreitet man in Richtung Fischingen die<br />

ehemalige Zeige »Horber Steige« und in Richtung Glatt die<br />

»Wintersteige«.<br />

Feste, wiedas Siegesfest 1871 waren willkommen, da sie große<br />

Abwechslung ins Dorfgeschehen brachten. Auch ein Fest wie<br />

die Fronleichnamsfeier war aufwendig und stillte die Neugierde,<br />

da ein gemischter Sängerchor, wenn auch nur mit sechs<br />

Personen, und zwei Böllerschützen auftreten konnten. Jeder<br />

von diesen Genannten konnte für den Sonderdienst an Fronleichnam<br />

24 kr aus der Gemeindekasse erhalten. Der Mesner<br />

hatte größeren Aufwand, und vier Ministranten konnten sich<br />

noch 12 kr verdienen.<br />

So richtig festen mit hohen Geldausgaben konnte im grund<br />

niemand, wenn man von den paar Familien, deren Vorstände<br />

ein Gehalt erhielten, absieht. 1871 erhielten als Besoldung".<br />

- der Bürgermeister<br />

Umbrecht 100 fl<br />

- der Lehrer für Schule und Mesnerdienst 57 fl<br />

- der Polizeidiener 29 fl<br />

Anmerkungen<br />

« Fr. A. Köhler, Sulz am Neckar, 1835, S. 134.<br />

10 StAS, Dep. 39/DS27, R 75/435<br />

11 Gemeindearchiv Glatt (GAG1), Rechnungsband 1871.<br />

(Fortsetzung folgt)


Jahresversammlung des Hohenzollerischen<br />

<strong>Geschichtsverein</strong>s<br />

Die Mitgliederversammlung <strong>1997</strong> des Hohenzollerischen<br />

<strong>Geschichtsverein</strong>s e.V., die am 29. September im Spiegelsaal<br />

des Prinzenbaus (Staatsarchiv) in Sigmaringen stattfand, verlief<br />

sehr harmonisch. Nach der Begrüßung der erschienenen<br />

Mitglieder und der Feststellung der Beschlußfähigkeit verlas<br />

der Vorsitzende Dr. Otto Becker die Namen der seit der<br />

Jahresversammlung im Juni 1996 in Hechingen verstorbenen<br />

Vereinsmitglieder, wozu sich die Teilnehmer von ihren<br />

Sitzen erhoben. Persönlich gewürdigt wurde das Ehrenmitglied<br />

Staatsarchivdirektor a.D. Dr. Eugen Stemmler, der am<br />

2. Dezember 1996 kurz vor der Vollendung seines 88.<br />

Geburtstages auf dem Sülchenfriedhof in Rottenburg a.N.<br />

bestattet wurde.<br />

Der anschließende Bericht des Vorsitzenden über die<br />

Tätigkeit des <strong>Geschichtsverein</strong>s im Zeitraum vom Juni 1996<br />

bis zum September <strong>1997</strong> war bemerkenswert. So konnte<br />

unmittelbar vor den Ferien 1996 der sehr umfangreiche<br />

Jahresband 1994/95 der "Zeitschrift für Hohenzollerische<br />

Geschichte" veröffentlicht und an die Mitglieder und sonstige<br />

Abonnenten im In- und Ausland verschickt werden. Im<br />

Frühjahr <strong>1997</strong> folgte die Herausgabe des kaum weniger umfangreichen<br />

Jahresbands 1996 dieser Zeitschrift. Das zweite<br />

Publikationsorgan des <strong>Geschichtsverein</strong>s, die vierteljährlich<br />

erscheinende "Hohenzollerische Heimat", konnte im<br />

Berichtszeitraum jeweils termingerecht und in gewohnter<br />

Qualität ausgeliefert werden. Der Dank des Vorsitzenden an<br />

den Schriftleiter der "Hohenzollerischen Heimat", Herrn<br />

Dr. med. Herbert Burkarth, Gammertingen, quittierte die<br />

Versammlung mit starkem Beifall.<br />

Im Berichtszeitraum konnten auch zwei Studienfahrten<br />

angeboten werden. So fand am 15. Juni vergangenen Jahres<br />

eine von Beiratsmitglied Wolfgang Hermann organisierte<br />

Tagesfahrt nach Glatt, Dettingen und Dettensee statt. Am<br />

26. April <strong>1997</strong> brachte Kreisarchivar Dr. Edwin Ernst<br />

Weber, Sigmaringen, auf einer weiteren Tagesexkursion den<br />

Mitreisenden die Geschichte und die Sehenswürdigkeiten<br />

der ehemaligen freien Reichsstadt Rottweil näher. Am 3. Mai<br />

d. J. wurde den Mitgliedern des <strong>Geschichtsverein</strong>s eine eigene<br />

Führung durch die Bantle-Gedächtnisausstellung in<br />

Straßberg geboten.<br />

Fortgesetzt wurde schließlich auch die Vortragstätigkeit des<br />

<strong>Geschichtsverein</strong>s. Zu nennen ist hier vor allem das<br />

Symposium "Regionalismus und Südweststaatidee", das am<br />

10. Mai <strong>1997</strong> im Bildungshaus St. Luzen in Hechingen stattfand.<br />

Dabei wurden in insgesamt fünf Vorträgen verschiedene<br />

Aspekte der Geschichte des ehemaligen Württemberg-<br />

Hohenzollern behandelt, das 1948 aus der Taufe gehoben<br />

worden war. Hinzu kamen sieben Einzelvorträge mit ganz<br />

verschiedenen Themen der hohenzollerischen und südwestdeutschen<br />

Geschichte, die in Hechingen, Sigmaringen,<br />

Haigerloch und Burladingen stattfanden.<br />

Nach dem Bericht des Vorsitzenden berichtete Schatzmeister<br />

Hans Joachim Dopfer über die Entwicklung der<br />

Einnahmen und <strong>Ausgabe</strong>n des Vereins. Im Hinblick auf das<br />

sehr positive Ergebnis meinte der Vorsitzende, daß der<br />

Verein "in finanzieller Hinsicht getrost in die Zukunft<br />

blicken könne". Der anschließende Rechnungsprüfungsbericht<br />

der Herren Alois Schleicher und Fritz Schöttgen<br />

bescheinigte dem Schatzmeister eine gute und korrekte<br />

Kassenführung. Der Schatzmeister wurde daraufhin einstimmig<br />

entlastet. Auf Antrag von Herrn Rektor a.D. Otto<br />

Werner, Hechingen, wurde anschließend der gesamte<br />

Vorstand des Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong>s entlastet.<br />

Den nächsten Tagesordnungspunkt bildete die Wahl des<br />

Vorstands und der Hälfte des Beirats des <strong>Geschichtsverein</strong>s.<br />

In geheimer Wahl wurde zuerst Dr. phil. Otto Becker, Sigmaringen,<br />

in seinem Amt als Vorsitzender des <strong>Geschichtsverein</strong>s<br />

bestätigt. Wiedergewählt wurden danach auch: Dr.<br />

med. dent. Adolf Vees, Hechingen, als stellvertretender<br />

Vorsitzender, Helmut Göggel, Sigmaringendorf, als Schriftführer<br />

und Hans Joachim Dopfer, Sigmaringen-Laiz, als<br />

Schatzmeister. Zu Beiräten wurden gewählt: Otto<br />

Bogenschütz als Vorsitzender des Heimatvereins Bisingen-<br />

Steinhofen, Dr. med. Herbert Burkarth für den Raum<br />

Gammertingen, Robert Frank für den Bereich Haigerloch,<br />

Wolfgang Hermann für den Raum Glatt und Hans-Jürgen<br />

Sinn für den Raum Sigmaringen.<br />

Kraft Amt gehören dem Vorstand an: Dr. Volker Trugenberger<br />

als Leiter des Staatsarchivs Sigmaringen, Alf Müller<br />

als Leiter der Hohenzollerischen Heimatbücherei in<br />

Hechingen, Peter Kempf als Leiter der Fürstl. Hofbibliothek<br />

und die Kreisarchivare Dr. Edwin Ernst Weber und Dr.<br />

Andreas Zekorn in Sigmaringen bzw. in Balingen.<br />

Die Mitgliederversammlung bestätigte ferner die Rechnungsprüfer<br />

Schleicher und Schöttgen in ihren Amtern.<br />

Danach dankte der alte und der neue Vorsitzende den<br />

Teilnehmern an der Jahresversammlung insgesamt, dem<br />

Wahlleiter Rektor Otto Werner und den Wahlhelfern Peter<br />

Kempf und Christoph Stauß für die zügige Durchführung<br />

der Wahlen. Sein Dank galt dem scheidenden Beiratsmitglied,<br />

Herrn Gymnasialprofessor i.R. Heinrich Heberle,<br />

Hechingen, der aus gesundheitlichen Gründen auf eine erneute<br />

Kandidatur verzichtet hatte. Ferner bedankte sich der<br />

Vorsitzende bei den Mitgliedern des Vorstandes und des<br />

Beirats für Anregungen und auch für Kritik, soweit diese<br />

gerechtfertigt war. Abschließend stattete der Vorsitzende seinen<br />

Dank an Herrn Dr. Burkarth für die Schriftleitung der<br />

"Hohenzollerischen Heimat" und Herrn Dr. Zekorn für die<br />

Mitschriftleitung der "Zeitschrift für Hohenzollerische<br />

Geschichte" sowie seinen Mitarbeitern im Vereinssekretariat,<br />

Frau Liebhaber, Frau Neuendorff und Herrn Gauggel.<br />

Worte der Anerkennung und des Dankes galten auch dem<br />

Leiter des Staatsarchivs Sigmaringen, Herrn Dr. Trugenberger,<br />

für die Überlassung des Spiegelsaals für Veranstaltungen<br />

des <strong>Geschichtsverein</strong>s .<br />

Der Tradition folgend, veranstaltete der Hohenzollerische<br />

<strong>Geschichtsverein</strong> im Anschluß an seine Mitgliederversammlung<br />

einen öffentlichen Vortrag, zu dem der<br />

Vorsitzende eine ganze Reihe von Gästen begrüßen konnte.<br />

DerVortrag des Beiratsmitglieds Dr. Weber mit dem Thema<br />

"Der Abriß von Schloß Hornstein im Herbst 1873 -<br />

Vorgänge und Hintergründe" kam bei den Teilnehmern sehr<br />

gut an, wie aus der sehr lebhaften Diskussion danach zu<br />

ersehen war.<br />

Buchbesprechungen<br />

Das Hechinger Heimweh, Begegnungen mit Juden<br />

Dr. Otto Becker<br />

In dem Buch erzählt Dr. Adolf Vees in Kurzgeschichten vom<br />

Schicksal Hechinger und Haigerlocher Juden, die bis 1933<br />

unangefochten zu ihrem Heimatstädtchen gehörten. Viele<br />

von ihnen konnten vor der Katastrophe noch auswandern<br />

und retteten so ihr Leben, aber Heimat fanden sie nicht<br />

mehr. Vom Heimweh dieser Menschen ist die Rede. Vees<br />

schrieb auf, was ihm Alfred Weil und Henry Hofheimer in<br />

New York, Grete Model in Sao Paulo und viele andere<br />

63


Verlag: <strong>Hohenzollerischer</strong> <strong>Geschichtsverein</strong><br />

Karlstraße 3, 72488 Sigmaringen<br />

M 3828<br />

Postvertriebsstück. Gebühr bezahlt.<br />

Juden, die verstreut auf der Welt leben, erzählt haben, aber<br />

auch was alte Hechinger und Haigerlocher Bürger noch aus<br />

der jüdischen Welt Hechingens und Haigerlochs wußten. Es<br />

wird auch erinnert an Albert Einstein, dessen zweite Frau<br />

aus Hechingen stammte, an Paul Levi, den einst berühmten<br />

Politiker der Weimarer Republik, der in Hechingen geboren<br />

ist, an Friedrich Wolf, in den zwanziger Jahren Arzt und<br />

Schriftsteller in Hechingen, an Berthold Auerbach, den aus<br />

Nordstetten bei Horb stammenden Schriftsteller, der in<br />

Hechingen zur Talmudschule ging. Am 27. November 1941<br />

wurden die ersten elf Hechinger Juden aus der Stadt hinaus<br />

zum Bahnhof geführt. Es gab nie mehr ein Lebenszeichen<br />

von ihnen. Bei der feierlichen Eröffnung der restaurierten<br />

Synagoge am 19. November 1986 wurden die Namen der<br />

verjagten, verschleppten und ermordeten Hechinger Juden<br />

aufgerufen, 130 an der Zahl. Vees schreibt: "Mit diesem<br />

Buch möchte ich die Rückkehr der vertriebenen Bürger in<br />

unser Bewußtsein ermöglichen, jenen, die nicht entkamen<br />

und den Tod fanden, möchte ich ein ehrendes Gedenken<br />

schenken".<br />

Das Buch enthält Fotos aus der Goldschmiedstraße, von der<br />

Synagoge und dem Gemeindehaus, von ehemals jüdischen<br />

Häusern und anderen Andenken, nicht zuletzt auch Fotos<br />

von Bürgern, über die in dem Buch berichtet wird. In einem<br />

Personenregister sind die Lebensdaten aller erwähnten<br />

Personen aufgeführt. Herausgeber sind der Hohenzollerische<br />

<strong>Geschichtsverein</strong>, dessen stellvertretender Vorsitzender<br />

Dr. Vees ist und der Verein Alte Synagoge Hechingen. Adolf<br />

Vees, Das Heimweh Begegnungen mit Juden, Silberburg<br />

Verlag Tübingen. 192 Seiten, ca. 40 Abbildungen, DM 29,80.<br />

„Ha schwätz it". Junginger Dorfgeschichten von Josef<br />

Schuler. Die Leser der Hohenzollerischen Heimat kennen<br />

die Junginger Dorfgeschichten von Josef Schuler seit einigen<br />

Jahren. Jetzt hat der Autor sich selbst einen alten Wunsch<br />

HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />

herausgegeben vom Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong>.,<br />

Karlstraße 3, 72488 Sigmaringen<br />

ISSN 0018-3253<br />

Erscheint vierteljährlich.<br />

Die Zeitschrift "Hohenzollerische Heimat" ist eine<br />

heimatkundliche Zeitschrift. Sie will besonders die<br />

Bevölkerung im alten Land Hohenzollern und den<br />

angrenzenden Landesteilen mit der Geschichte<br />

ihrer Heimat vertraut machen. Sie bringt neben<br />

fachhistorischen auch populär gehaltene Beiträge.<br />

Bezugspreis:<br />

Für Mitglieder des Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong>s<br />

ist der Bezugspreis im Beitrag enthalten.<br />

Bezugspreis für Nichtmitglieder DM 13,00 jährlich.<br />

Abonnements und Einzelnummern (DM 3,25)<br />

können beim Hohenz. <strong>Geschichtsverein</strong> (s. o.) bestellt<br />

werden.<br />

64<br />

Die Autorern dieser Nummer:<br />

erfüllt und gleichzeitig die Nachfrage zahlreicher Liebhaber<br />

seiner Mundartgeschichten befriedigt. Auf 140 Seiten liegen<br />

nun seine „Junginger Dorfgeschichten", im Selbstverlag<br />

erschienen, gedruckt vor und können beim Autor gegen DM<br />

20.- incl. Porto erworben werden. Anschrift: Josef Schuler,<br />

Killertalstr. 55, 72417 Jungingen.<br />

Die Geschichten, die Josef Schuler erzählt, sind eigentlich<br />

keine „Erfindung", keine „Dichtung". Sie waren im kollektiven<br />

Gedächtnis des Dorfes vorhanden, entstanden aus<br />

tatsächlichen Begebenheiten, tausendmal am Stammtisch, im<br />

Freundeskreis erzählt, in der Familientradition überliefert.<br />

Schuler macht sich die eingeübte, in Jahrhunderten erprobte<br />

Fähigkeit des Volksmundes zur Anekdote zunutze. Und<br />

dennoch ist er nicht nur Sprachrohr des Volksmundes. Seine<br />

Methode ist die „Verdichtung des Gefundenen", und er hebt<br />

auch die Kunst des Volkswitzes auf eine neue Stufe: Schuler<br />

ist ein Meister der Pointe. Was der Volksmund den tragischen,<br />

komischen und tragikomischen Situationen des<br />

Alltags, des Lebens und des Sterbens abgewonnen -und zum<br />

Nutzen der Nachwelt- lachend verarbeitet hat, das überführt<br />

Josef Schuler noch einen Schritt weiter in die schriftliche<br />

Kunstform.<br />

Jeder, der schon einmal versucht hat, in der schwäbischen<br />

Sprache zu schreiben, weiß, wie schwer das ist, wie leicht es<br />

einem mißrät. Josef Schuler gelingt dies scheinbar<br />

leichtfüßig, er gehört zu den wenigen zeitgenössischen<br />

Dialektschreibern, die man ohne Ärgernis lesen kann, weil<br />

sein Schwäbisch situationsnah wirkt, obwohl es durchaus<br />

kunstvoll zur Schriftsprache hin fortentwickelt ist. Die<br />

Geschichten geben zwar Killertäler Begebenheiten zum<br />

besten und sie tun dies im spezifischen Junginger Dialekt,<br />

aber sie führen uns MenschlichAllzumenschliches vor, das<br />

jeden anderen Schwaben (und manchen dahergelaufenen<br />

Preußen) zum Schmunzeln bringen kann. Den „Junginger<br />

Dorfgeschichten" ist deshalb ein Leserkreis weit über den<br />

Junginger Dorfetter hinaus von ganzem Herzen zu wünschen.<br />

Dr. Casimir Bumiller.<br />

Dr Otto H. Becker<br />

Hedinger Straße 17, 72488 Sigmaringen<br />

Dr Casimir Bumiller<br />

Hexental 32, 79283 Bollschweil<br />

Dr. Herbert Burkarth<br />

Eichertstraße 6, 72501 Gammertingen<br />

Wolfgang Hermann<br />

Dettenseer Straße 10/1, 72186 Empfingen<br />

Hedwig Maurer<br />

Mühle 2, 72414 Rangendingen<br />

Josef Neuburger<br />

Egelfingerstraße 27, 72511 Bingen<br />

Gernot Paukert<br />

Silcherstraße 40, 72497 Straßberg<br />

Dr Herbert Rädle<br />

Veit-Jung-Straße 13a, 92318 Neumarkt<br />

Druck:<br />

M. Liehners Hofbuchdruckerei GmbH &<br />

Co., Verlagsanstalt<br />

72488 Sigmaringen, Karlstraße 10<br />

Schriftleitung:<br />

Dr. med. Herbert Burkarth,<br />

Eichertstraße 6, 72501 Gammertingen<br />

Telefon 0 75 74/44 07<br />

Die mit Namen versehenen Artikel geben<br />

die persönliche Meinung der Verfasser wieder;<br />

diese zeichnen für den Inhalt der Beiträge<br />

verantwortlich. Mitteilungen der Schriftleitung<br />

sind als solche gekennzeichnet.<br />

Manuskripte und Besprechungsexemplare<br />

werden an die Adresse des Schriftleiters erbeten.<br />

Wir bitten unsere Leser, die "Hohenzollerische<br />

Heimat" weiter zu empfehlen.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!